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Full text of "Das Messiasgeheimnis in den Evangelien; Zugleich ein Beitrag zum Verständnis des Markusevangeliums"

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^i- 


Das  Messiasgeheimnis 


in  den 


Evangelien. 


Zugleich  ein  Beitrag  zum  Verständnis 
des  Markusevangeliums. 


Von 

D.  W.^Wrede, 

o.  Professor  der  ev.  Theologie  zu  Breslau. 


Göttin  gen 
Tandenboed)  &  Rupred)t 

1901. 


§ermaiiy 


Albert  Eichhorn 

in  Kiel, 

meinem  Freunde  und  Lehrer» 


Vorwort, 


Seit  längerer  Zeit  hat  die  evangelische  Überlieferung 
vonJesus  als  dem  Messias  mein  besonderes  Interesse  in  An- 
spruch genommen.  Ich  könnte  auch  sagen:  die  Frage,  ob  Jesus 
sich  für  den  Messias  gehalten  und  ausgegeben  hat.  Ich  brauche 
jedoch  lieber  den  andern  Ausdruck.  Man  kann  zwar  beide 
Fragen  identifizieren,  man  kann  sie  in  einem  gewissen  Sinne  aber 
auch  trennen.  Es  wäre  z.  ß.  denkbar,  dass  man  die  ausge- 
sprochen messianischen  Data  der  Evangelien  sehr  ungünstig  be- 
urteilte und  damit  die  Frage  nach  dem  Messiasbewusstsein 
Jesu  doch  noch  nicht  zur  Entscheidung  brächte.  Die  Prüfung 
der  gegebenen  Überlieferung  ist  aber  das  nächstliegende  Thema. 
Eins  von  den  mancherlei  Problemen,  die  es  umschliesst,  findet 
der  Leser  auf  den  nachfolgenden  Blättern  behandelt.  Weitere 
Studien  zu  dem  Gegenstande  beabsichtige  ich  folgen  zu  lassen. 
Mit  dem  jetzt  erörterten  Problem  hoife  ich  einige  neue  Gesichts- 
punkte in  die  Diskussion  einzuführen.  Denn  zur  Zeit  ist  es  für 
die  theologische  Forschung  nicht  vorhanden,  und  in  der  Art,  wie 
ich  es  versuche,  ist  es  überhaupt  noch  nicht  behandelt  worden  »). 

Ich  nenne  die  Schrift  zugleich  einen  Beitrag  zum  Ver- 
ständnis des  Markusevangeliums  und  lege  auf  den  Nebentitel 
immerhin  Gewicht.  Ursprünglich  wollte  ich  eine  besondere  Studie 
über  den  Plan  des  Markus  schreiben.  Der  Inhalt  hätte  sich 
aber  zu  sehr  mit  einer  Ausführung  des  Hauptthemas  berührt, 
als  dass  die  Trennung  erspriesslich  gewesen  wäre.  Möchte  es 
mir  nun  gelungen  sein,  die  Vereinigung  so  durchzufiihren,    dass 


1)  Wie    weit    ich  mir   bewusst   bin,    Vorgängrer    zu  haben,    ersieht 
man  aua  Exkurs  VII. 


VI 

alles,    was    über  das  Markusevangelium  gesagt  wird,    doch    dem 
Vei*ständnis  des  Hauptgedankens  zu  gute  kommt. 

Es  ist  mir  in  mancher  Stunde  schmerzlich  gewesen,  dass 
meine  Untersuchung  so  manches  antastet,  woran  gute  und  fromme 
Menschen  mit  dem  Herzen  hängen.  Ich  gedachte  alter  Freunde^ 
lieber  Zuhörer,  bekannter  und  auch  unbekannter  Gotteskinder 
denen  die  Schuft  vor  Augen  kommen  könnte.  Indessen  ich 
konnte  hier  nichts  ändern.  Wir  können  die  Evangelien  nicht 
anders  machen;  wir  müssen  sie  nehmen,  wie  sie  sind.  Mag  man 
dämm  meine  Kiitik  radikal  nennen,  so  habe  ich  nichts  dagegen^ 
Ich  halte  mich  daran,  dass  die  Dinge  selbst  manchmal  am 
radikalsten  sind,  und  dass  es  dann  kaum  ein  Vorwm'f  ist,  sie 
hinzustellen,  •wie  sie  sind.  Den  Vorwm'f  der  ;  negativen<'  Kritik 
dagegen  lehne  ich  ab  —  in  dem  einzigen,  vernünftigen  Sinne, 
den  das  Wort  haben  kann :  mein  ganzes  Bestreben  war  wenigstens 
das  sehr  positive,  ein  kleines,  aber  wie  mich  dünkt,  wichtiges 
Stück  Vorstellungsgeschichte  aufzuhellen,  so  gut  ichs  vermochte. 

Gegengninden  suche  ich  mich  offen  zu  halten.  Dass  Vieles 
verbesserungsbedürftig  sein  wird,  setze  ich  ohne  Weiteres  voraus. 
Der  allgemeine  Einwand  freihch,  dass  die  evangehsche  Tradition 
nicht  in  dem  Masse  späteren  Datums  sein  könne,  wie  ich  an- 
nehme, wird  mich  nicht  beirren.  Die  Geschichte  lehrt,  dass  nach 
der  Niederschrift  der  fi-ühsten  Evangelien  noch  ausserordentliche 
Verändeningen  mit  dem  Bilde  Jesu  vor  sich  gegangen  sind. 
Warum  es  vorher  anders  gewesen  sein  muss,  sehe  ich  nicht  ein. 
Über  den  Wert  der  Überlieferung  bei  Markus  kann  es  a  priori 
kein  Urteil  geben.  Denn  uns  fehlt  im  Ganzen  die  Möglichkeit 
der  Kontrole  durch  andere  Quellen.  Es  muss  daher  als  möglich 
gelteii,  dass  die  älteste,  zu  beherrschendem  Einfluss  auf  die 
Späteren  gelangte  Schrift,  die  uns  von  Jesus  erzählt,  von  der 
schon  angewachsenen  sekundären  Tradition  sehr  viel  mehr  und 
von  der  guten  auch  sehr  viel  weniger  aufgefangen  hat,  als  wir 
wünschen.  Im  Übrigen  Ts-ill  ich  nicht  ungesagt  lassen,  dass  ich 
andern  Teilen  des  Evangelienstoffes,  insbesondere  den  »Sprüchen« 
Jesu,  wesentlich  anders  gegenüberstehe  als  den  hier  behandelten. 
Überhaupt  bitte  ich  die  Grenzen  zu  beachten,  die  ich  mir  selbst 
in  dieser  Arbeit  gezogen  habe.  Das  Thema  führt  vielfach  auf 
weitergreifende  Fragen.  Nach  Möglichkeit  bin  ich  ihnen  aus 
dem  Wege  gegangen. 


vir 

Auf  eine  ausdrückliche  Auseinandersetzung  mit  andern 
Meinungen  hätte  ich  gern  verzichtet.  Sie  schien  aber  notwendig, 
um  den  Gegensatz  zu  der  üblichen  kritischen  Behandlung  der 
Evangelien,  zu  dem  ich  allmälig  gelangt  bin,  auch  rein  hervor- 
ti-eten  zu  lassen.  —  Entschuldigung  muss  ich  dafür  erbitten, 
dass  ich  eine  Reihe  bekannterer  Werke  in  älteren  Autlagen 
zitiert  habe,  wie  sie  mir  allein  zur  Hand  waren.  Für  die  Sache 
kommt  Avohl  wenig  darauf  an.  Bedauert  habe  ich  jedoch,  den 
Handcommentar  zu  den  Synoptikern  nicht  mehr  in  der  Gestalt 
benutzen  zu  können,  die  ihm  jetzt  eben  von  seinem  hochver- 
ehrten Verfasser  gegeben  wird.  Oscar  Holtzmanns  Leben  Jesu 
kam  mir  leider  auch  erst  zu  Gesicht,  als  meine  Schrift  bereits 
abgeschlossen  war.  Das  Werk  vertritt  freilich  i.  G.  auch  gerade 
die  Positionen,  die  ich  besonders  angegriffen  habe.  (Vgl.  z.  B. 
S.  54f.,  57,  249ff.,  273).  —  Einige  Exkurse  sind  zur  Entlastung 
der  Darstellung  beigefügt. 

Die  zitierten  Stellen  habe  ich  sehr  reichlich  —  mitunter 
sogar  mehrfach  —  im  Wortlaut  angeführt.  Damit  wollte  ich 
nicht  nur  der  Bequemlichkeit  des  Lesers  dienen,  sondern  ihn 
auch  nötigen,  sich  die  Texte  zu  vergegenwärtigen. 

Für  wesentliche  Unterstützung  bei  der  Korrektur  und  bei 
der  Herstellung  des  Stellenregisters  spreche  ich  Hemi  stud. 
theol.  Wäldern ar  Lorenz  herzlichen  Dank  aus. 

Breslau,  Ende  Juni  1901. 

V^.  ^Vrede. 


VIII 


Corrigenda. 


S.      11    Z.   8   V.    0.    1.    1223   St.   1233. 

»     20  Anm.  4  füge  hinzu:  S.    100. 

»     26  letzte  Z.  1.  Heiltliätigkeit  st.  Heilsthätigkeit. 

»     48  Z.  2  V.  u.  (Text)  1.  denn  st.  dann. 

»  136  Z.  16  V.  0.  1.  €QT]!uos. 

»  140  Z.  24.  V.  0.  1.  Taubstumme  st.  Stumme. 


IX 


Inhalt. 


Seite 

Desidcrien  zur  Leben-Jesu-Forscbung      ....  1 — 4 

Einleitendes  über  Thema  und  Quellen,  speziell 
Markus O — 8 

I.  Abschnitt:  Markus 9—149 

1.  Vorläufiges  über  das  Gesamtbild  der  messia- 

nischen  Geschichte  Jesu 9—22 

Herrschende  Ansicht  vom  Verlaufe  derselben  (nach 
Markus)  S.  9—12.  Kritik  dieser  Ansicht  S.  12 
bis  22.  Sie  liest  zuviel  zwischen  den  Zeilen 
S.  12 — 15,  und  hat  positive  Instanzen  (öffent- 
liche Wunder  (S.  15),  543ff.  (S.  16).  2io.  is  (S.löir.), 
327.  2i9f.  (S.  19ff.))  ^•eg•en  sich  S.  15-21.  Kein 
klares  Bild  bei  Markus  S.  21  f. 

2.  Die  Selbstverhüllung  des  Messias     ....        22—81 

Die  Messiaserkenntiiis  der  Dämonen    ....        23—32 

Stellen  S.  23.  Vorstellung  des  Erzählers  S.  23  f. 
Kritik  der  Berichte:  sie  sind  psychologisch  nicht 
verständlich  S.  26 — 30.  Kein  historischer  Kern, 
vielmehr  Ausdruck  einer  Anschauung  S.  30—32. 

Die   Gebote,  das  Messiasgeheimnis   zu  wahren        33  —  51 

Stellen  S.  33 f.  Charakter  derselben  S.  35.  Die 
exegetisch-kritische  Behandlung  der  Gebote 
S.35 — 47.  Notwendigkeit  einheitlicher  Erklärung 
S.  36—38.  Willkürliche  Abschwächung  S.  38. 
Erklärung  aus  persönlichen  Motiven  S.  38f.:  aus 
pädagogischer  Absicht  und  aus  dem  Gegensatz 
gegen  politischen  Messianismus  S.  39 — 41.  Beide 
Gesichtspunkte  bei  Mr.  nicht  nachweisbar  S.  41 
bis  46.   Ungeschichtlichkeit  der  Gebote  S.47— 51. 

Verwandtes.     Die  Verhüllung  durch  Rätselrede        51 — 65 

Alleinsein  Jesu  mit  Jüngern,  Aufsuchen  der  Ein- 
samkeit S.  51 — 53. 


Markus  über  die  Parabellehre  S.  54  ff.  Esoterische 
und  exoterische  Belehrung  S.  55.  Das  uvarri- 
gtoj'  des  Gottesreichs  S.  55 — 59.  Deutung  der 
Parabeln  für  die  Jünger,  inhaltlich  enthalten  sie 
nichts  besonders  Geheimes  S.  59f.  Der  Bericht 
ungeschichtlich  S.  61.  Entstehung  der  Parabel- 
theorie S.  62—65. 

Der  Sinn  des  Geheimnisses 65 — 81 

Das  Messiasgeheimnis  eine  theologische  Vorstel- 
lung S.  66."  Mr.  99  giebt  den  Schlüssel  S.  66-69. 
Parallel  ist  Mr.  42if.  8.69 — 71.  Supranaturaler 
Charakter  der  Vorstellung  S.  71—80.  Taufe  Jesu 
u.  a.  Data  S.  71 — 73.  >Sohn  Gottes«  supranatu- 
raler Begriff  (Mr.  146if.  1537ff.)  S.  73—76,  ebenso 
»Messias/  S.  76—78  (Petrusbekenntnis  S.  77). 
Auch  Jesu  Lehre  ist  übernatürlich  S.  78 f.  Inhalt 
des  Geheimnisses  im  Einzelnen  (das  Leiden  Mr. 
930)  S.  80 f. 

3.  Die  Verborgenheit  trotz  der  Offenbarnng  81 — 114 

Die  Weissagungen   vom    Leiden,    Sterben   und 
Aul'ei-stehen  Jesu 82 — 92 

Stellen  S.  82f.  Sinn  der  Weissagungen  bei  Markus 
S.  83—85.  Stellung  der  Kritik  S.  85—87.  Un- 
geschichtlichkeit,  Entstehung  S.  87—90.  Kein 
historischer  Kern  S.  90 — 92. 

Die  Stellung  der  Jünger  zu  den  Weissagungen        93 — 101 

Sie  bleiben  ihnen  verschlossen:  ungeschichtliche 
Vorstellung  S.  93  -95.  Zusammenhang  mit  dem 
»Geheimnis«  S.  95f.  Dieselbe  Vorstellung  10.S2 
und  832f.  S.  96—101. 

Das  Vei"ständnis  der  Jünger  überhaupt.     Offen- 
barung und  Geheimnis 101 — 114 

Die  Jünger  des  Markus  überhaupt  blind:  Material 
S.  101 — 103.  Ungeschichtlichkeit  der  Angaben 
(650ff.  8i6ff)  S.  104  f.  Sinn  der  Vorstellung  (Paral- 
lele Barnab.  59i  S.  106—108.  Kein  Fortschritt 
der  Jüngererkenntnis,  keine  »Erziehung«  S.  108f. 
Das  Xichtverstehen  des  Leidens  nichts  Beson- 
deres S.  109  f. 

Fortwährende  Offenbarungen  neben  dem  Xichtver- 
stehen S.  111.  Empfänger  derselben  S.  112.  Sinn 
des  Gedankens  S.  112 f.    Jünger  und  Volk  S.  113  f. 

Zusammenfassung  S.  114. 

4.  Rückblick  auf  Markus 115 — 149 

Das  Petrusbekenntnis  im  Markusevangelium     .      115 — 124 

Keine  Epoche  im  Leben  Jesu  S.  115f.     Wirklicher 


XI 


Sinn  ö.  117 — 119.  Stellung  des  Bekenntnisses 
im  Markus  (Allgemeines  über  die  Komposition 
des  Mr.)  S.  119-124. 

Widersprüche 124—129 

Im  Allgemeinen  S.  124 f.  Zwischen  öffentlicher 
und  geheimer  Messianität  S.  125 f.,  zwischen  l4.5, 
736f.,  724  und  den  Verboten  8.  12Ü— 128. 

Markus  als  Schriftsteller 129—145 

Auffassung  der  Kritik  S.  129.  Markus  ohne  An- 
schauung vom  Leben  Jesu  S.  129 — 131.  Folge- 
rungen für  die  Interpretation  (Mr.  826,  9 soff. 
S.  134)  S.  131 — 135.  Anschauliehe  Ausprägung 
des  Geheimuisgedankens  S.  135  f.  —  Besprechung 
von  l32ff.,  834  (7  14),  5i9f.,  724  S.  137— 142.  An- 
schaulichkeit S.  142 f.  Verwandtschaft  mit  Jo- 
hannes S.  143—145. 

Schlussbemerkungen 145 — 149 

Markus  nicht  Erfinder  des  Geheimnisses :  sein  An- 
teil S.  145  f.  Andeutungen  über  das  Mysterium 
in  der  älteren  Kritik  S.  146f.  Das  Problem  und 
die  Priorität  des  Markus  S.  148  f. 

II.  Abschnitt:  Die  späteren  Evangelien      ....     150—206 

1.  Matthaeus  und  Lukas .     150 — 179 

Einleitendes  S.  150  f. 
Matthaeus 151—163 

Verhältnis  zu  Markus  hinsichtlich  der  geheimen 
Messianität  S.  151 — 157.  Abweichend  hinsicht- 
lich des  Jüngerverständnisses  S.  157 — 160.  Die 
Jünger  auch  bei  Matth.  Offenbarungsempfänger 
S.  160 — 162.  Nicht  sowohl  geheime  als  beson- 
dere Erkenntnis  S.  162f. 

Lukas 163-179 

Einleitendes  S.  164.  Belehrung  der  Jünger  nach 
der  Auferstehung  S.  164 — 166.  Vorher  die 
Leidensweissagungen  dunkel  S.  166 f.  Sonst  be- 
züglich der  Verständnislosigkeit  anders  als  Mar- 
kus S.  167  ff.  Anders  auch  das  Nichtverstehen 
des  Leidens  S.  169  ff.  Verhältnis  zu  Markus  hin- 
sichtlich der  geheimen  Messianität:  wider- 
streitende Eindrücke  S.  172 — 178. 

Ergebnis  für  Matthaeus  und  Lukas  S.  178 f. 

2.  Johannes 179—206 

Einleitendes  S.  179 — 181.     Kückzüge  Jesu  bei  Joh. 


XII 

Seit& 
■bedeutungslos  Ö.  181  f.  Vorgänge  der  Geschichte 
Jesu  den  Jüngern  erst  seit  der  Auferstehung  ver- 
ständlich S.  182—185.  Abschiedsreden  von  ent- 
sprechender Anschauung  beherrscht  S.  185  f. 
Weizsäckers  Auffassung  von  16 12.  25  ist  abzu- 
weisen S.  186—190.  Die  Zeichnung  der  Jünger 
entspricht  den  Worten  von  der  künftigen  Be- 
lehrung S.  190  f.  Alles  Verhüllte  im  Evangelium 
doch  gesagt  S.  191  f.  Alles  noch  unverständlich 
ö.  192  f.  Verschiedene  Formen  der  Vorstellung 
S,  193f.  Das  Erinnern  des  Geistes  S.  195.  Das 
Kedeu  h'  nanotuiiag  S.  195 — 198.  Nichtverstehen 
und  Missverstehen  Jesu  bei  Andern  als  den  Jün- 
gern S.  .198—203.     Ergebnis  S.  203-206. 

II!.  Abschnitt:  Geschichtliche  Beleuchtung     .    .    .     206—251 

Einleitendes  S.  206—209. 

1.  Das  Verbergen  der  Messianität  bis  zur  Auf- 
erstehung      209—229 

Gegenstand  der  Untersuchung  S.  209 -- 211. 

Der  verborgene  Messias  des  Judentums  .     .     .      211 — 213 

Justins  Angaben  Ö.  211  f.  Kein  Zusammenhang 
mit  der  Markusvorstellung  S.  212f. 

Der  geheime  und  der  zukünftige  Messias     .     .      214—229 

(Messias  seit  der  Auferstehung) 

Messianität  seit  der  Auferstehung  älteste  Anschau- 
ung, entwickelt  sich  zu  dem  Gedanken,  dass  der 
irdische  Jesus  Messias  war  (Kommen  und 
Wiederkommen  des  Messias)  S.  214—218.  Ist 
eine  Anschauung  der  Gemeinde,  Parusieaus- 
sagen  setzen  den  christl.  Messiasbegriff  voraus. 
S.  218f.  Vorteil  und  Schwierigkeit  »proleptischer« 
Auffassung  der  Messianität  durch  Jesus  S.  219 
bis  222.  Den  Evangelisten  ist  schon  Jesu  Erden- 
leben messianisch  Ö.  222  f.  Sind  die  messiani- 
schen  Zeugnisse  bei  Markus  proleptisch  ge- 
meint? S.  223  f. 

Die  geheime  Messianität  keine  apologetische  Idee 
S.  224—226,  setzt  (Nichtwissen  von  öffentlicher 
Messianität  Jesu  und  damit)  die  künftige  Messia- 
nität voraus  S.226f.,  ist  aus  dieser  entstanden 
S.  228  f. 

2.  Die    Verständnislosigkeit     der    Jünger    vor 

der  Auferstehung 229     23& 

Einleitendes  S.  229 f.  Eine  Parallele  die  Geistes- 
raitteilung  an  die  Jünger  S.  231  f.  Geistesbeleh- 
rung bei  Johannes  S.  232.     Historische  Basis  der 


XIII 

Seite 
Idee:    Erleuchtung    durch    die    Christophanieen 
S.  233  f. 
Verschiedener,    aber    verwandter  Ursprung   beider 
Hauptgedanken  S.  235. 

3.  Nochmals  Markus  und  Lukas 235 — 242 

Verhältnis  des  Markus  zur  ursprünglichen  Idee 
(Widersprüche)  S.  235—237.  Stellung  des  Petrus- 
bekenntnisses zwischen  beiden  Hauptgedanken 
S.  237  f.     Geschichtlichkeit  S.  238  f. 

Lukas :  Ergänzung  des  früheren  Ergebnisses  S.  240 
bis  242. 

4.  Zur  weiteren  Geschichte   der  Vorstellungen      242—251 

Verschiedene  Entwicklung  der  verschiedenen 
Vorstellungen  S.  242  f.  Justin  S.  243.  Beleh- 
rungen des  Auferstandenen  in  der  Gnosis  S.  245 
bis  248.  Besondere  Umbildung  des  Parabelge- 
dankens dabei  (Pistis  Sophia)  S.  248—251. 

Exkurse : 

I.  Zum     Petrusbekenntnis     (B.    Weiss      und 

J.  Weiss) 252—254 

II.  Die  das  Geheimnis  betreffenden  Verbote 
Jesu  in  der  Auffassung  der  Kritik  und 
Exegese 254—260 

III.  Der    Erziehungsgedanke    bei    Klostermann 

und  Zahn 260—263 

IV.  Einige  neuere  Äusserungen  über  die  Leidens- 
und Auferstehungsweissagungen  Jesu      .  263 — 274 

V.  Über  den  Text  von  Mr.   IO32       ....       275—277 

VL  Zu  Mr.   IO47.  48 278f. 

VIL  Vorgänger 279—286 

Stellenregister        287—291 


Die  historische  Kritik  hat  eine  überaus  mühevolle  Arbeit 
an  den  literarischen  Quellen  der  Geschichte  Jesu  gethan.  Und 
sie  ist  sicher  nicht  unbelohnt  geblieben.  So  wenig  alles  erledigt 
sein  mag,  die  Fortschritte  etwa  seit  dem  Leben  Jesu  von  Strauss 
sind  gross  und  unverkennbar. 

Minder  gross  erscheint  der  Gewinn,  der  für  che  Haupt- 
aufgabe, die  historische  Verwertung  der  Quellen,  seither  zu  ver- 
zeichnen ist. 

Im  Einzelnen  freihch  haben  gerade  die  letzten  Jahrzehnte 
mit  ihren  mancherlei  frischen  Impulsen  den  wissenschaftlichen 
Besitz  reichlich  gemehrt.  So  mancher  überlieferte  Spruch  Jesu 
ist  unserem  Verständnis  wesentlich  näher  gerückt,  so  manche 
die  Evangelien  beherrschende  Anschauung  ist  durch  die  Er- 
kenntnis des  geschichtlichen  Hintergrundes  uns  besser  erschlossen 
worden. 

Allein  die  entscheidenden  Fragen  bleiben  immer  die  beiden : 
was  wissen  wir  vom  Leben  Jesu?  und  —  auch  dies  eine  Frage 
von  selbständiger  Bedeutung  — :  was  wissen  wir  von  der 
Geschichte  der  ältesten  Anschauungen  und  Vorstellungen  vom 
Leben  Jesu?  Man  kaim  auch  beide  Fragen  in  die  eine  fassen: 
wie  vollziehen  wir  in  der  llberlieferung  der  Evangelien  nach 
den  zwei  Richtungen  die  Sonderung,  wie  scheiden  wir,  was  Jesus 
zukommt,  von  dem.  was  der  ältesten  Gemeinde  angehört? 

Tritt  man  mit  diesen  Fragen  an  die  neuere  Literatur  über 
das  Leben  Jesu  (im  weitesten  Sinne)  heran,  so  stellt  sich  ein 
Gefühl  der  Enttäuschung  ein.  Näher  besehen  ist  dieser  Ein- 
druck zu  einem  Teile  die  Folge  der  aussergewöhnlichen  Schwierig- 
keiten, die  dem  Gegenstande  selber  unvermeidhch  anhaften;  zu 
einem  Teile  darf  man  ihn  der  Thatsache  zuschreiben,  dass  die 
rein  literarische  Arl)eit  an  den  Quellen  die  Vorherrschaft  ge- 
habt und   das  Bewusstsein   um   die   letzten    und   höchsten  Auf- 

Wrede,  Messiasgeheimnis.  1 


gaben  der  Forschung  oft  in  den  Hintergrund  gedrängt  hat;  aber 
zu  einem  wesenthchen  Teile  ist  er  auch  die  Folge  eines  mangel- 
haften kritischen  Verfahrens. 

Es  scheint  mir  namenthch  an  drei  Punkten  zu  Tage  zu  treten. 

Erstens  ist  es  zwar  ein  selbstverständlicher  Satz  für  die 
gesamte  historische  Kritik,  dass  das.  was  uns  wirkhch  vorHegt, 
nui-  die  Auffassung  eines  späteren  Erzählers  vom  Leben  Jesu 
ist,  und  dass  diese  Auffassung  nicht  identisch  ist  mit  der  Sache 
selbst.  Aber  dieser  Satz  übt  eine  viel  zu  geringe  Wirkung. 
Man  erinnert  sich  seiner  in  der  Regel  nur  da,  wo  man  sich 
durch  bestimmte  Dinge  gestossen  fühlt;  d.  h.  im  Wesenthchen 
1)  bei  strikt  wunderhaften  Zügen,  2)  bei  offenen  Widersprüchen 
derselben  Quelle,  3)  wo  ein  Bericht  den  andern  schlägt.  Allein 
wo  solche  Stösse  ausbleiben,  da  fühlt  man  sich  ohne  viel  Unter- 
suchung auf  dem  Boden  des  Lebens  Jesu  selbst,  man  hält  die 
Kritik  für  beendet,  wenn  man  durch  Quellenoperationen  und 
sachliche  Reflexionen  den  ältesten  Bericht  ermittelt  hat. 

Das  ist  keine  Klarheit  des  Prinzips.  Das  Bewusstsein,  dass 
ich  Darstellungen  vor  mir  habe,  deren  Autoren  spätere  —  wenn 
auch  noch  so  fi-ühe  —  Christen  sind,  Christen,  die  das  Leben  Jesu 
nm'  mit  den  Augen  ihrer  Zeit  ansehen  konnten,  die  es  aus  dem 
Glauben  der  Gemeinde,  mit  allen  Anschauungen  der  Gemeinde, 
für  die  Bedürfnisse  der  Gemeinde  beschi'ieben  —  dies  Bewusst- 
sein darf  mich  keinen  Augenblick  verlassen.  Denn  ehi  sicheres 
IVIittel,  den  Anteil  der  späteren  Auffassung,  manchmal  einer 
Auffassung  verschiedener  Schichten,  bei  den  Berichten  ohne 
Weiteres  zu  bestimmen,  giebt  es  nicht. 

Ein  Zweites  hängt  hiermit  aufs  Engste  zusammen.  Man 
verlässt  vorschnell  den  Boden  des  evangelischen  Be- 
richts. Man  hat  Eile  ihn  für  die  Geschichte  Jesu  selbst  zu 
verwerten.  Um  ihn  verwerten  zu  können,  schneidet  man  un- 
glaubliche Züge  aus  und  legt  den  Sinn  so  zm-echt,  dass  er 
historisch  brauchbar  ^ird;  d.  h.  man  substituiert  dem  Be- 
richte etwas,  woran  der  Schriftsteller  nicht  gedacht 
hat,  und  giebt  dies  für  seinen  geschichtlichen  In  halt 
aus.  Die  starke  Unsicherheit,  die  mit  diesem  Verfahi'en  gegeben 
ist,  wird  äusserst  wenig  empfunden,  vor  allem  aber  fragt  man 
nicht  danach,  0I5  damit  nicht  das  eigentümliche  Leben  des  Be- 
richtes selbst  vernichtet  wird.     Die  erste  Aufgal^e  kann  stets  nur 


sein,  die  Berichte  aus  ihrem  eigenen  Geiste  gründlich  zu  be- 
leuchten, zu  fragen,  was  der  Erzähler  in  seiner  Zeit  seinen  Le- 
sern sagen  wollte,  und  diese  Arbeit  muss  zu  Ende  geführt 
und  zur  Grundlage  der  Kritik  gemacht  werden. 

Drittens  kommt  die  Psychologie  in  Frage.  Ich  will  hier 
keineswegs  nur  von  Forschern  reden  —  es  giebt  in  verschiedenen 
Lagern  solche  — ,  die  bei  jeder  evangelischen  Geschichte  eine 
so  genaue  Kenntnis  der  geschichtlichen  Umstände,  namentlich 
eine  solche  Litimität  mit  dem  Seelenleben  Jesu  verraten,  dass 
man  zweifeln  möchte,  ob  man  einen  Vertrauten  Jesu  reden  hört 
oder  aber  einen  Roman  liest.  Ich  denke  auch  an  die  zum  Glück 
zahlreichen  Gelehrten,  die  hierin  mehr  Takt  und  Zurückhaltung 
beweisen. 

Die  Psychologie  in  allen  Ehren !  —  wenn  sie  zwischen  festen 
Punkten  die  notwendige  Verbindung  herstellt,  oder  wenn  sie 
Pfadfinderdienste  leistet,  indem  sie  mit  Strenge  die  Möglich- 
keiten und  Notwendigkeiten  kontroliert,  die  von  sicheren  oder 
meinetwegen  auch  gedachten  Thatsachen  aus  vorhanden  sind. 
Allein  sie  verliert  wissenschaftlich  das  Überzeugende,  wenn  die 
entscheidenden  Punkte  selbst  nicht  festliegen,  wenn  etwas  viel- 
leicht Denkbares  leichthin  als  das  Wirkliche  angeboten  wird. 

Und  dies  ist  das  Gebrechen,  auf  das  hier  hinzuweisen  ist,  ^ 
beschönigen  wir  es  nicht  mit  dem  edlen  Namen  der  historischen 
Phantasie.  Die  Wissenschaft  vom  Leben  Jesu  krankt 
an  der  psychologischen  Vermutung,  und  diese  ist  eine 
Art  des  historischen  Ratens.  Deshalb  blühen  die  Geschmacks- 
urteile. Die  Zahl  der  willkürlichen  psychologischen  Interpreta- 
tionen von  Fakten,  Worten,  Zusammenhängen  der  Evangelien 
in  der  Literatur  ist  Legion.  Und  es  handelt  sich  nicht  blos  um 
unschädliche  Übei-flüssigkeiten.  Diese  Interpretationen  bilden 
mit  die  Grundlage  für  wichtige  Konstruktionen.  Und  wie  oft 
glaubt  man,  die  kritische  Aufgabe  schon  damit  erledigt  zu 
haben,  dass  man  auf  ein  Datum  eine  psychologische  Melodie 
erfunden  hat! 

Ich  behaupte  keineswegs,  dass  alle  Arbeit  in  dieser  Richtung 
ganz  ohne  Nutzen  gewesen  ist.  Aber  es  schehit  mir  dringend 
nötig,  dass  wir  hier  aus  den  Subjektivitäten  herauskommen.  Wir 
dürfen  Thatsachen  erst  dann  psychologisch  verarl)eiten,  wenn  wir 
wissen,  dass  es  Thatsachen  sind.     Und  auch  dann  noch  müssen 

1* 


wir  eine  Veniiutung  eine  Vermutung  nennen.  Andernfalls  wird 
das  Gefühl  abgestumpft,  dass  es  in  der  AVissenschaft  nicht  stim- 
mungsvolle Schilderungen  gilt,  die  dem  Leser  Genuss  bereiten, 
sondern  Strenge  und  Sicherheit  des  Erkennens,  dass  wir  nach 
ihnen  wenigstens  immer  streben  müssen,  und  dass  wenige  wirk- 
liche Erkenntnisse,  seien  sie  nun  positiv  oder  nur  »negativ«, 
besser  sind  als  eine  Menge  Schein^vissen.  — 

Diese  Betrachtungen  werden  dem  geneigten  und  noch  mehr 
dem  ungeneigten  Leser  etwas  anmassend  scheinen,  da  ich  nichts 
gethan  habe,  diese  Gebrechen  dei'  Kritik  nachzuweisen ;  sie  wer- 
den zwecklos  scheinen,  so  lange  ich  nicht  sage,  auf  Grund 
welcher  Beobachtungen  ich  meine  LTrteile  ausspreche. 

Nun,  man  verstehe  sie  als  eine  Art  Motto,  das  ich  den 
folgenden  Untersuchungen  vorsetzen  möchte.  Diejenigen,  die 
sie  lesen,  werden  zwar  hier  lange  nicht  alles  finden,  was  ich  an 
Belegen  glaube  geben  zu  können,  aber  sie  werden  hoffenthch 
an  einer  Reihe  von  Beispielen  sehen,  was  ich  meine,  und  die- 
jenigen, die  der  Untersuchu]ig  im  Wesentlichen  zustimmen, 
werden  hoffentlich  das  Motto  bilhgen. 


Die  Frage  nach  dem  messianischeii  Selbstbewusstsein  Jesu, 
die  die  heutige  Wissenschaft  beschäftigt,  hegt  den  evangehschen 
Berichterstattern  fern,  ja  sie  existiert  gar  nicht  für  sie.  Von 
Anbeginn  seines  Lebens  oder  seines  Wirkens,  von  seiner  Geburt 
oder  seiner  Taufe  an  ist  Jesus  objektiv  für  sie  der  Messias. 
Damit  ist  ein  entsprechendes  Bewusstsein  selbstverständhch  ge- 
geben, aber  der  Begriif  dieses  ßewusstseins  und  seiner  Ent- 
stehung fehlt;  den  Begriff  seiner  Entwicklung  voraussetzen  hiesse 
sogar  den  Geist  dieser  Schriftsteller  völlig  verkennen. 

Dagegen  bieten  uns  die  Evangelisten  gewisse  Daten  für  die 
andere  Frage:  wann  Jesus  als  Messias  bekanntgeworden 
ist  oder  sich  selbst  bekannt  gemacht  hat.  Kann  die 
Wissenschaft  überhaupt  von  hier  aus  zu  sichern  Aussagen  über 
das  messianische  Bewusstsein  Jesu  gelangen,  so  müsste  es  offen- 
bar auf  dem  Wege  der  Bückschlüsse  geschehen. 

Ich  beabsichtige  in  der  folgenden  Untersuchung  diese  An- 
gaben nebst  dem,  was  mit  ihnen  zusammenhängt,  einer  Prüfung 
zu  unterziehen.  Das  ist  freilich  nur  eine  sehr  vorläufige  und 
ungenaue  Umschreibung  meiner  Absicht. 

Sämtliche  vier  Evangelien  sind  dabei  zu  berühren.  Ich 
würde  die  älteren  ausserkanonischen  Evangelien,  von  denen  wir 
einige  Fragmente  haben,  hinzufügen,  wenn  sich  nicht  sogleich 
sagen  liesse,  dass  sie  für  das  Problem,  um  das  es  sich  handelt, 
nichts  Nennenswertes  bieten.  Die  kanonischen  Evangelien  sind 
gesondert  zu  betrachten.     Das  ist  wichtig. 

Mit  der  grossen  Mehrzahl  der  heutigen  Kritiker  teile  ich 
die  Ansicht,  dass  unser  oder  ein  dem  unsern  äusserst  ähnhcher 
Markus  den  beiden  andern  Synoptikern  zu  Grunde  liegt.  Mit 
dieser  Annahme  wage  ich  freilich  nicht  jedes  literarische  Einzel- 
problem, das  die  parallelen  Teile  der  drei  Evangelien  stellen, 
zu  lösen,  aber  die  Hauptsache  scheint  mir  trotz  des  noch  immer 


6 

vorhandenen  Widerspruchs  so  sicher  bewiesen,  dass  man  darauf 
weiter  bauen  dai-f^). 

Ist  die  These  richtig,  und  muss  das  vierte  EvaugeHum  als 
gänzHch  sekundäre  Darstellung  ausser  Betracht  bleiben,  so  fällt 
natürlich  für  alle  Fi-agen,  die  die  eigentliche  Erzählung  von 
Jesus,  insbesondere  den  Gang  und  die  Entwickelung 
seines  Lebens  betreffen,  die  ganze  Last  der  Verantwortung 
fast  allein  auf  Markus.  Der  Wert  oder  Unwert  seiner  Tra- 
dition entscheidet  in  dieser  Beziehung  im  Wesentlichen  über 
den  Wert  oder  Unwert  der  EvangeHentradition  überhaupt 
Daher  muss  Markus  im  Vordergrunde  unserer  Untersuchung 
stehen. 

Indessen  sind  daiiim  Matthaeus  und  Lukas,  auch  da,  wo 
sie  auf  Markus  ruhen,  nicht  wertlos,  natürhch  auch  Johannes 
nicht.  Das  kann  nur  der  meinen,  für  den  die  Frage  nach  der 
ältesten  Entwickelung  der  Auffassung  vom  Leben  Jesu  hinter 
der  Frage  nach  dem  wirklichen  Le])en  Jesu  gänzlich  ver- 
schwindet. 

Über  das  Alter  des  Markus  mache  ich  keine  Voraussetzung. 
Von  einem  Beweise  dafür,  dass  er  vor  70  p.  Chr.  geschrieben 
sein  müsse,  kann  bisher  nicht  die  Rede  sein.  Andrerseits 
reichen  die  üblichen  Argumente  auch  schwerlich  aus,  ein 
späteres  Datum  wirklich  zu  sichern.  Forscher  von  wesentHch 
gleichen  Voraussetzungen  m-teilen  ja  auch  bald  so,  bald  so. 

Ebenso  lasse  ich  aber  auch  die  Frage  nach  dem  Verhältnis 
des  Evangehums  zu  Petnis  völlig  offen.  Bei  einer  Untersuchung, 
wie  wii'  sie  unternehmen,  kann  eine  Einmischung  derartiger 
Probleme  nur  schädlich  wirken.  Alles,  was  den  innern  Beftmd 
des  Evangehums  angeht,  ist  zunächst  für  sich  zu  erforschen. 
Erst  nachher  darf  man  fragen,  ob  das  Ergebnis  die  Tradition 
über  die  petrinische  Grundlage  des  Evangeliums  begünstigt  oder 
nicht. 

Dagegen  muss  eine  andere  Voraussetzung  allerdings  gemacht 
werden:    dass    die  Erzählimgen    des   Markus    etwas    wesentlich 


1)  Vgl.  Wernles  Schrift  »Die  synoptische  Frage«  1899,  die  den 
Ertrag  der  grundlegenden  kritischen  Arbeiten  in  vorzüglich  klarer 
Darstellung  zusammenfasst,  dabei  auch  manche  Frage  selbständig 
fördert,  allerdings  von  einigen  Kühnheiten  nicht  frei  ist. 


anderes  sind  als  an  Ort  und  Stelle  aufgenommene  Protokolle 
des  Lebens  Jesu.  Das  ist  ja  eine  Trivialität.  Und  es  ist  doch 
keine,  wenn  man  sieht,  dass  die  Kritik  von  dem  theoretisch  un- 
bestrittenen Satze  in  praxi  wieder  meist  einen  spärlichen  Ge- 
brauch macht. 

Markus  hat  bestenfalls  etwa  30  Jahre  nach  den  Ereignissen 
geschrieben,  er  hat  bestenfalls  in  einem  Teile  seines  Buches 
frei  wiedergegeben,  was  ein  Augenzeuge  von  seinen  Erinnerungen 
lange  genug  vor  der  Niederschrift  mitgeteilt  hatte:  der  Hinweis 
auf  die  Dublette  der  Speisungsgeschichten  (c.  6  und  c.  8)  genügt 
zum  Beweise,  dass  er  ihm  nicht  überall  folgt  —  wenn  er  ihm 
überhaupt  folgt.  Jeder,  der  etwas  von  menschlicher  Tradition 
weiss,,  muss  zugeben,  dass  selbst  bei  diesen  günstigsten  An- 
nahmen die  Treue  und  Genauigkeit  des  einzelnen  Berichts 
einigermassen  unsicher  wird.  Bemerkt  man  dagegen,  wie  die 
Kritiker  immerfort  aus  den  unscheinbarsten,  aller  Eigentümlich- 
keit haaren  Detailzügen,  aus  der  Stellung  von  Sätzen  und 
Sätzchen  in  der  Erzählung,  aus  dem  Vorkommen  und  Fehlen 
einzelner  Wörter  oder  Begriffe  ganz  zuversichtliche  Schlüsse 
für  das  Leben  Jesu  ziehen  i),  so  sollte  man  an  ein  Wunder  der 
Überlieferung  glauben. 

Viel  deutlicher  redet  hier  aber  noch  eine  andere  Erwägung, 
die  wenigstens  für  alle  die  zwingend  sein  muss,  die  nur  ge- 
schichtliche Massstäbe  für  die  Evangelienforschung  kennen. 
Markus  hat  thatsächlich  einen  grossen  Teil  unhistorischer  Be- 
richte in  seinem  Evangelium.  Was  er  von  der  Taufe  Jesu, 
von  der  Auferweckung  der  Jairustochtei',  von  den  wimderbaren 
Speisungen,  von  dem  Meerwandeln  Jesu,  von  seiner  Verkläning, 
von  der  Unterhaltung  des  Engels  mit  den  Frauen  am  Grabe 
berichtet,  und  manches  andere  sonst,  glaubt  ihm  kein  kritischer 
Theologe,  so  wie  er  es  berichtet.  Sieht  er  hinter  derartigen 
Nachrichten  Fakta,  so  ist  er  doch  gezwungen  einzuräumen,  dass 
sie,  sei  es  nun  im  Geiste  des  Markus  oder  auf  andere  Weise, 
eine  sehr  starke  Umbildung  und  Entstellung  erlebt  haben. 

Kann  diese  Erkenntnis  für  den  sonstigen  Inhalt  des  Evan- 
geliums   ohne  Folgen    bleiben?      Nun,    ein  wirklicher  Verdacht 


1)    Charakteristische    Beispiele    bieten    z.  B.     die    Verhandlungen 
über  den  »Menschensohn«. 


8 

gegen  konkrete  Stücke  des  Berichts  ist  hiermit  freiHch  nicht 
begründet  und  soll  auch  nicht  ausgesprochen  sein.  Aber  sicher 
werden  wir  dui'ch  das  Evangelium  selbst  vor  einem  zu  schnellen 
Yertrauen  kräftig  gewarnt  und  von  vornherein  zu  einer  scharfen 
Kontrole  seines  Inhalts  herausgefordert.  Es  ist  doch  nicht  ganz 
einerlei,  ob  man  sich  dies  klär  macht,  wenn  man  an  das  Evan- 
gelium herantritt.  Eine  Dosis  Wachsamkeit  und  Skepsis  mit- 
biingen  heisst  nicht  einem  Vorurteil  huldigen,  sondern  einem 
deutHchen  Winke  des  Evangehums  folgen. 


Erster   Abschnitt. 

Markus. 


Torläuflges  über  das  Oesamtbild  der  messianischen 
Geschichte  Jesu, 

Bei  der  Taufe  durch  Johannes  empfängt  Jesus  den  Geist 
und  erhält  von  oben  her  das  Zeugnis,  er  sei  Gottes  Sohn. 
Damit  beginnt  nach  Markus  sein  messianisches  Leben. 

Nächst  diesem  grundlegenden  Ereignis  ist  der  entscheidende 
Punkt  der  Ent^^icklung  das  Bekenntnis  seiner  Messianität  dui'ch 
Petrus  (8-27 ff.).  In  der  letzten  Zeit  Jesu,  nicht  lange  bevor  er 
die  entscheidende  Wanderung  nach  Jerusalem  antritt,  geht  so  den 
Jüngern  bei  Caesarea  Philippi  eine  Erkenntnis  auf,  die  sie  bis- 
her nicht  gehabt  haben.  Und  auch  —  in  gewissem  Sinne  — 
nicht  haben  sollten.  Denn  Jesus  hat  seine  Messiaswürde  zu- 
nächst absichthch  ins  Geheimnis  gehüllt.  Noch  bei  der  Aus- 
sendung (6 7 ff.)  giebt  er  den  Jungem  nicht  den  Auftrag,  ihn  als 
Messias  zu  verkündigen,  er  autorisiert  sie  vielmehr  nur  zur  Buss- 
predigt und  zur  Dämonenaustreibung. 

Indessen  haben  ihn  vor  den  Jüngern  bereits  aiidere  als 
Messias  erkannt.  Das  sind  die  Dämonischen.  Gerade  ihnen 
gegenüber  aber  zeigt  er,  dass  er  nicht  vor  der  Zeit  als  Messias 
gelten  \d\\.  Regelmässig  verbietet  er  ihnen,  ihn  kundzu- 
machen. Ein  entsprechendes  Verbot  erhalten  aber  auch  andere 
Kranke,  da  Jesus  offenbar  besorgt,  das  Bekanntwerden  seiner 
Wunderthaten  werde  ihn  nötigen,  den  Schleier  zu  lüften. 


10 

Der  Durchbrucli  der  messiaiiiscben  Erkenntnis  bei  den 
Jüngern  erscheint  somit  in  der  That  als  eine  Epoche  im  öifent- 
lichen  Leben  Jesu.  Dabei  wird  zugleich  deutlich,  dass  Jesus 
AVert  darauf  legte,  die  richtige  Schätzung  seiner  Person  nicht 
aufzudrängen,  sondern  allmälig  von  innen  reifen  zu  lassen. 

Der  Moment  des  Petrusbekenntnisses  hat  aber  noch  eine 
andere  Bedeutung.  Von  jetzt  ab  beginnen  {^JQ^aco  öidaoy.eiv 
831)  nämlich  die  Ankündigungen  seines  Leidens  und  Sterbens. 
Nach  dem  Gange  seines  Lebens  und  seiner  Wirksamkeit  hat 
Jesus  die  bittere  Notwendigkeit  erkannt;  so  sucht  er  nun 
auch  seine  Jünger  mit  dem  Gedanken  an  diese  Zukunft  ver- 
traut zu  machen.  Geschieht  es  aber  gerade  in  diesem  Augen- 
blicke, so  ist  es,  weil  er  mit  der  blossen  Anerkennung  seiner 
Messianität  nicht  zufrieden  sein  kann,  vielmehr  die  Jünger  noch 
von  einer  jüdisch-sinnlichen  Art  der  Messiasvorstellung  befreien 
muss.  Aber  eben  diese  Art  der  Messiasvorstellung  hält  die 
Jünger  wirklich  gefangen.  Obschon  sie  den  grossen  Schritt 
von  einem  anfänglich  sehr  mangelhaften  Verständnis  Jesu  (z.  B. 
4 13.  41,  652)  zur  Erkenntnis  seines  jnessianischen  Berufs  gethan 
haben,  vermögen  sie  sich  doch  nur  sehr  langsam  in  den  neuen 
Gedanken  eines  leidenden  und  sterbenden  Messias  zu  linden. 

Dem  Volke  gegenüber  hält  Jesus  auch  jetzt  noch  an  seinem 
Geheimnis  fest.  Unmittelbar  nach  dem  Petrusbekenntnis  schäi-ffc 
er  das  alte  Verbot  abermals  ein  (830),  und  nach  der  Verklärung- 
wehrt er  seinen  Vertrauten  wiederum  die  Mittheilung  dessen, 
was  sie  geschaut  haben  (99).  Indessen  schon  vor  der  Szene  von 
Caesarea  Philippi  hatte  der  wachsende  Ruf  des  Wunderthäters 
allerlei  Urteile  beim  Volke  hervorgerufen,  die  von  einer  liöheren 
Schätzung  zeugten  (6i4f.).  So  konnte  auf  die  Dauer  das  Ge- 
heinmis  nicht  im  engen  Kreise  bewahrt  bleiben.  Schon  in 
Jericho  begrüsst  ihn  ein  BHnder  mit  der  messianischen  Anrede 
(IO47).  Beim  Einzüge  in  Jerusalem  (lliff.)  feiert  ihn  dann  das 
Volk  als  den  verheissenen  messianischen  König.  Und  jetzt 
nimmt  er  diese  Huldigung  an.  Endlich  bekennt  er  sich  selbst 
vor  dem  Hohenpriester  in  der  feierlichsten  und  ausdrücklichsten 
Weise  als  Messias  (146if.).  Über  seinem  Kreuze  steht  die  In- 
schrift: »der  König  der  Juden«  (1526).  -    ^ 

Dies  etwa  ist  das  Bild  des  messianischen  Lebens  Jesu,  das 


11 

die  hen-schende  kritische  Ansicht  im  Markusevangehuiu  ge- 
zeichnet findet!),  das  eben  darum  den  besten  Ausgangspunkt 
für  unsere  Untersuchung  bildet. 

Gewonnen  wurde  das  Bild  zunächst  bei  einem  Vergleiche 
des  Markus  mit  Matthaeus.  Einige  Seiten  von  Ritschi  i^)  haben 
hier  besonderen  Eindruck  gemacht.  Es  ergab  sich,  dass  Mat- 
thaeus bereits  vor  dem  Petrusbekenntnis  mehrfach  von  öffent- 
licher messianischer  Anerkennung  Jesu  redet  (927,  (1233),  1522, 
vgl.  1433),  gleichwohl  aber  das  Bekenntnis  als  eine  Offenbarung 
hinstellt;  ferner,  dass  er  das  Verbot  Jesu  ihn  kundzumachen 
teils  auslässt,  da  es  für  seine  Gesamtanschauung  wertlos  ist, 
teils,  wo  er  es  beibehält,  an  grosse  Volksmengen  ergehen  lässt 
(84,  12i5.  lu),  also  zur  Sinnlosigkeit  macht.  D.h.  es  ergab  sich, 
dass  er  eine  planvolle  und  organisierte  Darstellung  verkannt  und 
gestört  hat,  eben  damit  aber,  dass  Markus,  der  sie  bietet,  der 
ältere  ist. 

Allein  man  ging  dann  sofort  einen  grossen  Schritt  weiter: 
in  der  Darstellung  des  Markus  fand  man  —  vielleicht  unter 
Abstrichen  im  Einzelnen  —  den  geschichtlichen  Verlauf  selbst. 

Und  hat  sie  nicht  in  der  That  ihr  Siegel  an  der  innern 
Geschlossenheit  des  Ganzen?  Kommt  nicht  durch  diese  zen- 
trale Stellung  des  Petrusbekenntnisses  erst  Leben  in  die  Ereig- 

1)  Es  sei  hier  u.  a.  auf  folgende  Darstellungen  verwiesen:  Weisse, 
Die  evangel.  Geschiebte  (1838),  I,  bes.  S.  529  f.,  Wilke,  Der  Urevan- 
gelist  (1838),  S.  630  ff.,  Ritscbl,  Über  den  gegenwärtigen  Stand  der 
Kritik  der  synopt. Evangelien,  Tübinger  theol.  Jahrbb.  1851,  bes.  S.  513ff., 
H.  Holtzmann,  Die  synopt.  Evangelien  (1863),  bes.  S.  431  ff.,  484f., 
wesentlich  identisch  mit  der  Darstellung  in  der  Einleitung  in  das  N.T.'^ 
S.  367  ff.  und  der  gleichlautenden  im  Handkommentar  I  (Einleitung  zu 
den  synopt.  Evang.),  ferner  Lehrb.  der  neutestamentl.  Theologie  I  S.  234 
—304,  Weizsäcker,  Untersuchungen  über  die  evangel.  Geschichte 
(1864),  bes.  S.  108  ff.,  468  ff.,  Wendt,  Lehre  Jesu  I  S.  3  ff.,  Balden- 
sperger,  Das  Selbstbewusstsein  Jesu  2.  Vgl.  auch  die  Andeutungen 
bei  Schürer,  Theol.  Lit.-Ztg.  1892,  col.  646,  bei  Wernle  S.  196  f. 
und  bei  Wellhausen,  Skizzen  und  Vorarbeiten  VI,  S.  202  ff.,  bes.  211. 
In  dem  Hauptpunkte,  dem  Gedanken,  dass  das  Petrusbekenntnis  plan- 
mässig  als  erste  Erkenntnis  der  Würde  und  des  Wesens  Jesu  hinge- 
stellt werde,  gehört  auch  Hilgenfeld  hierher  (Das  Markusevang. 
(1850),  S.  56,  119,  Die  Evangelien  (1854),  S.  137  f.),  trotzdem  er  den  Mat- 
thaeus dem  Markus  voranstellt,  ebenso  Strauss. 

2)  S.  d.  vorige  Anm. 


12 

nisse  der  Geschichte  Jesu?  Jesus  selbst,  die  Jünger,  das  Volk 
im  Verhältnis  zu  ihm  —  alles  zeigt  Bewegung  mid  Fortschritt. 
Das  stärkste  Bollwerk  aber  liegt  für  diese  Auffassung  in  der 
Darstellung  des  Petrusbekenntnisses  selbst.  Man  hat  die  Szene 
anders  verstanden  ').  Petms  soll  nur  einen  längst  vorhandenen 
Glauben  an  Jesu  Messianität  neu  bekräftigt  haben,  die  Jünger 
thun  im  Gegensatz  zum  Volke,  das  sich  von  ihm  abwendet,  das 
Gelöbnis,  an  ihm  festzuhalten.  Aber  da  scheint  doch  das  er- 
neute Verbot  nach  dem  Bekenntnis  (830,  99)  scharf  zu  prote- 
stieren. Und  ebenso  deutlich  scheint  die  enge  Verknüpfimg 
von  Leidensweissagung  und  Bekenntnis  sowie  die  schnelle  An- 
reihung der  VerkläiTuig  der  Bekenntnisszene  den  Charakter 
eines  epochemachenden  Ereignisses  aufzuprägen.  Ja  selbst  der 
Zusatz  des  Matthaeus,  dass  Jesus  das  Bekenntnis  als  götthche 
Offenbarung  feiert  und  den  Sprecher  selig  preist,  klingt  ganz 
nach  einer  üben-aschenden  Erleuchtung.  So  scheint  denn  schon 
diese  Szene  allein,  soll  sie  bleiben,  was  sie  ist,  den  starken  Be- 
weis in  sich  selbst  zu  tragen,  dass  Jesus  erst  kurz  vor  seinem 
Zuge  nach  Jerusalem  als  Messias  offenbar  geworden  ist  2). 

Trotz  alledem  hält  der  Eindruck,  dass  bei  Markus  eine 
innerhch  folgerichtige  und  geschichthch  verständliche  Gesamt- 
auffassung vorHege,  nur  so  lange  vor,  als  ynr  ^nchtige  Gegen- 
instanzen ignorieren. 

Solche    dürfen    freilich    nicht    von   aussen    her    genommen 
werden,    von    fertigen  Meinungen    über    das   Leben   Jesu    oder 
von    andern   Quellen.      Sonst    verwirrt    man  die   Fragen.      Es 
kommt  nur  auf  die  Auffassung  des  Markus  selbst  an,    auf  eine*. 
Kritik  nach  dem,  was  in  ihm  liegt. 

Eine  Vorfrage  bedarf  hier  jedoch  der  Klai-stellung.  Hat 
Markus  die  gedachte  Entwicklung  im  messianischen  Leben  Jesu 
darstellen  wollen,  oder  hat  er  sie  unbewusst  und  dennoch  treth- 


1)  z.  B.  B.  Weiss,  Leben  Jesu  ^  II,  S.  264  ff.,  auch  Del  ff,  Gesch. 
des  Kabbi  J.  von  Nazareth  (1889),  S.  125,  in  andrer  Art  J.  Weiss,  Die 
Nachfolge  Christi,  S.  31  ff.  (vgl.  Exkurs  I). 

2)  Das  haben  selbst  solche  Forscher  in  ihrer  Weise  anerkannt, 
die  von  ihren  Prämissen  aus  Bedenken  hegen  müssten.  S.  Ewald, 
Gesch.  Christus'  und  seiner  Zeit  (1855),  S.  328,  336.  Keim,  Gesch.  Jesu 
von  Nazara  11.  S.  545  ff. 


13 

beschrieben?  Einer  Meinung  wird  man  hier  folgen  müssen.. 
AVelche  Bedeutung  die  Frage  im  Vergleich  mit  andern  In- 
teressen für  Markus  hatte,  mag  zweifelhaft  bleiben.  Aber  man 
kann  nicht  annehmen,  dass  er  im  Ganzen  vom  Anfang  bis  zum 
Ende  seines  Werkes  eine  solche  Ent^\^cklung  mit  Bewusstsein 
darstellte,  und  dann  doch  alle  Augenblicke  von  diesem  Be- 
Avusstsein  wieder  verlassen  werden  konnte. 

Manche  Kritiker  haben  nun  ausdrücklich  von  der  Absicht 
des  Markus  gesprochen ').  Wichtiger  ist,  dass  dies  von  ihi-era 
Standpunkte  aus  durchaus  sachgemäss,  ja  notwendig  ist. 

Ein  Markus,  der  blind  in  einer  Fülle  von  einzelnen  Mo- 
menten einen  innern  Fortschritt  der  Geschichte  gezeichnet  hätte,, 
ist  nicht  wohl  vorzustellen.  Der  Zufall  müsste  da  gewaltet  und 
jedes  an  seinen  Ort  geschüttelt  haben,  und  der  kann  soviel  nicht 
leisten.  Gerade  wenn  wir  —  nach  der  durchgängigen  Voraus- 
setzung der  Kritik  —  annehmen,  dass  Markus  das  Beste,  was 
er  bietet,  aus  Erinnerungen  an  Vorträge  des  Petrus  oder  Ge- 
spräche mit  ihm  schöpfte,  d.  h.  dass  er  die  Ordnung  seiner  Dar- 
stellung zum  grossen  Teile  selber  schuf,  wäre  es  ganz  unbe- 
greiflich, dass  er  bei  der  Niederschrift  seiner  Erzählung  eine  so 
in  sich  zusammenstimmende  Gruppierung  zahlreicher  Einzelheiten 
von  ungefähr  getroffen  hätte. 

Unter  dieser  Voraussetzung  lässt  sich  nun  aber  allerdings 
Erhebliches  gegen  die  dem  Markus  zugeschriebene  Auflassung 
des  messianischen  Geschichts Verlaufs  einwenden. 

Zuerst  ist  klar,  dass  eine  Menge  Dinge  zwischen  den  Zeilen 
des  Markus  gelesen  werden  müssen,  wenn  man  eine  wirklich 
verständliche  Ent^vicklung  in  ihm  nachweisen  will. 

Weshalb  verbietet  Jesus  fortwährend,  von  seiner  messianischen 
AVürde  und  von  seinen  Wunderthaten  zu  sprechen?  Weshalb 
schweigt  er  gegenüber  den  Jüngern?  Das  Motiv:  er  will  sie 
von  innen  heraus  die  rechte  Stellung  zu  ihm  gewinnen  lassen, 
ist  nicht  angedeutet  und  versteht  sich  nicht  von  selbst.     AVeshalb 


1)  z.  B.  Ei  t sohl  S.  515,  Wen  dt  S.  3:  »Man  kann  über  die  ge- 
schichtliche  Richtigkoit  der  Anschaiuniff  (des  Markus)  streiten,  man 
kann  aber  nicht  leugnen,  dass  sie  bei  M.  wirklich  vorhanden  ist  und 
von  ihm  mit  Geflissentlichkeit  zur  Geltung  gebracht  wird«. 


14 

soll  dem  Volke  gegenüber  auch  nach  dem  Ereignis  bei  Caesarea 
Philippi  das  Geheimnis  gehütet  werden?  Markus  schweigt. 
Ebenso  müssen  wir  erraten,  dass  Jesus  auf  sein  Leiden  hin- 
weist, um  den  messianischen  Glauben  der  Jünger  von  jüdischen 
Schlacken  zu  reinigen.  Würde  man  nicht  gelegentlich  eine  An- 
deutung solcher  Motive  erwarten?  Giebt  der  Erzähler  nicht 
sonst  Erläuterungen,  ^^ie  die,  dass  Jesus  die  Gedanken  seiner 
Gegner  durchschaute,  oder  dass  er  die  Jünger  wählte,  damit  sie 
in  seiner  Begleitung  seien  und  er  sie  aussende  (3  u),  oder  dass 
Pilatus  den  Neid  der  Hohenpriester  erkannte  (15  lo),  von  Er- 
klärungen wie  Tsff.  (über  die  jüdischen  Waschungen)  zu 
schweigen  ? 

Noch  empfindhcher  ist.  dass  eine  Verbindung  zwischen  ge- 
wissen Momenten  fehlt,  wo  sie  recht  nötig  wäre.  Nach  der 
zweiten  Speisung  scheinen  die  Jünger  entfernter  vom  Verständnis 
Jesu  denn  je;  denn  sie  missdeuten  sein  Wort  vom  Saueii^ige 
der  Pharisäer  gröblich  und  haben  aus  den  Speisungen  keine 
Lehre  gezogen  (Siöff.).  Wie  kommen  sie  nun  dazu,  bald  nach- 
her, ganz  überraschend  diese  grosse  Erkenntnis  zu  gewinnen 
(827 ff.)?  Diese  Kluft  ist  natürhch  längst  aufgefallen.  Ob  die 
Erkenntnis  nmi  vorbereitet  war  oder  blitzartig  kam  — 
bei  einem  Erzähler,  der  etwas  von  der  Bedeutung  dieses 
Wechsels  fühlt,  wäre  eine  Andeutung  am  Platze.  Denn  Markus 
ist  doch  nicht  blos  ein  trockener  Chronist.  Oder  schreibt  er 
nichts,  weil  er  nur  sagt,  was  er  genau  weiss  ?  Hat  er  denn 
über  diesen  wichtigsten  Zeitpunkt  von  seinem  Lehrer  so  wenig 
erfahren?  Oder  sollen  wir  die  Speisungsgeschichte  samt  dem 
folgenden  Missverständnis  als  unhistorisch  streichen?  Damit 
wäre  leider  gar  nichts  gewonnen  für  die  Frage,  ^\^e  Markus 
sich  die  Sache  gedacht  hat.  -^ 

Ferner:  wie  kommt  plötzlich  der  Blinde  von  Jericho  zur 
Erkenntnis  des  Davidssohnes?  Wie  gelangte  das  Geheimnis  über 
den  Jüngerkreis  hinaus?  Wie  kann  ihn  gleich  nachher  die 
Menge  beim  Einzüge  als  Messias  begrüssen?  Die  Anrede  des 
Blinden  scheint  allerdings  als  bedeutungsvoll  markiert  zu  sein, 
wenn  erzählt  wird,  dass  >  viele <  —  von  den  Jüngern  oder  vom 
begleitenden  Volke?  (10 46)  —  ihn  bedräuten,  er  möge  schweigen, 
aber  dadurch  wird  nicht  klarer,  woher  seine  Messiaserkenntnis 
stammt,   und   ob  Markus   mit  jener   Bemerkung  wirklich   sagen 


15 

will:  jetzt  beginnt  die  öffentliche  Messianität,  ist  noch  sehr  die 
Frage.  Warum  sagt  er  es  denn  nicht  ?  Er  bemerkt  doch 
6 14,  dass  Jesu  Name  bekannt  wurde.  Die  messianische 
Huldigung  beim  Einzüge  aber  ist  bei  Markus  eine  ganz  isolierte 
Geschichte.  Wie  sie  keine  Folgen  hat,  so  ist  sie  auch  in  keiner 
Weise  verständlich  vorbereitet.*)  Das  Bekanntwerden  der 
Messianität  Jesu  bleibt  also  undurchsichtig  —  wenn  man  nicht 
von  Neuem  beginnt  zwischen  den  Zeilen  zu  lesen.  Schon  diese 
Punkte  machen  bedenklich.  Nach  einer  absichtlichen 
Berichterstattung  über  die  messianische  Entwicke- 
lung  sieht  die   Erzählung  nicht  aus. 

Zum  Negativen  aber  kommt  Positives.  Ich  hebe  folgende 
Punkte  hervor^). 

1)  Wenn  Jesus  den  Kranken  —  von  den  Besessenen  sehe 
ich  liier  ab  —  wiederholt  befiehlt,  die  Heilung  geheimzuhalten, 
so  verrichtet  er  doch  seine  Wunder  häufig  in  voller  Öffentlichkeit. 
Darin  liegt  ein  innerer  Widerspruch  der  Darstellung  des  Markus, 
wenn  anders  jenen  Geboten  ein  einheitlicher  Gedanke  zu  Grunde 
liegt.  Setzten  die  öffentlichen  Heilungen  an  einem  bestimmten 
Momente  ein,  wo  diese  Gebote  aufhören,  so  könnte  man  von 
einer  durch  die  Umstände  hervorgerufenen  neuen  Praxis  Jesu 
sprechen.  In  Wahrheit  haben  wir  mindestens  bereits  2iff.  eine 
Heilung  vor  aller  Augen,  das  geheime  Wunder  kehrt  aber 
noch  043,  ja  noch  7  so  und  820  wieder.  Man  muss  besondere 
Gründe  ausklügeln,  weshalb  der  Wunderthäter  hier  so,  dort 
anders  verfährt^). 

Der  Thatbestand  lässt  sich  auch  so  ausdrücken :  durch  die 
Öffentlichkeit  vieler  Wunder  werden  die  späteren  Verbote  nach 
Wunderthaten  zwecklos.  Zwecklos  erscheinen  sie  aber  noch  um 
eines  zweiten  Grundes  willen:  die  Geheilten  kehren  sich  ja  nicht 
an  das  Verbot  (I45  ,  7.%  f.  vgl.  5 19  f.)*).  »Je  mehr  er  verbot,  desto 
mehr  breiteten  sie   es   aus."     Nach  Markus  müsste  man  hinzu- 


1)  Ähnlich  auch  B.  Weiss.  Leben  Jesu  II,  S.  2G6. 

2)  Einiges  Verwandte  bei  B.  Weiss,  II,  8.2(55  (doch  s.  Exkurs  I), 
ferner  bei  Delff  S.  124. 

3)  Die  Stelle  5i9f.  bleibe  hier  ganz  bei  Seite. 

4)  Auch   allgemeine    Bemerkungen    über    das   Aufsehen,    das    Jesu 
Wunder  erregten,  wie  las,  Gsiff.  gehören  hierher. 


16 

setzen:  je  mehr  sie  es  ausbreiteten,   um  so  mehr  verbot  er  es. 
Das  kHngt  weniger  sinnvoll. 

Dieser  Punkt  scheint  nun  fi'eilich  mehr  die  objektive  Denk- 
l)arkeit  des  von  Markus  gebotenen  Zusammenhanges  als  das 
Bewusstsein  des  Markus  zu  berühren.  Man  sagt  vielleicht: 
Markus  hat  es  gar  nicht  gemerkt,  dass  seine  Vorstellung  vom 
späten  Bekanntwerden  des  Messias  hier  bedroht  ist,  er  hat  die 
Konsequenz  seiner  Darstellung  nicht  gezogen.  Deshalb  folgt 
nicht,  dass  er  überhaupt  keine  Vorstellung  von  der  fraglichen 
Entwickelung  hatte.  Allein  diese  Auskunft  genügt  schwerlich. 
Denn  nichts  liegt  näher,  als  dass  Markus  die  AVunderthaten  als 
Aussermigen  des  Messias  verstanden  hat.  Ich  komme  darauf 
später  zurück. 

2)  Bei  der  Auferweckung  der  Tochter  des  Jaiiiis  (öäjff.) 
steht  die  Zuziehung  der  drei  Vertrauten  sichtlich  in  engster  Be- 
ziehung zum  Verbote.  Die  Menge  soll  das  Wunder  nicht  er- 
fahren, die  Vertrauten  dürfen  es  wissen.  Beftirchtete  nun  Jesus, 
dass  seine  Wunder,  auf  den  Markt  gebracht,  zu  Verrätern  seiner 
Würde  werden  könnten,  so  hat  er  offenbar  seinen  Vertrauten 
diese  Erkenntnis  damals  nicht  vorenthalten  wollen,  ja  selbst  das 
Möglichste  gethan,  sie  hervorzurufen.  Wie  stimmt  das  mit  der 
üblicheri  Meinung,  dass  Jesus  sich  vor  dem  Petrusbekenntnis 
auch  den  Jüngern  nicht  offenbart  und  nur  durch  seine  Erziehung 
ihre  Erkenntnis  vorbereitet  ?  Diese  Frage  hätte  sich  auch 
Markus  stellen  dürfen,  wenn  er  überhaupt  die  Meinung  hatte, 
die  man  ihm  zuschiebt.     Doch  wichtiger  ist  Anderes. 

3)  Es  ist  den  Kritikern  natürlich  nicht  entgangen,  dass 
die  Stellen  2io  und  228  ihrer  Auffassung  ungünstig  sind.  Jesus 
nennt  sich  hier  den  »Menschen söhn«  und  allem  Anschein  nach 
macht  er  hohe  Aussagen  von  sich.  Denn  er  beansprucht  das 
Recht  Sünden  zu  vergeben  und  die  freie  Gewalt  über  das 
Sabbatgebot.  Bedeutet  der  »Menschensohn  den  Messias,  so  hat 
sich  Jesus  nach  Markus  längst  vor  dem  Petiiisbekenntnis  als 
solchen  bezeichnet,  und  zwar  in  voller  Öffentlichkeit. 

Es  ist  interessant,  -wie  die  Kritik  sich  dieser  Folgerung  entzieht. 

Man  sagt»),  der  Abschnitt  2i  —  3g  enthält  deutliche  Spuren 

einer    Sachordnung,     er    ist     also    chronologisch    unbrauchbar. 


1)  Z.  B.  Holtznianii  HC^,  S.  «4,  BaldensporKor  S.  17Hf.,  252f. 


17 

Folglich  wild  Markus  hier  eine  chronologische  Versetzung  vor- 
genommen haben,  der  Titel  »Menschensohn«  ist  antezipierend 
gebraucht.  Die  Stellen  stehen  also  mit  der  späten  Messias- 
erkenntnis der  Jünger  nicht  im  Widerspi-uch. 

In  dieser  Deduktion  steckt  leider  ein  Fehler.  Es  handle 
sich  hier  immerhin  um  Sachordnung,  die  Gründe  dafür  sind 
plausibel»).  Das  ist  eine  schätzenswerte  Erkenntnis  für  unser 
Urteil  über  die  Chronologie  des  Markus,  aber  was  soll  es  für 
die  Auffassung  des  Markus  selbst  beweisen?  J3ie  Thatsache 
bleibt,  dass  Markus  diese  Perikopen  an  einer  bestimmten  Stelle 
seiner  fortschreitenden  Erzählung  eingereiht  hat.  Folglich  ist 
damit  nichts  erklärt,  dnss  man  die  beiden  Stellen  »erratische 
Blöcke«  nennt.  Erratische  Blöcke  dieser  Art  sind  eben  sehr 
schlimm  für  Markus,  d.  h.  für  den  Pragmatismus,  den  man  in  ihm 
findet.  Alles  ist  in  Ordnung,  wenn  der  Erzähler  von  dem  ge- 
schichtlichen Fortschritt,  den  er  schildern  soll,  selbst  nichts 
mehr  weiss.  Ist  diese  Voraussetzung  unmöglich,  so  wird  es  un- 
verständlich, dass  er  Daten  bringt,  die  das  nackte  Gegenteil 
seiner  Gesamtanschauung  enthalten,  und  man  darf  nicht  sagen, 
solche  kleine  Ausnahmen  bedeuteten  nicht  viel.  Was  hinderte 
denn  Markus,  der  alles  so  vortrefflich  gestellt  haben  soll,  die 
Stellen  anderswo  zu  bringen  oder  an  ihrer  jetzigen  Stelle  den 
»Menschensohn«  zu  unterdrücken?  Nur  in  einem  Falle  wäre 
vielleicht  ein  psychologisches  Verständnis  möglich :  wenn  Markus 
hier  einer  Quelle  nachschriebe.  Worauf  gründen  wir  aber 
eine  solche  Hypothese? 

Ganz  das  Gleiche  gilt  gegen  eine  zweite  Erklärung.  Nach 
der  neueren  (übrigens  ja  schon  alten)  Auffassung  soll  der 
Menschensohn  an  den  beiden  Stellen  ursprünglich  einfach  den 
Menschen  (barnascha)  bedeuten.  Nun,  dann  sind  sie  natürhch 
nicht  mehr  Beweise  für  einen  früheren  Gebrauch  des  messiani- 
schen   Namens   durch   Jesus^).     Allein    dies   Urteil    kommt  zu 


1)  Gutes  z.  B.  bei  B.  Weiss,  das  Markusevaiii^elium  und  seine 
synopt.  Parallelen  (1H72)  S.  22,  L.  J.  I,  S.  4(5  und  selion  bei  Hilgenfeld, 
die  Evangelien,  S.  130. 

2)  Holtzniann,  Neutest.  Theol.  I,  S.  256,  263  f.  W(>  1 1  h  au  sen, 
S.  203.  Hier  heisst  es:  »Da  also  an  diesen  beiden  Stellen  der  Ausdruck 
barnascha  nur  durch    falsche  Deutung   specifijsiert  ist,    so   kommt   <ler- 

W r  e  d  0  ,   Mossiaspfehoimiiis.  o 


18 

früh.  Auf  Markus,  nicht  auf  Jesus  kommt  es  zunächst  an. 
Der  ursprüngliche  Sinn  der  Stelle  ist  hier  durchaus  gleichgiltig. 
Fest  steht  das  Eine,  dass  Markus  hier  vom  »Menschensohn«  im 
gleichen  Sinne  spricht  wie  überall.  Die  Schwierigkeit  bleibt 
demnach  dieselbe  wie  vorher. 

Aber  ein  anderer  Weg  bleibt  noch  offen.  War  der  Titel 
Menschensohn  eine  zunächst  rätselhafte  und  absichtsvoll  rätsel- 
hafte Selbstbezeichnung  Jesu,  so  konnte  er  ihn  von  Anfang  an 
gebrauchen  1).  Diese  beliebte  Meinung  kann  hier  nicht  neben- 
bei geprüft  werden.  Wir  brauchen  aber  auch  hier  nur  zu  fragen, 
wie  Markus  sich  die  Sache  denkt.  Ich  wüsste  nicht,  was  bei 
ihm  auf  diese  Auffassung  hindeutet.  Nirgends  auch  nur  eine 
Notiz,  die  uns  sagt,  dass  man  ob  dieses  Namens  stutzig  wurde, 
ihn  nicht  verstand ,  oder  dass  Jesus  ihn  in  bestimmter  Absicht 
wählte.  Der  Leser  empfängt  aus  dem  Evangelium,  wenn  er  es 
ohne  eine  Theorie  betrachtet,  nui'  den  Eindi-uck,  dass  Jesus  sich 
im  Anfange  als  den  Menschensohn  bezeichnet,  und  dass  er 
später  —  häufiger  —  dasselbe  thut,  vor  den  Jüngern,  aber  auch 
vor  den  Gegnern.  In  den  späteren  Fällen  kann  die  Tendenz 
sein  Wesen  zu  verhüllen  jedenfalls  nicht  mehr  von  Markus  vor- 
ausgesetzt sein.  Sollen  wir  zu  der  Vermutung  greifen,  dass 
Jesus  —  und  zwar  wieder  in  der  Vorstellung  des  Markus !  — , 
nachdem  er  sein  Wesen  offenbart  hatte,  aus  andern  Gründen  den 
Namen  beibehielt,  dass  der  Name  vom  Petrusbekenntnisse  an 
also  einen  anderen  Klang  hat?  Das  mag  denkbar  sein,  aber 
offenbar  geraten  wir  hiermit  auf  Trie.bsand. 

Ich  behaupte  nicht,  dass  ich  bewiesen  habe,  Mr.  2 10.28  sei 
unvereinbar  mit  dem  vorausgesetzten  Plane  des  Schriftstellers  — 
es  könnte  ja  noch  weitere  Möghchkeiten  geben,  z.  B.  die,  dass 
Markus  den  Titel  0  viog  coc  av^qcncov  eigenthch  nicht  mehr 
als  messianischen  Namen  empfindet.  Es  genügt  mir  der  Nachweis, 
dass  die  Kritik  noch  keine  Erklärung  geboten  hat,  durch  die  die 
Stellen  sich  mit  ihi'er  Auffassung  einleuchtend  vereinigen.  Und 
ihr  hegt  in  diesem  Falle  die  Pflicht  des  Beweises  ob. 


selbe    als    Selbstbezeichnung    Jesu    bei    Markus    (!)    vor    dem    Petrus- 
bekenntnis überhaupt  nicht  vor«.      Vgl.  auch  S.  206. 

1)  Z.  B.   Hol tz mann,    Synopt.   Evang.    S.  493,     Weizsäcker, 
S.  429  ff. 


19 

Nicht  einmal  die  Beobachtung  ist  von  Bedeutung,  dass  — 
abgesehen  von  2 10.28  —  der  Gebrauch  des  Namens  Menschen- 
sohn als  Messiastitel  sofort  mit  der  Messiasproklamation  (827) 
beginne  1).  Die  Thatsache,  dass  der  Terminus  zwischen  228  und 
827  nicht  vorkommt,  kann  sehr  wohl  zufällig,  u.  a,  durch  die 
Natur  der  Erzählungsstoffe  bedingt  sein.  Zwischen  10  45  und 
1326  fehlt  er  ebenfalls. 

Übrigens  kommt  uns  ein  weiteres  Wort  zu  Hilfe.  Jesus 
sagt  827: 

Niemand  vermag  in  das  Haus  des  Starken  einzu- 
dringen und  seine  Werkzeuge  zu  rauben,  er  habe  denn 
den  Starken  zuvor  gebunden,  alsdann  mag  er  sein  Haus 
plündern. 
Dies  Wort  hat  für  Markus  den  ganz  bestimmten  Sinn,  dass 
Jesus  den  »Starken«  d.  h.  den  Satan  selbst  überwunden  hat, 
daran  lässt  sich  nicht  zweifeln.  Ein  messianischer  Titel  hegt 
hier  nicht  vor.  Aber  hat  der  Evangelist,  wenn  er  Jesus  so 
reden  lässt,  ihm  eine  weniger  starke  Selbstaussage  zuschreiben 
wollen,  als  in  dem  Gebrauch  eines  messianischen  Namens  läge? 
Hat  er  etwa,  weil  es  auch  sonst  Exorcisten  gab,  gedacht,  dass 
noch  andere  als  der  Messias  den  Satan  überwältigen  könnten? 
Gewiss  ist,  dass  nach  seiner  ganzen  Schrift  Jesus  sich  auf  Erden 
gerade  damit  ganz  besonders  als  Messias  ausweist,  dass  er  das 
Dämonenreich  und  seinen  Fürsten  bekriegt  und  überwindet. 
Auch  diese  Stelle  steht  vor  827. 

4)  Ganz  Ahnhches  gilt  von  dem  »Bräutigam«  2 19. 20.  Für 
Markus  ist  das  notwendig  ein  Name  von  messianischem  Klange. 
Diese  Stelle  ist  jedoch  in  andrer  Hinsicht  noch  wichtiger. 

Solange  die  Brautführer  den  Bräutigam  bei  sich  haben, 
können  sie  nicht  fasten.  Es  werden  aber  Tage 
kommen,  da  der  Bräutigam  von  ihnen  genommen  wird, 
und  dann  werden  sie  ftisten  an  jenem  Tage. 
Das  ist  eine  Leidensweissagung,  nicht,  wie  man  immer 
wieder  lesen  muss,    eine    »Ahnung«    oder    »leise  Andeutung«  2), 

1)  Holtzmann,  Neutest.  Theol.  I,  S.249}'.,  Brückner,  Jesus  »des 
Menschen  Öohu«,  Jahrbb.  f.  prot.  Theol.  1886,  ö.  267.  Auch  Wellhausen, 
Israelitische  und  jüdische  Geschichte  ^  (1901),  .S.387.  legt  darauf  Gewicht. 

2)  Z.  B.  Titius,  Jesu  Lehre  vom  Eeiche  Gottes  (Neutest.  Lehre 
V.  d.  Seligkeit  I),  S.  17.  \ 

2* 


20 

sondern  eine  Weissagung  in  aller  Form.  Eine  solche  darf 
Markus  schon  wegen  des  Petrusbekenntnisses  an  so  früher  Stelle 
nicht  bringen,  erst  recht  nicht,  wenn  die  Leidensverkündigungen 
erst  mit  Ssi  einsetzen  sollen.  Daher  hier  abermals  der  Vorschlag 
der  chronologischen  Verschiebung,  die  Ermittelung  eines  älteren, 
unbedenklichen  Sinnes,  ausserdem  die  kritische  Beseitigung  des 
Wortes^).  Alles  vielleicht  mögliche  Gedanken,  wenn  es  sich 
nur  um  die  einzelne  Stelle  handelt,  dagegen  Vei"stösse  gegen  die 
eigene  Voraussetzung  -wie  zuvor,  wenn  es  auf  die  Vorstellung 
des  Markus  vom  Geschichtsverlaufe  ankommt. 

Indessen  diese  früheste  Weissagung  ist  noch  »dimkel«^). 
Folgt  das  daraus,  dass  Jesus  ein  Bild  gebraucht?  Jedes  Kind 
versteht,  dass  Jesus  von  sich  selbst  und  von  seinem  Tode  spricht. 
Denkt  man  sich  das  Wort  wirklich  gesprochen,  so  war  es  auch 
für  die  Hörer  nach  dem  Zusammenhange  der  Rede  kaum 
dunkler  als  irgend  eine  andere  Weissagung.  Warum  soll  denn 
Markus  hier  an  ein  besonders  geheimnisvolles  Wort  denken? 
Seine  Parabelauffassung  (4iif.)  nötigt  ihn  gewiss  nicht  dazu. 
Freilich  832  bemerkt  er,  dass  Jesus  nach  dem  Petruswort  »frei 
heraus«  (TtaoQrjaia)  sein  Leiden  ankündigte.  Aber  muss  das 
im  Gegensatze  zu  2 19  f.  gemeint  sein? 5^)  Dieser  Text  enthält 
keine  Andeutung,  dass  Jesus  nicht  verstanden  wm'de;  und  das 
TtaQQTjoia  wird  sich  in  andrer  Weise  befriedigend  erklären*). 

Dazu  kommt  noch  eins.  Markus  hat  gar  nicht  ausgesprochen, 
dass  Jesus  erst  damals  begonnen  habe,  den  Leidensweg  zu 
enthüllen.  Matthaeus  hat  freilich  den  Markus  so  verstanden, 
das  zeigt  sein  cctiÖ  ror«  r^Q^aro  öer/ivveiv  1621^).  Aber 
Matthaeus  kann  für  Markus  hier  nicht  massgebend  sein.    Markus 


1)  S.  u.  a.  Weizsäcker  S.  475,  Holtzmann  HC  z.  St.,  auch 
Keim  II  S.  364,  561,  B.  Weiss,  L.  J.  II  S.  279.  In  den  Erklärungen 
bemerkt  man  vielfach  Schwanken  und  Unsicherheit.  —  Jülichers 
Methode  (G'ieichnisreden  Jesu  II,  S.  186  ff.),  hinter  das  überlieferte  Wort 
zum  Ursprünglichen  zu  gelangen,  scheint  mir  anfechtbar. 

2)  Z.  B.  Holtzmann,  Neutest.  Theol.  II.  S.  287. 

3)  B.  Weiss,  Das  Markusevangelium,  S.  286,  Holtzmann  z.  St., 
Wer  nie,  Zeitschr.  für  neutest.  Wissensch.  1900,  I,  S.  45. 

4)  S.  unten. 

5)  Matthaeus  sagtauch  4 17:  tlnb  jöre  rjQ'^axo  6  ^ftjaovg  x)]Qvaaiiv 
vgl.  26 16  (anders  Mr.  luf.,  14 11). 


21 

sagt  zwar  auch  tJQ^avo  öiödaKeiv,    aber   man   sollte  nicht  über- 
sehen, dass  es  10  32  von  Neuem  heisst: 

i]Q^avo  avvolg  Xeyeiv  ra  {.dXlovva  arTq)  av(.i(iaivsiv^). 
D,  li.  es  handelt  sich  nur  um  die  Umschreibung  des  Verbs  mit 
ccQxeo&ai,    die    im  Markusevangehum    so  häufig  ist    und  z.  B. 
gleich  832  in  dem  von  Petrus  gesagten   riQ^aro  t7riTi(xav  avTcl 
wiederkehrt. 

Nach  dem  allen  schliesse  ich:  Markus  zeigt  ebensowohl 
durch  das,  was  er  nicht  sagt,  wie  durch  eine  Reihe  bestimmter 
Angaben,  dass  er  selbst  von  der  ihm  beigelegten  Geschichtsauf- 
fassung kein  Bewusstsein  gehabt  hat.  Seine  Darstellung  ist 
überhaupt  zu  verwirrt,  um  aus  ihr  unmittelbar  ein  klares  Bild 
gewinnen  zu  können.  Demnach  scheitert  die  von  der  herrschenden 
Kritik  vertretene  Auffassung. 

Jedoch  zunächst  nur  ihre  Auflassung  des  Evangeliums. 
Der  wirkliche  Hergang  könnte  dennoch  ihrer  Vorstellung  in 
Hauptpunkten  entsprechen.  Lässt  sich  die  Darstellung  des 
Markus  nicht  von  widerstrebenden  Momenten  reinigen?  Das 
wäre  ein  willkürliches  Verfahren  und  keine  sichere  Lösung. 
Wenn  Markus  selbst  ein  widerspruchsloses  Bild  der  Entwicklung 
nicht  mehr  entnommen  werden  kann,  woher  haben  wir  die 
fertige  Anschauung,  die  ihn  richten  soll?  Sie  stammt  ja  nur 
aus  dem  nicht  richtig  verstandenen  Markus  oder  aus  subjektiven 
Gedanken.  An  sich  ist  es  ja  wohl  denkbar,  dass  dem  Evan- 
gelium ein  klarer  Aufiiss  zu  Grunde  liegt,  der  von  einem  Über- 
arbeiter  verunstaltet  wurde,  wie  denn  ja  Matthaeus  unter  allen 
Umständen  Zusammenhänge  seiner  Vorlage  gestört  hat.  Doch 
warum  muss  es  so  sein  ?  Schon  wenn  wir  die  zusammenstimmen- 
den Nachrichten  den  andersartigen  gegenüberstellen,  bleibt  immer 
_ider  Zweifel,  ob  das  scheinbar  Zusammenstimmende  wirklich 
gleichartig  und  historisch  gleichwertig  ist.  Wenn  freilich  das 
Petrusbekenntnis  im  Sinne  der  Kritik  ein  von  vornherein  fest- 
stehendes Datum  wäre,  so  wäre  damit  ein  Richtmass  gegeben, 
mit  dem  sich  wenigstens  einiges  machen  liesse.  Vor  näherer 
Untersuchung  lässt  sich  aber  nicht  mit  Sicherheit  bestimmen, 
ob  dies  Datum  wirklich  mehr  wert  ist  als  eine  Anzahl  anderer 
Nachrichten,  die  sich  ihm  nicht  fügen. 

1)  Matthaeus  hat  in  der  Parallele  20 17  ein  blossos  dmv. 


22 

Andrerseits  wäre  es  sehr  übereilt,  dem  Petrusbekenntnis 
eine  Deutung  zu  geben,  die  es  zu  einer  blossen  Bekräftigung 
längst  gehegter  Erkenntnis  herabdrücken  würde.  Darin  hat  die 
Kritik  zweifellos  Recht:  ist  dies  Bekenntnis  im  Wesentlichen 
treu  überhefert,  so  liegt  —  ganz  abgesehen  von  allem  andern, 
was  in  seiner  Nähe  steht,  und  was  vielleicht  erst  von  Markus 
mit  ihm  kombiniert  sein  könnte  —  nichts  näher,  als  in  ihm  ein 
Ereignis  im  Jüngerleben  zu  sehen. 

Die  Alternative:  entweder  Entwertung  des  Jüngerbekennt- 
nisses oder  späte  Erkenntnis  der  Messianität  und  absichtliche 
Verhüllimg  Jesu  in  der  Hauptzeit  seines  Wirkens  ist  zwar  oft 
formuliert  worden.  Aber  warum  muss  sie  richtig  sein?  Ich 
ziehe  einstweilen  aus  der  dargelegten  Beschaffenheit  des  Markus- 
berichts nur  eine  Folgerung:  dass  nichts  dringender  ist,  als 
seine  Daten  in  gründlicher  Kritik  zu  untersuchen. 


2. 
Die  Selbstverhüllung  des  Messias. 

Nach  dem  Berichte  des  Markus  hat  Jesus  noch  über  das 
Jüngerbekenntnis  hinaus,  bis  in  seine  letzte  Zeit  seine  messia- 
nische  Würde  streng  und  geflissentlich  geheim  gehalten. 

Die  Verbote,  die  er  in  dieser  Absicht  an  die  verschiedensten 
Personen  richtet,  sind  der  erste  wichtige  Gegenstand  unserer 
kritischen  Betrachtung. 

Unter  ihnen  treten  als  eine  besondere  Klasse  die  an  die 
Dämonischen  gerichteten  Verbote  hervor.  Nicht  weil  sie  an  sich 
besondere  Charakterzüge  hätten,  sondern  weil  sie  eng  mit  der 
Nachricht  verknüpft  sind,  dass  die  Dämonischen  ein  eigentüm- 
liches Vermögen  besassen,  Jesus  als  Messias  zu  erkennen,  und 
eine  eigentümliche  Neigung,  ihn  als  solchen  anzureden. 

Das  geschichtliche  Urteil  über  die  Messiaserkenntnis  der 
Dämonischen  ist  von  wesentlicher  Bedeutung  für  das  Urteil  über 
Jesu  Verbote.  Daher  beginnen  wir  mit  einer  Prüfung  jener 
Berichte. 


23 


Die  Messiaserkenntnis  der  Dämonen. 

Markus  bietet  für  diese  Frage  folgendes  Material. 
I23 — 25:  23XJnd  alsbald  war  in  ihrer  Synagoge  [zu  Kaphaniaum] 
ein  Mensch  mit  einem  unreinen  Geiste,  und  er  schrie 
auf:  24-^j^g  haben  wir  [nicht:  ich]  mit  dir  zu  schaffen, 
Jesus  von  Nazaret?  Gekommen  bist  du,  uns  zu  ver- 
derben i).  Wir  wissen  [oYdaf-iEv,  v.  I.  olda),  wer  du  bist: 
der  Heihge  Gottes,  ^su^d  es  bedrohte  ihn  Jesus:  ver- 
stumme und  fahre  von  ihm  aus 

I34:         Und  er  heilte  Viele,  die  an  mancherlei  Krankheiten  litten, 
und  trieb  viele  Dämonen  aus,  und  er  hinderte  [ov/i  rjcfisv) 
die  Dämonen  zu  reden,  weil  (ort  2))  sie  ihn  kannten. 
3n.i2:     i^IInd    die  unreinen  Geister  [TtveifjaTa),    sowie  sie  ihn 
erschauten,  stürzten  vor  ihm  hin  {7iQoaf.7tL7tcov   avrot), 
schrieen  und  sprachen  (KlyovTeg,  v.  1.  liyovTo):   du  bist 
der  Gottessohn.     i^Und  heftig  {tcoIIcc,  fort  und  fort)  be- 
drohte er  sie,  sie  sollten  ihn  nicht  offenbar  machen. 
06.7:       (Der  Dämonische  von  Gerasa)  ....  «Und  da  er  Jesus 
von  ferne  erblickte,  lief  er  und  fiel  vor  ihm  nieder  und 
schrie  auf  mit  lauter  Stimme :  ''was  habe  ich  mit  dir  zu 
schaffen,    Jesus,    Sohn  Gottes    des    Höchsten?     Ich  be- 
schwöre dich  bei  Gott,  quäle  mich  nicht  .... 
920:         (Der     dämonische    Knabe)   ....   Und    sobald    er    ihn 
(Jesus)»)  erbhckte  {Idiiv),  zog  ihn  der  Geist  [r  0  TivEVfio) 
alsbald  im  Krämpfe    zusammen,    und    er   fiel   zur  Erde 
und  wältzte  sich  schäumend. 
Aus  diesen  Berichten  ergiebt  sich  aufs  Klarste,  welche  Vor- 
stellung der  Erzähler  von  diesen  Hergängen  hat  *).     Diese  Vor- 
stellung ist  zunächst  festzustellen. 

Kommt    es    auf  Markus  an,    so   ist   es  geradezu  falsch  von 


1)  Schwerlich   als  Frage  zu  fassen. 

2)  Nicht  mit  »dass«  zu  übersetzen,  da  Xidilv,  nicht  kiytn'  vorher- 
geht.    Der  Grund  des  Hinderns  ist  angegeben. 

3)  Eichtig  erläutert  Holtzmann,  HC  z.  St.:    den  Messias. 

4)  Vergl.  im  Allgemeinen  zu  diesem  Gegenstande  die  gehaltvollen, 
trefflichen  Artikel  von  J.  Weiss  in  der  Kealencyklopädie  f.  prot  Tbeol. 
u.  Kirche  3  Bd.  IV  (»Dämonen«  und  »Dämonische«). 


24 

der  Messiaserkenntnis  der  Dämonischen  zu  sprechen i).  Nicht 
die  Menschen,  sondern  die  in  ihnen  wohnenden  Dämonen  haben 
die  Erkenntnis,  es  ist  die  Erkenntnis  übernatürlicher  Wesen. 
Und  das  Objekt  ihrer  Erkenntnis  ist  ebenfalls  übernatürlich:  es 
ist  nicht  der  menschliche  Jesus  als  solcher,  sondern  es  ist  der 
mit  dem  nverau  ausgestattete,  der  übernatürliche  Jesus,  der 
Sohn  Gottes.  Ein  unmittelbarer,  an  irdische  Vermittlungen 
nicht  gebundener  Rapport  besteht  zwischen  ihm  und  ihnen.  Der 
Geist  begreift  den  Geist,  und  nur  der  Geist  begreift  ihn.  Des- 
halb liegt  die  Idee,  dass  Jesu  Messianität  Geheimnis  war,  nicht 
blos  in  dem  Gebote  zu  schweigen,  sie  liegt  schon  an  und  ftir 
sich  in  dem  Zuge,  dass  die  Dämonen  um  ihn  wissen.  Ihr 
Wissen  ist  Geheimwissen.  Es  ist  aber  ein  interessiertes  Wissen. 
Denn  der  Träger  des  Geistes  erscheint  als  Feind  der  »unreinen 
Geister«  auf  dem  Plan  und  als  übermächtiger,  gebietender  Feind. 
In  Macht  gebietet  er  ihnen,  und  sie  müssen  ihm  gehorchen  (I27). 
Aus  dieser  Anschauung  erklären  sich  die  einzelnen  Züge 
der  Erzählung  ungezwungen.  Der  Dämon  spricht  aus  dem 
Kranken  und  statt  seiner,  und  das  dämonische  Gemeingefühl 
äussert  sich  darin,  dass  er  gleich  im  Namen  seiner  Genossen 
mitredet  (I24:  r/  i^fxlv  y.al  aoi ;  v.x'L).  Jesus  spricht  seinerseits 
auch  nicht  zum  Kranken,  sondern  herrscht  den  Dämon  selber  an. 
Einer  Bekanntschaft  des  Kranken  mit  Jesus  bedarf  es  nicht, 
er  braucht  ihn  nur  von  weitem  zu  sehen,  so  wittert  der  Dämon 
sofort  den  Gegner  (5  6,  vgl.  9  20),  und  obwohl  er  ihn  fürchten 
muss,  zieht  es  ihn  magisch  zu  ihm  hin,  er  huldigt  seiner  Macht 
und  nennt  ihn  mit  seinem  Menschennamen  ^).  Die  Furcht,  die 
aus  der  Gewissheit  des  nahenden  Verderbens  entspringt,  hebt 
Markus  deutlich  hervor,  ebenso  stark  aber  das  dämonische 
Wissen  als  solches.  Am  auffallendsten  zeigt  sich  das  I24:  der 
Dämon  giebt  nicht  blos  seiner  Erkenntnis  Ausdruck,  sondern 
er  betont,  dass  er  (und  seinesgleichen)  diese  Erkenntnis  besitze 
{p\6a\.iiv  OE  Tig,  ei). 


1)  Dass  Aussagen  über  den  Geist  mit  solchen  über  den  Kranken 
wechseln,  spricht  nicht  dagegen. 

2)  Der  letzte  Zug  braucht  nicht  aus  der  Dämonenanschauung  ge- 
flossen zu  sein,  ja  es  ist  wahrscheinlicher,  dass  es  ein  Zug  naiver  Er- 
zählung ist,  die  nicht  fragt,  ob  die  Personen,  die  Jesus  ansprechen,  ihn 
schon  kennen. 


25 

Die  heutige  Auffassung  der  iieutestanientlichen  Dämonen- 
geschichteu  stösst  sich  an  vielem  nicht  mehr,  woran  sich  andere 
Zeiten  gestossen  haben.  Da  die  Zeit,  in  die  die  Geschichten 
gehören,  prinzipiell  ebenso  über  die  Vorgänge  denkt  wie  die 
späteren  Berichterstatter,  da  die  Exorcisten  es  nach  ihrer  eignen 
Vorstellung  mit  Geistern  zu  thun  haben,  da  die  Kranken  selbst 
an  ihre  Besessenheit  glauben,  so  werden  sofort  eine  ganze  An- 
zahl zunächst,  fremdartiger  Erscheinungen  historisch  erklärlich. 
Dass  der  Dämonenaustreiber  —  also  auch  Jesus  —  den  Dämon 
selbst  anspricht,  erscheint  uns  nur  natürlich.  Dass  ein  Bericht 
das  Wort,  den  Aufschrei  des  Kranken  als  Äusserung  des  Dä- 
mons ansieht,  kann  uns  durchaus  nicht  mehr  ein  Kennzeichen 
seines  unhistorischen  Charakters  sein  i).  Dass  des  Besessenen 
Selbstbewusstsein  alteriert  ist,  dass  sich  vielleicht  ein  Doppel- 
bewusstsein  kundgiebt,  halten  wir  mit  Recht  bei  Kranken,  die 
■einen  Dämon  in  sich  wissen,  für  begreiflich. 

Verstehen  wollen,  bevor  man  kritische  Verdikte  fällt,  ist 
gut,  und  damit  rechnen,  dass  auf  solchem  Gebiete  Dinge,  die 
wir  noch  nicht  begreifen,  darum  nicht  unmöglich  sind,  ist  ganz 
recht.  Aber  fast  scheint  es,  als  ob  wir  mit  allem  notwendigen 
Nachempfinden  auf  dem  Wege  wären,  den  gesunden  kritischen 
Sinn  abzustumpfen,  der  nicht  weniger  notwendig  ist.  Am  Ende 
kommen  wir  noch  dahin,  das  Gespräch  Jesu  mit  dem  Dämon 
des  Geraseners  (öo.io)  unbesehens  als  treue  Überlieferung  hinzu- 
nehmen, es  für  selbstverständlich  zu  achten,  dass  der  Dämonische 
die  Rolle  des  Dämons  agiert,  und  selbst  sein  Bangen  um  das 
künftige  Wohl  des  Dämons  (öiofi".)  »psychologisch  ganz  begreif- 
lich« zu  finden.  Die  Grenze  zwischen  dem,  was  aus  der  Vor- 
stellung des  Erzählers  geflossen  ist,  und  dem,  was  geschichtlich 


1)  Eine  besonders  schöne  Illustration  giebt  eine  von  H  a  r  n  a  c  k. 
(Medizinisches  aus  der  ältesten  Kirchengeschicbte,  Texte  u.  Unter- 
suchungen VIII,  4  S.  121 ;  vgl.  überhaupt  S.  104—124)  angezogene  Äusse- 
rung des  Cyprian  (ad  Demetr.  15):  »0  wenn  Du  die  Dämonen  hören  und 
in  jenen  Momenten  sehen  wolltest,  wenn  sie  von  uns  beschworen,  mit 
geistlichen  (xeisseln  gequält  und  durch  folternde  Worte  ....  ausge- 
trieben werden,  wenn  sie,  mit  menschlicher  Stimme  heulend  und 
ächzend  und  durch  göttliche  Macht  die  Geisseihiebe  und  Schläge 
empfindend,  das  kommende  Gericht  bekennen  müssen.«  Mehr  kann 
der  Mensch  hinter  dem  Dämon  nicht  verschwinden. 


26 

möglich  ist.  steht  freihch  nicht  ohne  Weiteres  fest.  Aber  hierin 
Hegt  auch  die  Weisung,  nicht  zu  vergessen,  dass  jene  Vor- 
stellung ein  höchst  fruchtbarer  Boden  für  das  Wuchern  des 
Sagenhaften  ist. 

Wie  dem  auch  sei,  der  Zug,  dass  die  Dämonen  in  Jesus 
den  Messias  erkennen,  wird  heute  jedenfalls  selten  angefochten  ^). 
Die  älteren  Zweifel  ^)  sind  fast  verstummt,  und  man  kann  lesen, 
dass  es  besser  sei  den  Zug  psychologisch  zu  vei-stehen  als  sich 
an  ihm  zu  stossen,  dass  er  der  Ei-iindung  spotte  3). 

Natürlich  kann  die  Kritik  die  Nachrichten  des  Markus  in 
ihrem  eigenen  Sinne  nicht  anerkennen.  AVas  setzt  sie  an  ihre 
Stelle? 

Man  findet  als  Kern  der  Geschichten  Folgendes  angegeben. 
Geisteskranke  seien  durch  die  Anwesenheit  des  R^ien  mid 
Heiligen  beunruhigt  gewesen  und  hätten  ihm  zugerufen,  er  solle 
sie  in  Ruhe  lassen.  Daraufhin  sei  denn  von  der  reinen,  gott- 
innigen Persönlichkeit  Jesu  eine  wohl  begreifliche  Kraftwirkung 
auf  das  zerrüttete  Seelenleben  der  Kranken  ausgegangen^). 
Diese  Auffassung  ist  eine  starke  Verflüchtigung  des  wissenschaft- 
lichen Objekts  und  eine  unerlaubte  Übersetzung  ins  modern 
Ethische.  Ich  brauche  um  so  weniger  bei  ihr  zu  verweilen,  als 
der  Kernpunkt  —  die  Messiaserkenntnis  —  hier  verschwindet. 

In  nüchterne  Prosa  übertragen  muss  der  Markusbericht 
vielmehr  einfach  besagen :  es  haben  Hysterische  oder  sonst  Ge- 
störte in  zahlreichen  Fällen  Jesus  als  Messias  angeredet,  als  er 
als  solcher  noch  gänzlich  unbekannt  war. 

Man  muss  empfinden,  das  ist  etwas  wesentlich  anderes  als 
was  Markus  sagt,  dem  dämonischen  Wissen  ist  etwas  sehr  Ver- 
schiedenes substituiert,  und  die  Person  Jesu  ist  nicht  mehr  über- 


1)  Die  Ansiebt  vom  Plane  <les  Markus  wird  dabei  wei-entlich  mit- 
wirken. 

2)  z.  B.  Strauss,  Leben  .Jesu  (1835)  II,  S.  22ff.,  L.  J.  für  <\.  deutsche 
Volk  (1864),  S.  447 f.,  Baur,  Das  Markusevang.  (1851j,  S  .59 f.,  auch 
Wittichen,  L.  J.  in  urkundl.  Darstellung  (1876'.  S.  93  u. '^. 

3)  Wernle,  Synopt.  Frage,  S.  125. 

4)  Immer,  Theol.  des  N.  T.  S.  113f.  und  nach  ihm  Nippold,  Zur 
geschichtl.  Würdigung  der  Kel.  Jesu,  8.  Heft:  Die  psychiatr.  Seite  der 
Heilsthätigkeit  Jesu  (1889),  S.  43,  50. 


27 

natürlich  gedacht.  Im  Übrigen  ist  bei  dieser  Feststelhing  des 
Kernes  darauf  gerechnet,  dass  manche  Einzelheiten  der  Erzäh- 
lung anfechtbar  sind.  Dass  z.  B.  die  Anrede  der  Kranken 
schematisch  ist  (I24  und  5?),  dass  sie  gelegentlich  (I24)  nach 
einer  alttestamentlichen  Stelle  geformt  isfi),  dass  die  Kenntnis 
des  Namens  Jesu  bei  dem  bisher  einsamen  Kranken  am  Ostufer 
des  Sees  (5iff.)  ebenso  unwahrscheinlich  ist  wie  sein  Herbei- 
laufen aus  der  Ferne,  wird  leicht  zugestanden  werden.  Viel- 
leicht wird  man  auch  die  vielen  Fälle,  von  denen  Markus  weiss, 
sogleich  reduzieren  wollen.  Dem  widerspreche  ich.  Es  ist  für 
den  Bericht  charakteristisch,  dass  er  eine  häufige  Wiederkehr 
der  Erscheinung  meldet.  Dies  Moment  darf  daher  nicht  vor- 
eilig beseitigt  werden. 

Am  ersten  kommt  nun  vielleicht  der  Einwand :  sollten  wirk- 
lich diese  Kranken  den  Gedanken,  der  Messias  stehe  vor  ihnen, 
lange  vor  den  Jüngern  gefasst  haben,  die  fortwährend  Zeugen 
der  Thaten  Jesu  waren,  die  immer  unter  der  Macht  seines 
Wortes  standen  ?  Recht  seltsam  khngt  das.  Doch  gehe  ich 
von  hier  nicht  aus.  Ich  frage  vielmehr,  welche  Voraus- 
setzungen gedacht  werden  müssen,  damit  die  berichtete 
Thatsache  psychologisch  verständlich  wird  2), 

Zuerst  muss  zweifellos  angenommen  werden,  dass  Jesus 
durch  Persönlichkeit,  Benehmen,  Thaten  oder  Worte  die  Seelen 
der  Kranken  äussei-st  stark  bewegte.  Von  ungefähr  kann  die 
Anrede  als  Messias  bei  ihnen  nicht  kommen. 

Hiermit  setzt  man  dem  Berichte  etwas  zu,  und  nicht  ganz 
wenig.  Denn  Markus  hat  keineswegs  hieran  gedacht.  Psycho- 
logisch vermittelte  Eindrücke  stehen  für  ihn  nicht  in  Frage. 
Beim  Gerasener  ist  das  so  klar  wie  möglich.  Aber  auch  beim 
Dämonischen    von    Kapharnaum  ist  von   einer  Erregung  durch 


1)  1.  Kön.  17i8  sagt  die  Witwe  zu  Elias:  Ti  ?f.iu)  xctl  aoi,  6  uv- 
ii^Qüinog  Tov  ^'^tov;  fiaijXdfs  tjqos  jiJt  tov  clrttfArrjani  uöiy.tag  fiov  xal 
iS-avKTwant  tov  viov  ^ov;  (LXX).  Volk  mar,  Die  Evangelien  oder 
Markus  und  die  Synopsis  (1870),  S.  88. 

2)  Zum  Folgenden  s.  bes.  Braun,  Die  Dämonischen  des  N.  T.'s, 
Zeitschr.  f.  Tlieol.  u.  Kirche  VIII  (1898),  8.  494 ff.  Die  in  manchem 
wertvolle  Abhandlung  ist  unkritisch:  die  Frage,  ob  die  Anschauung  der 
Evangelisten,  die  der  Vf.  ganz  treffend  angiebt,  einen  Anteil  an  den 
Berichten  hat,  wird  bei  Seite  gelassen.    Vgl.  auch  Weizsäcker,  S.  378' 


28 

die  voraufgellende  machtvolle  Predigt  Jesu  nichts  gesagt.  Stellen 
das  Exegeten  so  dar,  so  ist  es,  weil  sie  ihre  Vorstellungen  von 
denen  des  Markus  nicht  trennen.  Indessen  die  Annahme  selbst 
bereitet  wenigstens  keine  Schwierigkeit;  immerhin  kann  es  auf 
Geisteski-anke  einen  besondern  Eindruck  gemacht  haben,  wenn 
sie  Jesus  in  intensiver  Heilthätigkeit  oder  feunger  Predigt 
sahen.  Wer  jedoch  meint,  hiermit  sei  viel  erklärt,  denkt  un- 
psychologisch. Eine  gestaltlose  Aufregung  erklärt  nicht,  wes- 
halb diese  Leute  —  immer  wieder  —  eine  besondere,  von  nie- 
mand geteilte  Meinung  über  Jesus  fassen. 

Daher  bedarf  es  sofort  einer  weiteren  Annahme :  die  Kranken 
neigten  zur  Beschäftigung  mit  allerlei  Voi"stellungen  religiöser 
Art.  Eigentlich  müsste  die  Idee,  Jesus  sei  der  Messias,  von 
ihnen  aus  sogar  als  AVahnvorstellung  angesehen  werden,  wenn 
sonst  Niemand  auf  diesen  Gedanken  verfiel. 

Aber  auch  hiermit  ist  noch  nicht  viel  gewonnen.  Mag  den 
Gestörten  das  Gebiet  der  religiösen  Gefühle  und  Vorstellungen 
besonders  nahe  liegen :  weshalb  müssen  sich  diese  denn  gerade 
immer  in  einem  Urteil  über  die  PersönHchkeit  Jesu  äussern? 
Weil  eben  diese  Persönlichkeit,  sagt  man,  sich  so  überwältigend 
geltend  macht.  Aber  wieder:  weshalb  deim  gerade  immer  das 
gleiche  bestimmte  Urteil :   es  ist  der  Messias  ? 

Wir  müssen  eine  dritte  Voraussetzung  machen:  die  Messias- 
erwartung lag  in  der  Luft,  sie  erfüllte  überall  die  Gemüter. 

Diesen  Eindruck  erwecken  allerdings  die  Evangelien,  und 
man  schenkt  ihnen  darin  Glauben.  Ich  nehme  hier  an,  dass 
das  richtig  ist.  Dann  ist  aber  offenbar  für  unsere  Frage  zu  viel 
bewiesen.  Denn  hier  erhebt  sich  mit  ganzer  Stärke  der  Ein- 
wand: weshalb  haben  dann  Gesunde,  insbesondere  die  Jünger, 
sich  nicht  zur  gleichen  Erkenntnis  aufraffen  können?  Wirkte 
Jesus  nur  auf  die  Besessenen  überwältigend?  Regte  seine 
Erscheinung  andere  nicht  auf?  Bewegten  ihre  Gedanken 
sich  nicht  auf  dem  religiösen  Gebiete?  Wir  bedürfen  demnach 
noch  immer  einer  Ursache  für  das  besondere  Verhalten  der 
Kranken. 

Man  hat  das  auch  gefühlt  und  darum  behauptet,  diese 
Leute  hätten  den  Messiasgedanken  in  besondi-er  Stärke  in  sich 
tragen  müssen.  Sie  ^> fühlten  sich  als  die  Geplagtesten;  etwas 
Jl^nheimliches  lag   auf  ihnen«.      Der  Messiasgedanke  war  daher 


29 

bei  ihnen  »in  ruheloser  Tendenz  auf  Reahsierung<.s  i).  Durch 
Jesu  Auftreten  Avurde  er  dann  »explosionsartig  ausgelöst«. 

Das  ist  einfach  zu  bestreiten.  Nicht  nur,  weil  wir  nichts 
davon  wissen,  sondern  weil  es  ganz  unwahrscheinhch  ist.  Warum 
fühlten  sich  die  anderen  zahlreichen  Kranken,  die  nach  den 
Evangehen  zu  Jesus  gebracht  wurden,  weniger  als  die  Geplagten? 
Warum  redet  von  ihnen  niemand  Jesus  als  Messias  an  ?  Warum 
sollen  die  Dämonischen  überhaupt  besonders  religiöse  Leute  ge- 
wesen sein?  Denn  das  nmsste  man  wohl  annehmen,  wenn  das 
Gefühl  des  Elends  so  zur  Steigerung  der  religiösen  Sehnsucht 
führte. 

Aber  es  giebt  noch  einen  Ausweg.  Wir  erinnern  uns, 
dass  es  Ansteckungen  giebt  auf  geistigem  Gebiete,  psychische 
Epidemien.  Wir  setzen  aufs  Neue  voraus,  dass  die  Messias- 
erwartung epidemisch  unter  diesen  Kranken  auftrat  2). 

Wenn  die  Quellen  nur  ein  Wort  darüber  sagten!  Man 
setzt  die  wesentliche  Genauigkeit  ihres  Berichtes  voraus  und 
nimmt  an,  dass  sie  die  wichtigsten  Dinge  verschweigen.  Und 
immer  noch  bleibt  es  wunderbar,  dass  nur  die  Dämonischen, 
und  sie  stets,  von  der  allgemeinen  Erwartung  zur  Gewissheit 
über  die  bestinunte  Person  kommen,  die  doch  äusserlich  den 
Gedanken  an  den  Messias  nicht  nahegelegt  haben  kann,  wenn 
niemand  sonst  darauf  verfiel.  Wirklich  verständlich  wird  die 
Stereotypie  der  Erscheinung  erst  dann,  Avenn  sich  das  Urteil: 
dieser  Jesus  ist  der  Messias,  unter  den  Dämonischen  durch 
Ansteckung  verbreitete'*).  Dann  hallen  wir  aber  glücklich  mit 
allen  Voraussetzungen  die  Grundvoraussetzung  vernichtet.  Denn 
wie  in  diesem  Falle  der  ( jffentlichkeit  verborgen  bleiben  konnte, 
was  die  Kranken  über  Jesus  dachten,  bleibt  so  lange  dunkel, 
als  man  nicht  an  eine  geheime  Verbindung  der  Besessenen 
glaubt.  Kam  es  aber  in  die  ( )ffenthchkeit,  so  hätten  Jünger 
und  Volk  dem  Raunen  oder  besser  dem  Schreien  der  Geister 
nach  ihren  Voraussetzungen  sogar  Glauben  schenken  sollen. 

Das  ist  eine  fast  zu  ausführliche  Widerlegung.  Aber  es 
musste  gezeigt  werden,  dass  die  Psychologie,  auf  die  num  sich 
so  oft  beruft,  hier  versagt  und  versagen  muss,  solange  man  mit 


1)  Braun  S.  509.  2)  Braun  S.  510. 

3)  Vielleicht  meint  das  Nippold,     S.  53. 


30 

dem  Evangelium  von  einer  Wiederkehr  dieser  Vorfälle  ausgeht. 
Die  angebliche  Psychologie  läuft  auf  eine  Häufung  teils  will- 
kürlicher, teils  undenkbarer  Hilfsannahmen  hinaus,  und  ob  man 
das  eine  oder  andere  etwas  anders  formuliert,  darauf  kommt 
nichts  an. 

Man  wird  nun  von  den  Berichten  etwas  ablassen.  Markus 
habe  zu  viel  gesagt,  wenn  er  von  einer  regelmässigen  Er- 
scheinung rede.  Diese  beliebte  Methode  hilft  nichts.  Noch 
zwei  oder  drei  solcher  Fälle  sind  zu  viel. 

Die  einzige  Möglichkeit,  die  noch  bleibt,  ist,  dass  ein 
einziger  historischer  Fall  zu  Grunde  liegt,  der  dann  von  der 
Tradition  oder  dem  Evangehsten  vervielfältigt  wurde. 

Vielleicht  beruft  man  sich  für  die  Wahrscheinhchkeit,  dass 
hier  doch  etwas  Historisches  vorliegt,  auf  den  Vorgang,  von  dem 
Act  16 16  ff.  erzählt.  Hier  wird  —  im  Wirberichte !  —  gesagt, 
dass  in  Philipp!  eine  Magd  mit  einem  Wahrsagegeiste  [Ttvev^a 
nvd-ojv)  Paulus  und  seinen  Genossen  nachgerufen  habe: 

Diese  Menschen  sind  Diener  des  höchsten  Gottes, 
die  euch  den  Weg  des  Heils  verkünden. 
Diese  Nachricht  fechte  ich  keineswegs  an,  wiewohl  unsicher 
bleibt,  wie  genau  der  Ausruf  der  Magd  wiedergegeben  ist.  Aber 
ich  betone,  dass  sie  trotz  formeller  Verwandtschaft  mit  der 
evaugehschen  Erzählung  gerade  im  Hauptpunkte  auf  einer 
andern  Linie  steht  wie  diese.  Was  die  Magd  über  Paulus  und  seine 
Begleiter  sagt,  braucht  nämlich  durchaus  keine  rein  aus  dem  Innern 
geschöpfte  Aussage  zu  sein.  Sie  kann  sehr  wohl  vermittelt  sein 
durch  das,  was  sie  über  Paulus,  ja  von  Paulus  selbst  gehört  hat- 
Der  Fall  bleibt  dem  Erzähler  merkwürdig,  weil  er  eben,  wie 
auch  Paulus,  voraussetzt,  dass  ihr  Geschrei  von  einem  Geiste 
ausgehe.  Aber  dass  der  Apostel  Diener  des  höchsten  Gottes 
und  Verkündiger  des  Heils  sei,  das  ist  sein  eigener  Anspruch, 
und  dass  er  es  sein  wolle,  ist  das  Gespräch  der  Leute,  nicht 
aber  ein  Geheimnis  wie  die  Messianität  Jesu  bei  Markus. 

Die  Möglichkeit  nun,  dass  einmal  ein  Geisteskranker,  etwa 
der  von  Kapharnaum,  Jesus  als  Messias  angeredet  hätte,  kann 
man  verständiger  Weise  an  sich  nicht  bezweifeln.  Andrerseits 
ist  es  eine  bekannte  Erscheinung,  dass  einzelne  Motive  der  Er- 
zählung von  ihrem  ursprünglichen  Orte  in  verwandte  Geschichten 
hinüberwandern.     Gerade  die  AVundererzählungen  der  Evangelien, 


31 

aber  auch  andere  Texte  liefern  hierfür  Beispiele  i).  So  Hesse 
sich  in  der  That  an  eine  unhistorische  Vervielfältigung  eines 
wirklichen  Vorfalls  denken. 

Indessen  um  eine  matte  Wiederholung,  einen  stereotyp  ge- 
wordenen, interesselosen  Detailzug  handelt  es  sich  hier  keines- 
wegs. Die  Häufigkeit  seiner  Wiederkehr,  besonders  auch  die 
beiden  allgemeinen  Schilderungen  (Isi,  3iif.)  beweisen,  dass  der 
Punkt  für  den  Erzähler  AVert  hat,  und  aus  seiner  Gesamt- 
anschauung von  dem  Verhältnis  zwischen  Dämonen  und  Sohn 
Gottes  wird  das  auch  sofort  verständlich. 

Dann  kann  die  Annahme  eines  geschichtlichen  Kernes  nicht 
mehr  a  priori  wahrscheinlich  sein.  Wir  haben  uns  mit  ihr  vom 
Markusberichte  sehr  Aveit  entfernt,  wir  haben  nicht  nur  seinen 
eigentümlichen  Sinn  beseitigt,  sondern  auch  die  Vorstellung  eines 
regelmässig  wiederkehrenden  Vorfalls  preisgegeben.  Die  ent- 
scheidende Frage  kann  aber  doch  nur  lauten:  auf  welchem 
Wege  erklären  wir  den  ganzen  Bericht  des  Evangeliums  am 
besten?  Denn  was  wir  wegstreichen,  will  doch  auch  und  erst 
recht  begriffen  sein. 

Hier  leistet  der  »Kern«  wenig.  Wir  sehen  eben  nicht,  wie 
sich  von  einem  wirklichen  Vorgange  aus  die  Gesamtauffassung 
des  Markus  gebildet  haben  soll,  oder  wie  aus  einer  vereinzelten 
Merkwürdigkeit  ein  typischer  und  bedeutungsvoller  Zug  er- 
wachsen konnte.  Dagegen  die  Idee,  die  Vorstellung  des  Er- 
zählers oder  andrer,  die  seine  Vorgänger  waren,  leistet  viel.  Sie 
erklärt  den  einen  Fall  so  gut  wie  die  vielen,  die  vielen  wie  den 
einen.  Denn  wenn  es  sich  bei  der  Begegnung  Jesu  mit  den 
Dämonen  um  den  Verkehr  übernatürlicher  Wesen  handelt,  so 
ist  darin  der  Gedanke,  dass  die  Geister  um  Jesus  wissen,  schon 
unmittelbar  enthalten.  Es  bedarf  gar  nicht  einmal  der 
Folgerung. 

Ich  schliesse  also :  diese  Züge  sind  aus  der  wirklichen 
Geschichte  Jesu  zu  streichen.  Gerade  ihre  Regelmässigkeit  ist 
es,  was  sie  verdächtigt  und  ihre  Herkunft  verrät.  Wollen  wir 
hier  einen  dürftigen  Rest  von  Geschichte  finden,  so  müssen  wir 
uns   den    Markusbericht   erst   nach    Gutdünken    zurechtstutzen, 


1)  Vgl.  z.  B.  Mr.  535  und  Luk.  76,  Mr.  l43  und  Mt.  930,  Luk.  ,5u 
(=  Mr.  l44)  und  17u,  Mr.  Guf.  und  828. 


32 

damit  er  erträglich  ^vird,  und  er  selbst  bleibt  iinbegriffen. 
Verzichten  wir  auf  die  Geschichte,  so  lassen  vnv  den  Bericht 
völlig,  wie  er  ist,  und  haben  in  der  supranaturalen  Anschauung 
des  Schriftstellers,  die  ja  das  geschichtlich  Unmögliche  ausmacht, 
unmittelbar  das  Verständnis  für  das  Ganze. 

Nur  das  Eine  ist  noch  nicht  erklärt,  welcher  An  las  s  für 
Markus  oder  seinesgleichen  bestand,  die  Vorstellung  des  dämo- 
nischen Geheimwissens  um  den  Messias,  die  in  seiner  Gesamt- 
anschauung vom  Verhältnis  der  Dämonen  zu  Jesus  bereits  liegt, 
in  der  Geschichte  Jesu  wirklich  auszuprägen  und  zu  betonen. 
Eines  solchen  Anlasses  bedurfte  es  allerdings. 

Hier  liegt  nun  eine  bestimmte  Vermutung  sehr  nahe.  Der 
gegensätzhche  Gedanke,  dass  Jesus  als  Messias  sonst  unbekannt 
war,  wird  dabei  von  Bedeutung  gewesen  sein.  Niemand  wusste 
von  seiner  Würde  —  die  Geister  erkannten  ihn.  Hatte  jene 
Vorstellung  ein  Interesse,  was  wir  von  Markus  bereits  wissen, 
so  auch  diese.  Auf  diese  Spur  leitet  ja  der  Text  des  Evangeliums 
selbst.  Markus  lässt  die  Dämonen  nicht  blos  Jesus  als  Messias 
anreden,  er  betont  zweimal  (1 24.34),  dass  sie  ihn  kennen.  Dies 
hätte  keinen  Sinn,  wenn  er  dabei  nicht  den  Gegensatz  im  Auge 
hätte:    im  Allgemeinen  kannte  man  ihn  nicht. 

Ich  sage  nicht,  dass  damit  der  Hergang  der  Entstehung 
des  Zuges  deutlich  beschrieben  sei.  Hierüber  kann  man  kaum 
etwas  ganz  Sicheres  und  Präzises  aufstellen,  wie  das  ja  bei 
manchem  andern  zweifellos  ungeschichthchen  Zuge  auch  der 
Fall  ist.  Folgendes  wäre  eine  Möglichkeit.  Man  erzählte  sich 
zuerst,  wie  die  Dämonen  bei  dem  Nahen  ihres  Feindes  Jesus 
sich  fürchteten.  Das  war  ein  gegebener  Gedanke.  Weil  nun 
aber  die  Vorstellung  da  war,  dass  Jesu  Messianität  unbekannt 
war,  so  fiel  es  auf,  dass  die  Dämonen  eine  Ausnahme  machten. 
Diese  Vorstellung  wurde  dann  wichtig  und  gewann  eine  be- 
stimmte Ausprägung. 

Ob  Markus  an  der  Messiaserkenntnis  der  Dämonen  noch 
ein  weiteres  Interesse  hat  als  das  angegebene,  wird  sich  später 
zeigen. 


33 


Die  Gebote,  das  Messiasgeheimnis  zu  wahren. 

Ich    führe    die   hierhergehörigen  Stellen    sämtlich    auf  und 
ordne  sie  in  5  Rubriken. 

1)  Verbote  an  die  Dämonen. 
I25:     Und  Jesus   bedrohte    ihn    {i7CErif.n]oev  avTw):   verstumme 

{(fif-uod-rfciY)  und  fahre  von  ihm  aus. 
I34:     Und  er  hinderte  die  Dämonen  zu  reden,  weil  sie  ihn  kannten. 
3 12:     Und  heftig   bedrohte  er  sie,   sie  sollten  ihn  nicht  offenbar 

machen. 

2)  Verbote  nach  (andern)  Wunderthaten, 
I43 — 45  (Der  Aussätzige):  ^^Und  er  herrschte  ihn  heftig  an 
{s^ißQi^trjod/.iEvog)  und  trieb  ihn  alsbald  hinaus  ^^und  sagt 
zu  ihm:  hüte  dich  {oQa),  dass  du  niemand  das  Geringste 
sagst,  vielmehr  (aXld)  gehe  hin,  zeige  dich  dem  Priester 
und  opfere  für  deine  Reinigung,  was  Moses  geboten  hat, 
zum  Zeugnis  für  sie.  •^^Er  aber  gieng  hinaus  und  begann 
es  eifrig  zu  verkünden  und  den  Vorgang  ruchbar  zu 
machen  .  .  . 
043  (Tochter  des  Jairus):  Und  er  befahl  ihnen  dringend  an, 
dass  es  niemand  erfahre  .  .  . 

Vgl.  V.  37:  Und  er  liess  niemand  mit  sich  hinein- 
gehen ausser  Petrus  und  Jakobus  und  Johannes,  dem 
Bruder  des  Jakobus  ...  V.  40 :  Er  aber,  nachdem  er  alle 
hinausgetrieben,  nimmt  den  Vater  des  Kindes  und  die  Mutter 
und  seine  Begleiter  und  geht  hinein,  wo  das  Khid  war. 
73G  (Der  Taubstumme):  Und  er  befahl  ihnen,  es  niemand  zu 
sagen;  je  mehr  er  es  aber  ihnen  befahl,  desto  eifriger 
{^lalXov  neQiaooTEQov)   verkündigten  sie  es. 

Vgl.  V.  33:    Und  er  nahm   ihn  von   der  Menge  weg 
bei  Seite    und  legte  ihm    seine  Finger  in  die  Ohren  .  .  . 


1)  Das  (fifJbh'JrjTi  besagt  an  und  für  sicli  nicht,  dass  .Tesus  die 
messianischc  A.nredc  nicht  will,  sondern  es  schlägt  einfach  die  Lebens- 
äussorung  des  Dämons  nieder,  die  in  seinem  Reden  liegt.  439  sagt  .Jesus 
das  gleiche  Wort  zum  Meer.  (Vgl.  B.  Weiss,  Markusevang.  S.  62. 
Volkmar  S.  89  versteht  es  nicht  übel  als  eigentliches  Bannwort.)  Trotz- 
dem scheint  der  Evangelist  nach  den  Parallelen  zu  meinen,  dass  Jesus 
mit  dem  Worte  auch  die  mes8ianisch(>  Anrede  abwehrt. 

W  r  c  d  0 ,   Me-ssiasgoheimnis.  3 


34 

826  (Der  Blinde  von  Bethsaida):  Und  er  entliess  ihn  in  sein 
Haus  und  sagte :  gehe  nicht  in  den  Flecken  (v.  1.  und  sag 
es  niemand  im  Flecken^). 

Vgl.  V.  23:  Und  er  fasste  den  Blinden  bei  der  Hand 
und  führte  ihn  heraus  aus  dem  Flecken  und  spie  in 
seine  Augen 

3)    Verbote   nach  dem  Petrusbekenntniss. 

830  (Unmittelbar  nach  dem  Bekenntnis):  Und  er  bedrohte  sie, 
sie  sollten  niemand  von  ihm  sagen. 

99  (Nach  der  Verklärung):  Und  als  sie  vom  Berge  herab- 
stiegen, befahl  er  ihnen,  niemand  zu  erzählen,  was  sie 
gesehen,  ausser  wann  der  Sohn  des  Menschen  von  den 
Toten  erstanden  wäre. 

Vgl.  V.  2.  3:  ^Und  nach  sechs  Tagen  nimmt  Jesus 
den  Petrus  und  den  Jakobus  und  Johannes  und  führt  sie 
auf  einen  hohen  Berg  bei  Seite  (xar  idiav)  allein  [(xovovq). 
3  Und  er  ward  vor  ihnen  verwandelt  .... 

4)    Absicht,   das  Inkognito  zu  wahren. 
7-24:     Von  dort  aber   brach  er  auf  und  zog  in   das  Gebiet  von 

Tyrus.    Und  da  er  in  ein  Haus  getreten,  wollte  er,  dass  es 

niemand   erfahre,    und  er  konnte  nicht  verborgen  bleiben. 
93of.:  30 Und  sie    giengen  von    da  fort  und   stahlen   sich  durch 

Galilaea  hin^).  und  er  wollte  nicht,  dass  es  jemand  erfahre. 

31  Denn  er  lehrte  seine  Jünger  und  sagte  ihnen:  der  Sohn 

des  Menschen  wird  überantwortet  .  .  . 

5)  Ein  nicht  von  Jesus  selbst  ausgehendes  Verbot 

zu  reden. 
1047f.  (Der   Blinde    von   Jericho):     *^Und    da    er   hörte,   Jesus 
der  Nazarener  sei  es,    begann  er  zu  rufen :    Sohn  Davids 
Jesus,  erbarme  dich  mein.     "^sUnd  es  bedrohten  ihn  Viele, 
er  möge  schweigen  .... 


1)  Daneben  andere  Varianten.    Jedenfalls  eine  richtige  Erläuterung. 

2)  Das  ist  gewiss  etwas  zu  stark  übersetzt,  aber  das  nctotnoQtvovTo 
kommt  diesem  Sinn  nahe.  Sie  zogen  »neben<  hin,  so  dass  sie  das 
(bewohnte)  Land  eigentlich  nicht  wirklich  besuchten.  Vgl.  Volkmar, 
auch  Fritzsche  z.  St.  Die  von  B*Dacf  vertretene  L.  A.  noQtvovTo 
ist  sicher  nicht  ursprünglich. 


35 

Die  Stellen  unter  4)  und  5)  enthalten  eigentlich  keine  Ver- 
bote Jesu.  Weshalb  sie  hinzugefügt  sind,  wird  keiner  Erklärung 
bedürfen.  Ebenso  deutlich  ist,  weshalb  die  Stellen  über  die 
Vertrauten  Jesu  sowie  über  das  Beiseitenehmen  der  Kranken 
mit  angefühi-t  sind.  Die  Züge  stehen  mit  Jesu  Befehlsworten 
in  unverkennbarem  Zusammenhange:  sie  sagen  selbst  schon, 
dass  es  sich  um  Dinge  handelt,  die  nicht  für  die  OffentUchkeit 
sind.  An  eine  Isolierung  der  Kranken  um  der  Kranken  willen 
ist  also  nicht  zu  denken,  wie  ja  denn  das  xar  ISiav  auch  im 
Verklärungsberichte  sich  findet. 

Bei  zahlreichen  Wundergescliichten  des  Markus  fehlt  das 
Gebot  zu  schweigen  (2iff.,  3iff.  u.  s.  w.).  In  der  Gerasener- 
geschichte wird  es  auch  den  Dämonen  nach  ihrer  messianischen 
Begrüssung  nicht  gegeben.     Vielmehr  sagt  Jesus  5 19: 

geh    hin    in    dein    Haus    zu    den    Deinen    und    melde 

ihnen,   was  dir  der  Herr  gethan,   und  wie  er  sich  deiner 

erbarmt  hat. 

Die  Form  der  Befehle  ist  recht  stereotyp.    Eine  Besonderheit 

der  Stelle  99  ist  die   Bemerkung    über    die  Auferstehung.     Im 

Übrigen  fällt  zweierlei  besonders  auf: 

1)  Die  Befehle  lauten  scharf  und  bestimmt.  Das  wiederholt 
gebrauchte  euivif-iäv  kennzeichnet  schon  an  sich  diese  Strenge; 
die  Bedeutung  des  Scheltens,  hart  Anlassens  muss  man  dabei 
mitklingen  hören,  auch  wenn  mit  »Bedrohen«  zu  übersetzen  ist; 
das  nollct  markiert  noch  besonders  das  nachdrückliche  Ein- 
schärfen. In  der  Geschichte  vom  Aussätzigen  wird  man  den 
Zornesaffekt  {s^ißgii-itiadfievog)  damit  in  Zusammenhang  bringen 
dürfen.  Ich  glaube  gar  nicht,  dass  er  aus  den  besonderen  Um- 
ständen dieser  Geschichte  zu  erklären  ist,  wie  man  das  in  ver- 
schiedener Weise  versucht  hat.  Mt.  9 30  ei-scheint  dasselbe 
Ifißgif-iaad^ai  in  der  Geschichte  von  den  beiden  Bünden. 

2)  Ein  Motiv  dieser  Weisungen  ist  an  keiner  Stelle  aus- 
gesprochen. Das  ist  besonders  bemerkenswert.  Nur  93o  wird 
Jesu  Absicht,  unerkannt  durch  Galilaea  zu  ziehen,  damit  be- 
gründet, dass  er  seine  Jünger  über  sein  Leiden  belehrte. 
Diese  Angabe  lasse  ich  zunächst  bei  Seite. 

Die  Exegese  hat  es  nicht  zu  einer  allgemein  anerkannten 
Auslegung    dieser  Stellen    gebracht  und,  man   darf  hinzusetzen, 


36 

iiicht  zu  einer  Auslegung,  die  den  Eindruck  der  Sicherheit  macht. 
Übersieht  man  die  besonderen  und  die  allgemeinen  Erklärungen, 
die  geliefert  worden  sind,  so  zeigt  sich  ein  äusserst  buntes  Bild^). 
Das  schliesst  nicht  aus,  dass  eine  von  ihnen  die  richtige  ist, 
aber  es  kann  auch  bedeuten,  dass  man  ein  Verständnis  über- 
haupt nicht  gefunden  hat. 

Vorab  muss  es  überaus  wahrscheinlich  heissen,  dass  sämtliche 
Gebote  bei  Markus  den  gleichen  Sinn  haben.  Eür  jeden  un- 
befangenen Leser  ist  dies  der  erste  Gedanke.  Schon  die  fort- 
währende Wiederholung  des  Zuges  zwingt  ihn  auf,  das  Fehlen 
einer  Motivierung  aber  verstärkt  ihn.  Weshalb  gäbe  denn 
der  Erzähler  keinen  Wink,  wenn  er  bald  an  diesen,  bald  an 
jenen  Grund  dachte?  Welcher  Leser  könnte  seine  Meinung 
erraten?  Oder  hat  er  manchmal  selbst  keinen  Grund  mehr 
gewusst?  Dann  sollte  er  ihn  in  anderen  Fällen  um  so  mehr 
angeben.  Dass  er  überall  sich  keinen  Grund  gedacht  hätte, 
ist  ja  doch  unmöglich.  Man  kann  also  nur  vermuten,  dass  er 
annahm,  der  Leser  werde  alle  diese  Bemerkungen  mit  einem 
Gedanken  lesen,  den  er  ihm  nicht  erst  zu  sagen  brauchte.  Die 
beiden  Worte  vom  Likognito  Jesu  (724,  9 so)  sind  hierbei  ein- 
geschlossen. Sie  klingen  zu  verwandt,  um  von  den  Verboten 
getrennt  zu  werden.  Fraglich  mag  es  dagegen  sein,  ob  nicht 
die  Bedrohung  seitens  der  >Vielen«  1048  ihre  besondere  Be- 
deutuTig  hat.  Somit  muss  diejenige  Erklärung  die  schlagendste 
sein,    die  einen  einheitlichen  Gedanken  aufweist. 

Vor  allem  ist  deshalb  davon  auszugehen,  dass  überall  an 
die  Behütung  des  Messiasgeheimnisses  gedacht  ist.  Direkt 
sprechen  das  ja  nur  die  den  Dämonen  gegebenen  Befehle  soAvie 
die  Stelle  830  und  etwa  99  aus.  Aber  was  sollen  die  der  Toten- 
erweckung  und  den  Heilungen  folgenden  Bedrohungen  anderes 
bedeuten?  Die  übrigen  Stellen  legen  nichts  näher,  als  dass  Jesus 
das  Stillschweigen  in  der  Voraussetzung  fordert,  seine  Wunder- 
that  lasse  unmittelbar  einen  Schluss  auf  sein  geheimes  Wesen 
und  seine  Würde  zu.  So  müssen  wenigstens  die  ältesten  Leser 
das  Evangelium  verstanden,  so  muss  es  Markus  selbst  und  gerade 
Markus    gemeint    haben.     Denn    die  Wunder   gelten    doch    im 


1)  Ich  illustriere   das  durch  Exkurs  II,    auf   den  auch    für  die  im. 
Texte  anüredeuteten  Ansichten  verwiesen  sei. 


37 

ältesten  Chiistentum  als  Zeugnisse  für  Wesen  und  Bedeutung 
Christi.  Gewiss  aber  hat  der  Evangelist  keine  Distinktion  ge- 
macht zwischen  seiner  eigenen  Auifassung  und  einer  Auffassung 
der  Zeitgenossen  Jesu.  Ich  brauche  mich  nicht  einmal  darauf 
zu  berufen,  dass  er  ebenso  gut  wie  Matthaeus,  Lukas  und 
Johannes  der  Meinung  sein  wird,  Jesu  Wunder  seien  auf  eine 
allgemeine,  brennende  Messiaserwartung  getroffen.  So  reicht  es 
auch  nicht  aus,  jedes  einzelne  Wunder  als  ein  isoliertes  Mysterium 
vorzustellen,  das  der  Menge  vorenthalten  wird.  Markus  rechnet 
immer  mit  dem  Eindruck,  den  der  AVunderthäter  durch  das 
Wunder  macht.  Nach  der  Stillung  des  Sturmes  fragt  man: 
wer  ist  der,  der  das  kann? 

Hiernach  kommen  alle  die  Erklärungen  sofort  in  Wegfall, 
die  nur  einzelne  Stellen  aufzuhellen  vermögen.  Denn  sie  setzen 
eben  eine  Mehrheit  oder  einen  Wechsel  von  Beweggründen  für 
das  Verbot  Jesu  voraus. 

Jesus  soll  den  Dämonen  verboten  haben  von  seiner  Messia- 
nität  zu  reden,  weil  er  Anerkennung  aus  so  unreinem  Munde, 
»aussei-sittliche«  Anerkennung  nicht  wollte.  Es  ist  die  Frage, 
ob  das  überhaupt  eine  Erklärung  aus  dem  Geiste  des  Markus 
ist.  Sicher  ist  sie  für  das  Verbot  nach  der  Erweckung  des 
Mädchens  oder  der  Heilung  des  Taubstummen  unbrauchbar. 

Ebenso  unwahrscheinlich  ist  der  Gedanke,  das  Verbot  habe 
hie  und  da  (etwa  736,  826)  die  Tendenz,  Ansprüche  des  Volkes 
an  Jesu  Wunderthätigkeit  abzuwehren,  da  er  Ruhe  haben  oder 
sich  den  Jüngern  widmen  wolle.  Für  die  Zeit,  wo  Jesus  nach 
Markus  ein  Wunder  auf  das  andere  folgen  lässt,  muss  man 
dann  eben  eine  neue  Erklärung  finden;  für  die  Huldigung  der 
Dämonen  womöglich  eine  dritte. 

So  sind  auch  Gründe  der  Situation,  der  Lokalität  schwerhch 
von  Bedeutung.  In  Gegenden  mit  heidnischer  Bevölkerung  will 
Jesus  verborgen  bleiben  (724),  und  ebenda  gebietet  er  dem  Be- 
sessenen, sein  Erlebnis  kund  zu  machen  (5i9)  i) ;  in  Galilaea  thut 
er  Wunder  vor  allen  Leuten,  Freund  und  Feind,  und  in  Galilaea 
meidet  er  die  Öffentlichkeit  (93o).  Es  ist  nichts  leichter,  als 
Gründe    auszusinnen,    weshalb  Jesus    hier  so,    dort   so  verfährt. 


1)  Ich   setze   hier  voraus,    dass    die    übliche  Erkliirung  richtig  ist 
(s.  unten). 


38 

Aber  es  ist  schwer  zu  beweisen,  dass  Markus  diese  Gründe 
gekannt  hat. 

Die  etwas  weiter  greifende  Meinung,  Jesus  scheue  den  Ruf 
eines  Wunderthäters,  um  nicht  von  seinem  wahren  Berufe  ab- 
gezogen zu  werden,  oder  um  nicht  eine  falsche,  sitthch-religiös 
wertlose  Anerkennung  hervorzurufen,  passt  wieder  nicht  zu  den 
Dämonengeschichten,  und  zu  830  und  99  ebensowenig,  ganz  ab- 
gesehen davon,  dass  eine  Kategorie  wie  »sittlich- religiös«  dem 
Markus  minder  geläufig  ist  als  etwa  Klostermann  und  B.  Weiss, 
und  dass  massenhaftes  Verrichten  von  Wundern,  wie  es  Markus 
erzählt,  ein  sonderbares  Verfahren  ist,  wenn  man  vom  einzelnen 
Wunder  schon  solche  Folgen  befürchtet. 

Eine  besondere,  mit  allen  möglichen  Auffassungen  übrigens 
häufig  zusammengehende  Art,  diese  Verbote  Jesu  zu  beleuchten, 
ist  dadurch  gekennzeichnet,  dass  man  willkürliche  Milderungen 
mit  ihnen  vornimmt.  Jesus  wünschte,  dass  »nicht  viel«  von 
seinen  Wundern  gesprochen  würde;  die  Ansicht,  er  sei  der 
Messias,  sollte  sich  »nicht  allzu  sehr«  verbreiten;  Jesus  hat  eine 
»ablenkende  Art«  zu  sprechen,  wenn  auf  seine  Messianität  die 
Rede  kommt.  Mit  solchen  Abschwächungen  ist  nichts  Geringeres 
als  der  wirkliche  Sinn  der  Bemerkungen  des  Markus  von  vorn- 
herein aufgegeben,  damit  aber,  wie  sich  zeigen  wird,  auch  das 
Verständnis  selbst.  Begreiflich  wird  die  Abschwächung  vielleicht, 
weil  Jesu  Worte  so  wenig  Erfolg  haben  und  so  oft  durch  sein 
eigenes  Handeln  durchkreuzt  werden;  so  kann  es  scheinen,  er 
meine  sie  nicht  allzu  buchstäblich.  Aber  es  ist  streng  darauf 
zu  bestehen,  dass  Markus  strikte,  absolute  Befehle  mitteilt  und 
nichts  weiter. 

Übrigens  reden  gerade  solche  Kritiker  gern  in  dieser  Art, 
die  das  massgebende  Motiv  für  die  Gebote  der  persönlichsten 
Empfindung  Jesu  selbst  entnehmen.  Jesus  soll  eine  innere 
Scheu  gehabt  haben,  von  seiner  Messiaswürde  zu  reden,  sie  der 
Öffentlichkeit  preiszugeben,  sei  es  weil  er  mit  der  Frage,  ob  er 
der  Messias  sei,  selbst  noch  nicht  ganz  im  Reinen  war,  sei  es 
weil  er  den  Gedanken  als  ein  kostbares  Glaubensgeheimnis, 
eine  Sache  zwischen  ihm  und  seinem  Vater  im  Innern  ver- 
schliessen  wollte. 

Auch  diese  Lösung  befriedigt  Avenig.  War  Jesus  seines 
messianischen   Berufes  noch   nicht    sicher,    so  konnte    er  über- 


39 

haupt  nicht  Verbote  geben,  die  durchaus  den  Eindruck  hervor- 
rufen, dass  er  wirkhch  sei,  was  er  für  die  ( Jffenthchkeit  nicht 
sein  will  *).  War  er  sicher,  der  Messias  zu  sein  oder  zu  werden, 
und  nur  beflissen,  ein  Heiligtum  zu  hüten,  so  wollen  zunächst 
manche  Thatsachen  der  evangelischen  Geschichte  nicht  mehr 
stimmen.  Stellen  wie  Mt  11 27  ff.,  wo  Jesus  seine  Würde  Gott 
gegenüber  offen  genug  kennzeichnet,  oder  wie  seine  Antwort 
auf  die  Anfrage  des  Täufers  (Mt  ll2ff.),  wo  man  von  der  an- 
geblichen Scheu  nichts  bemerkt,  mögen  hier  ganz  bei  Seite 
bleiben,  damit  wir  nicht  von  Markus  abgehen.  Aber  den  Einzug  in 
Jerusalem  muss  Jesus  —  gegen  die  Berichte,  denn  nach  ihnen 
inszeniert  er  ihn  selbst  —  sich  mit  innerm  AViderstreben  abge- 
rungen haben  2),  da  er  ja  noch  kurz  zuvor  die  alte  Zurück- 
haltung zeigt.  Und  die  öffenthchen  Wunder  werden  rätselhaft, 
wenn  er  bei  einigen  Wundern  solche  Furcht  hat,  dass  sein  Geheimnis 
unter  die  Leute  komme;  oder  wir  müssten  die  Verbote  hier 
abermals  anders  motivieren.  Wie  kann  man  ferner  bei  diesen 
schroffen,  derben  Verboten  den  Eindruck  haben,  dass  sie  der 
Ausdruck  der  zarten  Empfindung  sind,  die  ihre  Triebfeder  sein 
soll  ?  Und  ausser  den  Verboten  sind  in  den  Quellen  greifbare 
Daten  nicht  aufzuweisen  ^),  die  auf  eine  solche  Stinmiung  .Jesu 
schliessen  Hessen.  Zum  wenigsten  ist  eins  sicher:  Markus  hat 
von  diesem  Motive  nichts  gewusst. 

Die  am  weitesten  verbreitete  Auffassung  leitet  die  Zurück- 
haltung Jesu  aus  Rücksichten  seines  Berufes  her.  Vor  allem 
spricht  man  viel  von  seiner  pädagogischen  Absicht.  Bei  den 
Jüngern  fürchtet  er  sinnhche  Messias  Vorstellungen,  wenn  er 
ihnen  zu  früh  einen  Gedanken  giebt,  für  den  sie  noch  nicht 
reif  sind.  Überhaupt  aber  fürchtet  er  —  bei  Jüngern  wie  beim 
Volke  —  eine  politische  Ausbeutung  seiner  Würde,  nationale 
Manifestationen,  schliesslich  die  messianische  Revolution.  Denn 
Volk  und  Jünger  hatten  eben  nicht  seine  Messiasidee,  sondern 
die  jüdische,  d.  h.  die  politische. 

Da  ist  unter  dem   einen  Namen   der  Pädagogik   eigentlich 


1)  So  schon  Bruno  Bauer  gef^en  Struuss. 

2)  Nach  J.  Weiss,  Nachfolge  Christi  S.36  hat  Jesus  sich  die  Huldi- 
gung beim  Einzüge  in  ruhiger,  schmerzlicher  Gelassenheit  gefallen  lassen. 

3)  Die  Versuche  von  J.  Weiss,  a.a.O.  S.  32ff.,  und  .Jesu  Predigt 
vom  Reiche  Gottes  S.  166  ff.  halte  ich  nicht  für  gelungen. 


40 

Verschiedenes  verbmiden.  Sinnliche  Vorstellungen  vom  Messias, 
wie  sie  die  Jünger  haben  sollen,  sind  nicht  notwendig  politisch- 
nationale; und  während  den  Jüngern  gegenüber  die  Eücksicht 
auf  die  allmälige  und  reine  Entwicklung  des  innern  Lebens  zur 
Hauptsache  wird,  scheint  Jesus  beim  Volke  weniger  an  die  Füi-- 
sorge  für  seinen  religiösen  Fortschritt  gedacht  zu  haben  als  an 
die  mögliche  Gefährdung  des  eignen  Lebenswerkes.  Indessen 
dies  beruhe  auf  sich. 

Es  ist  merkwürdig,  dass  sich  die  Meisten  mit  dieser  Er- 
kläining  so  schnell  zufrieden  geben.  Man  scheint  es  wie  etwas 
Selbstverständliches  zu  betrachten,  dass  Jesus  zum  Stillschweigen 
griff,  wenn  er  die  Befürchtungen  hegte,  die  man  ihm  zuschiebt. 
Weshalb  soll  denn  das  selbstverständhch  sein?  Gab  es  keinen 
anderen,  keinen  natürlicheren  Weg?  Mich  dünkt,  ein  besserer 
wäre  gewesen,  wenn  Jesus,  wenigstens  den  Jüngern  gegenüber, 
geredet  hätte.  Weshalb  sagt  er  nicht  einfach,  dass  es  mit 
dem  pohtischen  Messias  nichts  sei,  und  dass  er  damit  ebenso- 
wenig zu  schaffen  habe  wie  mit  ihren  sinnlichen  Erwartungen? 
Doch  stehe  es  damit,  wie  es  wolle;  jedenfalls  giebt  es  wieder 
Momente  im  Berichte  des  Markus,  wo  die  Erklärung  einfach 
versagt. 

Die  Thatsache,  dass  Jesus  bis  zum  Petrusbekenntnis  sich 
den  Jüngern  gegenüber  verschliesst,  mag  man  auf  diese  Weise 
begreifen,  die  Abwehr  der  lauten  Dämouenrufe  ebenfalls,  und 
selbst  das  Festhalten  des  Geheimnisses  vor  dem  Volke,  nach- 
dem Petrus  gesprochen  hat,  mag  nicht  allzu  rätselhaft  sein.  Aber 
warum  hat  Jesus  beim  Einzüge  in  Jerusalem  sein  Verhalten 
geändert  und  lässt  sich  ruhig,  ja  nicht  ohne  eigene  Initiative, 
zum  Gegenstande  einer  messianischen  Ovation  machen?  Das 
hat  noch  niemand  einleuchtend  gezeigt.  Denn  nicht  einmal  die 
Annahme,  Jesu  Messianität  habe  sich  in  dieser  Zeit  herum- 
gesprochen, ist  für  diese  Haltung  eine  ausreichende  Erklärung. 
Dies  wäre  denn  doch  die  beste  Art  gewesen,  den  politischen 
Messiasenthusiasmus  zu  entfesseln,  vor  dem  er  so  auf  der  Hut 
gewesen  sein  soll. 

Ganz  dunkel  bleibt,  weshalb  Jesus,  nachdem  die  Verklärung 
vorüber  ist,  Schweigen  anbefiehlt  bis  zur  Auferstehung  (9 9). 
Pädagogische  Absicht  kann  da  doch  nicht  mehr  walten,  und  bis 
zur  Auferstehung  jüdischem  Missverständnisse  ausweichen  hiesse 


41 

schliesslich  auf  den  messiaiiischen  Anspruch  für  die  Erdenzeit 
einfach  verzichten.  Ob  nicht  ein  besonderes  JMotiv  die  Bemer- 
kung 99  verständlich  macht,  fragen  wir  nicht;  es  handelt  sich 
ja  darum,  wie  viel  das  angenommene  für  die  Erklärung  aller 
Stellen  leistet.  Die  Ausrede,  das  Wort  sei  ungenau  überliefert 
oder  unecht,  lassen  wir  ebenfalls  nicht  gelten.  Es  genügt,  dass 
es  im  Markus  steht. 

Und  abermals  müssen  wir  uns  auf  eine  neue  Erklärung  be- 
sinnen für  die  Verbote  nach  den  Wundern.  Soll  Jesus  bei 
seinen  Wundern  Furcht  vor  messianischen  Demonstrationen  ge- 
habt, soll  diese  Furcht  sein  Handeln  geleitet  haben,  so  hätte  er 
nicht  ein  einzig  Mal  vor  Vielen  heilen  dürfen,  und  am  besten 
hätte  er,  wie  schon  Bruno  Bauer  i)  gesagt  hat,  gar  nichts  ge- 
than.     D.  h.  die  Verbote  sind  unverständlich. 

Nicht  selten  hat  man  mit  dem  »pädagogischen  Motive«  noch 
einen  andern  Gedanken  verbunden.  Jesus  soll  von  den  Römern 
eine  Gefährdung  seines  Werkes  befürchtet  haben,  wenn  er  all- 
zu früh  als  Messias  bekannt  geworden  wäre.  Nimmt  man  diese 
Vorstellung  für  sich,  so  ist  sie  auch  schon  durch  die  letzte  Be- 
merkung über  die  AVunder  erledigt.  Was  aber  kann  nach 
unsern  Berichten  überhaupt  auf  einen  solchen  Gedanken  führen. 
wenn  Jesus  nur  im  unpolitischen  Sinne  der  Messias  hat  sein 
wollen?  Etwa  die  Thatsache,  dass  die  römische  Obrigkeit  nicht 
von  sich  aus  gegen  Jesus  eingeschritten  ist,  sondern  auf  Veran- 
lassung der  jüdischen  Machthaber? 

Mit  einer  ähnlichen  Frage  wende  ich  mich  nochmals  zum 
Hauptpunkte  zurück,  zur  angeblichen  erzieherischen  Absicht 
Jesu.  Wichtiger,  als  dass  die  Exegese  und  Kritik  sich  dabei 
um  naheliegende  Einwände  wenig  gekümmert  hat,  scheint  mir 
noch  das  Andere,  dass  sie  sich  überhaupt  nicht  gefragt  hat,  wo- 
her sie  diesen  Gedanken  nimmt. 

Man  darf  wohl  zweifeln,  ob  eine  Prophetennatur  wie  Jesus 
mit  ihrer  innerii  Selbstgewissheit  uud  Entschiedenheit,  mit  ihrem 
Bewusstsein,  beauftragt  zu  sein,  und  ihrem  Drange,  rücksichts- 
los die  in  der  Seele  lebenden  Gedanken  auszusprechen,  seehsch 
gerade  danach  geartet  ist,  in  der  anschmiegenden  Weise  des 
Seelsorgers,    mit   den    klugen   Massnahmen    des   Erziehers    den 

1)  Kritik  der  Evangelien  IV,  S.  101. 


42 

Menschen  gegenüberzutreten.  Vielleicht  darf  man  doch  ver- 
muten, dass  auf  einem  sehr  natürlichen  Wege  das  Bild  Jesu 
nach  und  nach  nicht  ganz  wenig  ins  Pastorale,  wenn  auch  noch 
so  edel  Pastorale  umgezeichnet  worden  ist.  Allein  diese  Er- 
wägung soll  hier  keineswegs  verfolgt  werden.  Aber  die  Frage, 
ob  Markus  über  ein  pädagogisches  Verfahren  Jesu  etwas  an 
die  Hand  giebt.  lässt  sich  doch  unmöglich  umgehen,  wenn  man 
Markustexte  mit  diesem  Gedanken  interpretiert.  Und  hier  be- 
kenne ich  entschiedenen  Zweifel. 

Es  ist  zwar  versucht  worden,  die  Idee  der  Jüngererziehung 
sogar  zu  einem  für  Markus  beherrschenden  Gesichtspunkte  zu 
machen  ^).  Aber  der  Versuch  ist  nicht  gelungen,  und  er  ist 
eigentlich  auch  nur  begreiflich,  wenn  man  das  Evangelium  mit 
sehr  modernen  Augen  beti-achtet. 

Es  versteht  sich  zwar  von  selbst,  dass  es  manche  Momente 
in  ihm  giebt,  die  sich  mit  einer  Erziehungsidee  leicht  in  Ver- 
bindung setzen  lassen :  die  Jünger  werden  berufen,  werden  aus- 
gesandt, erhalten  Lehre  und  Weisung,  Parabeln  werden  ihnen 
erklärt,  Weissagungen  dürfen  sie  vernehmen.  Aber  von  einem 
Verfahren,  dass  auf  Entwicklung  Bedacht  nähme,  das  von 
Stufe  zu  Stufe  führte  oder  vorhandenen  Schwächen  entgegen- 
käme, das  also  den  Namen  der  Erziehung  verdiente,  ist  nichts 
zu  merken.  Das  kann  nur  der  meinen,  der  die  Lücken  z\Naschen 
den  vorhandenen  Daten  mit  seinen  subjektiven  Vorstellungen 
auszufüllen  für  recht  hält,  oder  der  verbindet,  was  der  Erzähler 
nicht  erkennbar  verbunden  hat.  Der  Lehrer  ist  nicht  not- 
wendig der  Erzieher,  der  Lehrer  kann  fast  das  Gegenteil  des 
Erziehers  sein.  Wo  finden  wir  bei  Markus  Perikopen,  die  den 
pädagogischen  Gesichtspunkt  klar  ausprägen  ?  Man  muss  schon 
jede  Antwort  Jesu  auf  eine  Jüngerfrage  zur  Pädagogik  auf- 
bauschen.    Man  muss  übersehen,    dass   nach  Markus    die  Form 


1)  Besonders  Kloster  manu  (Das  Markusevangelium  1867)  hat  das 
gethan  und  ihm  hat  sich  Zahn  in  seiner  Einleitung  in  das  Neue  Testa- 
ment II  eng  angeschlossen.  Der  Gedanke  spielt  aber  auch  sonst  eine 
Eolle.  —  Haupt,  Zum  Verständnis  des  Apostolates  im  Neuen  Testa- 
ment S.  14  ff.  sucht  die  Pädagogik  Jesu  —  wenig  glücklich  —  in  ein- 
zelnen Eedestücken  nachzuweisen,  ohne  gerade  speziell  an  Markus  zu 
denken.  —  Über  die  Auffassung  von  Klos  terra  aun  und  Zahn  einige 
Bemerkungen  im  Exkurs  III. 


43 

der  Parabelrede  von  Jesus  gerade  nicht  gewählt  wird,  um 
schwachem  Verständnisse  zu  Hülfe  zu  kommen.  Man  muss 
vergessen,  dass  Jesus,  wenn  seine  Jünger  ihn  nicht  verstehen, 
in  der  Hegel  nichts  thut,  um  ihnen  verständhch  zu  werden. 
Vollends  Begriffe  wie  »Bedachtnehmen  auf  eine  Entwicklung 
der  Erkenntnis  von  innen  heraus«,  »Erziehung  zur  Selbständig- 
keit der  Erkenntnis«  fallen  ja  von  vornherein  aus  der  Sphäre 
des  Markus  heraus.  Das  Einzige,  was  der  Auffassung  einen 
Schein  des  Rechtes  geben  kann,  ist,  dass  sich  in  der  Erkenntnis 
der  Jünger  ein  Fortschritt  zu  zeigen  scheint,  und  dass  Jesus 
öfter  fragt:  habt  ihr  mich  noch  nicht  verstanden?  Es  wird 
später  Gelegenheit  sein,  zu  zeigen,  dass  in  beiden  Beziehungen 
die  Erklärung  ganz  anderswo  liegt  als  im  Gedanken  der  Päda- 
gogik. Einstweilen  behaupte  ich,  dass  die  Interpretation  der 
auf  das  Geheimnis  bezüglichen  Gebote  durch  diesen  Gedanken 
sich  nicht  von  selbst  versteht,  weil  er  bei  Markus  fehlt. 

Das  Gleiche  wird  aber  auch  gelten,  wenn  man  bei  der 
»pädagogischen  Absicht  Jesu«  an  seine  Besorgnis  vor  dem  Er- 
wachen des  politisch-messianischen  Enthusiasmus  denkt.  Hat 
Markus  überhaupt  daran  gedacht,  hat  er  etwas  davon  gewusst, 
dass  Jesus  solchem  Messiasglauben  geflissentlich  aus  dem  Wege 
gieng?  Der  Leser  wird  den  Skeptizismus  dieser  Frage  über- 
legen belächeln.  Denn  mit  diesem  Gedanken  operiert  jedermannn. 
Allein  die  Frage  muss  aufgeworfen  werden. 

Denken  wir  uns  einen  Leser  des  Markus,  der  von  der  Ge- 
schichte Jesu  nie  etwas  gehört  hat.  Er  wird  sofort  merken, 
dass  die  Messiasfi'age  von  Wichtigkeit  ist,  aber  dass  er  nach 
dem  Evangelium  auf  die  Vorstellung  einer  doppelten  Messias- 
idee, nämlich  einer  von  Jesus  gehegten  geistigen  und  einer 
volkstümlichen  politischen,  geraten  sollte,  ist  völlig  unmöglich. 
Mit  keiner  direkten  Andeutung  hat  sie  der  Erzähler  gestreift. 
Jesus  spricht  sich  darüber  nicht  aus,  er  tadelt  Aveder  Jünger 
noch  Volk  in  dieser  Beziehung,  er  kämpft  anscheinend  weder 
innerlich  noch  äusserlich  gegen  eine  falsche  Messiaserwartung. 
Dem  Volke  merkt  man  es  nicht  an,  dass  es  aus  diesem  Grunde 
Jesus  nicht  nahe  kommt.  Wir  hören  Avohl  von  einem  Gegen- 
satze seiner  Ansichten  zur  Selbstbeurteilung  Jesu.  Aber  er 
liegt  nur  darin,  dass  es  ihn  für  den  wiedergekehrten  Täufer, 
den  verheissenen  Elias,    einen    der  Propheten  hält,  d.  h.  nicht 


44 

für  den  Messias.  Ist  das  alles  zu  verstehen,  wenn  der  Evan- 
gelist hinter  dem  ganzen  Benehmen  Jesu,  soweit  es  sich  um  die 
Messiasfrage  handelt,  den  Gegensatz  gegen  die  politische  Mes- 
siasanschauung als  Haupttriebfeder  denkt?  Er  verrät  uns  doch 
so  mancherlei  z,  B.  über  seine  christologischen  Anschauungen, 
über  die  Sinnesart  der  Gegner  Jesu.  Er  hält  es  für  nötig  seine 
heidenchristlichen  Leser  sogar  über  jüdische  Reinigungsgebräuche 
(Tsf.)  ausdrücklich  zu  unterrichten.  Und  hier  schweigt  er,  als 
ob  sich  dieser  Gegensatz  zur  Messiaserwartung  der  Juden  von 
selbst  verstände? 

Man  wird  mir  die  AVeissagung  vom  Leiden  und  Sterben 
^es  Menschensohnes,  die  —  anscheinend  —  ablehnende  Art 
vom  Prädikat  des  Davidssohnes  su  sprechen  (12  soff.),  auch  den 
Einzug  auf  dem  Friedenstier  und  die  Verhandlung  über  den 
Zinsgroschen  i)  entgegenhalten.  Aber  auch  hier  handelt  es  sich 
nur  um  Texte,  die  mit  dem  fraghchen  Gedanken  interpretiert 
werden,  nicht  um  solche,  die  ihn  aussprechen.  Ich  bestreite  die 
Notwendigkeit,  ja  die  Richtigkeit  der  Interpretation,  ohne  die 
Frage  hier  nach  allen  Seiten  erledigen  zu  wollen. 

Auf  den  leidenden  Messias  komme  ich  zurück.  Der  Esel 
beim  Einzüge  in  Jerusalem  ist  nicht  sowohl  das  Tier  des 
Friedens  als  vielmehr  das  Tier  der  Weissagung  (Sach.  9).  Sollte 
er  aber  noch  den  Charakter  Jesu  kennzeichnen,  so  wäre  ein 
Symbol  für  seine  Sanftmut  und  Demut  durchaus  noch  kein 
Symbol  für  den  unpolitischen  Messias.  Ganz  unbefangen  lässt 
ja  Markus  selbst  das  Volk  bei  dieser  Gelegenheit  vom  Reiche 
des  Vaters  David  sprechen,  das  da  kommt  (11  lo),  und  wer  sagt 
uns,  dass  er  da  nur  an  »ein  Phantasiebild  im  Bewusstsein  des 
Volkes«  denkt?  Das  leuchtet  nur  dann  ein.  wenn  die  fragHche 
Auffassung  für  Markus  schon  anderweitig  feststeht.  Und  auch 
dann  eigentlich  noch  nicht.  Denn  wie  kommt  das  Volk  mit 
seiner  Auffassung  dazu,  in  Jesus  seinen  Messias  zu  sehen,  wenn 
der  Esel  anzeigt,  dass  er  von  der  Volkserwartung  nichts  wissen 
will?  Aber  auch  die  Belehrung  über  den  Christus  als  Herrn 
Davids  ist  m.  E.  ganz  ohne  antipolitische  Tendenz.  Wenn  der 
^Titel  Davidssohn  hier  angefochten  wird,  so  fragt  sich  noch  sehr, 


1)  Über  Davidssolin  und  Zhisgrosclien  z.  B.  Ho  1  tzmann,  Xeutest. 
Tbeol.  I  S.  242  ff. 


45 

ob  es  geschieht,  weil  eine  verkehrte  Meinung  über  die  Art  des 
messianischen  Auftretens  oder  weil  eine  falsche,  eine  zu  niedrige 
Vorstellung  über  die  Herkunft  des  Messias  darin  gefunden 
wird  —  er  ist  nicht  Davids  Sohn,  sondern  Gottes  Sohn.  Sicher 
ist,  dass  in  sehr  alter  christlicher  Zeit  die  zweite  Auffassung 
vorhanden  gewesen  ist.  Das  beweist  der  Barnabasbrief  (12  lof.)  ^). 
Die  Geschichte  vom  Zinsgroschen  endhch  (12i.ifF.)  hat  mit  der 
messianischen  Frage  überhaupt  nichts  zu  thun.  Es  handelt  sich 
darum,  ob  Jesus  sich  jüdisch-patriotisch,  d.  h.  antirömisch  in 
einer  Frage  äussern  wird,  die  jedem  jüdischen  Lehrer,  dem  man 
ein  Bein  stellen  wollte,  ebenso  gut  hätte  vorgelegt  werden 
können. 

Dazu  kommt  positiv,  dass  nach  Markus  selbst  Jesus  die 
Frage  des  Pilatus,  ob  er  der  »König  der  .luden«  sei,  ohne 
Scheu  bejaht  (102,  vgl.  15 9.  12.  is.  26).  Denn  das  ov  Xiyeig  muss 
eine  Bejahung  sein.  Hätte  ein  Erzähler  so  berichtet,  der  in 
Jesus  ständig  den  Gegensatz  gegen  die  jüdische  Volkserwartung 
hineindenkt?  Wenn  irgend  ein  Titel  politische  Farbe  trägt,  so 
ist  es  dieser.  Man  vergleiche  hier  das  Johannesevangelium. 
Dies  bietet  etwas  von  der  vorausgesetzten  Unterscheidung,  wenn 
Jesus  nicht  vom  Volke  zum  König  gemacht  werden  will,  und 
wenn  er  sein  Reich  jedem  weltlichen  Reiche  gegenüberstellt 
(615,  18  33.  36f.).  Ob  das  historisch  betrachtet  ein  Vorzug  ist, 
stehe  dahin.  Aber  dürfen  wir  Markus  ohne  Umstände  nach 
Johannes  auslegen?  Bezeichnend  ist  jedenfalls,  dass  Jesus  bei 
Johannes  dieselbe  Pilatusfrage  nicht  bejaht.  Er  weicht  aus 
und  betont  die  Art  seines  Reiches,  während  er  nach  einer 
weiteren  Frage  den  Titel  »König«  allerdings  in  Anspruch 
nimmt  (18  33 — 37). 

Allein  sollte  die  Auflassung  des  Markus  mit  der  jüdischen 
Messiasvorstellung  identisch  gewesen  sein?  Oder  sollte  er  nur 
eine  einzige  Messiasvorstellung  gehabt  haben?  Gewiss  weder 
das  Eine  noch  das  Andere.  In  einem  wesentlichen  Punkte 
wenigstens  muss  er  sich  eines  Gegensatzes  ziu'  jüdischen  Mes- 
siasvorstellung bewusst  gewesen  sein,  und  natürlich  hat  er  diesen 
Gegensatz  auch  Jesus  selber  zugeschrieben.  Dieser  Punkt  ist 
das  Leiden   und   Sterben    des  Messias.      Aber    der    Gegensatz 

1)  Hierauf  hoffe  ich  an  anderer  SteHc  näher  einzugehen. 


46 

einer  Messiasherrlichkeit  ohue  Leiden  und  einer  andern  mit 
Leiden,  ja  durch  Leiden  ist  ja  etwas  völlig  anderes  als  der 
Gegensatz  einer  geistigen  und  einer  national-politischen  Auf- 
fassung im  üblichen  Sinne.  Mit  jenem  ist  der  Gedanke  an 
messianische  Umtriebe,  Agitation  und  Revolution  keineswegs 
gegeben.  Und  nur  auf  ihn  kommt  es  hier  an.  Denn  nur  auf  ihn 
könnte  sich  eine  Besorgnis  Jesu  gründen,  wie  man  sie  braucht, 
um  seine  Bemühungen,  sich  im  Verborgenen  zu  halten,  zu  motivieren. 

Ob  Jesus  selbst  ein  Messiasbewusstsein  besass,  für  das  die 
Yenieinung  der  Yolkserwartung  wesentlich  w^ar,  soll  hier  wieder 
-gar  nicht  entschieden  werden.  Auch  wenn  es  der  Fall  sein 
sollte,  vei-steht  es  sich  nicht  von  selbst,  dass  Markus  sich  in 
-das  wirkHche  Bewusstsein  Jesu  hineingedacht  hat.  Wäre  das 
Evangehimi  etwa  im  Jahre  90  —  ich  behaupte  es  nicht,  ich 
setze  es  niu'  —  fem  von  Palaestina,  vielleicht  in  Rom  von 
einem  Christen  unbekannter  Herkunft  geschrieben  worden, 
warum  müsste  dieser  Christ  notwendig  einen  Sinn  für  das  Ver- 
hältnis der  Messiasidee  Jesu  zu  der  der  Juden  gehabt  haben? 
Anderweitige  Literatur  belehrt  uns  reichhch,  dass  die  Vor- 
stellungen über  das  Wesen  Christi  alle  möglichen  historischen 
Verhältnisse  des  Lebens  Jesu  überfliegen  konnten. 

Ebenso  wie  die  eben  besprochene  Auffassung  lässt  sich 
übrigens  auch  die  Meinung  in  Zweifel  ziehen,  dass  der  Jesus 
des  Markus  sinnliche  Vorstellungen  vom  Messias  und  seinem 
Reiche  befürchtet  und  bekämpft  habe.  Gewiss  verweist  er  seinen 
Jüngern  den  Ehrgeiz  und  die  Herrschsucht  und  verlangt  das 
demütige  Dienen,  aber  dem  Petrus  verheisst  er  (102of.)  als  Lohn 
der  Selbstverleugnung  sinnliche  Güter,  und  auf  die  Bitte  der 
Zebedaiten  um  die  Ehrenplätze  giebt  er  eine  Antwort,  die 
voraussetzt,  dass  es  solche  Ehrenplätze  giebt  (lOssff,). 

Ich  fasse  das  Ergebnis  dieser  Betrachtungen  zusammen. 
Die  Exegese  hat  das  fort  und  fort,  bis  in  die  letzte  Zeit  wieder- 
holte Gebot  Jesu  von  seiner  Messiaswürde  zu  schweigen  nicht  zu 
erklären  vermocht.  Denn  sie  hat  einen  einleuchtenden,  für  den 
geschichtlichen  Jesus  denkbaren  und  auf  alle  Einzellälle  an- 
wendbaren Beweggrund  nicht  ermittelt.  Sie  hat  dabei  zur 
Interpretation  der  Markusberichte  Anschauungen  verwendet, 
deren  Besitz    für    den  Evangelisten,    um  wenig  zu  sagen,    nicht 


47 

nachgewiesen  worden  ist.  Im  Gninde  hat  sie  sich  aber  um 
Markus  selbst  überhaupt  wenig  gekümmert,  man  pflegt  ihn  ein- 
fach zu  überspringen  und  sich  direkt  ins  Leben  Jesu  zu  ver- 
setzen, und  doch  haben  wir  diese  Nachrichten  nur  aus  Markus. 

Dieser  Thatbestand  ist  ja  kein  zwängender  Beweis,  dass  die 
Berichte  über  Jesu  Gebote  ungeschichthch  sind.  Aber  es 
mutet  einen  doch  schon  an  diesem  Punkte  recht  seltsam  an,  dass 
man  behaupten  konnte,  es  gebe  in  der  ganzen  evangelischen 
Geschichte  wohl  kaum  glaubwürdigere  Nachrichten  als  sie  ^). 
Notwendig  stellt  sich  hier  vielmehr  der  Verdacht  ein,  dass  sie 
ungeschichtlich  sein  könnten;  unter  der  Voraussetzung  der  Un- 
geschichtlichkeit  wäre  dann  vielleicht  die  Erklärung  zu  liefern, 
die  bei  der  entgegengesetzten  Annahme  nicht  zu  gewinnen  war. 

Und  die  Berichte  sind  in  der  That  un geschichtlich,  einer 
■wie  der  andere. 

Zuerst  ist  das  klar  bei  der  Abwehr  der  Dämonen-Huldi- 
gung. Haben  die  Dämonen  Jesus  nicht  als  Messias  begrüsst, 
so  kann  er  es  ihnen  auch  nicht  gewehrt  haben.  Diese  Züge 
fallen  mit  ihrer  Voraussetzung. 

Ein  zweites  Argument  ist  schon  mehrfach  gestreift  worden. 
Das  Evangelium  berichtet  nicht  nur  ausdrücklich,  dass  Jesus 
als  Wunderthäter  weithin  bekannt  war,  es  schildert  nicht  nur 
zahh'eiche  Wunder  in  diesem  Sinne;  auch  die  Wunderge- 
scliichten,  in  denen  die  Verbote  sich  finden,  ruhen  selbst  auf 
dieser  Vorstellung.  Der  Aussätzige,  Jairus.  der  Taubstumme 
und  der  Blinde  kommen  nur  darum  mit  elesus  in  Beriihrung, 
weil  seine  Wunderkraft  in  der  Leute  Munde  ist.  Das  ist  also 
eine  Voraussetzung,  von  der  aus  man  die  Verbote  nach  den 
Wundern  ki'itisieren  darf.  Hat  nun  Jesus  seine  Wunder  als 
Kennzeichen  seiner  Messianität  gedacht,  so  kann  er  an  dem 
Schlüsse,  er  sei  der  Messias,  keinen  Anstoss  genommen  haben; 
d.  h.  die  Verbote  bei  einzelnen  Wundern  werden  unbegreiflich, 
wenn  sie  anders,  wofür  alles  spricht,  messianisch  gemeint  sind. 
Hat  Jesus  hingegen  gar  nicht  daran  gedacht,  dass  seine  Wunder 
Schlüsse  auf  seine  Messianität  zuliessen,  so  werden  die  Verbote 

1)  Baldensperger  S.  243f.  Nicht  wenis^er  stark  hat  sich  schon 
Ewald  ausgedrückt  (Ewald's  Jahrb.  I  S.  117),  untor  dem  Beifall  von 
Hol tz mann  (Synopt.  Evang.  S.  432). 


48 

doch  wiederum  unbegreiflich.  Denu  1)  weshalb  kommt  er  ge- 
rade in  diesen  Einzelfällen  auf  den  Gedanken,  Stillschweigen 
zu  befehlen,  den  er  sonst  nicht  hat?  und  2)  wie  kann  er 
glauben,  durch  seine  Verbote  die  weitreichende  Offenthchkeit 
seiner  Wirksamkeit  unschädlich  zu  machen? 

Drittens  entstehen  eine  Reihe  von  Bedenken  aus  den 
Wunderberichten  selbst,  bei  denen  wir  die  Verbote  finden. 

Die  Heilung  des  Aussätzigen  (1 4ofi.)  kann  die  geschichtliche 
Forschung,  die  Wunder  im  strengen  Sinne  nicht  anerkennt, 
nicht  als  geschichtlichen  Bericht  betrachten  ^) ;  und  wenn  wir 
ein  Quäntchen  des  Wunderhaften  abdingen,  indem  wir  den 
Kranken  bis  zu  seiner  Ankunft  beim  Priester  »allmälig«  ge- 
simden  lassen  ^j,  so  bleibt  die  Sache  dieselbe.  Nun  hat  man 
freilich,  gestützt  auf  die  Beobachtung,  dass  yM&ccQt"Csiv  auch 
rein  erklären  heissen  kann,  aus  der  Heilung  eine  Rein- 
sprechung  durch  Jesus  (als  Grundlage  des  Beiichtes)  gemacht^). 
Aber  was  eine  Reinsprechung  wert  sein  soll,  auf  die  die  eigent- 
Kche  Reinsprechung  durch  den  Priester  erst  noch  folgen  muss, 
bleibt  unklar  ^).  Man  müsste  also  die  Geschichte  erst  noch  von 
diesem  Zuge  säubern.  Indessen  so  oder  so  fällt  das  Verbot 
dahin.  Ist  die  ganze  Geschichte  späterer  Zuwachs  der  Über- 
lieferung, so  das  Verbot  auch.  Ist  die  Reinsprechung  der  Kern, 
so  ist  das  Verbot  unsinnig,  da  es  ja  auf  die  öffentliche  Wirkung 
der  Reinsprechung  ankommt. 

Ich  lasse  jedoch  lieber  die  Kritik  der  Wunderberichte  als 
solcher  aus  dem  Spiel,  fi'age  also  nur,  -uie  sich  die  Verbote 
darstellen,  wenn  das  Wunder  selbst  feststeht. 

Hier  ist  zunächst  die  Geschichte  von  der  Jairustochter  sehr 
klar.  Der  Tod  des  Mädchens  ist  bekannt  geworden,  man  stellt 
Ijereits  die  Totenklage  um  sie  an.  Jesus  vollzieht  dann  im 
Beisein  der  wenigen  Zeugen  die  Erweckung.  Aber  konnte 
dann  durch  die  Entfernung  der  Leute  das  Wunder  vor  der 
Menge  verborgen  werden?     Jeder  musste  ja  hernach  sehen,  dass 


1)  Holtzmann,  HC  z.  St.:  »ein  reines  Allmaclits wunder«. 

2)  B.  Weiss,  L.  J.  I  S.  475,  542. 

3)  Keim  II  S.  174  (nach  dem  Vorgang  des   alten  Paulus),    auch 
Holtzmann  neigt  der  Auffassung  zu. 

4)  So  mit  Eecht  auch  B.  Weiss  S.  543. 


49 

das  Mädchen  lebte,  uiul  jeder  miisste  sclüiesseii,  dass  ihr  Wieder- 
aufleben dem  als  Wundennann  herbeigeholten  Jesus  zu  danken 
war.  Polglich  war  ein  Verbot  Jesu  völlig  zwecklos,  und  weil 
es  zwecklos  war,  ist  es  geschichtlich  verstanden  sinnlos  >).  Es 
ist  hinzuzufügen,  dass  jede  Auffassung  des  Verbots  von  diesem 
Einwand  betroffen  wird. 

Ganz  dasselbe  ist  von  der  Heilung  des  Taubstummen  zu 
sagen.  Auf  den  Gedanken,  durch  Isoherung  des  Kranken  und 
nachfolgende  Weisung  das  Ruchbarwerden  der  Heilung  zu  ver- 
hindern, konnte  Jesus  überhaupt  nicht  verfjJlen. 

Bei  der  Heilung  des  Blinden  scheint  der  Befehl:  gehe 
nicht  in  den  Flecken,  etwas  mehr  Erfolg  zu  versprechen.  Denn 
so  wird  der  Blinde  von  den  Leuten,  die  ihn  zu  Jesus  gebracht 
haben,  ganz  fern  gehalten.  Aber  er  wird  gleichzeitig  in  sein 
Haus  geschickt.  Liegt  denn  das  Haus  nicht  im  Flecken? 
Davon  ist  nichts  gesagt,  und  der  Gedanke  liegt  fern,  obwohl 
die  Erklärer  ihn  ohne  Weiteres  einschieben  2).  Wie  soll  denn 
der  Kranke  in  sein  Haus  gehen,  ohne  den  Flecken  zu  be- 
rühren? wie  soll  er  im  Hause  den  Leuten  verborgen  bleiben? 
Das  sieht  auch  nicht  nach  Geschichte  aus. 

Bei  der  Geschichte  vom  Aussätzigen  wird  das  Verbergen 
des  Wunderthäters  denkbarer.  Denn  hier  ist  von  Bekannten 
und  Verwandten  des  Kranken  nicht  die  Rede;  namenthch  aber 
kann  die  Weisung,  er  solle  sich  dem  Priester  zeigen  und  das 
vorgeschriebene  Reinigungsoj)fer  darbringen,  als  ein  wirksames 
Mittel  erscheinen,  die  Aufmerksamkeit  von  Jesus  abzulenken. 
Denn  dies  und  nur  dies  wird  der  Sinn  dieser  Aufforderung 
sein:  Jesus  —  d.  li.  der  Jesus  des  Markus  —  will  sich  hinter 
dem  Ausspruch  des  Priesters  verstecken  ^).     Eben  darum  freilich 

1)  Schon  Bleek,  Synopt.  Erklärung  der  drei  ersten  Evangelien 
(18()2),  I  S.  403  sagt  ganz  ehrlich,  dass  nach  der  Weise,  wie  es  sich 
hegeben  hatte,  ein  solches  Ereignis  in  einem  Orte  wie  Kapernauni  un- 
möglich verborgen  bleiben  konnte.  Es  folgt  dann  freilieh  der  matte 
Zusatz:  es  könnte  nur  allenfalls  gemeint  sein,  dass  sie  nicht  eigends 
darauf  ausgehen  sollten,  es  weit  und  breit  zu  verkündigen.  S.  auch 
Keim  II  8.  471  und  Holt/mann  z.  St. 

2)  z.B.  B.  Weiss,  L.  .1.  II  Ö.  238,  Holtzmann  z.  St.  Anders  un.l 
richtig  B.  Bauer,  Krit.  d.  Evang.  III  S.  336. 

3)  Das  «AA«  vnayf  y.ik.  ist  der  einfache  (Jegensatz   des  oqk  fujthvl 
Wrode,  Mossiasgehoimnis.  ^ 


50 

wird  das  Verfahren  Jesu,  das  hier  erzählt  wird,  nach  anderer 
Richtung  gerade  stark  befremden.  Daneben  verdient  erwähnt 
zu  werden,  dass  das  Verbot  eng  mit  einem  Zuge  verbunden  ist, 
der  selbst  wenig  glaubwürdig  scheint.  Der  Aussätzige  missachtet 
Jesu  Wort  und  breitet  die  Wunderthat  wie  zum  Trotze  aus. 
Ein  eigentümliches  Benehmen  gegen  den  "Wohlthäter  und  gerade 
kein  Zeugnis  für  die  Autorität  Jesu.  Der  Zug  kehrt  aber  736 
wieder,  und  eine  weitere  Parallele  scheint  es  zu  sein,  wenn  es 
7  24  heisst: 

In  ein  Haus  eingetreten,  wollte  er  (Jesus),  dass  es  niemand 
erfahre,    und    er    vermochte    nicht    verborgen    zu 
bleiben. 
Diese  Stereotj-pie  redet  deutlich. 

Viertens  ist  für  alle  Verbote,  die  vordem  Petrusbekenntnis 
liegen,  noch  die  Frage  nach  dem  Wissen  des  Evangelisten  zu 
erheben. 

Will  man  den  Thatbestand  nicht  verschieben,  so  darf  man 
nicht  blos  sagen,  Jesus  habe  nach  Markus  bis  zu  diesem 
Momente  von  seiner  messianischen  Würde  geschwiegen,  und  das 
sei  jedenfalls  in  bester  Übereinstimmung  mit  der  Bedeutung  des 
Bekenntnisses  selbst.  Markus  sagt  nicht,  Jesus  habe  geschwiegen, 
sondern  er  habe  geschwiegen,  obwohl  er  sich  als  Messias 
wusste,  und  er  habe  durch  bestimmte  Handlungen  —  eben 
die  Verbote  —  seine  Absicht  zu  schweigen  kundgethan.  Ein 
Wissen  von  diesem  bewussten,  den  messianischen  Anspruch  ein- 
schliessenden,  aktiven  Schweigen  konnte  ohne  besondere  Kunde 
nicht  überhefert  werden.  Woher  hatte  man  Kunde,  wenn  Jesus 
sich  in  Schweigen  hüllte?  Vielleicht  von  den  Jüngern?  Nehmen 
wir  an,  sie  seien  Zeugen  der  Verbote  gewesen.  Dann  ist  ihnen 
der  Gedanke,  Jesus  sei  der  Messias,  so  nahegerückt,  so  glaub- 
würdig nahegerückt  worden,  dass  man  nicht  mehr  versteht,  weshalb 
sie  ihn  selbst  erst  so  spät  finden,  und  dass  das  Bekeimtnis  des 
Petrus  seine  Spontaneität  jedenfalls  völlig  einbüsst.  Nach  der 
gewöhnlichen  Voraussetzung  können  also  die  Jünger  als  Zeugen 
gar  nicht  in  Betracht  kommen.  Woher  weiss  dann  Markus 
Bescheid?     Woher  hat  er  Berichte,    die  in  Wahrheit  sogar  ein 


f^TjSfv  (inrjs.  Gesetzliche  Tendenzen  liegen  m.  E.  fern.  Das  ds  fictQTiiQiov 
avTots  bedeutet,  dass  die  Leute  an  dem  Spruche  des  Priesters  eine  Er- 
klärung für  die  Eeinheit  des  Kranken  haben  sollen,  die  sie  zufrieden  stellt. 


51 

"Wissen  um  die  Absicht  Jesu  voraussetzen,  das  die  Erkenntnis 
seiner  Messianität  bereits  einschliesst?  Jesus  muss  nach  dem 
Jüngerbekenntnis  einen  förmhchen  Unterricht  über  eine  grosse 
Zahl  seiner  früheren  Wunderthaten  gegeben  haben,  Oder  die 
Geheilten  müssen  ihre  Erlebnisse  an  eine  Art  Zentralstelle 
gemeldet  haben,  damit  nur  ja  alles  in  das  älteste  Evangelium 
gelange.  Es  giebt  Kritiker,  die  sich  in  ähnlichen  Fällen  mit 
solchen  Auskünften  beschwichtigen.  Die  meisten  werden  an 
diese  Art  der  Überlieferung  nicht  glauben,  aber  die  Frage,  wie 
berichtet  werden  konnte,  was  belichtet  wird,  werfen  sie  selten  auf. 

Vielleicht  Hesse  sich  ausser  den  genannten  Argumenten 
noch  Anderes  gelten  machen.  Aber  auf  Gründe  wie  dass  der 
Mitwisser  im  Verlaufe  der  Erzählung  ein  wenig  viel  werden, 
dass  die  Jünger  eines  wiederholten  Verbots  gar  nicht  mehr 
hätten  bedürfen  sollen,  lasse  ich  mich  lieber  nicht  ein. 

Sämtliche  Nachrichten  über  die  Verbote  Jesu,  soweit  sie 
vor  dem  Jüngerbekenntnis  liegen,  erweisen  sich  somit  aus  mehr 
als  einem  Grunde  als  unglaubwürdig.  Damit  entsteht  der 
dringende  Verdacht,  dass  es  sich  mit  den  wenigen  übrigen  ebenso 
verhält.  Bei  der  Stelle  99  muss  solcher  Verdacht  ohnehin  auf- 
treten. Wird  ein  Wort  historisch  sein,  das  seinen  Halt  nur  in 
der  Verklärungsgeschichte  hat,  und  das  Jesus  obendrein  die  Vor- 
aussicht seiner  Auferstehung  in  den  Mund  legt?  Ich  prüfe  das 
nicht  weiter.  Der  Verdacht  wird  ohnehin  zur  Gewissheit,  wenn 
die  Anschauung  des  Markus  selbst  ermittelt  ist.  Denn  in  der 
Anschauung  des  Markus  muss  die  Erklärung  liegen,  wenn  die 
Geschichte  sie  versagt.  Ehe  wir  jedoch  nach  dem  Gedanken 
des  Markus  fragen,  berühren  wir  gewisse  andere  Nachrichten, 
die  mit  den  besprochenen  nahe  verwandt  sind. 


Verwandtes.    Die   Verhüllung  durch  Rätselrede. 

Zweimal,  bei  der  Auferweckung  der  Tochter  des  Jairus  und 
hei  der  Verklärung,  fanden  wir  die  Absicht  Jesu,  sein  Geheim- 
nis zu  wahren,  auch  darin  ausgedrückt,  dass  er  nur  die  drei 
vertrautesten  Jünger  mit  sich  nimmt.  Dies  geschieht  aber  auch 
bei  dem  Gebetskampfe  in  Gethsemane.  Ist  dieser  Zug  etwa 
ähnlich  zu  beurteilen  ?  Geben  die  drei  Vertrauten  nach  der  Vor- 

4* 


52 

Stellung  des  Markus  dieser  Szene  den  Charakter  des  Geheimen 
und  Geheimnisvollen? 

Die  Frage  drängt  sich  noch  an  zwei  weiteren  Stellen  auf.  Bei 
der  Heilung  der  Schwiegermutter  des  Petras  gehen  mit  Jesus  die 
beiden  Biüdeipaare  Simon  und  Andreas,  Jakobus  und  Johannes 
ins  Haus  (l29tf,).  Für  Simon  und  Andreas  ei-scheint  das  solort 
verständhch,  da  das  Haus  als  ihr  eigenes  bezeichnet  wird.  Die 
Mitnahme  des  Jakobus  und  Johannes  ist  gewiss  auch  wenig 
auifallend,  da  gerade  zuvor  diese  Beiden  zusammen  mit  dem 
andern  Paare  berufen  sind.  Trotzdem  könnte  der  Erzähler  den  Ge- 
danken haben,  dass  diese  vier  Vertrauten  die  rechten  Assistenten 
bei  einem  geheimnisvollen  Akte  Jesu  sind.  Allerdings  ist  von 
einer  Aufforderung  Jesu  mitzugehen  durchaus  nicht  die  B,ede. 

Ebenso  fehlt  eine  Initiative  Jesu  in  dem  anderen  Falle^ 
wo  er  den  gleichen  ^•ier  Jüngern  eine  Belehi-ung  giebt.  Zu 
ihnen  nämlich  wird  nach  Markus  die  grosse  eschatologische 
Rede  gesprochen  (13  3  f.).  Sie  locken  sie  hervor  durch  ihre  Frage 
nach  dem  Wann  der  von  Jesus  geweissagten  Zerstörung 
des  Tempels  und  nach  dem  Zeichen  für  das  Eintreten  der 
Zukunftsereignisse.  Hier  fällt  aber  auf,  dass  der  Erzähler  betont^ 
die  Jünger  hätten  Jesus  allein  {/.az  löiav)  gefi-agt.  Soll  die 
eschatologische  Rede  als  eine  Geheimlehre  hingestellt  werden? 

Ahnliches  hören  wir  wiederum  ül^er  den  ganzen  Jüngerkreis. 
Jesus  redet  luK  über  das,  was  den  Menschen  verunreinigt  und 
nicht  verunreinigt,  und  die  Jünger  fi'agen  ihn  nach  dem  Sinn 
der  jtaqa^oKy].  Das  geschieht  aber  nach  der  ausdrücklichen 
Angabe  des  Markus, 

als  er  ins  Haus  gegangen  war  vom  Volke  weg. 
Xach  der  Heilung  des  besessenen  Knaben  fragen  sie  ihn  wieder 
■/.aT    löiav : 

warum  konnten  wir  ihn  (den  Geist)  nicht  austreiben? 
und  auch  hier  wird  dabei  bemerkt  (9  2s): 

nachdem  er  ins  Haus  gegangen  war. 
Ein  drittes  Mal  heisst  es  nach  der  an  die  Phaiisäer  gerichteten 
Belehrung  über  die  Ehescheidung  (lOioV. 

und    im  Hause'  (eig  ti]v  ohiar)  fragten  ihn  die  Jünger 

wieder  hierüber. 
Er  aber  stellt  seinerseits  bei  seinem  letzten  Besuche  in  Kapharnaum 
(933)  erst  dann  die  Frage: 


53 

was  verhandeltet  ihr  unterwegs? 
als  er  »im  Hause  angekommen«  ist  {ev  rij  ohda  yevo^evogy). 

In  der  Frühe  des  Tages,  der  auf  die  l-isff.  berichteten 
Heilungen  folgt,  geht  Jesus  von  Kapharnaum  fort  und  begiebt 
sich  an  einen  einsamen  Ort  (la5).  Das  Motiv  dafür  scheint 
angegeben  mit  den  folgenden  Worten: 

und  er  betete  dort. 
Allein  als  Petrus   und  seine  Gefährten  ihm   dann  melden,   dass 
alle  ihn  suchten,  kehrt  er  nicht  zurück,  obwohl  man  anscheinend 
weitere     Segnungen     von     seiner    Heilkraft     begehrt,     sondern 

spricht  (l38): 

lasst  uns  in  die  benachbarten  Marktflecken  ziehen, 
damit  ich  auch  dort  predige.  Denn  dazu  bin  ich  aus- 
gegangen. 
Das  klingt  ganz  ähnhch  wie  der  Schluss  der  folgenden  Geschichte 
vom  Aussätzigen  (I45).  Er  hat  dem  Kranken  Schweigen  be- 
fohlen, der  breitet  die  Kunde  von  der  Wunderthat  erst  recht 
aus.     Deshalb,  fährt  der  Erzähler  fort, 

konnte  er  nicht  mehr  offen  in  eine  Stadt  gehen, 
sondern  er  hielt  sich  draussen  an  einsamen  Orten  auf. 
Dorthin  kam  man  dann  freilich  wieder  von  allerwäris.  Ton 
einem  Rückzuge  Jesu  (ave^w'^^ff«»')  berichtet  auch  3t.  Jesus 
geht  ans  Meer.  Es  geschieht  das,  nachdem  die  Pharisäer  mit 
den  Herodianern  einen  Anschlag  gegen  ihn  gemacht  haben  (Se). 
Am  Meer  wird  er  von  grossen  Volksmassen  belagert,  und  er 
lässt  die  Jünger  ein  Schiff  bereit  halten 

der  Menge  wegen,  damit  sie  ihn  nicht  bedrängten. 
Er  macht  freihch  von  dem  Schiffe  keinen  Gebrauch,  sondern 
geht  nach  3 13  auf  »den«  Berg.  Hängen  diese  Nachrichten  ä) 
von  Versuchen  Jesu,  sich  der  Menge  zu  entziehen,  vielleicht 
auch  mit  seinem  Bestreben  zusammen,  sich  ins  G-eheimnis  zu 
hüllen  ? 

Ich  habe  nur  Fragen  ausgesprochen  und  wollte  nur  Fragen 
aussprechen.  Eine  sichere  ßeui-teilung  dieser  Züge  ist  hier  un- 
möglich.    Dass   manches   auffällig   khngt,   wird  man   vielleicht 


1)  Vgl.  hier  auch  724:   x«(  tiafX&wv  di  oixCav  ovS^vn  rif^ii-fv  yvüJvat. 

2)  631  f.  übergehe  ich  mit  Absicht. 


54 

zugeben.  Indessen  ist  damit  nicht  viel  gesagt.  Aufsuchen  der  Ein- 
samkeit und  Zurückweichen  oder  vertraute  Gespräche  mit  Jüngern 
sind  Dinge,  die  an  sich  nichts  Unnatürliches  haben,  und  die 
sehr  verschiedene  Giünde  haben  können.  Markus  braucht  daher 
mit  solchen  Bemerkungen  nicht  gerade  etwas  sagen  zu  wollen. 
Femer  brauchen  diese  Nachrichten  für  Markus  nicht  auf  einer 
Linie  zu  stehen.  Es  wäre  so  jedenfalls  voreilig,  über  ihren  ge- 
schichtlichen Wert  abzusprechen.  Diese  Dinge  im  Auge  zu 
behalten  wird  aber  nützUch  sein.  Wir  werden  später  auf  sie 
zurückkommen. 


Ein  anderer  Punkt  steht  dagegen  in  ganz  unverkennbarem 
Zusammenhange  mit  dem  Gedanken  der  messianischen  Selbst- 
verhüllung Jesu,  und  über  ihn  lässt  sich  auch  das  historische 
Urteil  mit  grosser  Entschiedenheit  aussprechen.  Hierauf  gehen 
wii'  daher  sofort  näher  ein. 

Es  handelt  sich  um  die  eigenartigen  Angaben,  die  Markus 
über  die  Ursache  der  parabohschen  Lehrweise  Jesu  macht.  Es 
heisst  nach  dem  Gleichnis  vom  Säemaun 

4 10 — 13:  loXJnd  als   er   allein    {/.ara  f^ovag)    war,    fragte 
ihn  seine  Umgebung  {ol  tieql  avzovy)  samt  den  Zwölfen 
nach    den     Parabeln.         "Und    er    sprach    zu     ihnen: 
euch    ist    das    Geheimnis    des   Reiches    Gottes    zu  Teil 
geworden     {dldoTaL)\     jenen    aber,     die     di'aussen    sind 
(rolg    *?w)j    kommt   alles    in   Parabeln  zu,    ^^(Jaiiiit   sie 
»sehend    sehen    und   doch   nichts  erbhcken    und   hörend 
hören  und  doch  nichts  verstehen,  auf  dass  sie  nicht  um- 
kehren und  ihnen  Vergebung  werde«.     i^UmJ  er  spricht 
zu  ihnen :  ihr  vei-stehet  diese  Parabel  nicht,  wie  wollt  ihr 
alle  Parabeln  erkennen? 
Es    folgt    hierauf    die    Deutung    der    Parabel    vom    Säemann 
nebst  einer  Reihe  von  Sprüchen  und  zwei  weiteren  Gleichnissen. 
Dann    lautet   der   Abschluss   der   ganzen  einheithch    gedachten 
Perikope : 

433.  si:    33Un(j  ji^it  einer  Menge   solcher  Parabeln  redete 
er  zu  ihnen  das  Wort,   wie  sie  es  zu  hören  vermochten; 


1)  D.  h.  sein  Anhang,  vgl.  334  (Holtzmann). 


55 

34  ohne  Parabel  aber  redete  er  nichts  zu  ihnen,  seinen 
vertrauten  1)  Jüngern  aber  gab  er,  wenn  sie  allein  waren 
(xttT    löiav),  für  alles  die  Auflösung  {euelvEv). 

In  diesem  Texte  ist  mit  aller  Klarheit  der  Gedanke  aus- 
gesprochen, dass  Jesus  sich  dem  Volke  gegenüber  mit  seiner  Lehre 
ins  Geheimnis  hüllt.  In  dieser  Tendenz  spricht  er  in  Parabeln 
und  ausschliesslich  in  Parabeln  (V.  33)  zur  Menge,  absichthch 
bietet  er  ihr  alles  gerade  in  dieser  Form;  weil  für  diese  Form 
wesentlich  ist,  dass  sie  unverständlich  ist,  die  Hörer  zwar  etwas 
vernehmen  lässt,  aber  so,  dass  sie  den  Sinn  nicht  erfassen 
können. 

Ich  brauche  diese  Exegese  nach  Jülichers  vortrefflichen 
Darlegungen^)  nicht  von  Neuem  zu  begründen.  Alle  Versuche, 
dem  Gedanken,  dass  die  Form  der  parabohschen  Lehrweise 
als  solche  das  Dunkle  und  das  dunkel  Machende  ist,  seine 
Schärfe  zu  nehmen,    hat  er   bereits  völlig  ausreichend  widerlegt. 

Offenbar  ist  dann  der  Ausdruck  Tiagaßoltj  für  Markus  ganz 
gleichwertig  mit  Rätsel.  Wer  als  Parabelausleger  sich  für  die 
Frage  interessiert,  wie  die  Evangelisten  die  Gleichnisse  Jesu 
behandeln,  kann  zwar  nicht  ohne  Hecht  sagen,  dass  sie  sie  wie 
Allegorien  betrachten.  Aber  für  ihr  Bewusstsein  und  für  die 
Charakteristik  ihrer  Anschauung  ist  nicht  dies  das  Wesentliche, 
sondern  dass  es  sich  um  Hätselbilder  handelt. 

Der  Gedanke,  dass  Jesus  dem  Volke  die  Lehre  durch 
Gleichnisrede  verbirgt,  hat  seine  Kehrseite  in  dem,  was  von  den 
Jüngern  gesagt  wird.  Markus  scheidet  in  aller  Form  zwischen 
einer  esoterischen  und  exoterischen  Belehrung  Jesu.  Den  Jüngern 
ist  nämlich  das  Geheimnis  des  Reiches  Gottes  gegeben  worden. 
Man  darf  das  im  Sinne  des  Evangehsten  nicht  erklären:  die 
Jünger  haben  durch  ihren  Anschluss  an  Jesus  bereits  be- 
wiesen, dass  ihnen  irgend  welches  Verständnis  vom  Wesen  des 
Reiches  geschenkt  ist 3).  Auf  die  Aktivität  der  Jünger  kommt 
es  hier  in  keiner  Weise  an,  und  »irgend  welches  Verständnis« 
vom  Wesen  des  Reiches  ist  sicher  ein  ungenügendes  Äquivalent 
für  tÖ  (xvarriQiov  v^g  ßaaiXelag  tov  d-eov*).    Im  Gegenteil,  der 


1)  So  darf  man  vielleicht  das  idtoig  wiedergeben. 

2)  Jülicher,  Gleichnisreden  .Jesu  I '■*  bes.  S.  118 — 148. 

3)  So  Holtzmann,  HC   z.  St. 

4)  Der  Fehler  liegt  darin,   dass  Holtzmann   eine  Frage  erwägt,. 


56 

Satz  will  sagen:  ihnen  ist  bereits  das  Ganze  mitgeteilt  worden, 
oder  das,  was  den  entscheidenden  Hauptpunkt  aller  Erkenntnis 
bildet. 

Nach  diesem  Wort  über  die  Jünger  kann  man  die  Behand- 
lung des  Volkes  auch  durch  den  Satz  ausdrücken :  ihm  wird 
das  Geheimnis  des  Gottesreiches  vorenthalten. 

Was  ist  das  Geheimnis  des  Gottesreichs  ? 

Man  erklärt:  das  geheimnisvolle  Wesen  des  Gottesreiches, 
wie  es  in  den  Parabeln  Jesu,  z.  B.  der  vorangehenden 
vom  Säemann,  enthalten  ist,  also  die  in  den  Gleichnissen  vom 
Himmelreiche  verborgene  Lehre ').  Diese  Deutung  ist  abzulehnen. 
Eine  spezielle  Beziehung  der  allgemeinen  Sätze  4io — 12  auf 
bestimmte  Gleichnisse  existiert  gar  nicht.  Auch  wenn  Markus 
kein  einziges  Gleichnis  mitteilte,  wenn  er  nm-  allgemein  von  Jesu 
Parabellehren  berichtete,  hätte  er  genau  ebenso  schreiben  können. 
Denn  jene  Sätze  beziehen  sich  nur  auf  diesen  Gedanken  der 
Gleichnisrede  überhaupt.  Der  beste  Beweis  ist  das  deöotai^). 
Das  kann  nicht  mnschrieben  werden:  euch  ist  beschieden  worden, 
durch  Deutung  der  Parabeln  das  in  ihnen  nieder- 
gelegte Geheimnis  zu  erfahren.     Wenn  Mt.  13 11  lautet: 

vfAiv    deöozai    yvcjvai    rd   ^vaTrJQia    rf^g    ßaaileiag    tcov 
oiQavwv, 
so  haben  wir  hier  allerdings  diesen  Gedanken.    Aber  Matthaeus 
sagt  eben  nicht  umsonst  yvcovat.  und  nicht  umsonst  r«  (.tvortjoi  a; 
auch  bildet  er  recht  verständig  den  Gegensatz: 

l-ABivoig  öe  Ol  öedoiaL'^). 
Bei  Markus    ist    die    stillschweigende   Ergänzung    eines  solchen 
yvojvai  nicht   nur  willküi-hch,    sie  vernichtet    auch    den  schönen 


die  den  Evangelisten  nicht  gekümmert  hat:  was  haben  die  geschichtlichen 
Jünger  damals  schon  an  Erkenntnis  haben  können?  Markus  denkt 
hier  nicht  historisch. 

1)  Vgl.  B.  Weiss,  Das  Markusevang.  und  bei  Meyer  ^  z.  St. 

2)  Jülich  er  I  S.  124. 

3j  Luk.  810  hat  zu  denselben  Worten  den  viel  mangelhafteren 
Gegensatz:  rotg  St  lomoig  iv  naQaßoluTg.  Man  kann  ja  auch  in  diesen 
Text  einen  Sinn  bringen  (Jülicher  I  S.  127  und  J.  Weiss  bei  Meyer, 
Lukas  *  z.  St.).  Aber  der  Eindruck  bleibt,  dass  die  beiden  Hälften 
nicht  zu  einander  passen.  Den  Grundsatz:  das  Schwierigere  das 
Ursprünglichere  (.1.  Weiss),  darf  man  hier  nicht  anwenden. 


57 

Gegensatz  seines  Textes.  Denn  »euch  ist  es  beschieden  den 
Geheinisinn  der  Parabeln  zu  erfassen,  den  anderen  aber  konnnt 
alles  in  Parabeln,  in  dunkler  Rede  zu«  —  ist  ein  schlechter 
Gegensatz.  Der  Evangelist  sagt  statt  dessen:  ihr  habt  Klarheit 
"über  das  Tiefste  und  Höchste  bekommen,  die  draussen«i)  tappen 
im  Dunkeln  und  sollen  es^). 

Was  das  Geheimnis  des  Reiches  Gottes  ist,  sagt  der  Er- 
zähler nicht,  er  setzt  a])er  voraus  oder  lässt  Jesus  voraussetzen, 
dass  der  Begrift'  bekannt  und  klar  ist.  Für  uns  ist  der  Inhalt 
und  Umfang  des  Begriffes  zunächst  unbestimmt.  Und  der 
Genetiv  zr^g  ßaailsiag  rov  d^eov,  der  auf  to  f^ivar^Qinv  folgt,  giebt 
in  diesem  Fall  keine  Begrenzung,  die  sich  nicht  ohnehin  von 
selbst  verstände 3).  Denn  m.  E.  liegt  hier  irgend  Avelches  konkrete 
Bild  einer  ßaaileia  rov  d-eov  gar  nicht  mehr  vor.  Die  Frage, 
ob  es  sich  um  ein  gegenwärtiges  oder  zukünftiges  Reich  handle, 
ist  daher  von  vornherein  gegenstandslos.  Ebenso  muss  man  hier 
nicht  vom  »Wesen«  des  Reiches  sprechen.  Der  Ausdruck  ist  be- 
reits ganz  formelhaft  und  daher  ebenso  wenig  eine  Verdeutlichung, 
als  wenn  vom  {.ivaTijQiov  tov  d^sov  oder  rfjg  TtlotEcog   die  Rede 


1)  Weshalb  dieser  Ausdruck  nicht  eigentlich  und  räumlich  zu 
verstehen  sein  soll  (J.  Weiss,  Die  Parabelrede  bei  Markus.  Stiidd.  und 
Kritt.  1891,  S.  298,  300  (nach  Fein  e,  Jahrbb.  f.  prot.  Theol.  XIV  S.  412  f.), 
auch  Jülicher  I  S.  122,  der  hier  die  erste  Aufl.  S.  126  m.  E.  nicht 
verbessert^),  sehe  ich  nicht  ein.  Jesus  ist  von  Markus  nach  V.  10  in 
der  Einsamkeit  mit  seinen  Vertrauten  gedacht.  Die  andern  sind  dem 
gegenüber  in  der  That  »draussen«.  Markus  könnte  sogar  stillschweigends 
an  einen  Aufenthalt  im  Hause  gedacht  haben  (vgl.  7 17  ff.).  Beim  Aus- 
sätzigen (l4ofF.)  pflegt  man  einen  solchen  auch  vorauszusetzen,  obwohl 
davon  direkt  nichts  gesagt  ist.  Die  Frage  ist  ohne  Belang,  aber  wenn 
Markus  »Jesus  hier  geradezu  von  den  ,, Ungläubigen"  im  Gegensatze 
zur  christlichen  Gemeinde«  reden  Hesse,  so  wäre  das  ein  Stilfehler,  den 
ich  nicht  ohne  Grund  bei  ihm  annehmen  möchte. 

2)  J.  Weiss  hat  in  der  eben  zitierten  Abhandlung  S.  298  f.  (vgl. 
auch  Die  Predigt  Jesu  vom  Eeiche  Gottes  "■'  S.  45)  die  Hypothese  ver- 
treten, Mr.  4 IIa  ruhe  auf  einem  älteren  Texte,  der  in  Mt.  13iia  {yvcHvai) 
und  bei  Luk.  noch  vorliege.  Ich  halte  das  nicht  für  annehmbar,  gehe 
jedoch  nicht  darauf  ein,  da  ich  prinzipiell  in  dieser  Arbeit  mich  an  den 
gegebeiu'n  Text  des  Markus  halte.     S.  übrigens  Jülicher  I  S.  129  f. 

3)  Beachte  die  Stellung  des  Genetivs  hinter  ö^i^orut,  die  ihn  tonlos 
macht. 


58 

wäre,  oder  als  wenn  ynr  vom  Geheimnis  -des  Christentums« 
sprächen.  Man  verbaut  sich  ohne  diese  Annahme  geradezu  das 
Vei-ständnis.  Denn  man  muss  dann  notwendig  fragen,  was  denn 
am  Reiche  Gottes  das  Geheimnisvolle  sei,  und  kann  eine  rechte 
Antwort  darauf  nicht  finden.  Bedenkhch  wäre  die  Auslegung 
freilich,  wenn  sie  einen  ganz  snigulären  Gebrauch  von  ßaoiXeia 
Tov  O^toc  voraussetzte.  Aber  es  giebt  nicht  wenige  Stellen  in. 
den  E  van  gehen  und  in  der  Apostelgeschichte,  wo  derselbe  formel- 
hafte Gebrauch  angenommen  werden  muss^). 

Der  nähere  Sinn  des  fivoTrJQinv,  ^vie  Markus  ihn  denkt,  kann 
also  nur  nach  seiner  Gesamtauffassung  bestimmt  werden.  Da 
dürfte  es  sachHch  ja  recht  zutreffend  sein,  weim  Stellen  wie- 
Eph.  I9,  Kol.  I25  ff.,  22  f.  u.  a.  als  Parallelen  herangezogen 
werden^),  und  danach  erklärt  wird:  das  Mystenum  ist  Christus 
selber.  Immerhin  ist  es  gut,  zunächst  bei  Markus  stehen  zu 
bleiben.  Hier  ergiebt  sich  nun  eigentlich,  dass  die  gesamte 
Lehre  Christi  unter  den  Begriff  fällt.  Denn  wenn  ;:die  draussen« 
alles  »in  Gleichnissen«  erhalten,  wenn  sie  also  von  der  Lehre 
Christi  im  Grunde  gar  nichts  fassen  können,  so  muss  eben  alles 
eigentlich  Geheimlehre  sein. 

Ich  glaube,  dies  Urteil  lässt  sich  auch  nach  andern  Stellen 
aufrecht  erhalten.  Es  schhesst  aber  nicht  im  Geringsten  aus, 
dass  für  Markus  gewisse  Dinge  der  eigentliche  Kern  des 
Mysteriums  sind,  dass  er  an  sie  vorzüglich  denkt,  wenn  er  das 
AVort  gebraucht. 

Hieriiber  haben  wir  einstweilen  soviel  erfahren,  dass  ein 
Hauptstück  dieses  Mysteriums  lautet:  Jesus  ist  der  Messias,  der 
Sohn  Gottes.      Wenn  Jesus  sich  nach  Markus  als  Messias  ver- 


1)  Das  Gleichnis  vom  Schalksknechte  handelt  z.  B.  nach  der  Über- 
schrift (Mt.  I823)  vom  Himmelreiche.  Eine  Anschauung  vom  Keiche 
lässt  sich  ihm  aber  keineswegs  entnehmen.  Und  schon  Titius,  Jesu 
Lehre  vom  Keiche  Gottes  (Neutestam.  Lehre  von  der  Seligkeit  I)  S.  179 
hat  mit  Eecbt  darauf  hingewiesen,  dass  in  der  Apostelgeschichte  sehr  oft 
:>der  Ausdruck  Keich  Gottes  als  ganz  allgemeine  und  zusammenfassende 
Bezeichnung  für  den  Inhalt  der  Predigt  des  Evangeliums«  gilt.  VgL 
z.  B.  die  Wendung  If'yfiv  [tvayytXd^iaUui,  xriovaaitv)  Tic  nfoi  Tfjg  ßaaiXttctg^ 
ToC  diov  Act.  I3,  812,  198. 

2)  J.  AVeiss,  Studd.  u.  Kritt.  1891  S.  301,  auch  B.  Weiss  bei 
Meyer  z.  St. 


59 

birgt,  so  haben  wir  das  Recht,  das  f.iioiriQiov  rr^g  ßaoiketag  toi 
i^eoc  durch  diese  Thatsache  zu  interpretieren  '). 

Markus  spricht  in  unserm  Texte  noch  einen  zweiten  Ge- 
danken aus.  Er  ist  mit  dem  besprochenen  verwandt,  darf  aber, 
wie  schon  angedeutet  ist,  nicht  mit  ihm  identitiziert  werden. 
Die  Jünger  stehen  nämhch  auch  darin  über  dem  Volke,  dass 
sie  eine  Auslegung  der  Gleichnisse  erhalten.  Natürlich  ent- 
halten ja  die  Gleichnisse  Jesu,  trotzdem  sie  eigentlich  nur  des 
Volkes  wegen  da  sind,  tiefe  Gedanken  ^j.  Den  Jüngern  werden 
sie  erschlossen. 

Diese  Vorstellung  würde  also  dem  Texte  des  Matthaeus 
(13  u)  entsprechen.  Die  Parabeln  enthalten  hiernach  auch  und 
im  Besondern  Geheimlehre,  die  für  die  Jünger  bestimmt  ist. 

Man  wird  fragen,  was  in  den  Gleichnissen  das  Geheimnis- 
volle ist.  Es  ist  zu  bezweifeln,  dass  Markus  sich  darüber  Ge- 
danken gemacht  hat,  oder  dass  er  einen  besondeni  Inhalt  als 
geheime  Lehre  gedacht  hat. 

Weshalb  soll  eigentlich  die  Lehre  des  Gleichnisses  vom 
Säemann,  väe  sie  der  Evangehst  in  der  mitgeteilten  Deutmig 
giebt,  geheimnisvoller  sein  als  irgend  etwas  anderes,  was  Jesus 
sonst  verkündet?  Was  ist  besonders  geheimnisvoll  daran,  dass 
das  Wort  Gottes  bei  den  verschiedenen  Menschen  einen  ver- 
schiedenen Erfolg  hat,  oder  dass  Stumpfsinn,  Leichtsinn  und 
Weltsinn  um  die  Frucht  des  Wortes  betrügen?  Es  ist  wichtig, 
dass  man  hierauf  keine  befriedigende  Antwort  geben  kann.  Denn 
es  stellt  den  Sinn  des  Evangelisten  klar.  Die  Exegeten  wissen 
freilich  viel  von  den  »Grundgesetzen  des  Gottesreichs«  u.  dgl. 
zu  sagen,  die  in  dem  Gleichnis  offenbar  werden.  Aber  dieser 
Begriff  passt  schlecht  in  das  Evangelium,  und  jedenfalls  leuchten 
die  Erklärungen,  die  man  giebt,  nicht  ein. 

Wir  haben  eine,  wie  mir  scheint,  sehr  deutUche  und  darum 
wertvolle  Parallele  in  dem  bereits  erwähnten  Worte  über  das, 
was  den  Menschen  verunreinigt  (Ti-ff.).  Es  kann  kein  Zweifel 
sein,  dass  da  ganz  die  gleiche  Anschauung  vorliegt  wie  in 
unserm  Falle.     Die  Jünger   fragen  Jesus   nach   dem  Sinn    der 


1)  Auch  Jülicher  I.  ö.  123  umschreibt  das  iTf'Jorai:  sie  haben  in. 
Jesus  den  Messias  erkannt. 

2)  Jülicher  I.  S.  126. 


60 

TtagaßoXrj,  und  sie  erhalten  allein  die  Deutung.  Man  muss 
damit  zusammennehmen,  dass  die  Parabel  selbst  nach  V.  14 
zum  Volke  gesprochen  wird,  es  wird  eigens  herangerufen,  um 
sie  zu  vernehmen.  Ich  frage  nun  wieder:  weshalb  soll  die 
Wahrheit,  dass  »von  innen  aus  dem  Herzen«  allerlei  Böses 
kommt,  das  den  Menschen  verunreinigt  —  denn  dies  ist  die 
Deutung  —  geheimer  sein  als  ein  beliebiger  moralischer  Spruch, 
der  ohne  Bild  auftritt? 

Es  ist  oflenbar:  dem  Schriftsteller  schwebt  hier  nicht  ein 
bestimmter  Gedankeninhalt  als  das  Geheime  vor,  um  dessen 
willen  Jesus  dann  das  bedeckende  parabolische  Gewand  über 
seine  Rede  breiten  würde,  sondern  er  schliesst  ganz  einfach  von 
der  blossen  Form  aus:  weil  Jesus  parabolisch-rätselhaft  spricht, 
so  hat  er  Geheimes  mitgeteilt  und  mitteilen  wollen. 

Es  darf  vielleicht  angemerkt  werden,  dass  hier  einer  der  Gründe 
liegt  für  den  Unterschied  der  evangelischen  Parabelauifassung 
und  -deutung  von  der  der  späteren  Allegoristen.  Dieser  Unter- 
schied ist  doch  nicht  ganz  unbedeutend  und  von  Jülicher  wohl 
unterschätzt  worden.  Es  ist  zu  beachten,  dass  die  Deutungen 
von  Parabeln,  die  bei  Markus  und  Matthaeus  vorliegen,  immer- 
hin recht  einfach  sind  und  sich  im  Kreise  naheliegender  An- 
wendungen halten.  Ebenso,  dass  nur  ein  paar  Deutungen 
gegeben  werden,  eni  besonderer  Drang  zu  deuten  also  nicht 
sichtbar  wird  ^).  Die  Evangelisten  haben  eben  nach  ihrer  Auf- 
fassung keine  Nötigung,  Besonderes  aus  den  Parabeln  heraus- 
zupressen. Was  sie  enthalten,  ist  ohne  Weiteres  Geheimlehre. 
Für  die  allegorisierenden  Kirchenväter  dagegen  kommt  es  ent- 
weder darauf  an,  dass  wirklich  ein  besonders  mysteriöser  Inhalt 
gewonnen  wird,  oder  dass  wenigstens  ein  kunstvoll  gefertigter 
Geheimschlüssel  angewendet  wird,  der  in  jedem  Worte  einen 
gar  nicht  zu  ahnenden  Sinn  erschliesst. 

Der  Bericht    des  Markus    über   das  Parabellehren  Jesu  ist 


1)  Harnack  hat  gelegentlich  bemerkt  (Über  das  gnostische 
Buch  Pistis  Sophia  T.  u.  U.  VII,  2  S.  55) :  schon  die  Evangelisten  hätten, 
teils  weil  sie  den  einfachen  Sinn  der  Sprüche  Jesu  nicht  mehr  verstan- 
den, teils  weil  sie  ihn  »tiefer«  verstehen  wollten,  die  Auslegung  in 
falsche  Bahnen  geführt.  Das  zweite  »teils«  würde  ich  nicht  unter- 
schreiben. 


61 

völlig  unliistorisch.  Auch  das  brauche  ich  nicht  mehr  weitläufig 
zu  beweisen.  JüUcher  ist  zwar  nicht  der  Erste  gewesen,  der 
den  geschichtlichen  Wert  dieser  Angaben  verneint  hat^),  aber 
seine  Ausführungen  haben  doch  das  Beste  dazu  gethan,  dass  in 
diesem  Punkte  bereits  ein  weitreichendes  Einverständnis  unter 
den  Kritikern  l)esteht. 

In  der  That,  die  Meinung  des  Markus  vom  Eätselcharakter 
und  vom  Yerhüllungszweck  der  Parabelrede  schlägt  den  Parabeln 
selbst,  wie  sie  in  den  Evangelien  vorliegen,  schlägt  dem  Wesen  der 
Parabel  überhaupt,  der  ihr  eingeborenen  Bestimmung  zu  veranschau- 
lichen, zu  erklären  oder  zu  beweisen,  geradezu  ins  Gesicht.  Jesus 
aber  schreibt  diese  Meinung  ein  Verfahren  zu,  dessen  Grausamkeit 
wetteifert  mit  seiner  Sonderbarkeit  und  Zwecklosigkeit.  Denn 
unverständhche  Reden  zu  dem  Zwecke  zu  sprechen,  um  Andere 
damit  zu  verstocken,  ist  grausam,  diese  Wirkung  von  solchen 
Reden  —  und  zwar  von  Gleichnissen!  —  erwarten  ist  sonderbar 
und  mehr  als  das,  und  eine  Unempfänglichkeit  herbeiführen 
wollen,  die  in  Wahrheit  schon  da  ist,  ist  zwecklos. 

Unter  diesen  Umständen  sollte  man  darauf  verzichten,  noch 
irgend  einen  Fetzen  eines  echten  Jesuswortes  im  Texte  zu  suchen 
und  gar  noch  einen  ursprünglichen  Sinn  des  Echten  von  dem 
bei  Markus  überlieferten  Sinne  zu  unterscheiden.  J.  Weiss 
nennt  den  V.  11  —  mit  gewissen  Modifikationen  —  ein  »gewiss 
ursprüngliches«  Wort  (aus  einem  nicht  mehr  erhaltenen  Zu- 
sammenhange), und  insoweit  stimmt  ihm  Jülicher  bei^).  Ich 
sehe  hierin  ein  blosses  Geschmacksurteil ,  wie  sie  auf  diesem 
Gebiete  häufig  sind.  Das  Wort,  dass  den  Jüngern  das  Ge- 
heimnis des  Reiches  Gottes  gegeben  ist,  oder  meinetwegen 
auch,  dass  es  ihnen  beschieden  sei,  die  Mysterien  zu  erkennen, 
bringt  mit  seinem  Gegensatze  die  Anschauung  des  Evangelisten 
auf  den  präzisesten  Ausdruck.  Warum  es  dann  eine  andere 
Quelle  haben  soll  als  eben  diese  Anschauung,  der  man  das 
tJbrige  zuschreibt,  ist  nicht  zu  verstehen. 


1)  Vgl.  z.  B.  Strauss,  L.  J.  f.  d.  deutsche  Volk  S.  254  Anra.,  Br. 
Bauer,  Kritik  der  Evangelien  11  S.  271fF.,  bes.  275  (hier  manche  richtige 
Bemerkung). 

2)  .T.  Weiss,  Studd.n.Krit.  1891  S.  302tf.,  Jülichorl  S.  130  Anm., 
134,  vgl.  jedoch  ö.  135. 


62 

Freilich  Matthaeus  und  Lukas  haben  einen  gemeinsamen 
Text  gegenüber  Markus,  der  also  aus  Markus  nicht  zu  begreifen 
ist;  sie  sagen  beide: 

vf.ui'  df.dozai  yviovai  xa  f.ivaiil]Qia  irjg  ßaaiXeiag  tüv 
olqavMv  (Luk.  rov  d-eov). 
Aber  was  folgt  daraus?  Sicher  nicht,  dass  das  Wort  echt  ist, 
sondern  höchstens,  dass  beide  Evangelisten  eine  von  Markus 
unabhängige  Form  des  Wortes  vor  sich  hatten.  Aber  auch  dies  folgt 
nicht  mit  irgend  welcher  Sicherheit.  Denn  die  Übereinstimmung 
des  Matthaeus  und  Lukas  kann  sich  noch  ganz  anders  erklären, 
z.  B.  dadurch,  dass  in  uralter  Zeit  ein  Evangelium  nach  dem 
andern  korrigiert  wurde.  Um  eines  yv(~)vai  und  eines  Plurals  willen 
solche  Hypothesen  zu  bilden  scheint  daher  bedenklich.  Versucht 
man  die  Entstehung  der  von  Markus  überlieferten  AVorte  Jesu  zu 
begreifen,  so  gewährt  die  Annahme  einer  echten  Grundlage  auch 
nicht  die  mindeste  Erleichterung,  denn  die  Anschauung  die  in 
diesen  Worten  hervortritt,  gehört  ungeteilt  dem  Evangelisten 
und  seinesgleichen. 

Die  Auffassung  ^)  des  Markus  von  der  Tendenz  der  para- 
bolischen Lehrweise  Jesu  ist  nicht  aus  einer  Reflexion  über  den 
Inhalt  vorliegender  Parabeln  hervorgegangen,  sie  ist  auch  gar 
nicht  an  vorhandenen  Parabeln  kontroliert;  man  fragte  nicht, 
wie  sie  zu  ihnen  stimme,  wenn  man  sie  auch  auf  ein  paar 
Exemplare  anwandte.  Nicht  einmal  besondere  Beobachtungen 
darüber,  dass  unter  den  Reden  Jesu  das  Parabolische  besonders 
reich  vertreten  war,  sind  eine  notwendige  Voraussetzung  für  die 
Bildung  der  Theorie.  Sie  hätte  auch  schon  entstehen  können, 
wenn  die  Überlieferung  nur  wenige  einzelne  Parabeln  gekannt, 
und  selbst  wenn  sie  ganz  unbestimmt  erzählt  hätte,  dass  Jesus 
viel  in  Parabeln  geredet  habe. 

Mit  einer  derartigen  Überlieferung  war  nämlich  für  die, 
die  von  den  Gleichnissen  Jesu  keinen  Eindruck  dui'ch  eigenes 
Hören  oder  unmittelbare  Berichte  hatten,  die  Meinung,  Jesus 
habe  schwer  verständlich  oder  unverständlich  geredet,  von  selbst 
und  ohne  weiteres  gegeben.     Denn  dass  die  Parabel  ein  Rätsel 


1)  Mit  den  folgenden  Bemerkungen  hoffe  ich  Jülichers  Auf- 
fassung von  der  Entstehung  dieser  Tradition  [l.  S.  146  ff)  richtig  zu  modi- 
fizieren. 


63 

sei,  war  der  der  Zeit  geläufige  Begriff ').     Dieser  Ausgangspunkt 
der  Anschauung  ist  also  völlig  klar. 

Nun  könnte  man  sehr  wohl  denken,  dass  solche  dunkle 
Redeweise  Jesu  wie  ein  schwieriges  Problem  erschien,  dass  man 
nach  ihrem  Grunde  fragte,  den  Grund  dann  in  den  Hörern  ent- 
deckte und  so  durch  Reflexion  zu  der  eigentümlichen  Vorstellung 
vom  Zwecke  der  Parabelrede  gelangte,  wie  sie  vorhegt.  Allein 
der  Hergang  kann  auch  etwas  anders  gewesen  sein,  und  ich 
glaube  es. 

Wir  haben  die  Anschauung  kennengelernt,  dass  Jesus  seine 
Messianität  als  ein  ängstlich  zu  wahrendes  Geheimnis  betrachtete. 
Ganz  abgesehen  von  den  Parabeln  also  gab  es  den  Gedanken: 
das  Grösste,  was  Jesus  sagen  konnte,  hat  er  mit  Fleiss  für  sich 
behalten.  Obwohl  noch  nicht  klar  ist,  was  das  für  Markus  be- 
deutet, spricht  doch,  wie  gesagt,  alles  dafür,  dass  die  Auffassung 
der  Parabelrede  mit  dieser  Anschauung  irgendwie  zusammen- 
hängt. Denn  beide  Male  verbirgt  Jesus  die  göttliche  Wahrheit. 
Wenn  man  nun  jene  Anschauung  von  der  Selbstverhüllung  Jesu 
bereits  hegte,  so  konnte  der  Gedanke,  dass  er  in  unverständ- 
hchen  Bildern  gesprochen  habe,  gar  nicht  so  befremdlich  und 
rätselhaft  sein,  es  war  s.  z.  s.  schon  ein  0  rt  für  ihn  vorhanden. 
Jesus  beobachtete  in  der  Parabelrede  nur  ein  Verfahren,  das  er 
sonst  auch  beobachtet  hatte.  Gerade  diese  Anschauung 
also  2)  erklärt  es,  dass  man  die  durch  den  Ausdruck  Ttagaßolrj 
nahegelegte  Vorstellung  aufgriff,  dass  man  in  ihr  etwas  Wichtiges 
sah  und  ihr  nachgieng. 

Dass  dann  die  Parabelrede  als  Sprache  für  das  Volk  (im 
Unterschiede  von  den  Jüngern)  betrachtet  wurde,  verstehen  wir 
sofort,  wenn  wiederum,  wie  ich  hier  vorgreifend  voraussetze,  die 
umfassendere  Meinung  schon  bestand,  Jesus  habe  sich  den 
Jüngern  zwar  offenbart,    der  Menge  dagegen  verschlossen.     Es 


1)  Naeb weise  bei  Jülicher,  z.  B.  I.  S.  33 ff,  44 ff,  210.  Justin  ver- 
steht unter  nctnctßokaC  weissagende  Worte  des  alten  Testaments.  "ßV 
■naQttßoX^  ist  z.  B.  Dial.  c.  Tryph.  c.  52  Synonym  von  xty.idvf^^ivwg. 
Ep.  Barn  172  heisst  h'  naQnßolnlg  xtic'^ni  einfach  soviel  wie  im  Ver- 
borgenen liegen. 

2)  Anders  läge  es  natürlich,  wenn  der  ganze  Verhüllungsgedanke 
seinen  Anlass  in  der  Parabelvurstellung  hätte.     Darüber  später. 


64 

wird  dabei  nicht  einmal  nötig  sein,  die  besondere  Art  dieser 
Menge,  d.  h.  die  Schändlichkeit  ihres  Verhaltens  gegenüber  Jesus 
zu  betonen  oder  auf  das  »messiasfeindliche,  messiasmörderische 
Judenvolk«  zu  verweisen  ^).  Das  wird  noch  klarer  werden.  Sollte 
dieses  Moment  überhaupt  hereinspielen,  so  wäre  es  eine  unter- 
geordnete Beziehung. 

Deshalb  scheint  es  mir  nicht  glücklich,  wenn  man  die 
synoptische  Parabeltheorie  eine  theologische  Zurechtlegung  des 
thatsächlichen  Misserfolges  genannt  hat,  den  Jesu  messianisches 
Auftreten  innerhalb  seines  Volkes  erfahren  hatte  ^).  Das  Motiv, 
diesen  Misserfolg  zu  erklären,  hat  die  Theorie  nicht  geschaffen; 
sie  ist,  auf  der  Grundlage  der  üblichen  Ansicht  vom  Wesen 
des  Gleichnisses,  hervorgewachsen  aus  der  allgemeinen  An- 
schauung vom  Geheimnis  im  Leben  Jesu  und  von  der  ver- 
schiedenen Stellung  der  Jünger  und  des  Volkes  zu  diesem  Ge- 
heimnis.    Mit  diesen  Momenten  ist  sie  vollständig  erklärt. 

Wir  fanden  bei  Markus  zwei  nahe  verwandte  Vorstellungen: 
1)  zum  Volke  sprach  Jesus  in  Parabeln  d.  h,  verhüllt,  zu  den 
Jüngern  offen,  2)  dem  Volke  blieben  die  Parabeln  dunkel,  den 
Jüngern  wurden  sie  ausgelegt.  Welche  Vorstellung  soll  als  die 
ursprän gliche,  welche  als  die  abgeleitete  gelten?  Mit  voller 
Sicherheit  lässt  sich  das  vielleicht  nicht  sagen.  Aber  man  wird 
vermuten,  dass  die  erste  die  ursprüngliche  war.  Denn  sie  ant- 
wortet auf  die  Frage :  weshalb  hat  Jesus  in  Parabeln  gesprochen  ? 
die  andere  s.  z.  s.  auf  die  Frage:  was  Avird  aus  der  in  den 
Parabeln  enthaltenen  Lehre?  Jene  Frage  war  aber  naturgemäss 
der  Ausgangspunkt.  Sagte  man  einmal,  der  Parabelvortrag  er- 
folgte, um  dem  Volke  die  Lehre  Jesu  zu  verbergen,  so  trat  der 
zweite  Gedanke  dann  leicht  hinzu.  Auch  in  den  /ra^sa/joAat 
musste  doch  wirkliche  Lehre  stecken.  Musste  sie  dann  doch 
auch  für  irgend  jemand  sein,  so  konnte  sie  nur  für  die  Jünger 
sein.      Ihnen    aber    musste    sie  natürlich    ei^st    durch   besondere 


1)  So  Jülicher.  Erdenkt  dabei  an  das  urinoTt  ^niGTQtipwaiv  y.u\ 
(((f(&^  ((vroig  4i2.  Immerhin  ist  das  aber  nur  Zitat.  Und  8i7f.  wird 
von  der  Verhärtung  der  Jünger,  wenn  natürlich  auch  nicht  ganz  ebenso, 
doch  sehr  ähnlich  wie  4 12  vom  Volke  gesprochen. 

2)  Holtzmann  HC  z.  St.,  ebenso  schon  Ötrauss  a.  a.  0.  Das 
bekannte  Wort  von  der  »hypochondrischen  Betrachtungsweise«  der  Evan- 
gelisten trifft  auch  die  Stimmung  nicht  gut. 


65 

Deutung  zugänglicli  gemacht  werden,  da  sie  eben  6»^  7caQaßolfj 
gegeben  war. 

Das  kritische  Ergebnis,  das  ohne  diese  Erklärung  für  die 
Entstehung  der  eigentümhchen  Auflassung  schon  feststehen 
würde,  durch  sie  aber  den  positiven  Abschluss  findet,  ist  für 
uns  von  Wichtigkeit.  Es  zeigt  sicli,  der  Gedanke  des  Messias- 
geheimnisses reicht  über  die  Wunder  und  die  messianischen 
Anreden  von  Dämonen  oder  Jüngern  hinaus.  Und  wenn  wir 
hier  so  unverkennbar  deuthch  auf  dem  Boden  späterer  Gemeinde- 
auffassung stehen,  so  verstärkt  das  noch  die  früheren  kritischen 
Ausführungen.  Wie  fern  steht  doch  dieser  Anschauung  das  ge- 
schichthche  Leben  Jesu!  Nicht  die  leiseste  Empfindung,  die 
das  Hören  der  wirklichen  Gleichnisse  Jesu  erregen  konnte  und 
erregen  musste,  klingt  mehr  hindurch.  Will  man  zeigen,  was 
für  unhistorische  Vorstellungen  bei  Markus  möglich  sind,  so 
wird  dieser  Punkt  immer  ein  ausgezeichnetes  Beispiel  sein. 
Eben  darum  aber  darf  man  sich  nicht  begnügen,  ihn  gleich- 
mütig als  geschichtlich  wertlos  zu  buchen,  sondern  man  muss 
an  ihm  lernen  für  Anderes. 

Erwähnung  verdient  zum  Schlüsse  noch  eins.  Wir  haben 
in  diesem  Texte  sowohl  die  Bemerkung,  die  Jünger  hätten 
Jesus  nach  den  Parabeln  gefragt,  als  er  mit  ihnen  allein 
war,  wie  die  andere,  dass  er  ihnen  die  Auflösung  der  Parabeln 
stets  y^az  idiai>  gab.  In  diesem  Falle  ist  also  wenigstens 
deutlich,  dass  diese  Bemerkungen  vom  Alleinsein  auch  ein  Aus- 
fiuss  der  Anschauung  des  Evangelisten  sind  und  nicht  eine 
historische  Notiz.  Gleiches  gilt  dann  aber  ohne  Weiteres  von 
der  parallelen  Stelle  7 17,  wo  Jesus  von  den  Jüngern  erst  ge- 
fragt wird,  nachdem  er  die  Menge  verlassen  hat  und  ins  Haus 
gegangen  ist. 

Der  Sinn  des  Geheimnisses. 

In  der  Geschichte  Jesu  haben  wir  bisher  kein  Motiv  ge- 
funden, das  uns  seine  bewusste  Selbstverhüllung,  wie  sie  bei 
Markus  geschildert  wird,  einleuchtend  und  befriedigend  erklärte. 
Ebenso  wenig  aber  liess  sich  erkennen,  dass  Markus  sich  die 
gleichmässig  in  vielen  einzelnen  Nachrichten  ausgeprägte  Haltung 

Wrede,  Messiasgeheimnis.  5 


66 

Jesu  aus  den  eigentümlichen  Bedingungen,  Verhältnissen  und 
Vorgängen  des  geschichtlichen  Lebens  Jesu  gedeutet  habe.  Ich 
gehe  weiter  und  behaupte:  ein  geschichtliches  Motiv 
kommt  wirklich  gar  nicht  in  Frage;  positiv:  die  Idee 
des  Messiasgeheimnisses  ist  eine  theologische  Vor- 
stellung. 

Eine  verhältnismässig  wenig  beachtete  Stelle  liefert  den 
Schlüssel  für  die  Anschauung.  Mir  ist  sie  wenigstens 
recht  eigentlich  der  Ausgangspunkt  für  die  Erkenntnis  dieser 
ganzen  Gedankenreihen  gewesen,  und  insofern  halte  ich  sie  für 
eins  der  wichtigsten  Worte,  die  Markus  geschrieben  hat.  Es 
ist  der  Befehl,  den  Jesus  nach  der  Verklärung  erteilt  (9  9): 

Und   als   sie  vom  Berge   herabstiegen,    befahl    er  ihnen, 
niemand  zu  erzählen,  was  sie  gesehn,  ausser  wenn  der 
Sohn  des  Menschen  von  den  Toten  erstanden  wäre. 
Man    schliesst   aus  diesem  Worte,  dass  die  Verklärung  als 
eine  Art  Vorwegnähme,  eine  Vorausdarstellung  der  Auferstehung 
Jesu  oder  als  eine  Weissagung  seiner  Wiederkunft  in  Herrlich- 
keit gedacht  sei,  und  erklärt  hiermit  dann  wieder  den  Sinn  des 
AVortes  »).     Die  wahre  Bedeutung  des  Gesichtes,    das   den  Ver- 
trauten  Jesu  zu   Teil   wurde,    wäre    doch   erst   nach    der   Auf- 
erstehung erkennbar  gewesen.    Also  sollte   man  bis  dahin  nicht 
davon  reden. 

Jene  Deutung  des  Vorganges  als  Weissagungsbild  des 
Künftigen  mag  gar  nicht  falsch  sein.  Aber  wird  damit  klar, 
weshalb  Jesus  einen  ausdrücklichen  Befehl  giebt?  AVar  die 
Bedeutung  der  Verklärung  erst  später  zu  erkennen,  so  scheint 
es  ziemlich  unschädlich,  wenn  man  früher  von  ihr  hörte.  Zu- 
dem hat  Jesus  nach  Markus  über  sein  Kommen  in  Herrlich- 
keit unmittelbar  zuvor  vor  aller  Ohren  gesprochen  (8  38  vgl.  34). 
Weshalb  soll  dann  der  Vorgang  auf  dem  Berge  Geheimnis 
bleiben?     Doch  viel  wichtiger  ist  etwas  Anderes. 

Diese  Auffassung  trennt  das  Gebot  Jesu  von  seinen  Parallelen, 
sie  giebt  ihm  eine  Motivieruag,  an  die  man  in  keinem  einzigen 
der  andern  Fälle  denkt.     Über  den  Eindruck,  dass  diese  Stelle 


1)  Z.  B.  Holt z mann  und  B.  "Weiss  (Das  Markusevang.  und  bei 
Meyer  )  z.  St. 


67 

den  andern  gleichartig  ist,  kommt  man  aber  nicht  hinweg.  Die 
Erklärer  haben  das  auch  immer  wieder  empfunden').  D.  h.  es 
muss  sich  auch  hier  um  die  Wahrung  des  messianischen  Ge- 
heimnisses handeln.  Kein  Exeget  hätte  das  überhaupt  je  be- 
zweifelt, wenn  der  Befehl  nicht  mit  der  Angabe  des  Termins 
»bis  zur  Auferstehung«  aufträte.  Denn  der  Text  selbst  redet 
ja  ausdiiicklich  von  der  Messianität. 

Gewiss  zeigt  die  Verklärungsgeschichte,  wie  Pseudopetrus 
sagt^),  die  }.ieyalsi6Tt]g,  die  Herrlichkeit  oder  Majestät  Jesu, 
d.  h.  sie  zeigt  etwas  Überirdisches,  was  im  irdischen  Leben 
Jesu  keinen  Platz  hat.  Aber  damit  ist  keinerlei  Gegensatz  zur 
Messianität  gegeben.  Das  mrd  sich  im  Verlaufe  unserer  Unter- 
suchung von  selbst  ergeben.  Ganz  ausdrücklich  aber  hören  wir 
von  der  Messianität,  wenn  die  Stimme  vom  Himmel  ruft:    ^ 

Dies  ist  mein  geliebter  Sohn,  auf  ihn  höret. 
"Was  das  Auftreten  des  Moses  und  Elias  auch  immer  bedeuten 
möge  —  dieses  himmlische  Zeugnis,  das  den  Abschluss  der 
Szene  bildet,  kann  doch  nur  als  eine  Art  Deutung  des  ganzen 
Vorgangs  betrachtet  werden.  Und  es  versteht  sich  von  selbst, 
dass  das  Gebot,  über  das  Gesehene  zu  schweigen,  dies 
Gehörte  mit  umfasst.  Dann  ist  in  der  That  klar,  dass 
der  Inhalt  dieses  Gebots  mit  dem  der  übrigen  im  Grunde 
zusammenfällt. 

Weshalb  sollte  nun  der  Zusatz  von  der  Auferstehung  uns 
hindern,  an  die  Geheimhaltung  der  Messiaswürde  zudenken? 
Erfassen  wir  nur  herzhaft  den  Gedanken,  auf  den  uns  die  Sache 
führt.  Es  ergiebt  sich:  während  seines  Erdenlebens  ist 
Jesu  Messianität  überhaupt  Geheimnis  und  soll  es 
sein;  niemand  —  ausser  den  Vertrauten  Jesu  —  soll 
von  ihr  erfahren;  mit  der  Auferstehung  aber  erfolgt 
die  Entschleierung. 

Dies  ist  in  der  That  der  entscheidende  Gedanke, 
die  Pointe  der  ganzen  Auffassung  des  Markus. 


1)  Z.  B.  Weisse  I  S.  542.  Auch  Holtzmann  sagt  trotz  der 
erwähnten  Auslegung  —  unter  Hinweis  auf  829  —  sehr  treffend:  (die 
Jünger)  werden  eingeführt  iu  das  Geheimnis  der  Gottessohnschal't. 

2)  2.  Petr.  liG  über  die  "Verklärung:  .  .  .  ^nömai  yivri&ivttg  lijs 
ixtivov  fxeyaldoTtjTog. 

5* 


68 

Damit  haben  wii-  denn  sofort  die  Erklärmig  aller  Verbote 
Jesu,  Auch  nach  dem  Petrusbekenntnis  hätte  Jesus  sagen 
können:  redet  zu  niemand  von  mir,  bis  ich  auferstanden  bin. 
Auch  den  Dämonen  gegenüber  rechnet  er  auf  seine  Verborgenheit 
bis  zu  diesem  Zeitpimkte.  Es  ist  nicht  schwieriger  diesen 
Gedanken  häufig  bei  Markus  anzunehmen  als  ihn  einmal  zu 
finden.  Und  es  ist  notwendig  ihn  überall  vorauszusetzen,  wenn 
der  eine  Fall  den  andern  gleichartig  ist.  Im  Übrigen  werden 
im  Weiteren  noch  zwei  Bestätigmigen  der  Exegese  hinzu- 
kommen. Einmal  wird  sie  sich  dadm*ch  erproben,  dass  sie  sich 
fi-uchtbar  für  das  Verständnis  des  Markus  erweist.  Sodann  ist 
es  möglich,  eine  nah  verwandte  Anschauung  nachzuweisen,  in 
der  namenthch  die  Auferstehung  eine  ganz  analoge  Bedeutung 
hat  wie  hier. 

Alles  Suchen  nach  Beweggmnden  füi'  die  Zmückhaltung 
Jesu,  die  in  seiner  pei-sönlichen  Stimmung,  in  der  Art  und 
Absicht  seines  Wirkens,  der  Eigentümhchkeit  der  jeweihgen 
Situation  lägen,  ist  hiermit  endgültig  verljanut.  Die  positive 
Erklärung  für  den  Sinn  des  Geheimnisses  drückt  der  Kritik, 
die  an  den  verschiedenen  Versuchen  solcher  Art  geübt  wurde, 
das  Siegel  auf. 

Die  Ungeschichthchkeit  der  Verbote  wird  hier  aber  noch 
einmal  am  Ganzen  ofienbar.  Niemand,  der  die  Meinung  hat, 
dass  Jesus  sich  für  den  Messias  gehalten  habe,  Avird  glauben, 
dass  er  Zeit  seines  Lebens  als  solcher  nur  den  Jüngern  bekannt 
geworden  sei  —  schon  weil  dann  seine  Yermleilung  mit  der 
Messianität  nichts  mehr  zu  thun  hätte.  Sollen  aljer  unvorsichtige 
und  schwatzhafte  Jünger  das  Geheimnis  ausgeplaudert  haben^ 
oder  soll  es  durch  »Eindiiicke  von  Jesu  Wü-ken«  en-aten  sein, 
so  bleibt  es  jedenfalls  ein  Rätsel,  wie  er  überhaupt  dauernde 
V'erborgenheit  wollen  konnte.  Im  Übrigen  sagt  das  »bis  zur 
Auferstehung«  schon  deuthch  genug,  dass  es  sich  hier  um  An- 
schauung, nicht  um  Geschichte  handelt. 

Auch  hier  aber  kann  nicht  ein  einzelner  historischer  Fall^)  — 
das  müsste  denn  das  Verbot  nach  dem  Petrusbekenntnis  sein^ 
das,  isohert  betrachtet,    nichts   besondres  gegen   sich   hat  —  al& 


1)  Vgl.  oben  S.  30  f.   —    Strauss    spricht    von    einer    derartigen 
Möjjlichkeit  I  S.  477. 


69 

der  Aiilass  und  Ausgangspunkt  für  die  Angaben  des  Evangeliums 
gelten.  Die  Entstehung  einer  eigentümlichen  Anschauung 
wird  bei  dieser  kümmerlichen  Annahme  um  nichts  deuthcher, 
während  der  eine  Zug  sich  aus  dieser  Anschauung  wieder  gerade 
^0  gut  begreift  me  alle  übrigen. 

Eine  besondere  Motivierung  haben  mr  —  ausser  der  in- 
direkten, die  09  vorliegt  —  bei  den  Verboten  -nicht  gefunden. 
Diese  Thatsache  musste  auffallen,  hier  aber  verliert  sie  das  Auf- 
fallende. Wenn  der  Jesus,  der  auf  Erden  wirkt  und  redet, 
einfach  immer  im  Verborgenen  bleiben  will,  wenn  er  in  diesem 
Sinne  absolute  Verbote  giebt,  so  kommen  besondere  Gründe 
eben  nicht  in  Frage.  Es  handelt  sich  um  eine  allgemeine,  be- 
herrschende Ansicht  von  der  Messianität,  die  dem  Evangelisten 
so  deutlich  ausgesprochen  scheint  in  seinen  Angaben,  die  ihm 
selbst  so  selbstverständlich  ist,  dass  er  Auseinandersetzungen  nicht 
zu  geben  braucht. 

Indessen  man  wird  fragen:  wie  kann  Markus  diese  Ansicht 
hegen,  wo  er  so  manches  Datum  bringt,  das  ihr  strikt  entgegen 
ist?  Beim  Einzüge  in  Jerusalem  lässt  Jesus  sich  selbst  als 
Messias  feiern,  der  Bhnde  in  Jericho  nennt  ihn  Sohn  Davids, 
vor  dem  Hohenpriester  bekennt  er  sich  unumwunden  zur  Gottes- 
sohnschaft. Und  Markus  soll  gedacht  haben,  dass  er  seine 
Würde  bis  zum  Tode  geheimhielt?  Ich  lasse  dies  Bedenken 
nicht  gelten.  Ein  Andres  ist  es,  ob  der  Gedanke  da  ist,  ein 
Andres,  ob  er  widerspruchslos  von  Markus  durchgeführt  ist.  Was 
in  der  Geschichte  sich  stossen  müsste,  kann  in  den  Gedanken 
neben  einander  stehen.  Von  solchen  Fragen  wird  später  zu 
reden  sein.  Für  jetzt  genügt  es,  dass  nur  unsere  Auslegung 
der  Stelle  9o  wirklich  gerecht  wird. 

In  Jesu  Belehrung  über  das  Parabelreden  begegnete  uns 
eine  Parallele  zu  dem  Verbergen  der  Messianität.  Durch  die 
Exegese  von  Oo  tritt  nunmehr  ein  anderes  Wort  des  Parabel- 
abschnittes in  ein  helles  Licht. 

Nachdem  Jesus  die  Auslegung  der  Parabel  vom  Säemann 
beendet  hat,  sagt  er  bei  Markus  421.22: 

2'  Kommt  etwa  die  Lampe,  um  unter  den  Scheffel  oder 
unter  das  Bett  gesetzt  zu  werden,  nicht  vielmehr,  uiti 
auf  den  Leuchter  gesetzt  zu  werden?    ^2 Denn  nichts  ist 


70 

verborgen,  ausser  damit  es  geoffenbart  werde,  und  nichts 
ward  geheim,  als  damit  es  an  den  Tag  [slg  (paveqov) 
komme. 

Dies  Wort  oder  besser  diese  beiden  Sprüche  sind  ja  auf 
keinen  Fall  von  Markus  geschaffen.  Aber  wenn  er  sie  an  dieser 
Stelle  bringt,  so  geschieht  es  nicht  in  halber  Verlegenheit  oder 
in  mühsamer  Gedankenvereinigung,  wie  wenn  ihn  das  Bestreben 
leitete,  solche  Logien  nicht  umkommen  zu  lassen,  sondern  es 
geschieht,  um  einen  im  Zusammenhange  wichtigen  Gedanken  aus- 
zusprechen. Markus  hat  mit  den  Versen,  die  vom  Zweck  der 
Parabelrede  handeln  (4io — is),  das  Reflektieren  über  die  para- 
bolische Lehrweise  nicht  abgethan,  die  Verwandtschaft  des 
Schlusses  (V.  33.34)  verrät  schon,  dass  es  den  ganzen  Abschnitt 
beheiTscht. 

Jülicher  hat  in  seinem  Gleichniswerke  i)  den  Versen  21  und 
22  eine  enge  Beziehung  auf  den  Schluss  der  Deutung  des 
Säemannsgleichnisses  gegeben.  Sie  sollen  fortführen ,  was  hier 
von  dem  Ertrage  des  guten  Landes  gesagt  ist,  d.  h.  sie  sollen 
die  Unerlässlichkeit  des  Fruchtbring-ens  darthun.  »Wie  man 
eine  Lampe  doch  nicht  unter  den  Scheffel  schiebt,  sondern  oben 
auf  den  Leuchter  stellt  (wo  sie  weithin  Licht  spendet),  so  muss 
auch  der  Same  des  Wortes  Gottes  auf  guten  Boden  ausgestreut 
werden  und  reiche  Früchte  bringen«.  Was  »offenbar«  werden 
und  an  den  Tag  kommen  soll,  sind  demnach  die  Früchte 
des  Glaubens.  Diese  Gedankenverbindung  finde  ich  sehr 
unnatürhch. 

Die  Stelle  bezieht  sich  vielmehr  zurück  auf  den  Gedanken, 
dass  in  den  Parabehi  Geheimes  mitgeteilt  wird.  Einstweilen 
erhalten  das  nur  die  Jünger,  Aber  was  sie  erhalten,  sollen  sie 
einst  —  ich  verdeutliche:  nach  der  Auferstehung  —  ent- 
hüllen und  verbreiten.  Denn  alles  Geheimnis  ist  nur  zeitweilig; 
es  drängt  auf  eine  Offenbarung  hin.  Der  Einwand  Jühchers, 
die  Weisung,  die  erhaltene  Erkenntnis  zu  verbreiten,  bedeute 
den  gröbsten  Widerspruch  zu  4iif.,  wo  die  Geheimhaltung 
gerade  zur  Pflicht  gemacht  werde,  erweist  sich  damit  von  selbst 


1)  II  S.  86,  92.     Nach  J.  Weiss,    Studd.  u.  Kritt.  1891  S.  310f., 
der  jedoch  für  den  Markustext  die  übliche  Deutung  zugeben  will. 


71 

als  ein  Missverständnis  des  Textgedaukeiis^).  Vielmehr  ist  dies  Wort 
eine  ebenso  notAveiidige  Ergänzung  zur  Lehre  vom  Geheimsinn  der 
Parabeln  wie  der  Gedanke,  dass  nach  Jesu  Tode  die  Messianität 
öffentlich  werden  wird,  zu  dem  Gedanken,  dass  sie  es  vorher  nicht 
ist.  Bleiben  wir  freilich,  wie  die  gewöhnliche  Auslegung  thut,  bei 
der  unbestimmten  Vorstellung  einer  späteren  Ausbreitung  der 
erlangten  Erkenntnis  stehen,  so  wird  der  Gedanke  des  Markus 
nur  halb  und  unklar  erkannt.  Es  kommt  darauf  an,  dass  er 
die  Auferstehung  Jesu  als  den  Scheidepunkt  zweier  Perioden 
betrachtet. 

Ich  nannte  den  Gedanken  des  Markus  einen  theologischen 
Gedanken,  um  damit  auszudrücken,  dass  er  nicht  den  Charakter 
einer  geschichtlichen,  —  gleichgiltig  ob  einer  geschichtlich  richtigen 
oder  nur  aus  der  Geschichte  gedachten  —  Vorstellung  besitzt. 
Die  theologische  Art  des  Gedankens  wird  aber  erst  ganz  klar, 
wenn  wir  fragen,  wie  Markus  sich  das  eigentliche  Objekt  der 
Geheimhaltung  gedacht  hat.  Die  kürzeste  und  für  uns  wichtigste 
Antwort  lautet:  es  ist  durchaus  supranatural  gedacht. 

Diese  Thatsache  steht  ganz;  abgesehen  von  der  Frage  des 
Geheimnisses  fest.  Es  genüge  an  einige  der  wichtigsten  Daten 
des  Evangeliums  zu  eiinnern^). 

Gleich  in  seinem  Anfange  haben  wir  die  hervorragend  be- 
deutungsvolle und  sehr  klare  Erzählung  von  der  Taufe  Jesu. 
Ich  muss  vorab  bemerken,  dass  es  ein  starkes  Missverständnis 
des  Markus  ist,  wenn  die  neuere  Kritik  so  manchmal^)  hier  eine 


1)  Selbst  wenn  bei  Markus  (v,'ie  bei  Mt.  5i5,  Luk.  8i6)  der  Text 
ein  ln\  Xv/vCctq  Ti&rjaiv  enthielte,  würde  das  Präsens,  das  Juli  eher 
gegen  B.  Weiss  betont,  an  dem  futurischen  Sinn  des  Ganzen  nicht 
das  Mindeste  ändern. 

2)  ,Die  folgenden  Gedanken  sind  grösstenteils  schon  mehrfach  aus- 
gesprochen worden.  Vieles  findet  sich  z.  B.  bei  Volk  mar.  Besonders 
aber  sei  hier  verwiesen  auf  Hoekstra,  De  Christologie  van  het 
canonieke  Marcus-Evangelie  in  der  Theologisch  Tijdschrift  V  (1871),  so- 
dann auf  die  verwandte  Abhandlung  von  Martin  Schulze,  Der  Plan 
des  Markusevangeliums,  Zeitschr.  für  wiss.  Theol.  XXXVII  (1894) 
S.  332  ff.,  die  zahlreiche  gute  Beobachtungen  enthält,  in  Bezug  auf  den 
»Plan«  des  Markus  freilich  auch  manches  Anfechtbare. 

;})  Anders  z.  B.  Holsten,  Bibl.  theol.  Studien,  Zeitschr.  f.  wiss. 
Theol.  1891  S.  408:  Markus  habe  keine  onTttaCn  inovQÜviog  darstellen  wollen.. 


72 

blosse  Vision  Jesu,    d.  h.   einen    lediglich    innern   Vorgang   be- 
richtet findet.     Sie  würde  auch  schwerlich  so  urteilen,    wenn  sie 
nicht  selbst  so  gern  mit  diesem  Gedanken  geschichtlich  operierte. 
Markus  sagt  zwar  von  Jesus  lio: 

siÖEv  oyiiCoj.itvov^  rovg  ovqavovq  xrA., 
aber  man  kan)i  auch  objektive  Vorgänge  •)sehen«,  und  Markus 
hat  nicht  den  geringsten  Zweifel  gelassen,  dass  er  sich  den 
Vorgang  genau  so  objektiv  denkt  wie  irgend  ein  andrer  Evangelist^). 
Denn  einmal  würde  eine  Vision  in  jenem  Sinne  seiner  Auffassung 
garnicht  genügen.  Im  Fortgang  der  Erzählung  kommt  es  gerade 
darauf  an,  dass  Jesus  den  Geist  wirklich  erhalten  hat  ^  1 12  treibt 
ihn  der  Geist  in  die  Wüste.  FolgHch  muss  zuvor  geschildert 
sein  —  wie  das  denn  auch  selten  geleugnet  wird  — ,  dass  der  Geist 
objektiv  aus  dem  Himmel  auf  ihn  herabgefahren  ist.  Zweitens 
aber  heisst  es  nicht:    rl/,ovo€v  ffojvrjv  s/.  nov  ovqavcjv,    sondern: 

'/.al  cf'CJvt]   [eyarsTo]  £/.  zöjv  ocgandv, 
die  Stimme  erscholl  wirklich,  nämlich  aus  dem  geöfEheten  Himmel. 
Damit   ist  jedes  ßecht  verschwunden,    sich    auf    das    eidev    zu 
steifen.  Markus  könnte  gerade  so  gut  wie  das  Ebioniten-EvangeHum 
auch  geschiieben  haben: 

YMi     ojg     avY^hi^ev     arco     xov     idaTog,     rivolyri  0  av    o\ 

oiqav  0  1^). 
Mit  dem  allen  ist  nicht  gesagt,   das  Markus  das  Eidev  von  Un- 
gefähr  gebrauche.      Solche    Vorgänge    in    der    höheren  Sphäre 
»schaut':-    man    eben,    oder    die  Dinge     »erscheinen«,    oder  mau 


1)  Das  Wesen  des  Vorgangs,  wie  ihn  3Iarkus  denkt,  wird  an  sich 
dadurch  nicht  berührt,  ob  Jesus  allein  oder  der  Täufer  und  noch  andere 
mit  ihm  die  Erlebenden  sind.  Die  blosse  Alternative:  »Vorgang  vor  den 
geistigen  Sinnen«  und  »äusserlich  wahrnehmbarer  Vorgang«  (Job.  Borne- 
mann,  Die  Taufe  Christi  durch  Johannes  in  der  dogmat.  Beurteilung 
der  Christi.  Theologen  der  vier  ersten  Jahrhunderte  (1896)  S.  9)  reicht 
hier  nicht  aus.  Auch  von  Mehreren  würde  oder  könnte  Markus  sagen: 
fldov.  Vgl.  das  aläov  bei  der  Verklärung  (99).  Einen  gewissen  Unter- 
schied macht  es  jedoch  aus,  ob  der  übersinnliche  Vorgang  auf  ein  be- 
stimmtes —  wie  immer  begrenztes  —  Publikum  berechnet  ist  oder 
nicht.  Im  zweiten  Falle  tritt  er  einfach  in  die  gemeine  Wirklichkeit 
des  Geschehens  hinein. 

2)  S.  Nestle,  Novi  Test.  Graeci  Supplementum  jx  75.  Die  Stelle 
fährt  fort:  y.cl  £?J(v  to  nvtiua  tov  &6ov  iv  iidei  nfoiarfoü;  y.ctTÜ.- 
d-ovarig  xrk. 


73 

»hört«  die  Stimmen,  aber  die  Vorgänge,  Dinge  oder  Laute  sind 
Wirklichkeit.  Ganz  denselben  Wechsel  zwischen  dem  einfachen 
Bericht  von  Thatsachen  und  der  Erwähnung  des  Sehens  oder 
Erscheinens  tinden  wir  auch  in  der  Verklärungsszene,  die  ja 
schon  darum  keine  Vision  im  üblichen  Sinne  sein  kann,  weil 
der  schauende  Petrus  in  ihr  handelnd  auftritt '). 

Demnach  empfängt  Jesus  bei  der  Taufe  objektiv  den  Geist, 
und  dass  der  Geist  nicht  »sittliche  Antriebe,  Kräfte«  u.  dgl. 
bedeutet,  dass  er  eine  schlechthin  supranaturale  Grösse  ist, 
braucht  nicht  bewiesen  zu  werden.  Wenn  die  Stimme  von  oben 
Jesus  dann  aber  als  den  »Sohn  Gottes«  bezeugt,  so  kann  das 
nicht  mehr  blos  ein  theokratischer  Name  sein,  ebensowenig  kann 
es  ein  Ausdruck  für  die  Liebe  Gottes  zu  Jesus  oder  für  seine 
menschliche  Frömmigkeit  sein,  sondern  es  ist  die  adäquate  Be- 
zeichnung des  übernatürlichen  Wesens  Jesu,  das  durch  den 
Empfang  des  Geistes  entstanden  ist. 

Dem  grundlegenden  Datum  der  Taufe  Jesu  entspricht  die 
weitere  Erzählung.  In  der  Wüste  hat  der  Gottessohn  eine 
persönliche  Begegnung  mit  dem  Teufel  (I12  f.).  Sein  Leben  ist 
erfüllt  von  dem  Kampfe  mit  den  teuflischen  Mächten.  Leib- 
haftig sozusagen  trifft  Jesus  mit  ihnen  zusammen,  wie  es  eben 
nur  für  Jemand  möglich  ist,  der  nicht  »Mensch«,  sondern  über- 
natürliches Wesen  ist.  Wir  erkennen  hier,  die  Thatsache, 
dass  ihn  die  Dämonen  erkennen,  ist  im  Markus- 
evangelium nicht  etwas  Besonderes,  sie  steht  nur  im 
Einklänge  mit  der  ganzen  Christologie  des  Evangeliums.  Mit 
der  Schilderung  der  AVunderkraft  ist  es  nicht  anders.  Diese 
Wunder  thut  der  Gottessohn,  in  Kraft  des  Geistes.  Bei  der 
Verklärung  erschallt  dann  noch  einmal  ein  göttliches  Zeugnis 
über  ihn.  Dies  Zeugnis  kann  in  der  That  nur  Gott  geben. 
Menschliche  Einsicht  reicht  nicht  zu  dieser  Erkenntnis  hinan. 

Man  müsste  sich  wundern,  wenn  ein  Schriftsteller,  der  diese 
Anschauungen  hegt,  den  Begriff  des  Sohnes  Gottes  auch  in  andrer 
Weise  verwendete,  als  es  in  der  Taufgeschichte  der  Fall  ist.  Denn 
man  würde  ihm    damit  zutrauen,    dass  er    historisch   denkt  und 


1)  Instruktiv  ist  hier  auch  der  Vcrgleit-li  der  Geschichte  von  Sauls 
Bekehrung  in  der  Apostelgeschichte  (c.  9,  22,  2()).  Beachte  z.  B.  den 
Wechsel  der  Vorstellung  97  und  229. 


74 

unterscheidet.  Es  ist  also  von  vornherein  unwahrscheinlich,  dass 
der  Name  Gottessohn  manchmal,  etwa  im  Munde  der  Dämonen 
(5 7)  oder  des  Hohenpriesters  (14  ei)  einen  rein  theokratischen 
Sinn  habe*).  Weil  man  an  diesen  Stellen,  wenn  man  sie  isoliert, 
\delleicht  mit  dieser  Bedeutung  auskommen  könnte,  ist  noch 
nicht  gewiss,  dass  die  Bedeutung  vorliegt.  Man  muss  vielmehr 
vermuten,  hat  Markus  einmal  einen  über  das  Theokratische 
hinausgehenden  Sinn  in  den  Titel  gelegt,  so  ist  er  gezwungen^ 
ihn  überall  zu  denken. 

Das  Evangelium  bestätigt  das  durch  zwei  bemerkenswerte 
Stellen,  einmal  gerade  durch  den  Bericht  vom  Yerhör  vor  dem 
Hohenpriester,  sodann  durch  das  Wort  des  Centurio  unter  dem 
Kreuze. 

In  der  Bejahung  seiner  Frage,  ob  Jesus  der  Christus,  der 
Sohn  des  Hochgelobten  sei,  sieht  der  Hohepriester  Gottes- 
lästerung und  damit  das  todeswürdige  Verbrechen.  Man  findet 
die  Gotteslästerung  in  der  Begel  darin,  dass  ein  geringer^ 
schwacher,  ohnmächtiger  Mensch  sich  die  höchste  Würde  an- 
gemasst  habe^  die  es  für  einen  Israeliten  geben  konnte,  die 
Würde  des  gottgesandten  Messias.  Die  stillschweigende  oder  aus- 
gesprochene Schlussfolgerung,  die  dabei  zu  Grunde  liegt,  ist  diese: 
würde  die  Blasphemie  in  der  Anmassung  göttlicher  Herrlichkeit 
und  göttlichen  Wesens  gefunden,  so  hätte  Jesus  vne  der  Hohe- 
priester den  Titel  »Gottessohn«  in  dogmatisch-metaphysischem 
Sinne  verstanden,  und  das  ist  historisch  unmöglich.  Diese  Art 
der  Argumentation  ist  ebenso  gefährlich,  wie  sie  häufig  ist.  Wir 
dürfen  niemals  sagen:  hätte  dies  Datum  diesen  Sinn,  so  würde 
es  in  die  Geschichte  Jesu  nicht  passen,  also  muss  es  einen 
andern  Sinn  haben.  Was  das  Datum  bedeutet,  ist  vielmehr 
immer  die  erste,  für  sich  zu  beantwortende  Frage;  was  die 
Geschichte  dann  damit  anfangen  kann,  ist  eine  Sache,  die  nach- 
her kommt. 

Nun  ist  nach  jüdischem  Rechte  der  Thatbestand  eines 
»Gidduf«,  einer  Blasphemie,  die  mit  Steinigung  zu  ahnden  ist, 
und  bei  der  die  Richter  die  Kleider  zerreissen,  nur  dann  ge- 
geben, wenn  A\irklich  eine  Verwünschung  oder  Schmähung  des 
Namens  Gottes  ausgesprochen  wird.  Also  ist  die  blosse  Be- 
hauptung der  Messianität  nach  jüdischen  Begriffen  noch  gar  keine 

1)  So  Holtzmann,  Neutest.  Theol.  I  S.  265  f. 


75 

Gotteslästerung.  Ebensowenig  versteht  man  aber  auch,  wie  ein 
christhcher  Autor,  wenn  er  nur  an  den  jüdischen  Begriff  des 
Messias  dachte  —  der  Messias  ist  doch  für  den  Juden  kein  götthches 
Wesen  — ,  hier  eine  Gotteslästerung  finden  konnte.  Dagegen 
wird  alles  klar,  wenn  Markus  die  Bezeichnung  »Gottessohn« 
supranatural  und  metaphysisch  gemeint  hat.  Dann  lag  in  dem 
Ansprüche  Jesu  eine  Beeinträchtigung  der  göttlichen  Ehre,  eine 
lästerliche  Gleichstellung  mit  Gott.  Wenn  nun  ohnehin  dieser 
Begriff  des  Gottessohnes  bei  Markus  vorliegt  und  deshalb  auch 
hier  zu  erwarten  ist,  so  kann  man  in  der  That  nicht  länger  zweifeln, 
dass  er  dem  Hohenpriester  den  Namen  in  dem  Sinne  in  den 
Mund  legt,  der  für  seinen  christHchen  Glauben  in  ihm  liegt  i). 
Über  das  Bekenntnis  des  (heidnischen)  Hauptmanns  erzählt 
Markus  lös? — so: 

37 Jesus  aber  that  einen  lauten  Schrei  {(fcovi]v  ^leydlriv) 
und  verschied.  3»  Und  der  Vorhang  im  Tempel  zerriss 
in  zwei  Stücke  von  oben  bis  unten.  ^^Da  aber  der 
Hauptmann,  der  dabei  stand  ihm  gegenüber,  gewahrte, 
dass  er  auf  diese  Weise  {ovzwg)  verschied,  sprach  er: 
Dieser  Mensch  war  wahrhaftig  Gottes  Sohn^). 


1)  Man  vergleiche  zu  dieser  Ausführung  M.  Joel,  Blicke  in  die 
Eeliglonsgeschichte  zu  Anfang  des  zweiten  christl.  Jahrhunderts  II  (1883), 
S.  64  ff.  und  vor  allem  die  sehr  lesenswerte  Darlegung  von  Brandt, 
Die  evang.  Gesch.  und  der  Ursprung  des  Christenturas  S.  62  ff.  —  Be- 
sonders bemerkenswert  ist,  dass  auch  Dalman  in  seinem  so  belehrenden 
und  tüchtigen,  nur  freilich  einer  geschichtlichen  Anschauung  von  der 
evangelischen  Überlieferung  allzusehr  ermangelnden  Buche  »Worte 
Jesu«  I  S.  257  urteilt:  »Niemals  hätte  mau  aus  blosser  Inanspruchnahme 
des  Messiastitels  eine  „Gotteslästerung"  kon8truiert<'.  Schwächlich  er- 
scheint es  dann  allerdings,  wenn  D.  die  Gotteslästerung  in  dem  Worte 
vom  Sitzen  des  Menschensohnes  zur  Kechten  Gottes  findet  (1462).  Dass 
für  den  Bericht  die  Bejahung  der  hohenpriesterlichen  Frage  der  eigent- 
liche Puiikt  ist,  der  das  Verbrechen  konstituiert,  leidet  doch  keinen 
Zweifel  (s.  übrigens  Brandt  S.  66).  —  Joel  und  Brandt  haben  auch 
auf  die  Thatsache  hingewiesen,  dass  der  Talmud  von  einer  »Gottes- 
lästerung« Jesu  nichts  weiss,  vielmehr  nur  von  Volksverführung.  Die 
Blasphemie  stimmte  eben  nicht  zu  den  jüdischen  Begriffen.  —  Ohne 
die  Berücksichtigung  dieser  Begriffe  findet  sich  die  richtige  Auffassung 
z.  B.  bei  M.  Schulze  S.  35i»:  man  kommt  eben  schon  nach  dem 
Evangelium  selbst  darauf. 

2)  Der  Text  von  V.  39  hat  viele  Varianten,  die  wichtigste  ist  der 


76 

Markus  miiss  hier  meinen,  dass  der  Hauptmann  etwas 
"Wunderbares  wahrnahm,  das  ihn  zu  seinem  Bekenntnis  zwang. 
Die  Art  und  Weise  des  Sterbens  überwältigt  ihn.  Der  Erzähler 
kann  dabei  —  nach  bekannter  Auslegung  —  nur  au  den  lauten 
Schrei  des  Sterbenden  gedacht  haben  oder  an  das  Zerreissen 
des  Tempelvorhangs.  Für  uns  ist  das  einerlei.  Es  kommt 
lediglich  darauf  an,  dass  auch  hier  iiög  d^eov  deutlich  als  ein 
metaphysisches  Prädikat  erecheint.  Man  sollte  aber  nicht  sagen, 
der  Hauptmann  erkenne  in  Jesus  einen  Göttersohn  oder  Heros  i). 
"Was  nach  historischen  Begriffen  für  den  Mann  möglich  war,  ist  eine 
Frage  für  sich^).  Obwohl  Uog  d-eov  ohne  Artikel  erscheint,  will 
Markus  offenbar  gerade  sagen:  dieser  Hauptmann  muss  unter 
■der  Gewalt  der  Thatsachen  die  Wahrheit  des  christlichen 
Glaubens  von  Jesus  anerkennen  und  ihr  Zeugnis  geben  3). 

Xach  diesen  Ausführungen  kann  denn  nicht  mehr  zweifel- 
haft sein,  wie  Markus  den  Xamen  Messias,  Xgcorog  gemeint  hat. 
Er  ist  ihm  gerade  so  wenig  ein  blos  theokratischer  Name  und 
gerade  so  sehr  eine  Bezeichnung  des  übernatürlichen  Wesens 
Jesu  wie  der  Titel  Sohn  Gottes.  Man  muss  das  nachdrücklich 
betonen,  weil  gerade  an  den  Namen  XQiOTog  sich  leicht  das 
Missverständnis  knüpft,  als  hätte  Markus  hier  eine  Vorstellung, 
"wie  sie  der  historischen  Betrachtung  entspricht.  Die  historische 
Betrachtung  denkt  sich  das  Urteil:  dies  ist  der  Messias,  bei 
Jesus,  wenn  auch  noch  so  anders,  doch  prinzipiell  ähnlich  zu 
Stande  gekommen  wie  bei  Bar  Koziba  und  seinesgleichen,  nämlich 
dm'ch  die  Haltung  der  Persönlichkeit,  diu'ch  Reden  und  Auf- 
treten, durch  geschichtliche  Ereignisse.  Der  EvangeHst  ist  von 
solchen  Gedanken  weit   entfernt.     Die   immer   wiederkehrenden 


Zusatz  xmi^etg  hinter   dem  oltco;.     Vgl.   hierzu   und   überhaupt  Brandt 
S.  266  ff. 

1)  Z.  B.  Hol tz mann   z.  St. 

2)  Lukas  hat  freilich  die  Unmöglichkeit  gefühlt.  Er  lässt  den 
Hauptmann  —  im  Zusammenhange  mit  dem  von  ihm  berichteten  Ab- 
schiedsworte Jesu  (2346)  —  bezeugen,  dass  Jesus  wirklich  gerecht  (d.h. 
unschuldig)  gewesen  sei  (V.  47).  D.  h.  er  hat  Markus  »ins  Ethische 
übersetzt«  (Brandt)  und,  was  noch  wichtiger  ist.  rationalisiert,  oder 
mit  Volkmar  zu  reden,  prosaisiert. 

3)  Die  zweifelnde  Frage  Brandts:  Hatte  Markus  vielleicht  doch 
nur  1**0?  geschrieben  ?  würde  ich  deshalb  unbedingt  verneinen. 


77 

V'ersuche^),  ilim  eine  Unterscheidung  der  Begriffe  Messias  und 
Gottessohn  beizulegen,  ich  mehie,  eine  Wert  Unterscheidung, 
müssen  prinzipiell  als  falsch  erkannt  werden. 

Um  einen  Nachweis  aus  dem  Sprachgebrauche,  etwa  aus 
der  Verbindung  beider  Ausdrücke  an  einer  Stelle  (14  gi,  li)  kann 
es  sich  hier  keineswegs  handeln.  Aber  wenn  Markus  einmal 
den  Sohn  Gottes  und  den  Messias  identifizierte,  so  konnte  er 
überhaupt  gar  keinen  Begriff  vom  Messias  haben,  der  unter  dem 
zurückbheb,  was  der  Sohn  Gottes  bedeutete,  oder,  anders  aus- 
gedrückt, was  Jesus  seinem  eigenen  Glauben  Avar.  Denkbar 
mag  ja  sein,  dass  er  eine  falsche  oder  unzm'eichende  (jüdische) 
Messiasvorstellung  von  der  richtigen  unterschied.  Aber  für  sich 
selbst  konnte  er  vom  Messias  nicht  sprechen,  ohne  der  Vorstellung 
alles  das  hinzuzurechnen,  was  ihm  an  Jesus  wesentlich  war. 
Jede  andere  Vorstellung  nötigt  Markus  wie  einen  modernen 
Kritiker  zu  denken,  der  die  einzelnen  Prädikate  sorglich  aus- 
einanderhält und  jedes  für  sich  betrachtet. 

Werfen  wir  hier  einen  Blick  auf  das  Petrusbekenntnis. 
Justin  sagt^),  der  Jünger  habe  Jesus  'Aaxa  zr^v  tov  /lazQog 
an:oy.aXvilHv   erkannt.     Er  fusst  da   auf  Matthaeus,    nach   dem 
Jesus  dem  Petrus  antwortet  (16 17): 

Selig  bist  du,  Simon  Barjona,  denn  Fleisch  und  Blut 
haben  es  dir  nicht  geoffenbart,  sondern  mein  Vater  im 
Himmel. 


1)  Ich  gebe  hier  nur  einige  Belege  aus  Darstellungen,  denen  meine 
Auffassung  dieser  Begriffe  sonst  nah  verwandt  ist.  Hoekstra  meint 
S.  153:  Als  Sohn  Gottes  sei  Jesus  nur  Gutt  und  den  Dämonen  vor 
seinem  Tode  bekannt,  als  Christus  oder  Davidssohn  auch  einigen  Menschen. 
M.  Schulze  S.  358  findet  es  (ähnlich  auch  Hoekstra)  bedeutsam,  dass 
beim  Petrusbekenntnis  die  Gottessohnsehaft  fehle.  Es  sei  nur  an  den 
landläufigen  (politischen)  Sinn  des  Messiastitels  gedacht.  —  Auch 
Volkmar  unterscheidet  gelegentlich  ohne  Grund  zwischen  6  X()iaT6g 
und  6  mbg  tov  if^tov  (auch  ö  nyios  t.  (^.  1  24)  (S.  584,  237).  —  Dalman 
leitet  S.  225  das  vtbs  tov  d-tov  der  Evangelisten  in  den  Bekenntnissen  der 
Dämonen  daher,  dass  Jesus  den  Geistern  gegenüber  weniger  der  Messias 
sei,  als  derjenige,  in  dem  Gott  auf  Erden  erscheint.  Dalman  hält  die 
Aufgabe  der  Kritik  für  erledigt,  wenn  man  an  solchen  Stellen  (vgl. 
auch  die  Frage  des  Hohenpriesters)  für  ö  vwg  toC  ihiov  ein  o  X^ioTog 
einsetzt. 

2)  Dial.  c.  Tryph.  c.  100. 


über  Justins  Meinung  wird  Xiemand  im  Zweifel  sein. 
Matthaeus  aber  führt  ganz  ebenso  das  Wissen  des  Petrus  in 
aller  Form  auf  übernatüi-lichen  Ursprung  zurück i).  Markus  nun 
hat  hier  lediglich  die  nackte  Bekenntnisaussage  (829): 

Du  bist  der  Messias. 
Ihr  Sinn  kann  also  nur  aus  seiner  Gesamtauffassung  näher  be- 
stimmt werden.  Danach  ist  aber  klar,  dass  er  die  Art  der  Er- 
kenntnis, die  Petrus  zeigt,  ebenso  gedacht  haben  muss  wie 
Matthaeus.  Petrus  kann  so  nur  sprechen  kraft  einer  über- 
natürhch  gewirkten  Erkenntnis.  An  anderer  Stelle  sagt  Markus 
das  ja  auch  selbst.  »Euch  ist  das  Geheimnis  des  Reiches 
Gottes  gegeben  worden«.  Das  Geheimnis  kann  immer  nur 
»gegeben«  werden.  Das  gehört  zu  seinem  Begriffe.  Denn  sein 
Inhalt  übersteigt  alle  Menschengedanken.  Hieran  mag  man  er- 
messen, wie  verkehrt,  wie  fremd  dem  Geiste  des  Evangelisten 
die  Annahme  so  manches  Kiitikers  ist,  dass  Markus  hier  ein 
endliches  Ergebnis  von  Vorbereitungen  Jesu  und  von  innern 
Entwicklungen  der  Jünger  schildern  wolle.  Was  könnte  denn 
Erziehung,  was  menschliches  Schhessen,  Beobachten,  Durchdenken 
hier  zum  Erkennen  beitragen? 

Es  ist  noch  eins  hinzuzufügen.  Auch  die  Lehre  Jesu 
nimmt  an  dem  übermenschlichen  Charakter  der  Person  Teil.  Es 
Hegt  das  in  der  Natur  der  Sache.  Ist  das  Lehren  eine  wesent- 
liche Funktion  dieses  Messias,  so  wird  es  seine  Art  tragen. 
Markus  hat  das  aber  auch  durch  bestimmte  Aussagen  an  die 
Hand  gegeben.  Dahin  gehört  nieder  das  Wort  vom  Mysteiium 
des  Reiches  Gottes.  Jesus  bnngt  doch  dieses  Mysterium,  enthält 
er  es  aber  dem  Volke  vor,  so  liegt  darin,  dass  es  götthche 
Weisheit  und  göttliches  Wissen  ist,  was  seinen  Inhalt  ausmacht. 
Etwas  Verwandtes  hegt  aber  auch  vor,  wenn  der  Evangehst 
bemerkt  (I22): 

er  lehrte   sie  wie   ein  Inhalier  von  Gewalt  (wg  i^ovoiav 
l'xiov)  und  nicht  wie  die  Schriftgelehrten. 
Matthaeus  hat  dies  Wort  hinter  der  Bergrede  (7-29),  mid  dieser 
Umstand  bestimmt  den  Klang,  den  es  für  uns  zu  haben  pflegt. 


1\  Charakteristisch  modernisierend  Klöpper,  Der  Sohn  des 
Menschen  in  den  synopt.  Evangelien,  Zeitschr.  für  wiss.  Theol.  1899, 
S.  172:  Jesus  sage  von  Petrus,  sein  Bekenntnis  sei  durch  göttliche 
Lenkung  seines  religiösen  Bewusstseins  zu  Stande  gekommen. 


79 

Wir  denken  an  die  unmittelbare,  originale,  prophetisch  mächtige 
und  prophetisch  sichere,  die  Gemüter  überwältigende  Art  der 
Rede  Jesu,  insbesondere  seiner  ethischen  Predigt.  Markus  wird 
hieran  nicht  gedacht  haben.  In  seinem  Zusammenhange  macht 
das  Wort  einen  ganz  andern  Eindruck.  Volkmar  umschreibt 
das  cog  t^ovaiav  tyiov  ganz  richtig:  »wie  Einer,  dem  eine  über- 
natürliche, göttliche  oder  dämonische  Gewalt  inne  wohnt«. 
Weil  sie  die  Offenbarung  einer  solchen  göttlichen  Macht  ist, 
wirkt  seine  Predigt  auf  das  Volk  wie  etwas  Unerhörtes,  In 
diesem  Sinne  ruft  es  aus:  xaLv^]  didayri  (I27);  in  diesem  Sinne 
betrachtet  es  die  Lehre  und  die  Macht  über  die  unreinen  Geister 
als  Ausfluss  einer  und  derselben  Gewalt;  in  diesem  Sinne  sagt 
Markus,  dass  man  vor  Staunen  ausser  sich  war  über  sein  Lehren. 
Charakteristisch  ist  dabei,  dass  Markus  den  Inhalt  der  Lehre 
unbestimmt  lässt.  Es  kommt  ihm  hier  in  der  That  auf  den 
Inhalt  nicht  an.  Wenn  man  aber  die  von  Markus  berichtete 
Wirkung  nach  dem  Inhalte  begreifen  wollte,  so  dürfte  man  sich 
schwerlich  an  den  im  Evangelium  mitgeteilten  Worten  Jesu 
orientieren  oder  wenigstens  nur  an  ganz  bestimmten.  Denn 
diese  Vorstellung  von  der  Lehrweise  ist  nicht  aus  dem  Eindruck 
überlieferter  Sprüche  und  Reden  Jesu  erwachsen.  Kongenialer 
dem  Evangelium  wäre  der  Gedanke  an  die  Mitteilung  der  gött- 
lichen Wahrheiten,  wie  sie  für  Markus  und  die  Gemeinde  seiner 
Zeit  das  Wesenthche  des  christlichen  Glaubens  sind.  Ich  sage 
nicht,  dass  diese  Vorstellung  bei  Markus  greifbar  gegeben  ist. 
Gerade  explicite  könnte  er  sie  hier  aus  guten  Gründen  nicht 
aussprechen.  Aber  den  Text  mit  dem  stillen  Gedanken  an  das 
zu  lesen,  was  für  Markus  selbst  die  »neue«  Lehre  ist,  scheint 
mir  weder  impassend  noch  unmöglich. 

Fassen, wir  zusammen.  Es  ergiebt  sich,  dass  Jesu  Wesen 
und  was  mit  ihm  zusammenhängt,  an  und  für  sich,  seiner  Natur 
nach  ein  Geheimnis  ist,  nicht  blos  ein  Geheimnis  seines  Bewusst- 
seins,  sondern  ein  s.  z.  s.  objektives  Geheimnis.  Daraus  folgt  nun 
freihch  noch  gar  nicht,  dass  dies  Geheimnis  im  Erdenleben  Jesu 
immer  Geheimnis  bleiben  muss,  dass  er  selbst  auf  die  Geheim- 
haltung unausgesetzt  bedacht  ist.  Diese  Idee  ist  vielmehr  bis 
jetzt  noch  ganz  unverständlich.  Einstweilen  stellen  wir  nur  fest, 
dass  die  Verheimlichung  der  Messianität   bei  Markus  von  einer 


80 

theologischen,  nicht  -  geschichÜicheii  Auffassung  der  Messiauität 
begleitet  ist.  mit  ihr  im  Zusammenhange  steht  und  durch  sie 
einen  bestimmten  Sinn  bekommt. 

Ich  h'age  zuletzt,  was  für  Dinge  im  Einzelnen  als  Inhalt 
des  Geheimnisses  oder  deutlicher  als  Gegenstand  der  Geheim- 
haltung gedacht  sind.     Darüber  ist  folgendes  zu  sagen. 

Geheimnis  ist  zunächst  die  Messianität  oder  die  Gottessohn- 
schaft Jesu. 

Geheimnis  ist  das  Wunderwirken,  das  das  Kennzeichen 
der  Messianität  ist  und  diese  ven-aten  würde. 

Geheimnis  ist  die  ganze  Lehre  Jesu,  weil  sie  der  Menge 
ganz  verborgen  wird. 

Geheimnis  ist  der  Sinn  der  Parabeln  im  Speziellen,  da  er 
nur  den  Jüngern  erschlossen  wird  und  auch  ihnen  nicht  ohne 
Deutung. 

Das  sind  Bestimmungen  von  vei-schiedenem  Umfange  und 
verschiedenem  Werte.  Die  Vorstellungen  vom  Geheimnis  der 
Person  und  vom  Geheimnis  der  Lehre  gehen  übrigens  in  ge- 
wissem Sinne  in  einander  über.  Denn  die  Gottessohnschaft  Jesu 
kann  eben  auch  als  Inhalt  der  Lehre  gedacht  werden  und  wird 
thatsächKch  so  gedacht. 

Es  ist  aber  ein  spezieller  Punkt  noch  besonders  hervorzuheben. 

Geheimnis  ist  in  ausgezeichnetem  Sinne  auch  die  Not- 
wendigkeit des  Leidens,  Sterbens  und  Auferstehens  Jesu.  Das 
ergiebt  sich  bereits  aus  einer  der  liisher  ])etrachteten  Stellen. 

Markus  sagt  9  30,  dass  Jesus  zuletzt  in  Galilaea  seine  An- 
Avesenheit  verbergen  wollte,  und  fügt  hinzu  (V.  31): 

denn  er  lehrte  seine  Jünger  und  sprach  zu  ihnen:  des 
Menschen  Sohn  wird  in  der  Menschen  Hände  ül)ernefert, 
und  sie  werden  ihn  töten,  und  getötet  wird  er  nach  drei 
Tagen  auferstehen. 

Der  Gedanke  wird  hier  von  den  Erklärern  in  der  Eegel 
nicht  in  seiner  Schärfe  erfasst.  Man  darf'  nämhch  nicht  dabei 
stehen  bleiben,  dass  Jesus  mit  seinen  Jüngern  allein  sein  wollte^ 
um  sich  ganz  ihnen  zu  widmen  und  dabei  besonders  sie 
auf  das  bevoi-stehende  Leiden  vorzubereiten  i).      Es  kommt  hier 


1)  B.  Weiss,    Das  Markusevang.  S.  313. 


81 

auf  das  Lehren  im  Allgemeinen  nicht  an,  sondern  gerade  auf 
den  besondern  Inhalt.  AVillJesus  aber  verborgen  bleiben,  wie 
Markus  doch  sagt,  weil  er  diese  Lehre  mitteilt,  so  liegt  die 
Pointe  darin,  dass  eben  diese  Lehre  auch  und  in  besonderem 
Sinne  i-ivotiQiov  ist.  Deshalb  fordert  sie  Geheimhaltung,  darf 
keine  Zeugen  haben.  Aus  diesem  Grunde  also  ist  Jesus  auf 
das  Inkognito  in  Galilaea  bedacht. 

Uns  mag  dieser  Gedanke  sehr  fremdartig  berühren.  Denn 
wir  wenden  ein:  um  das  Geheimnis  des  Leidens  im  engen,  ver- 
trauten Kreise  zu  besprechen,  brauchte  Jesus  ja  nur  dann  und 
wann  sich  mit  den  Jüngern  zurückzuziehen,  woran  ihn  doch 
niemand  hindern  konnte;  und  kaum  das  brauchte  er.  Nichts- 
destoweniger ist  es  der  Gedanke  des  Erzählers:  Jesus  verbirgt 
sich  in  Galilaea,  weil  er  den  Jüngern  das  Geheimnis  des  Todes 
und  der  Auferstehung  übermittelt.  Jeder  Versuch  aber,  dies 
durch  Ergänzung  von  Zwischen gedanken  geschichtlich  vorstell- 
barer zumachen,  z.  B.  die  Interpretation :  Jesus  musste  fürchten 
so  überlaufen  zu  werden,  dass  er  für  die  Belehrung  der  Jünger 
nicht  die  nötige  Zeit  und  Ruhe  behielt,  ist  abzulehnen,  er  beein- 
trächtigt die  Eigentümlichkeit  der  vorliegenden  Vorstellung. 

Die  Ergänzung  des  Bisherigen,  die  diese  Stelle  liefert,  ist 
von  Wert.  Dass  Leiden,  Sterben  und  Auferstehen  Jesu  als  spezi- 
hsches  Mysterium  betrachtet  wird,  versteht  sich  nach  bekannten  alt- 
christlichen Anschauungen  nicht  schwer. 


Die  Verborgenheit  trotz  der  Offenbarung, 

In  dem  Teile  des  Evangeliums,  der  auf  das  Petrusbekenntnis 
folgt,  und  aus  dem  wir  bisher  nur  einzelne  Züge  herangezogen 
haben,  tritt  nichts  so  stark  hervor  wie  eben  die  Weissagungen 
vom  Leiden,  Sterben  und  Auferstehen.  Markus  berichtet  aber 
auffallender  Weise,  dass  diese  Weissagungen  von  den 
Jüngern  nicht  verstanden  wurden.  Diese  Angaben 
müssen  ins  Auge  gefasst  werden.     A'ielleicht  weiss  sie  sich  der 

Wrede,  Mossiasgeheimiiis.  b 


Leser  nach  dem  Ergebnis  des  letzten  Abschnittes  bereits  zu 
deuten.  Ich  möchte  sie  jedoch  ebenso  genau  prüfen  wie  die 
bisher  betrachteten  Züge  und  in  der  Kritik  lieber  zu  pedantisch 
als  zu  sorglos  erscheinen. 

Die  Weissagungen  selbst  interessieren  uns  hier  an  und  für 
sich  nicht.  Allein  sie  stehen  in  engster  Verbindung  mit  den 
Äusserungen  über  das  Verständnis  der  Jünger ;  das  Urteil  über 
sie  ist  daher  auch  hierfür  von  Bedeutung,  und,  wie  sich  zeigen 
wird,  von  nicht  geringer.     So  können  sie  nicht  übergangen  werden. 


Die  Weissagungen  vom  Leiden^   Sterben  und  Auferstehen  Jesu. 

Uns    sind   hier  vornehmhch    vier  Äusserungen  wichtig,   vnr 

können  uns  zwar  nicht  schlechthin  auf  sie  beschränken,  aber  wir 

stellen  sie  in  den  Vordergrund. 

831.32:  äiXJnd  er  begann  sie  zu  belehren,  es  müsse')  der  Sohn 
des  Menschen  viel  leiden  und  verworfen  werden  von  den 
Altesten  und  den  Hohenpriestern  und  den  Schriftgelehrten 
mid  nach  drei  Tagen  auferstehen;  32und  frei  heraus 
(naQQr^oia)  redete  er  das  Wort. 

931:  (Denn)  er  lehrte  seine  Jünger  und  sprach  zu  ihnen:  der 
Sohn  des  Menschen  wird  ausgeliefert  in  die  Hände  der 
Menschen,  und  sie  werden  ihn  töten,  und  getötet  wird 
er  nach  drei  Tagen  auferstehen. 

IO32 — 34:  32  ...  .  Und  er  nahm  wieder  die  Zwölf  zu  sich  und 
begann  ihnen  zu  sagen  von  den  Dingen,  die  ihm  wider- 
fahren sollten :  ^agiehe,  wir  ziehen  hinauf  nach  Jerusalem, 
und  der  Sohn  des  Menschen  wird  den  Hohenpriestern 
und  den  Schriftgelehrten  ausgeliefert  werden,  und  sie 
werden  ihn  zum  Tode  verurteilen  und  ihn  den  Heiden 
ausliefern;  und  sie  werden  ihn  verspotten  und  ihn  an- 
speien und  ihn  geissein  und  töten,  und  nach  drei  Tagen 
wird  er  auferstehen. 

Hierzu  kommt  dann  als  vierte  Stelle  99. 

1)  Ob  man  mit  direkter  oder  indirekter  Kede  übersetzt,  ist  sachlich 
gleichgiltig.  Der  volle  Parallelismus  zu  den  beiden  andern  Stellen  wird 
auch  im  zweiten  Falle  nicht  beeinträchtigt.  Künstlich  unterscheidet 
B.  Weiss,  L.  J.  II  S.  290,  Das  Markusevang.,  S.  350. 


83 

Im  Ausdruck  sind  diesen  Worten  nächstverwandt  die 
Stellen  9r2,  142i.4i.  Es  ist  auch  hier  davon  die  Rede,  dass 
des  »Menschen  Sohn<  viel  leiden«  muss  oder  »ausgeliefert«  wird- 
An  den  beiden  ersten  Stellen  wird  dabei  angedeutet,  dass  das 
Leiden  der  Weissagung  der  Schrift  entspricht.  Ausserdem 
kommen  in  Betracht  lOssf.is,  12Gff.  lof.,  147f.i8  (Voraussage 
des  Verrats),  1424.27.28  (Voraussage  der  Flucht  der  Jünger, 
Vorangehen  nach  Galilaea),  1430  (Weissagung  der  Verleugnung). 

Nur  ein  Teil  dieser  zahlreichen,  den  ganzen  letzten  Ab- 
schnitt des  Markus  in  der  That  beherrschenden  Worte  sind 
formelle  Weissagungen.  Nicht  selten  tritt  der  Gedanke  des 
Leidens  wie  eine  selbstverständliche  Sache  auf;  der  Redende 
deutet   nur  kurz   und   in  einem  Tone   darauf  hin,    als  wenn   es 

keine  Schwierigkeit  des  Verständnisses  gäbe. 

« 

AVie  Markus  diese  Voraussagungen  Jesu  sich  gedacht  hat, 
ist  nicht  schwer  zu  erkennen.  Es  ist  ein  grosser  L-rtum  zu 
meinen,  dass  Jesus  in  diesem  Evangelium  erst  von  Caesarea 
Phihppi  an  den  Tod  ins  Auge  fasse  und  zwar  nur  als  »Ratschluss 
Gottes,  dem  er  sich  bis  zu  allerletzt  nur  schwer  und  fast  wider- 
willig ergebe«  ^).  Vielmehr  steht  die  Notwendigkeit  des  Todes 
ihm  von  Anfeng  an  fest.  Das  beweist  schon  das  Wort  von  der 
Trauer  über  das  Scheiden  des  Bräutigams  (2io,  20).  Und  über- 
all nachher  tritt  das  Wissen  um  diese  Notwendigkeit  als  ein 
völhg  sicheres,  fertiges  und  abgeschlossenes  auf.  Nur  die 
Gethsemaneszene  erweckt  einen  andern  Eindruck,  sie  ver- 
langt ihre  besondere  Beurteilung,  kann  aber  die  bezeichnete 
Thatsache  nicht  aufheben. 

Wie  könnte  Markus  auch  anders  denken?  Der  Tod  Jesu 
ist  ebenso  wie  die  Auferstehung  ein  Bestandteil  seines  messia- 
nischen  Werkes,  und  ein  wesentlicher.  Markus  kennt  ja  schon 
«ine  erlösende  Bedeutung  dieses  Todes|;  er  hat  das  Abendmahls- 
wort (1424)  wie  das  Wort  vom  Lösegeld  (10  45);  es  versteht  sich 
aber  ohnehin  von  selbst.  Markus  kennt  erst  recht  eine 
Vorherbestinnnung  des  Leidens  Jesu,  enthalten  im  Schriftwort. 
Wie  kann  sich  Jesus  da  als  Messias  wissen,  ohne  die  Not- 
wendigkeit von  Leiden,  Tod  und  Auferstehung  in  seinen  messia- 


1)  Wernle,  Synopt.  Frage  S.  200. 


84 

iiischen  Beruf  von  vornherein  einzurechnen?  Ja,  wenn  diese  Not- 
wendigkeit eine  Notwendigkeit  des  geschichtHchen  Verlaufs  wäre? 
wie  es  die  moderne  Wissenschaft  vorstellt !  Aber  wer  darf  das 
del  Tov  iiov  Toc  c(vd^QW7tov  Ttad-Eiv  so  erläutern!  Gewiss,  Markus 
giebt  geschichtliche  Daten  über  die  Feindschaft  von  Volksoberen 
und  Pharisäern,  aber  sie  bezeichnen  nur  die  an  sich  belanglose 
Modalität  für  den  Vollzug  des  göttlichen  Ratschlusses,  wie  denn 
m.  E.  diese  Daten  gar  nicht  so  deutlich  ausfallen,  um  den  xlus- 
gang  des  Lebens  Jesu  leicht  aus  ihnen  zu  begreifen  ^).  Es  ist 
deshalb  auch  ohne  Frage  die  Meinung  des  Markus,  dass  Jesus 
nach  Jerusalem  zieht,  weil  er  dort  sterben  will,  auch  an  Einzel- 
heiten des  Berichtes  lässt  sich  das  erkennen  ^).  Man  müsste  sich 
den  Evangelisten  geradezu  als  einen  gänzlich  ausserhalb  der  Ge- 
meinde seiner  Zeit  stehenden  Mann  vorstellen,  wenn  er  eine  andere 
Auffassung  haben  soll.  Denn  die  Gemeinde  hat  in  seiner  Zeit 
zweifellos  so  über  Jesu  Tod  und  über  Jesu  Auffassung  seines 
Todes  gedacht. 

Dazu  kommt  noch  eins.  Die  Vorhersagungen,  die  Jesus 
hier  giebt,  können  nur  als  ^Äusserungen  eines  übermenschlichen 
Wissens  betrachtet  werden;  sie  entsprechen  den  Ereignissen  so 
pünktlich,  wie  es  nur  wirkliche  Weissagung  vermag.  Ein  solches 
Wissen  aber  entsteht  nicht  in  einem  historischen  Momente,  diu'ch 
Verkettung  der  Umstände,  es  ist  der  Ausfluss  einer  höheren 
Natm'  und  mit  dieser  ohne  Weiteres  da.  Und  eben  weil  dies 
Wissen  übernatürlich  ist,  erscheint  sein  Inhalt  als  Geheimnis  ^j. 

Es  folgt  hieraus  sofort,  dass  die  Einzelheiten  in  den  Weis- 
sagungen fiir  Markus  nicht  bedeutungslos  sind.  Natürlich  ist 
die  Verkündigung  des  Leidens  und  Sterbens  überhaupt  zunächst 
das  AVichtigste,  aber  in  den  Einzelheiten  tritt  gerade  die  Natur 
des  Wissens  Jesu  am  klagten  hervor.  Eine  besondere  Bedeutung 
haben  solche  Einzelweissagungen,  wenn  sie  Thatsachen  betreffen, 
denen  etwas  L'rationales  ftir  die  Gemeinde  anhaftet,  me  dass 
Jesus  von  einem  Jünger  verraten  werden  konnte,  dass  ein  Petrus 
ihn  verleugnet  hat,  dass  die  Jünger  insgesamt  die  Flucht  er- 
griffen.    In  fester  Verbindung  aber  steht  mit  der  Verkündigung 

1)  Anders  Holtzmann,  Xeutest.  Theol.  I.  S.  288. 

2)  Hoekstra  S.  176,  M.  Schill ze,  S.  370,  auf  dessen  gute  Be- 
merkungen S.  360£F.  überhaupt  verwiesen  sei. 

3)  Oben  S.  80  f. 


85 

des  Leidens  und  Sterbens  die  der  Auferstehung.  Die  einzelne 
Stelle  kann  davon  schweigen,  wie  sie  auch  blos  von  ihr  reden 
kann.  Aber  der  eigentliche  Gedanke  umfasst  immer 
beides,  denn  ohne  die  Auferstehung  kann  ein  alter 
Christ  das  Leiden  und  Sterben  nicht  denken.  Es  muss 
dies  betont  werden,  weil  die  Weissagung  der  Auferstehung  leicht 
mit  etwas  anderem  Masse  gemessen  wird  wie  die  des  Todes. 
Wer  sie  streicht,  giebt  den  Evangehsten  einen  andern  Sinn. 

Wie  behandelt  nun  die  Kritik  diese  Berichte  des  Evangeliums  ? 

Äusserst  verschieden,  wird  man  sagen,  wenn  man  die  Urteile 
im  Einzelnen  mustert,  und  doch  recht  gleichartig.  Denn  zweierlei 
ist  all  den  mannigfachen  Versuchen  gemeinsam:  man  sub- 
trahiert und  man  deutet  um.  Dass  Jesus  dreimal  in  so 
stereotyper  Form  gesprochen  hätte,  wie  es  die  drei  Stellen  831, 
931,  lOasf.,  an  die  Hand  geben,  ist  unw^ahi-scheinhch,  also  hat 
der  Evangelist  hier  nur  aus  literarisch-rhetorischen  Rücksichten, 
um  eine  kunstvolle  Symmetrie  zu  schaffen  oder  um  seiner  Dar- 
stellung eine  bestimmte  Stimmung  zu  geben,  vervielfacht^).  Man 
findet  das  Ursprüngliche  dann  hinter  dem  Petrusbekenntnis^), 
aber  auch  an  der  Stelle  1032ff.  ^),  und  warum  nicht  auch  bei 
931^)?  Gern  wird  das  »nach  drei  Tagen«  abgezogen^),  denn 
das  ist  ja  zu  klar  eine  eigenthche  Prädiktion,  oder  man  spricht 
auch  von  der  »blos  andeutenden«  A¥eissagung  der  Auferstehung  ••). 
Aber  andere  gehen  weiter  und  streichen  auch  die  Auferstehung 
selbst '').  Denn  daran  konnte  der  geschichtliche  Jesus  nicht 
denken,  die  echte  Restitutionserwartung  ist  vielmehr  die  Weis- 
sagung der  Parusie.      Holsten^)  geht  noch  einen  Schritt  weiter 

1)  Z.  B.  J.  Weiss,  Reich  Gottes  S.  171.  2)  So  meistens. 

3)  Wellhausen,  Skizzen  und  Vorarbeiten  VI  S.  211. 

4)  J.  Weiss,  S.  172. 

5)  Dazu  scheint  selbst  B.  Weiss  geneigt,  L.  J.  II  S.  293.  Zu  831 
(Das  Markusevang.  S.  285)  erklärt  er  allerdings:  nuoh  drei  Tagen,  d.  h. 
in  kürzester  Frist  (!) 

6)  Titius  S.  25.   T.  »beweist«  sogar  mit  diesem  »blos  andeutend». 

7)  Z.B.Weizsäcker  S.5(J9f,  Keim  II  S.  563 ff.,  auchStrauss, 
L.  J.  f.  d.  deutsche  Volk  S.  235. 

8)  Holsten,  zum  Evangelium  des  Petrus  und  Paulus  S.  151tf., 
bes.  S.  173  ff.  Auch  Bibl.  theol.  Studien,  Zeitschr.  für  wissensch.  Theol. 
1891,  S.  71. 


86 

rückwärts  und  streicht  mit  der  Auferstehung  auch  den  Tod,  nur 
mit  dem  Leiden  kann  Jesus  zunächst  gerechnet  haben ,  der 
Leidensverkündigung  ist  das  Übrige  später  nachgewachsen.  Der 
Ausdruck  der  Notwendigkeit  des  Leidens  wird  manchmal  fest- 
gehalten, oft  aber  auch  fallen  gelassen.  Fast  allgemein  werden 
dann  die  konkreten  Einzelheiten  des  Leidensbildes  preisgegeben. 
Sie  sind  leicht  erklärliche  Modifikationen  nach  dem  wirkhchen 
Gange  der  Dinge. 

Die  Umdeutung  betrifft  namentlich  eben  die  Notwendig- 
keit des  Leidens  und  Todes.  Jesus  wurde  durch  den  Gang 
seiner  Wirksamkeit,  durch  die  wachsende  Feindschaft  der  Gegner 
und  Gewalthaber  dazu  geführt,  mit  seinem  Tode  zu  rechnen. 
Es  sind  also  lediglich  Ahnungen  Jesu,  mit  denen  wir  zu  thun 
haben.  Nein,  sagen  andere,  wenn  Jesus  seinen  Tod  nach  dem 
Gange  der  Dinge  wahrscheinlich  fand,  so  musste  er  ihm  bei 
seinem  messianischen  Bewusstsein  zum  Problem  werden.  Und 
das  Problem  war  ei'st  dann  gelöst,  wenn  er  den  Tod  in  dies 
Bewusstsein  aufnahm,  wenn  ihm  der  Tod  zu  einer  rehgiösen 
Notwendigkeit  wurde,  zu  dem  gottgeordneten  Wege,  sein  Werk 
hinauszuführen  1).  .Man  wird  auch  hier  noch  eine  sehr  starke 
Umdeutung  des  Markus  bemerken.  Der  Unterschied  ist  so  gross, 
wie  der  Unterschied  zwischen  der  geschichtlichen  Denkweise 
eines  modernen  Theologen  und  der  ungeschichthchen  eines  alt- 
gläubigen überhaupt.  Von  dieser  Auffassung  aus  wird  übrigens 
auch  die  Auferetehungsverkündigung  wieder  annehmbarer.  Jesus 
konnte  beim  Tode  nicht  stehen  bleiben,  ohne  sich  selbst  aufzu- 
geben. Freilich  so  wie  die  evangelische  Voraussagung  lautet, 
kann  er  nicht  wohl  gesprochen  haben,  aber  Triumphworte  muss 
er  geredet  haben,  die  dann  umgestaltet  wurden  ^). 

Was  ist  nun  das  Richtige  unter  all  diesen  verschiedenen 
Meinungen  s)?  Das  wäre  sch^ver  zu  entscheiden.  Denn  jeder 
Forscher  verfährt  schliesslich  so,  dass  er  von  den  überlieferten 
Worten    dasjenige    beibehält,   was   sich    seiner  Konstruktion  der 


1)  Diese  Anschauung  hat  besonders  Baldensperger  vertreten, 
s.  aber  auch  Weizsäcker,  Untersuch,  z.  ev.  Gesch.  S.  475fF.,  Holtz- 
mann,  Neuteet.  Theol.  I  S.  288 f.,  295,  J.  Weiss  S.  103. 

2)  Holtzmann  I  S.  306. 

3)  Auf  einige  neuere  Äusserungen  über  das  Thema  gehe  ich  im  Ex- 
kurs IV  näher  ein. 


87 

Thatsachen  und  seiner  Auffassung  von  geschichtlicher  Möglich- 
keit einfügen  lässt,  das  Übrige  aber  abstösst.  Die  Thatsache 
dass  die  AVorte  den  Sinn,  in  dem  sie  überliefert  sind,  mehr  oder 
weniger  einbüssen,  bekümmert  ihn  dabei  sehr  wenig. 

Ohne  Zweifel  werden  hier  ja  sehr  richtige  Gedanken  aus- 
gesprochen. Dass  diese  Leidensweissagungen  schematisch  sind, 
dass  sie  Dinge  enthalten,  die  Jesus  nicht  gewusst  haben  kann, 
dass  Jesus  insbesondere  das  absolute  Wunder  einer  sofortigen 
Wiederkehr  ins  Leben  nicht  prophezeit  haben  kann,  ist  offenbar. 
Aber  ich  fürchte,  wir  werden  auf  diesem  Wege  nie  über  stark 
subjektive  Urteile  hinauskommen,  wir  müssen  das  kritische  Ver- 
fahren ändern. 

Weshalb  zog  Jesus  nach  Jerusalem?  Nicht  um  dort  zu 
sterben,  wie  es  die  dogmatische  Ansicht  der  Evangelisten  will- 
Aber  auch  schwerlich  blos  um  einer  kultischen  Pflicht  willen, 
wenn  er  annehmen  musste,  dass  dabei  sein  ganzes  Wirken  und 
Werk  die  grösste  Gefahr  lief.  Viel  besser  scheint  die  Antwort: 
um  in  Jerusalem  zu  wirken  und  entscheidend  zu  wirken  i).  Da 
müsste  freilich  der  jerusalemische  Aufenthalt  uns  in  den  Evan- 
gelien in  einer  starken  Verkürzung  und  Verblassung  vorliegen. 
Dafür  lässt  sich  aber  auch  vieles  sagen  ^). 

War  dies  aber  die  Absicht  Jesu,  dann  konnte  er  seinen 
Tod  nicht  als  gewiss  betrachten,  der  Gedanke  an  ihn  oder  doch 
an  drohende  Leiden  mochte  als  Möglichkeit  zeitweilig  hervor- 
treten, aber  er  konnte  zunächst  nicht  dominieren.  Im  Voraus- 
blick gab  es  ja  nicht  blos  die  Möglichkeiten,  die  nachher  Wirklich- 
keit wurden.  Und  Jesus  glaubte  an  den  Gott,  dessen  Sache 
er  führte. 

Femer.     Die  Jünger  zeigen  sich  beim  Tode  Jesu  ratlos  und 

1)  Vgl.  hierzu  We  iz8;icl<er,  Apost.  Zeitalter  S.  15.  Gelegentlich 
sei  hier  bemerkt,  dass  die  ^Untersuchungen  über  die  evang.  Geschichte« 
auch  ganz  abgesehen  von  der  Stellung  zum  Johannesevangelium  in  keiner 
Weise  als  Zeugnis  für  die  späteren  Anschauungen  dieses  Forschers 
gelten  dürfen.  Das  Apost.  Zeitalter  und  spätere  Rezensionen  lassen 
erkennen,  dass  er  sich  sehr  weit  von  seinem  einstigen  Standpunkte  ent- 
fernt hat.  Nicht  ohne  Grund  aber  nehme  ich  trotzdem  auf  die  »Unter- 
suchungen« in  dieser  Arbeit  häufig  Bezug. 

2)  Schon  Weisse  I  S.  42{t  hat  Ahnliches  ausgesprochen. 


gänzlich  erschüttert,  sie  fliehen  und  denken  zunächst  nicht  an 
die  MögKchkeit  seiner  Auferstehung.  Das  sieht  nicht  danach 
aus,  als  ob  sie  durch  Jesus  auf  die  Ereignisse  wirklich  vorbereitet 
worden  wären.  Freilich  kann  auch  der  Eintritt  erwarteter  Dinge 
die  Fassung  nehmen,  aber  hier  scheint  jede  Hoffnung  zunächst 
gänzlich  ausgelöscht  zu  sein. 

Diese  und  ähnliche  Betrachtungen  mögen  viel  Wahrscheinlich- 
keit haben.  Gleichwohl  möchte  ich  sie  nicht  zum  Ausgangs- 
punkte für  die  Beurteilung  der  Weissagungen  nehmen.  Evi- 
denz ist  hier  schwer  zu  erreichen,  Täuschungen  sind  nicht 
ausgeschlossen,  und  die  Rede  wird  leicht  Gegenrede  finden. 
Auf  alle  Fälle  wäre  es  kühn  zu  behaupten,  dass  Jesus  vor  den 
letzten  Tagen  niemals  Leidens-  und  selbst  Todesahnungen  ge- 
äussert haben  könne,  so  gewiss  es  schwer,  sehr  schwer  vorzu- 
stellen ist,  dass  er  von  Weitem  zu  einer  wirklichen  G  ewissheit 
des  Todes,  zu  einer  messianischen  AVertung,  zu  einer  das  ganze 
Bewusstsein  ausfüllenden  Macht  des  Gedankens  gelangte. 

Es  muss  festgehalten  werden:  das  erste,  das  gegebene 
Tü'itische  Objekt  sind  gar  nicht  die  Möglichkeiten  des  Lebens 
Jesu,  sondern  es  sind  die  vorliegenden  bestimmten  Texte  der 
Evangehen.  Die  Form  und  der  Inhalt  dieser  Texte  redet  aber 
auch  eine  Sprache,  die  nicht  misszuverstehen  ist. 

Sie  sind  nichts  als  ein  kurzes  Summarium  der  Leidens- 
geschichte, »allerdings  im  Futurum«  *).  Bei  einem  Worte  wie 
1032ff.  muss  das  jeder  sofort  zugeben.  Da  hören  wir  von  den 
handelnden  Subjekten  der  Leidensgeschichte,  von  Hohenpriestern 
und  Schriftgelehrten  und  Heiden,  vom  Todesurteil,  von  den  be- 
sonderen Äusserungen  der  Feindschaft  gegen  Jesus,  wie  sie  die 
Leidensgeschichte  thatsächlich  berichtet.  »Präziser  kann  man  in 
wenigen  Worten  die  Leidensgeschichte  überhaupt  nicht  erzählen«. 
Aber  bei  den  einfacheren  Stellen  ist  es  nicht  anders.  Auch  9 31 
ist  eine  Erzählung.  Ausliefern  in  die  Hände  der  Menschen, 
töten,  auferstehen  nach  drei  Tagen  —  das  sind  che  drei  Haupt- 
stationen des  historischen  Berichts. 


1)  Ich  kann  hier  im  "Wesentlichen  nur  wiederholen,  was  Eichhorn, 
Das  Abendmahl  im  X.  T.  (1898)  S.  11  ff.  ausgeführt  hat.  Doch  haben 
meine  Bemerkungen  eine  etwas  andere  Spitze. 


89 

Nun  ist  es  eine  Thatsaclie,  die  als  solche  auch  von  der- 
Kritik  nicht  leicht  l^estritten  wird,  dass  es  ein  wesentliches  Be- 
dürfnis für  die  altchristliche  Gemeinde  war,  zu  glauben,  Jesus 
habe  sein  Leiden  und  ebenso  seine  Auferstehung  selbst  voraus- 
gewusst  und  vorausgesagt.  Jesus  hatte  nicht  blos  leiden  müssen, 
sondern  leiden  wollen;  jeder  Gedanke,  als  hätte  er  von  seinem 
Tode  überrascht  werden  können,  musste  abgewehrt  werden.  Und 
für  die  Wahrheit  der  Auferstehung  war  es  ebenfalls  ein  wesent- 
liches Zeugnis,  wenn  Jesus  sie  selbst  geweissagt  hatte.  Man 
hatte  noch  ein  anderes  Mittel,  das  dem  gleichen  Zwecke  diente, 
den  Beweis  aus  der  alttestamentlichen  Weissagung,  aber  darum 
war  dieses  nicht  geringeren  Wertes. 

So  notwendig  wie  z.  B,  in  der  Frage  der  Mission,  in  der 
Beurteilung  des  Judentums,  in  der  Erwartung  der  Parusie,  im 
Punkte  der  befremdlichen  Schicksale  der  Gemeinde,  d.  h.  der 
Verfolgungen,  in  allerlei  sonstigen  Anschauungen  vom  Messias 
musste  daher  auch  hier  eine  Korrektur  der  Überlieferung  vom 
Leben  Jesu  eintreten,  einfach  weil  die  Gemeinde  keine  Vor- 
stellung von  ihm  haben  koniite,  die  hinter  ihren  eigenen  (xlaubens- 
interessen  zurückblieb  oder  ihnen  gar  widersprach. 

So  schiessen  denn  die  Todes-  und  Auferstehungsweissagungen 
auch  förmlich  vor  unsern  Augen  auf.  Lukas  (llao)  kennt  die 
Beziehung  des  Wortes  vom  Zeichen  des  Propheten  Jona  auf  die 
Auferstehung  noch  nicht,  Matthaeus  hat  sie  (12  lo)  und  zwar 
als  direktes  Herrenwort,  und  jedermann  hält  ihn  hier  für  sekundär. 
Das  synoptische  Wort  vom  Abbrechen  des  Tempels  erscheint 
bei  Johannes  mit  der  unmöglichen  Deutung,  dass  Jesus  da  vom 
Töten  und  Erstehenlassen  seines  Leibes  gesprochen  habe  (2-21). 
Lukas  bringt  1725  eine  Leidensweissagung  im  üblichen  Stile,  die 
den  andern  Texten  fehlt,  und  lässt  Jesus  246  einen  Rückblick 
auf  eine  Leidensweissagung  werfen,  von  dem  die  Parallelen 
nichts  wissen.  Nahe  verwandt  ist  auch,  dass  er  in  die  Ver- 
klärungsgeschichte einen  Vers  hineinscliiebt,  nach  dem  Moses 
und  Elias    den  Ausgang  Jesu   in  Jerusalem   voraussagen   (93i). 

Treffen  wir  demnach  im  Markus  auf  diese  Äusserungen, 
so  ist  das  Urteil  gegeben,  dass  wir  hier  Zeugnisse  und  Erzeug- 
nisse dieses  historischen  Prozesses  vor  uns  haben.  Denn  dass 
der  Prozess  erst  nach  Markus  begonnen  habe,  ist  eine  iVusicht, 
die    keine  Widerlegung    verdient.      Und   die  Stellen  sind  ihrem 


90 

Charakter  nach  eben  ganz  deuth'ch.  Sie  sind  die  genaueste 
FonuuHerung  des  Gedankens,  dass  Jesus  die  Leidensgeschichte, 
wie  sie  wirklich  geschehen  war,  pünktlich  vorausgewusst  habe. 
Sie  gehören  demnach  in  das  Kapitel  von  der  altchristlichen 
Apologetik.  D.  h.  für  die  Darstellung  des  wirkhchen  Lebens 
Jesu  existieren  sie  einfach  nicht.  Wir  brauchen  also  hier  in  der 
That  gar  keine  Eeflexionen  darüber  anzustellen,  Avas  im  All- 
gemeinen im  Leben  Jesu  für  wahrscheinlich  gelten  muss.  Es. 
genügt  völlig,  dass  wir  über  den  Wert  dieser  bestimmten  Texte 
Klarheit  finden. 

Die  Kritik  urteilt  anders.  Sie  findet  in  den  Leidens- 
verkündigungen einen  historischen  Kern.  Es  ist  angezeigt,  diese 
Auffassung  etwas  näher  anzusehen. 

Auf  den  »historischen  Kern«  trifft  man  immer  wieder.  Im 
Allgemeinen  lässt  sich  ja  nicht  bestreiten,  dass  der  Gedanke 
ein  Recht  hat.  Aljer  die  heutige  Evangehenkritik  handhabt 
ihn  in  einer  Weise,  der  ich  mssenschaftliche  Berechtigung  nicht 
zugestehen  kann. 

Dem  Taufbericht  soll  ein  inneres  Erlebnis  Jesu,  etwa  eine 
Vision  zu  Grunde  liegen,  mit  der  Yersuchungs-  und  Verklärungs- 
geschichte soll  es  ähnlich  stehen.  Die  Erkenntnis  des  Messias 
durch  die  Dämonen  wird  auf  die  einfache  Anrede  eines  oder 
einiger  Geisteskranker  zurückgeführt.  Geschichten  wie  die  von 
der  Speisung  oder  vom  Seewandeln  oder  vom  Seesturm  oder 
vom  Aussätzigen  sind  durch  Lmbildung  einfacherer  und  glaub- 
hafter Vorgänge  entstanden.  Zahlreiche  Worte  Jesu,  z.  B.  vom 
Anteil  der  Heiden  am  Heil,  und  so  auch  diese  vielen  Spmche 
vom  Leiden  mid  Auferstehen  haben  durch  Umformung  eines 
Ursprünglichen  ihre  evangelische  Gestalt  gewonnen.  Von  anderen 
Stoffen,  bei  denen  Erweiterungen  oder  andere  Veränderungen 
wahrscheinlicher  sein  mögen,  sehe  ich  ganz  ab. 

Offenbar  liegt  in  dieser  Auffassung  eine  eigentümliche 
Gesamtvorstellung  von  der  evangelischen  Überlieferung.  Diese 
durchgreifende  Umgestaltung  des  Kernes  wäre  geradezu  eine  der 
wichtigsten  Thatsachen  in  der  Geschichte  der  evangehschen 
Tradition.  Allein  man  bildet  eine  solche  Gesamtvoretellung 
eigentlich  nicht,  weil  man  mit  dem  -Kerne«  immer  von  Fall 
zu  Fall  operiert.     Thäte  man  es,    so  müsste  man   an  dem  Ver- 


91 

fahren  selbst  wohl  etwas  irre  werden.  Denn  wenn  wir  alle 
Augenblicke  die  Gestaltung  einer  Vision  oder  eines  innern  Er- 
lebnisses zum  objektiven  Vorgange,  einer  ziemlich  trivialen 
Begebenheit  zum  Wunder  und  alle  Augen1)licke  eine  ganz  gleich- 
artige Modelung  und  ümfärbung  zahlreicher  umlaufender  Herren- 
worte annehmen  sollen,  so  wird  die  Erklärung  selbst  verdächtig. 

Doch  die  Hauptsache  scheint  mir  Folgendes.  Wenn  man 
mit  einem  Kerne  arbeiten  will,  so  muss  man  wirklich  auf  einen 
Kern  stossen.  Es  kommt  gerade  alles  darauf  an,  dass  in  einer 
anfechtbaren  Geschichte  oder  einem  Worte  etwas  nachgewiesen 
wird,  was  jede  andere  Erklärung  des  vorliegenden  Gebildes  un- 
wahrscheinlich oder  wenigstens  zweifelhaft  macht.  Es  muss 
etwas  Unausgeglichenes,  Kontrastierendes  in  ihm  sein,  das  auf 
die  Unterscheidung  eines  Alteren  und  eines  Späteren  führt,  oder 
etwas  Hartes,  Besonderes,  was  aus  Ideen  nicht  zu  begreifen  ist. 
Hier  giebt  es  nun  gar  kein  besseres  Beisj^iel  als  eben  Todes- 
und  Auferstehungsweissagungen  wie  831,  Gsi,  lOsaf.  Wo  steckt 
denn  hier  etwas  Konkretes,  Individuelles,  das  sich  der  Auflösung 
wddersetzte,  das  man  wie  andere  Logien  Jesu  allenfalls  unerfindbar^) 
nennen  könnte?  Wo  ist  ein  Anzeichen  verschiedenartiger 
Schichten?  Wir  haben  den  nackten  Ausdruck  der  Gemeinde- 
anschauuug  vor  uns  und  weiter  nichts.  Die  letzte  erkennbare 
Spm"  vom  Oiiginalen  wäre  hier  offenbar  verschwunden,  und  zwar 
sonderbarerweise  j  e  d  e  s  m  a  1  verschwunden,  man  kann  deshalb 
weder  sagen,  was,  noch  wie  es  umgebildet  sein  soll.  Über 
beides  aber  sollte  man  wenigstens  einige  Rechenschaft  geben 
können,  wenn  man  irgend  etwas  Sicheres  ermitteln  will.  Es 
ist  unmöglich,  über  diese  Fragen  so  leicht  und  mit  so  un- 
bestimmten und  ungreifbaren  Angaben  hinwegzugehen,  wie  es 
von  Seiten  der  Kritiker  geschieht. 

Oder  sollen  wir  die  Worte  ganz  preisgeben  und  nur  daran 
festhalten,  dass  »eine  Erinnerung«  an  einen  ganz  bestimmteii 
Moment  vorliegt,  in  dem  Jesus  von  diesen  Dingen  gesprochen 
hätte?  Allein  diese  Worte  Jesu  begegnen  uns  in  allen  möglichen 
Momenten,  eine  oder  ein  paar  Situationen  für  die  geschieht- 
Heben  erklären  ist  ein  Urteil,  dass  jeder  Evidenz  entbehrt, 
zumal  in  einer  Schrift  wie  der  des  Markus,   die  nicht  blos  hier 

1)  Ich  setze  voraus,  dass  raan  mit  diesem  »uncrlindliar«  nicht  ganz. 
so  freigebig  ist,  wie  es  üblich  ist. 


92 

Unhistorisclies  enthält.  Ich  nehme  auch  die  Stelle  831  nicht 
aus.  Es  ist  zwar  am  ehesten  begreiflich,  wenn  man  hier  be- 
sonders die  »Erinnerung«  gefunden  hat,  weil  man  einen  bestimmten 
Pragmatismus  im  Markus  fand.  Für  uns  hat  sich  dieser  Pragma- 
tismus bereits  aufgelöst  und  wird  sich  noch  mehr  auflösen,  und 
die  Betonung  des  rJQiaro  erkannten  wir  als  einen  Irrtum.  Aber 
noch  mehr!  Es  liegt  ja  auch  an  sich  gar  nicht  in  der  Natur 
solcher  Worte,  die  der  Ausdruck  einer  Anschauung  sind,  an 
eine  bestimmte  Stelle  der  Überlieferung  gebunden  zu  sein. 
Weshalb  sollen  -wir  dann  von  der  Annahme  ausgehen,  dass  es  so 
war?  Erst  die  schriftHche  Fixierung  der  Tradition  wird  ihnen 
vermuthch  eine  feste  Stelle  gesichert  haben.  Es  ist  deshalb  sehr 
wohl  möglich,  ja,  wie  mich  dünkt,  recht  wahrscheinlich  i),  dass 
die  drei  mehrfach  angeführten  Weissagungen  vor  Markus  über- 
haupt niemals  mit  dem  Bekenntnis  des  Petrus,  der  Reise  durch 
Galilaea  oder  dem  Aufbruch  nach  Jerusalem  verbunden  gewesen 
sind.  Wer  an  abstrakten  Möglichkeiten  Gefallen  findet,  kann 
ja  sagen,  mit  der  Möglichkeit  von  Avirklichen  Todesahnungen 
Jesu^)  sei  doch  auch  die  andere  Möglichkeit  gegeben,  dass  die 
Gemeindeanschauung  sich  mit  einer  historischen  Erinnemng  ver- 
schmolz oder  an  sie  anknüpfte.  Zugegeben.  Aber  zu  erkennen  wäre 
da  für  uns  dann  jedenfalls  nichts  mehr;  denn  zur  Erklänmg  jedes 
einzelnen  Wortes  bedarf  es  wahrlich  keiner  Erinnerung.  Es  ist 
jedoch  auch  unwahrscheinlich,  weil  die  Erinnerung  eben  nichts 
von  dem  wirklichen  Worte  Jesu  festgehalten  hätte. 

Demnach  ist  die  übliche  kiitische  Behandlung  dieser 
Weissagungen  entschieden  abzulehnen.  Die  Kritik  operiert  hier 
wie  so  manchmal  mit  einem  Quidj)roquo,  denn  sie  schiebt  Ge- 
danken unter,  die  kein  Evangelist  gehabt  hat;  sie  macht  sich 
einen  ursprünglichen  Gehalt  der  Worte  in  offenbarer  Willkür 
zurecht,  und  sie  erleichtert  mit  der  Annahme  des  Kernes  die 
Erklärung  der  konkreten  Gestalt  der  Worte  keineswegs,  giebt 
vielmehr  nur  das  Rätsel  auf,  wie  der  Kern  bei  seiner  Entwicke- 
lung  abhanden  kommen  konnte. 


1)  Vgl.  Br.  Bauer.  Kritik  der  Evangelien  III  S.  50. 

2)  Vgl.  oben  S.  88. 


93 


Die  Stellung  der  Jünger  zu  den  Weissagimgeti. 

Langsam  nur,  so  hat  man  gesagt,  haben  sich  die  Jünger 
Jesu  in  seine  Todesgedanken  gefunden.  Ganz  besondere  Mühe 
wendet  Jesu  auf,  ihr  Verständnis  zu  fördern,  immer  von  Neuem 
kommt  er  auf  den  Punkt  zurück ;  sie  aber  köiuien  sich  von  ihren 
alten  Vorstellungen  nicht  sofort  losmachen,  und  bis  zum  wirklichen 
Eintritt  des  Endes  erreichen  sie  keine  volle  Klarheit i). 

Das  Evangelium  sagt  nicht  so,  ja  es  widerspiicht  einer 
solchen  Darstellung. 

Die  Weissagung  wird  zwar  oft  wiederholt.  Aber  von  einer 
Bemühung  Jesu,  den  Jüngern  den  fremdartigen  Gedanken  nahe- 
zubringen, ist  nichts  zu  spüren,  und  so  wird  auch  Markus  nicht 
daran  denken.  Die  Weissagung  tritt  vielmehr  immer  ganz  un- 
vermittelt an  die  Jünger  heran,  und  charakteristisch  ist  gerade, 
dass  jeder  Versuch,  der  Fassungskraft  der  Schüler  zu  helfen, 
fehlt.  Denn  einen  solchen  Versuch  erwarten  wir  von  Jesus,  in 
der  Erwägung,  es  müsse  ihm  daran  gelegen  haben,  verständlich 
zu  werden.  Mag  er  das  erste  Mal,  als  Petrus  ihm  den  Gedanken 
wehren  will  (832),  zu  erregt  sein,  um  an  das  Erklären  zu  denken, 
hernach,  wo  er  wiederholt  auf  die  Verständnislosigkeit  der  Jünger 
gestossen  ist,  vermisst  man  die  Erläuterung  um  so  mehr. 

Ebenso  falsch  ist  es  aber  von  einem  langsamen  Verstehen 
der  Jünger  zu  sprechen.  Markus  weiss  nur  von  einem  einfachen 
Mangel  an  Verständnis.  Jeder  Fortschritt  wird  hier  nur  ein- 
getragen, und  in  dem  »langsam«  liegt  ein  verschämtes  Ein- 
geständnis, dass  ein  Fortschritt  nicht  nachweisbar  ist.  Liesse 
sich  vielleicht  sagen,  dass  die  Zebedaiden  10 39  die  vorangehende, 
übrigens  nur  indirekte  AVeissagung  Jesu  begreifen,  so  hat  sie 
doch  auch  Petrus  832  bereits  irgendwie  begriffen,  wenn  er  sich  gegen 
sie  sträubt,  und  trotzdem  wird  9 10  und  932  hervorgehoben,  dass 
Jesu  Rede  für  die  Jünger  ganz  dunkel  blieb. 

Die  beiden  letzten  Stellen  mögen  den  Ausgangspunkt  für 
die  weitere  Betrachtung  bilden.     Es  heisst  9 10: 


1)  S.  z.  B.   Weizsäcker,   Untersuch,  z.  ev.  GeBch.     S.  475,   478, 
480,  486,  507,  546,  auch  Zahn,    Einl.  in  das  N.  T.  II  S.  '226. 


94 

Und   sie    hielten    das  Wort    fest    {cor  koyov   h.qazY^oo.v). 

unter    sich  verhandelnd:    was  heisst  dies  (ro)    »von   den 

Toten  auferstanden  sein«? 
Ganz  parallel  lautet  932: 

Sie  aber  verstanden    das  Wort  lucht,    und  sie  fürchteten 

sich,  ihn  zu  fragen. 
Man  deutet  hier  die  ersten  Worte  in  der  Regel  auf  das 
Festhalten  an  dem  (vorhergehenden)  Verbote  Jesu  i).  Unmöglich 
ist  das  wohl  nicht.  Wahrscheinhcher  ist  mir,  dass  unter  dem 
'^^6yo(;  das  Wort  von  der  Auferstehung  gemeint  ist.  Dies,  das 
besondere,  wichtige  Wort  entfiel  ihnen  nicht,  sondern  sie  »be- 
hielten es  bei  sich«  ^),  und  das  zeigt  sich  in  ihrem  Verhandeln. 
Wenn  Mr.  73. 4.  s  vom  /.occnTiv  der  naQadoaig  redet,  so  liegt 
darin  kehie  Nötigung,  ).öyo<i  hier  als  Befehlswort  zu  fassen.  Und 
der  Schluss  des  Verses  legt  eben  sehr  nahe,  dass  es  auf  das 
Wort  von  der  Auferstehung  besonders  ankommt. 

Diese  Bemerkungen  haben  öfter  zu  dem  Schlüsse  Ver- 
anlassung gegeben,  Jesus  könne  so  deutlich,  wie  in  den  voran- 
gehenden Weissagungen  geschieht,  vom  Ausgange  seines  Lebens 
nicht  gesj)rochen  haben.  Diesen  Schluss  lassen  wir  bei  Seite, 
aber  die  Auffassung  der  Stellen,  auf  der  er  ruht,  ist  richtig. 
Jesus  spricht  von  seinem  Leiden  und  Auferstehen  in  so  dürren 
Worten,  dass  man  nicht  begreift,  wie  da  etwas  unverständlich 
sein  soll. 

Eben  deshalb  hat  man  dann  umgekehrt  wieder  das  Nicht- 
Terstehen  verständhcher  zu  machen  versucht.  Es  bedeutet  nur, 
dass  die  Jünger,  weil  sie  immer  noch  den  Thron  des  Davidssohnes 
im  Kopfe  hatten,  beim  Messias  Leiden  und  Tod  sich  nicht 
denken  konnten,  und,  was  die  Auferstehung  angeht,  dass  sie  sich 
mcht  vorstellig  machen  koimten,  wie  so  bald  nach  dem  Tode 
ein  solcher  Vorgang  eintreten  solle 3).     Aber  so  lautet  der  Text 


1)  S.  bes.    B.  Weiss,    Das  Markusev.  S.  299  f.     Anders    Meyer, 
auch  Klostermann. 

2)  Weizsäcker's  Übersetzung-. 

3)  Nach  J.  Weiss,    Eeich    Gottes    S.  171    ist  das  Nichtverstehen 
Mr.  932  dadurch  bedingt,    dass  Jesus  den  Terminus  »Menschensohn«  in 

-seiner  Weissagung  gebraucht:  ein  offenbares  Missverständuis  des  Markus, 
wie  aus  meiner  weitern  Ausführung  von  selbst  erhellen  wird. 


95 

nicht.  Sie  fragen  sich:  was  ist  und  bedeutet  dies  von  Jesus 
eben  gebrauchte  Wort  von  der  Auferstehung?  Es  fehlt  ihnen, 
Avie  Strauss  ganz  richtig  sagt  ^),  das  Wortvei-ständnis,  oder  sie 
hören  das  Wort  wie  den  Laut  einer  fremden  Sprache,  Trotz- 
dem halten  sie  es  fest,  man  möchte  hinzudenken,  um  es  für 
eine  Zeit  zu  bewahren,  in  der  dann  das  Verständnis  kam.  Ich 
führe  hier  noch  die  Parallelstelle  zu  932  aus  Lukas  an. 
Luk.  9^5  heisst  es: 

Sie  aber  verstanden  dies  Wort  nicht,  und  es  war  vor 
ihnen  verborgen,  auf  dass  (iva)  sie  es  nicht  merken  sollten, 
und  sie  fürchteten  sich,  ihn  über  dieses  Wort  zu  befragen. 
Hier  wird  anscheinend  das  Nichtverstehen  sogar  auf  göttliche 
Absicht  zurückgeführt.  So  wenig  denkt  Lukas  an  einen  aus 
guten  natürlichen  Gründen  verständlichen  Mangel  der  Erkenntnis. 
J)iese  Wendung  hat  Markus  zwar  nicht,  aber  der  Lukastext 
kann  bestätigen,  dass  er  an  ein  ganz  eigentliches,  krasses  ayvoelv 
denkt. 

Li  der  That,  so  ist  die  Meinung  des  Evangelisten  vom 
Unverstände  der  Jünger  beschaffen.  Wer  hier  mildert  und  zurecht- 
legt, V  e  r  1  ä  s  s  t  seinen  Sinn.  Und  damit  ist  schon  klar, 
dass  diese  Worte  keinen  historischen  Charakter  haben.  Sie 
werfen  also  auch  noch  ein  Licht  auf  die  vorangehenden 
Weissagungen.  Umgekehrt  beweist  ja  die  Ungeschichtlichkeit 
dieser  wieder  allein  schon  ihre  Ungeschichtlichkeit;  denn  ohne 
die  Weissagungen  stehen  sie  in  der  Luft. 

Ein  Verständnis  ist  jedoch  damit  nicht  gewonnen.  Aber 
wir  haben  bei  Markus  eine  Anschauung  gefunden,  die  es  liefert. 
Der  Gedanke  an  das  Messiasgeheimnis  liegt  hier  doch  sehr  nahe. 
Wir  haben,  wenn  nicht  ihn  selbst,  so  doch  einen  nah  verwandten 
Gedanken  vor  uns.  Man  kann  es  so  ausdrücken :  Jesus  macht 
zwar  seinen  Jüngern  gegenüber  aus  seinem  Leiden  und  Auferstehen 
kein  Geheimnis,  aber  es  bleibt  ihnen  ein  Geheimnis.  Nach- 
her, ist  stillschweigends  hinzugedacht,  d.  h.  natürlich  von  der  Auf- 
erstehung an,  fällts  ihnen  wie  Schuppen  von  den  Augen. 

So  verliert  es  allerdings  alles  Befremdliche,  dass  die  Jünger 
sich  so  stumpf  zeigen.      Der  Zug  wird   sinnvoll    und  im    Sinne 


1)  Strauss,  Leben  Jesu  II  S.  313. 


96 

des  Markus  vernünftig.  Denn  dass  Erdenmenschen  bei  der  Ver- 
kündigung eines  übermenschlichen  Geheimnisses  sich  verwirrt  an 
den  Kopf  fassen,  ist  ganz  in  der  Ordnung,  wenn  sie  anders  noch 
nicht  begreifen  sollen. 

Mit  diesem  Ergebnis  treten  wir  an  zwei  weitere  Stellen 
heran,  die  im  engen  Zusammenhange  mit  den  beiden  Weissagungen 
8:31  und  10 33 f.  stehen. 

832.33:  32 Und  frei  heraus  redete  er  das  Wort.  Und 
Petrus  nahm  ihn  zu  sich  her  (TtQoolaßni-tevoQ)  und  begann 
ihn  zu  schelten.  33j]r  aber  wandte  sich  ab  {i/tioTQaq^eig) 
und  blickte  auf  seine  Jünger  und  schalt  ihn  und  spricht: 
gehe  hinter  mich,  Satan;  denn  du  sinnest  nicht,  was 
Gottes,  sondern  was  der  Menschen  ist. 
Die  andere  Weissagung  hat  nicht  ein  Nachspiel,  aber  eine 
Einleitung,  die  hierher  gehört. 

1082 :  Sie  waren  aber  unterwegs  {Iv  rtj  6()Vp)  im  Hinauf- 
gehen nach  Jerusalem,  und  es  schritt  Jesus  ihnen  voraus, 
[und    sie  waren    bestürzt   (id-a[.ißoivro)],    sie   aber  nach- 
folgend  [die   aber  nachfolgten,]   fürchteten  sich.     Und  er 
nahm  wieder    die  Zwölf  zu  sich   und   fieng   an  ihnen  zu 
sagen  von  den  Dingen,  die  ihm  widerfahren  sollten. 
Die    zw-eite    Stelle    betrachte    ich   zuerst.     Es    scheint  mir 
nicht  zu  kühn,  hier  eine  Emendation  vorzuschlagen  *).     Das  xat 
ii^ai-iiiorrio  wird  auszustossen  sein;  denkbar  wäre  vielleicht  auch, 
dass  der  Text  ursprünghch  gelautet  hätte: 

Jesus  gieng  voran,  sie  aber  nachfolgend  gerieten  in  Staunen 
{id^a/LißoiVTO  statt  scpoßovvTo). 
Jedenfalls  ist  der  handschriftliche  Text  nicht  erträglich. 

Aber  auch  wenn  wir  uns  an  ihn  halten,  ist  die  Hauptsache 
klar.  Es  liegt  unter  allen  Umständen  der  Gedanke  vor,  dass 
die  Jünger  von  Staunen  oder  Bestürzung  ergriffen  wurden,  weil 
sie  Jesus  auf  dem  Wege  nach  Jerusalem  vorausschreiten  sahen. 
Das  kann  keine  gleichgiltige  Bemerkung  sein.  Schon  weil  die 
Weissagung  folgt,  liegt  es  nahe,  dass  hier  nicht  eine  Erinnerung 
an  eine  wirkliche  Szene  zu  Grunde  liegt.  Sollen  die  buch- 
stäblich   gefasst    recht    belanglosen    Nebenurastände    der    Szene 


1)  Vgl.  Exkurs  V. 


97 

geschichtlich  sein,  wenn  ihr  eigentlicher  Inhalt  —  eben  die 
Weissagung  —  ungeschichtlich  ist  ?  Man  wird  also  in  den  ein- 
leitenden Aborten  einen  Gedanken  des  Schriftstellers  suchen,  und 
eben  dann  wirklich  einen  Gedanken,  keine  neutrale  Notiz.  Dieser 
drängt  sich  aber  auch  schon  von  selbst  auf. 

AVenn  Jesus  »vorausschreitet«  auf  dem  Wege  nach  Jeru- 
salem, so  meint  dieses  Evangelium  damit,  dass  er  mutig  und 
mit  AVillen  in  das  Leiden  und  Sterben  geht,  das  ihm  ja  eben 
von  Gott  befohlen  ist  ^).  Mit  dieser  Haltung  kontrastiert  aber 
das  Benehmen  der  Jünger.  Sie  sind  betroft'en,  sie  beben  vor 
Jerusalem  zurück.  Dariii  steckt  offenbar  schon  ein  Wissen  um 
das,  was  Jesus  dort  begegnen  soll.  Man  könnte  deshalb  sagen, 
dass  die  Jünger  hier  das  Verständnis  zeigen,  das  sie  nach  9io 
und  9:32  vermissen  Hessen.  Indessen  wäre  es  schwerlich  richtig, 
dies  zu  betonen  '^).  Vielmehr  muss  man  hier  imr  eine  Variante 
derselben  Vorstellung  erkennen.  Es  liegt  in  dem  ed^af.ißovvj;o 
oder  hcfoßovvio  ein  Sichsträuben  und  Zaudern.  Sie  vermögen 
Jesus  nicht  willig  und  leicht  zu  folgen.  Und  das  müssten  sie 
thun,  weim  sie  wirklich  Verständnis,  das  wahre  Verständnis 
für  die  göttliche  Notwendigkeit  seines  Thuns  besässen.  Also 
auch  hier  bleibt  ihnen  der  leidende  Messias  in  Wahrheit 
Geheimnis  3). 

An  diese  Äusserung  des  Unverstandes  knüpft  dann  der 
Erzähler  die  neue  Belehrung  über  das  Leiden.  Von  seilest  fügt 
es  sich  zu  früheren  Daten,  dass  aus  der  grösseren  Menge  des 
Anhangs  —  sie  ist  unter  den  a'/.oXovd^ovvT€g  zu  verstehen  — 
die  Zwölfe  ausgesondert  werden,  um  die  wunderbare  Lehre  zu 
vernehmen.  Sie  haben  kein  besseres  Verständnis  gezeigt  als 
alle  andern,  aber  sie  erhalten  den  Aufschluss,  der  den  andern 
nicht  zu  Teil  wird. 

Gerade  die  neue  Belehrung  zeigt,  wie  wenig  dem  Evange- 
listen darauf  ankommt,  dass  die  Jünger  durch  ihr  Benehmen 
eine  ganz  richtige  Auflassung  vom  Zweck  der  E.eise  nach  Jeru- 


1)  B.   Weiss,    Das    Marluisov.    S.    349:     Jesus    gieiig     wie    ge- 
wöhnlich (!)  ihnen  voran. 

2)  Falsch  betont    es  auch  Volk  mar    S.  499:    »Gerade   das    dritte 
Mal  sollten  sie  verstanden  haben«. 

3)  Auch    Keim   III  S.  39 f.,    der  10:>2    als    »sinnige  Dichtung«  be- 
urteilt, sjiriclit  liier  vom   »mysteriösen  ('Lristus« 

Wrede,    Messiasfjülieimiiis.  7 


98 

salem  schon  verraten  haben.  Sein  Gedankengang  ist  hier: 
Jesus  trifft  auf  Unverstand  und  giebt  darum  Belehrung.  Das 
ist  korrekt.  Dass  auch  die  umgekehrte  Folge  der  Gedanken  im 
Texte  steckt,  wie  sie  uns  sonst  begegnet,  d.  h.,  dass  das  d^ai-tßeiad^ai 
über  Jesu  kühnes  Vorwärtsschreiten  schon  eine  Kenntnis  — 
nur  nicht  Erkenntnis  —  des  Leidensweges  einschliesst,  ist  ihm 
minder  klar  gewesen  als  dem  kritischen  Leser.  Andernfalls 
hätte  er  die  neue  Belehrung  nicht  gebracht. 

Die  andere  kleine  Szene  (8 32  f.),  die  in  Frage  steht,  sieht 
an  und  für  sich  ganz  lebensvoll  aus.  Sie  scheint  förmlich  zur 
Stimmungsschilderung  einzuladen;  .  und  so  wissen  denn  auch 
malerisch  veranlagte  Forscher  über  den  niederschmetternden 
Eindruck,  den  Jesu  Eröffnung  über  das  Leiden  auf  die  Jünger 
machte,  über  das  leidenschaftliche,  aber  aus  inniger  Liebe  zu  Jesus 
stammende  Aufbrausen  des  Petrus  und  über  den  Unwillen  Jesu, 
der  durch  diese  versucherische  Einrede  sich  in  der  errungenen 
Leidensfreudigkeit  beunruhigt  und  sittlich  beklemmt')  fühlte, 
mancherlei  zu  sagen. 

Allein  wenn  die  vorangehende  Weissagung  nicht  Geschichte 
ist,  so  kann  auch  dieses  Stück  nicht  Geschichte  sein,  da  es  nur 
der  Widerhall  der  Weissagung  ist. 

Ist  mit  dieser  Auffassung  die  Bezeichnung  »Satan«  für 
Petrus  unverträglich  ?  2)  Kann  so  nur  der  geschichtliche  Jesus 
gesprochen  haben?  Lukas  lässt  in  der  Parallele  (92of.)  das 
Wort,  ja  die  ganze  kleine  Szene  fort;  vermutlich  ist  ein  Haupt- 
grund dafür  eben  dieser  herbe  Ausdruck  gewesen  3).  Aber  daraus 
kann  nicht  folgen,  dass  ein  alter  Christ  Jesus  ein  solches  Wort 
über  den  grossen  Jünger  nicht  habe  in  den  Mund  legen  können*). 
Heisst  es  817  von  allen  Jüngern,  dass  sie  ein  verstocktes  Herz 
haben,  und  ist  das  kein  wirkliches  Wort  Jesu  —  652  sagt  über- 
dies Markus  selbst  das  Gleiche  — ,  so  haben  wir  etwas  sehr 
Ahnliches.  So  weichherzig  wie  wir  Heutigen  haben  die  Evange- 
listen auch  nicht  empfunden.    Sie  scheuen  sich  gar  nicht,  Jesus 


1)  Keim  II  S.  577.  2)  S.  Wernle,   Synopt.  Frage  S.  198. 

3)  Wernle,  S.  31. 

4)  B.  Weiss  (L.  J.  II  S.  277  ff.),  der  die  Szene  selbst  nicht  an- 
tastet, möchte  sogar  gerade  dies  Wort  dem  Markus  zuschieben,  der 
damit  freilich  eine  tiefwahre  Eeflexion  über  die  Bedeutung  der  Szene 
ausgesprochen  haben  soll. 


99 

äusserst  harte,  schroffe  Worte  zuzuschreiben.  Der  Bhndheit, 
dem  Unglauben  gegenüber  sind  sie  ebenso  verdient  wie  der 
Bosheit  gegenüber. 

Oder  soll  es  für  den  histoiischen  Charakter  der  Szene  be- 
weisen, dass  nicht  die  Jünger  überhaupt,  sondern  Petrus  allein 
so  getadelt  wird?  Es  fragt  sich  denn  doch  noch  sehr,  ob  Petrus 
für  den  Evangelisten  mehr  Repräsentant  oder  mehr  Individualität 
ist.  Überdies  ist  es  schon  darum  recht  natürlich,  dass  Petrus 
hier  der  Gescholtene  ist,  weil  derselbe  Petrus  eben  zuvor  der 
Bekennende  ist. 

Indessen  man  wird  unsern  obigen  Schluss  umkehren :  nicht 
die  Leidensweissagung  verdächtigt  diese  Szene,  vielmehr  stützt 
der  lebensvolle  Charakter  der  Szene  die  Leidensweissagung,  er 
beweist,  dass  hier  doch  eine,  ob  auch  noch  so  dunkle,  Erinnerung 
an  einen  historischen  Moment  vorliegt.  Das  wäre  erwägenswert, 
wenn  die  Szene  einen  individuellen  Charakter  besässe.  In 
Wahrheit  ist  das  nicht  der  Fall^). 

Wir  haben  hier  nur  Gedanken  des  Evangelisten,  die  wir 
schon  kennen.  Petrus  hat  hier  offenbar  auch  den  Sinn  der 
Weissagung  begriffen;  das  setzt  sein  Auftreten  voraus.  Und 
doch  hat  er  ihn  —  das  ist  wieder  das  Wesentliche  —  nicht 
begriffen.  Demi  sonst  könnte  er  sich  gegen  die  Ankündigung 
nicht  zur  Wehr  setzen.  Er  hat  eben  nur  menschhche  Gedanken 
(cfQOvei  m  Tojv  avdQMTtcov)  —  der  Evangelist  wird  dabei  nicht 
an  seine  Liebe  zu  Jesus  gedacht  haben,  sondern  einfach  daran, 
dass  ein  leidender  Messias  für  Petrus  eine  Unmöglichkeit  ist  — , 
die  götthchen  Dinge  und  Geheimnisse  [va  rnv  d-eov)'^)  bleiben 
ihm   fremd.      So  wendet  Jesus  ihm   unwillig   den   Rücken   und 


1)  Die  individuelle  Wahrheit  der  Szene  hat  namentlich  Weisse  I 
S.  531  stark  betont:  jedes  Wort  zu  ihrer  Verteidigung  sei  überflüBsig'. 
Allein  Weisse  folgt  hier  nur  einem  Eindrucke,  er  hat  die  hier  in 
Frage  stehenden  Gedanken  des  Evangeliums  aber  nicht  v(Tstanden  und 
setzt  überdies  voraus,  dass  der  Erzähler  den  Berieht  unmittelbar  aus 
dem  Munde  des  Petrus  habe.  —  Dass  hier  etwas  ganz  Ähnliches  vor- 
liegt wie  l)ei  den  Worten  vom  Unverstände  der  Jünger,  ist  übrigens  ein 
Oedanke,  dem  die  verschiedensten  Kritiker  ganz  unwillkürlich  Ausdruck 
gegeben  haben. 

2)  »Ethisch«  darf  das  nicht  erklärt  werden. . 


100 

spricht  zu  ihm  das  Wort,  das  diese  Bewegung  zu  interpretieren 
scheint  i) : 

geh  hinter  mich,  Satan  2). 
Mit   solcher  Gesinnung,   solcher  Stumpfheit    gegen  Gottes  E.at- 
schluss  kann  er,  der  Wissende,  ja  nichts  zu  thun  haben. 

Es  ist  aber  noch  eins  zu  beachten.  Auch  hier  scheint 
sich  der  Gedanke  auszuprägen,  dass  gegenüber  solchem  ver- 
ständnislosen Jüngersinn  Jesus  selbst  mit  vollem  Mute,  mit 
Willen  in  das  Leiden  hineingeht.     Denn 

frei  heraus  {TtaQQv^öicc)  redete  er  das  Wort  — 
das  düi-fte  hier  bedeuten:  mit  Mut  und  Fi-eudigkeit,  furchtlos 
und  sicher  ^).  Ich  denke,  es  liegt  eine  Sinnparallele  vor  zu  dem 
Gedanken,  dass  Jesus  auf  dem  AVege  nach  Jerusalem  mutvoll 
voranschreitet.  Der  Sprachgebrauch  bei  Johannes  legt  zwar  die 
Bedeutung  »ohne  Rückhalt«  für  das  naQqiqoiq  besonders  nahe^). 
Auch  so  ergäbe  sich  ein  für  Markus  passender  Sinn:  er  redete 
(das  Geheime)  offen ;  der  Gegensatz  zu  einem  früheren  verhüllten 
Eeden  brauchte  dabei  keineswegs  gedacht  zu  sein,  auf  ihn 
deutet  ja  nichts  hin.  Indessen  wird  Tiag^rjoia  im  Sinne  von 
Freimut,  Zuversicht,  Freudigkeit  oft  genug  auch  gerade  vom 
Reden»)  gebraucht,  und  in  diesem  Sinne  ergiebt  es  einen  für 
diesen  Text  besonders  passenden  Gedanken  0). 

1)  Es  liegt  doch  recht  nahe,  dass  das  oniaw  /.lov  dem  IniaTQuifSig 
korrespondiert.  Jesus,  von  Petrus  »herangenommen«,  wendet  sich  von 
dein  Jünger  ah,  so  kommt  dieser  hinter  ihn  zu  stehen.  Dass  das 
i7iiaT(ia(feis  im  Texte  nicht  ein  Siehumwenden  zu  Petrus  hin  bedeutet, 
betrachte  ich  mit  B.  Weiss  gegen  Volkmar  und  Kloster  manu  als 
sicher.  Das  im-  bezieht  sich  auf  die  Jünger.  Dann  wird  das  Wort, 
wenn  auch  nicht  ganz  so  resolut  wie  das  OTgat^tis  bei  Mt.  I623,  schon 
auf  die  Entrüstung  Jesu  deuten.  Das  oniaio  fxov  entspricht  also  der 
geschilderten  Situation. 

2)  Die  Bedeutung  des  atacevcl  ist  mir  nicht  ganz  klar.  Die  gewöhn- 
liche Beziehung  auf  den  Gedanken  der  Versuchung  ist  zwar  gewiss  nicht 
unpassend.  Für  den  Matthaeustext  ist  dieser  Sinn  wegen  des  erklärenden 
axdvd'alov  ti  ifxov  gesichert  (1623,  vgl.  auch  4io).  Bei  Markus  fehlt  aber 
eine  Erläuterung.    Könnte  acuaväg  einfach  ein  derbes  Schimpfwort  sein? 

3)  Die  gleiche  Deutung  bei  M.  Schulze  S.  370. 

4)  Z.   B.    Job.    7l3.26,   1024,    1625.29. 

5)  Vgl.  Act.  229,  4i3. 29.31  u.  a.  St.  Dass  hier  nicht  der  Dativ 
nciQQfiaia  gebraucht  wird,  wird  nicht  zu  betonen  sein. 

6)  Aus    dem    Gedankenkreise    des  Markus   würde  auch   eine  dritte- 


101 

Hiernach  ist  offenbar,  dass  auch  diese  Szene  kein  Moment 
enthalt,  das  nicht  aus  den  Gedanken  des  Markus  leicht  zu  ver- 
stehen wäre.  Sie  hat  einen  durchaus  typischen  Charakter.  Sollte 
dennoch  irgend  ein  Eest  von  Historischem  in  ihr  stecken,  so 
wäre  er  jedenfolls  für  uns  verloren. 

Es  folgt  aus  diesen  Betrachtungen,  dass  der  Zusammen- 
hang, in  dem  die  vier  besonders  hervorgehobenen  Weissagungen 
stehen,  ebenso  gleichartig  ist  Avie  sie  selbst.  Jedesmal  korrespon- 
diert der  Weissagung  ein  Verhalten  der  Jünger,  das  sie  als 
blind  und  unverständig  gegenüber  dem  göttlichen  Geheimnis 
erscheinen  lässt.  Das  ist  Schema.  Dieser  Schematismus  aber, 
mag  er  nun  einer  besondern  schriftstellerischen  Absicht  des  Markus 
entspringen  oder  blos  ein  Zeugnis  für  das  Sichvordrängen  einer 
bestimmten  Anschauung  und  einer  ihm  natürlichen  Assoziation 
sein,  bestätigt  uns  noch  einmal,  dass  wir  hier  den  Gedanken 
des  Autors  oder  seiner  Zeit  gegenüberstehen,  nicht  aber  der 
wirklichen  Geschichte. 

Wir  müssen  die  Untersuchung  hier  erweitern.  Das  Ver- 
ständnis fehlt  den  Jüngern  gerade  bei  den  Todes-  und  Auf- 
erstehungsverkündigungen. Ist  darauf  Nachdruck  zu  legen? 
Es  ist  Material  vorhanden,  die  Frage  zu  beantworten. 


Das  Verständnis  der  Jünger  üherhaupt.      Offenbarung  und 

Geheimnis. 

Nach  dem  Markusevangelium  zeigen  sich  die 
Jünger  im  ganzen  Verlaufe  der  Geschichte  unfähig, 
Jesus  zu  begreifen'). 

Ich  schreibe  auch  hier  die  Stellen  aus,  um  anschaulich  zu 
machen,    welche  Bedeutung  dieser  Gedanke  für  Markus  besitzt. 

4 13:  Ihr  vei-stehet  diese  Parabel  nicht,  wie  wollt  ihr  alle 
Parabeln  verstehen? 


Auffassung  nicht  herausfallen:  Jesus  hat  diese  Dinge  ganz  offen  d.  h. 
unmissverständlich  vorhergesagt,  das  wäre  dann  im  apologetischen  Sinne 
zu  verstehen.  Für  dii^  Erzählung  des  Markus  passt  diese  Bedeutung 
nicht  gut. 

1)  Vgl.  Ritschi,  Theol.  .Talirbb.  1851,  S.  517. 


102 

440.41  (Seesturai):  ^o Warum  seid  ihr  furchtsam?  Habt  ihr 
noch  keinen  Glauben?  ^lUnd  sie  fürchteten  sich  sehr 
und  sprachen  zu  einander:  wer  ist  wohl  dieser,  dass 
selbst  der  Wind  und  die  See  ihm  gehorchen? 

600  —  52  (Seewandeln):  ^^Denn  alle  sahen  ihn  und  gerieten  in 
Bestürzung  {eTaQaj^d-iqoav).  Er  aber  redete  alsbald 
mit  ihnen  und  sagt  zu  ihnen:  fasset  Mut,  ich  bin  es, 
fürchtet  euch  nicht.  ^^Und  er  stieg  zu  ihnen  in  das 
Schilf,  und  der  Wind  beruhigte  sich,  und  sie  kamen 
ganz  ausser  sich;  ^^denn  sie  hatten  kein  Verständnis- 
gewonnen über  den  Broten,  sondern  ihr  Herz  war  ver- 
stockt (TteTTWQCüfievr]). 

7 18  (Nach  der  Ttaqaßolri  von  dem  Verunreinigenden,  deren 

Sinn  die  Jünger  erfragen):  Und  er  spricht  zu  ihnen: 
so  verständnislos  seid  auch  ihr  ?  Merket  ihr  nicht,  das& 
alles,  was  von  aussen  in  den  Menschen  eingeht,  ihn 
nicht  verunreinigen  kann . . .  .  ? 

8 16 — 21:  (Jesus  hat  gesagt:  sehet  euch  vor  vor  dem  Sauerteige 
der  Pharisäer  und  dem  Sauerteige  des  Herodes).  ^^Und 
sie  besprachen  sich  unter  einander:  wir  haben  keine 
Brote  (Nach  V.  14  hatten  sie  nur  ein  Brot  mitge- 
nommen). i'^Und  er  erkannte  es  und  sagt  zu  ihnen: 
was  besprecht  ihr  euch  darüber,  dass  ihr  keine  Brote 
habt?  Merket  und  vei-stehet  ihr  noch  nicht?  Ein  ver- 
stocktes Herz  habt  ihr!  is» Augen  habt  ihr  und  sehet 
nicht  und  Ohren  habt  ihr  und  höret  nicht«.  i^ünd 
ihr  habt  kein  Gedächtnis  —  da  ich  die  fünf  Brote  ge- 
brochen habe  für  die  fünftausend,  wieviel  Körbe  voll 
Brocken  höbet  ihr  auf?  Sie  sagen  zu  ihm :  zwölf.  ^oUnd 
da  ich  die  sieben  für  die  viertausend  (gebrochen  habe),. 
von  wie  vielen  Flechtkörben  höbet  ihr  da  Füllungen 
von  Brocken  auf?  und  sie  sagen  zu  ihm:  sieben, 
äiTJnd   er  sagte  zu  ihnen:   verstehet  ihr  noch  nicht? 

95.  ü  (Verklärung):  ^Und  Petrus  antwortete  und  spricht  zu 
Jesus:  Rabbi,  hier  ist  für  uns  gut  sein,  und  wir  wollen 
drei  Zelte  machen,  eins  für  dich  und  eins  für  Moses 
und  eins  für  Elias.  ^Denn  er  wusste  nicht,  was  er 
sagen  sollte;  denn  sie  waren  erschrocken  {excfoßoL). 

9 19:  (Der  Vater    des    dämonischen  Knaben   sagt,    dass    die 


103 

Jünger    den   Dämon    nicht   auszutreiben    vermochten). 

Und  er  antwortete  und  sprach  zu  ihnen:  o  ungläubiges 

Geschlecht!   Wie  lange  sollich  bei  euch  sein,  wie  lange 

soll  ich  euch  ertragen?  .... 
10  24-.         (Die  Reichen    kommen    schwer  in    das   Reich  Gottes). 

Die  Jünger   aber  waren    betroffen    o!)    seinen  Worten 

(vgl.  V.  26). 
1437-41:  Der    dreimalige  Schlaf    der    Jünger    in    Gethsemane; 

V.  40 :  denn  ihre  Augen  waren  schwer,  und  sie  wussten 

nicht,  was  sie  ihm  antworten  sollten. 
Das  AVort  über  das  Verständnis  der  Parabeln  kann  nur  als 
Tadel  aufgefasst  werden  i).      Das    zeigt  schon   die  parallele  Be- 
merkung 7 18.     Man  könnte  fragen,  ob  hier  nicht  ein  Widerspruch 
zu  der  Vorstellung  vorliege,   dass   die  Parabeln  Rätselrede  sind, 
und    dass    die  Jünger    regelmässig    eine   Auflösung    bekommen. 
Kann  etwas  an  sich  Dunkles  durch  den  Einfluss  des  Unterrichtes 
allmälig  dem  Verständnis  zugänglicher  werden  (vgl.  Tis)?   Viel- 
leicht Hesse  sich  da  doch  eine  Antwort  finden.     Jedenfalls  stört 
Markus  diese  Frage  keinen  Augenblick.      Er   giebt   einer   ihm 
wichtigen  Idee  Ausdruck,    einerlei  ob  er  dabei  ganz  konsequent 
ist    oder  nicht.   —    Das  Wort  9  in  scheint    mir    an    die  Jünger, 
nicht  aber  an  den  Vater  des  Knaben  gerichtet  zu  sein  1)  wegen 
des   aitolQ,  das  unmittelbar  vorangeht,    2)  wegen  des  'nog  itoxe 
TCQog  hiag  80o^iai,    das  doch  nur  auf  die  Jünger  recht  passen 
will,  3)  wegen  der  vielen  Parallelen. 

Wir  haben  in  allen  diesen  Stellen  oftenbar  eine  feste  Vor- 
stellung von  der  Haltung  der  Jünger;  ihr  Unverstand  zeigt  sich 
den  Worten  Jesu  gegenüber,  noch  deutlicher  aber  tritt  er  her- 
vor, wenn  eine  mächtige  That  des  Herrn  ihnen  die  Augen 
öffnen  könnte,  sie  sind  da  völlig  ratlos. 

Leicht  verständUchc  Varianten  der  Vorstellung  sind  es,  wenn 
bald  von  Mangel  an  Einsicht,  bald  von  Mangel  an  Glauben, 
bald  von  Staunen,  bald  von  Furcht  die  Rede  ist.  Erkenntnis 
und  Glauben  fallen  für  Markus  nahezu  zusammen.  Die  Fm-cht 
setzt  das  Fehlen  der  Erkenntnis  voraus,  ebenso  das  Staunen. 
Die  Unfähigkeit,    die    die  .Jünger    bei    der  Dämonenaustreibung 

1)  Ebenso  Jülicher  I  Ö.  2\ö  (gegen  B.  Weiss). 


104 

beweisen,  hat  ihren  Grund  darin,  dass  sie  von  Jesus  noch  nicht 
gelernt  haben,  was  sie  hätten  lernen  sollen. 

Muss  ich  nun  noch  darauf  hinweisen,  dass  diese  Stellen 
mit  den  Proben  des  Jüngenerständnisses  nach  den  Leidens- 
weissagungen so  verwandt  sind,  dass  sie  notwendig  ebenso  ge- 
wertet werden  müssen  wie  sie?  Muss  ich  daran  erinnern,  dass 
Worte  wie  4 13,  7i8  schon  oben  als  un geschichtlich  erkannt  worden 
sind,  dass  andere  Worte  ganz  an  der  streng  wunderhaft  gefassten 
Erzählung  hängen,  die  vorangeht,  und  sich  damit  sofort  als  er- 
dichtete Worte  kennzeichnen  ?  Ich  denke,  jeder  muss  ohne  alle 
besonderen  Gründe  sehen,  dass  solche  Jünger,  wie  Markus  sie 
uns  hier  vorführt.  Jünger,  die  nach  allem  Wunderbaren,  was 
sie  von  Jesus  sehen,  nie  klüger  über  ihn  werden,  Vertraute,  die 
kein  Vertrauen  zu  ihm  haljen,  ihm  furchtsam  gegenül)erstehen 
wie  einem  unheimlichen  Rätsel  und  sich  scheu  hinter  seinem 
Rücken  über  sein  Wesen  unterhalten  ^),  keine  Gestalten  der 
Wirklichkeit  sind. 

Indessen  verdienen  zwei  Stellen  noch  besondei*s  hervorge- 
hoben zu  werden:  6üo — 52  und  8 ig  — 21.  Einmal  zeigen  sie  uns 
so  ausgezeichnet,  was  Markus  den  Jüngern  zuzutrauen  vermag. 
Und  viel  wichtiger,  als  die  Stellen  zu  streichen,  ist  es  in  der 
That,  aus  ihnen  den  Autor  besser  kennen  zu  lernen.  Sodann 
ist  es  immer  besonders  zu  schätzen,  wenn  wir  einmal  geradezu 
erklären  können:  hier  sehen  wir,  wie  der  Autor  aus 
seinen  Vorstellungen  Geschichte  macht.  Und  das  ist  hier 
möglich. 

Volkmar  sagt  wiederholt  -).  der  Evangelist  schildere  den 
»Blödsinn«  der  Jünger.  Das  ist  derb,  aber  sachlich  zutreffend. 
In  der  That  legt  er  ihnen  652  ausdrücklich  den  Unverstand  bei, 
sie  hätten  nach  der  vorangegangenen  Speisung  noch  nicht  gemerkt, 
dass  Jesus  Wunderkraft  besitze  3).  Denn  anders  kann  die  Stelle 
nicht  gefasst  werden.      Die  Schlussbemerkung   sagt    auch    ganz 


1)  441;    vgl.  dazu   auch  932:    sie   fürchteten    sich,     ihn  zufrag:en. 

2)  S.  338 ff,  404,  409,  ähnlich  Hoekstra  S.  165.  Nicht  gut  spricht 
Volkmar  übrigens  vom  »jüdischen«  Blödsinn  der  Jünger.  Treffendes 
auch  bei  Br.  Bauer  III  S.  14ff. 

3)  Vgl.  auch  bei  der  zweiten  Speisung  die  Frage  (84),  wie  man 
so  Viele  in  der  Wüste  sättitren  kimne. 


105 

bestiimiit:  ihr  Herz  war  veretockt.  Ebenso  stark  ist  es,  wenn 
sie  beim  Sauerteig  der  Pharisäer  und  des  Herodes  meinen^ 
Jesus  hätte  ihren  Mangel  an  Brot  im  Auge.  Man  denke  sich 
das  Bild  der  wirkhchen  Jünger  und  lege  ihnen  die  Vorstellung 
bei,  Jesus  Avolle  sie  warnen,  von  »den«  Pharisäern  oder  von 
Herodes  Sauerteig  zu  holen !  Dabei  kehrt  die  andere  Voi-stellung 
wieder.  Jesus  setzt  voraus,  dass  sie  ihm  nicht  zutrauen  Brot 
zu  schaffen  (817).  Sie  haben  eben  in  ihrer  Verhärtung  sogar 
beide  wunderbare  Speisungen  ganz  vergessen,  und  doch  müssen 
sie  sich  unter  den  Fragen  Jesu  daran  eriimern  i).  Wie  kommt  es. 
dass  eigentlich  Niemandem  recht  bewusst  ist,  dass  solche  Dinge 
in  unserm  ältesten  Evangelium  zu  lesen  sind  2)? 

Dass  aber  der  Evangelist  selbst  hier  arbeitet,  zeigt  schon  652. 
Denn  eine  solche  Motivierung  ist  ihrer  Natur  nach  keine  Sache 
der  Überlieferung.  Noch  deutlicher  zeigt  es  die  andere  Stelle. 
Denn  hier  ruht  das  Gespräch  Jesu  mit  den  Jüngern  ganz  auf 
der  vorangehenden  literarischen  Komposition.  Es  setzt 
nämlich  voraus,  dass  zwei  Speisungsgeschichten  erzählt  sind,  und 
es  hält  die  beiden  Geschichten  bis  auf  »die  Zahlen«,  »ja  bis  auf 
die  Benennung  der  Körbe«  ^)  {v.öffivoi  643,  a/tvQi'deg  Ss)  genau 
auseinander. 


1)  Wio  B.  Weiss  (L.  J.  II  S.  234 ff.)  sieh  dieser  unbequemen 
Stelle  entledigt,  ist  ein  besonders  schönes  Beispiel  seiner  apologetischen 
Kunst.  Er  weiss  z.  B.,  dass  es  sich  nicht  ura  ein  blosses  Missver- 
ständnis handelte.  Jesus  erinnert  die  Jünger  an  die  wunderbare 
Speisung  »natürlich  nicht,  um  sie  anzuleiten,  dass  sie  künftig  nicht  für 
Brot  zu  sorgen  brauchten,  weil  er  ihr  tägliches  Bedürfnis  mit  Wunder- 
macht befriedigen  könne-,  aber  damit  sie  sich  sagen  sollten,  dass  er., 
sich  um  die  (äussern)  »Dinge,  an  die  sie  dachten,  nicht  bemühen  werde, 
sondern  von  geistlichen  Dingen  reden  müsse,  wenn  er  von  jenen  zu 
reden  schien«.  (S.  236).  -W.  findet  schliesslich  in  der  Stelle  »eine  merk- 
würdige (!)  Bestätigung  für  die  Geschichtlichkeit  des  Speisungswunders«. 

2)  Wie  ist  dies  Missverständnis  und  was  ihm  folgt  entstanden? 
Das  ist  nicht  so  leicht  anzugeben,  und  doch  kann  das  kritische  Urteil 
nicht  zweifelhaft  sein.  Es  ist  nützlich,  hieran  zu  erinnern,  wenn  man 
bezweifeln  sollte,  dass  ein  Stück  wie  die  Szene  zwischen  Jesus  und 
Petrus  832 f.  sich  leicht  in  späterer  Zeit  bilden  konnte. 

3)  Holtzraann  z.  St.  —  Ganz  fernliegend  und  ein  Missverständnis 
des  Charakters  der  Stelle  ist  übrigens  H.'s  Bemerkung,  die  Verse  dienten 
wohl  dem  Zwecke  der  Lebrbildung:  die  darin  enthaltene  Klage  werde 
<lenjenigen  Lesern  und  Hörern  gelten,    welche  nicht  iil)er  die  buchstäb- 


106 

Das  Material,  das  Markus  für  die  Schilderung  der  Jünger 
bietet,  habe  ich  in  der  obigen  Übersicht  nicht  erschöpft.  So  könnten 
Stellen  wie  10 13  hierher  gehören,  wo  die  Jünger  den  Kindern 
wehren,  oder  10  3s,  wo  Jesus  auf  die  Bitte  der  Zebedaiden  ant- 
wortet: 

ihr  wisset  nicht,  was  ihr  verlangt. 
Sicher  hat  Markus  in  der  Flucht  der  Jünger  (14  a»)  bei  der 
Gefangennahme  Jesu  dieselbe  Haltung  wiedergefunden,  die  er 
in  seinem  ganzen  Evangelium  gezeichnet  hat.  —  Ich  erwähne 
hier  auch  die  Stelle  14 20  ff.,  wo  Petrus  und  alle  andern  Jünger 
gegenüber  der  Weissagung  ihres  Abfalls  ihre  Festigkeit  beteuern. 
Hier  liegt  nicht  das  Motiv  des  Unverstandes  vor,  aber  auch 
diese  Stelle  ist  den  Jüngern  nicht  günstig.  Da  der  Leser  weiss, 
dass  Jesus  mit  seiner  Prophezeiung  Recht  behalten  wird,  so 
muss  ihm  die  Rede  der  Jünger  als  thörichter  Selbstbetrug,  wenn 
nicht  gar  als  Maulheldentum  erscheinen.  10  39  könnte  ein  ähn- 
licher Gedanke  vorliegen.     Doch  ist  das  kaum  der  Fall  '). 

Ich  habe  alle  solche  Stellen  absichtlich  ausgeschieden,  um 
mich  an  das  Deuthche  zu  halten,  d.  h.  an  denjenigen  Stoff,  der 
ebenso  sichtlich  die  Anschauung  des  Markus  ausprägt,  wie 
er  un geschichtlich  ist.  Die  Notiz  von  der  Flucht  der  Jünger 
z.  B.  möchte  ich  für  eine  richtige  Nachricht  halten,  zwar  nicht,, 
weil  schon  ein  Schriftbeweis  bei  Markus  dafür  vorliegt  (1427),. 
aber  aus  andern  Gründen.  —  Dass  ich  die  Nachricht  vom 
Schlaf  der  Jünger  in  Gethsemane  zu  den  »deutlichen«  Stellen 
gerechnet  habe,  wird  keiner  Rechtfertigung  bedürfen.  Schlafende 
Jünger,  wie  Markus  sie  schildert,  wären  wenigstens  die  schlechtesten 
Bürgen  für  die  erhabene  Szene. 

Man  darf  sich  über  diese  Schilderung  der  Jünger  nicht 
wundern,  man  darf  durchaus  nicht  den  Einwand  bringen,  dass 
es  unbegreiflich  sei,  wie  in  einer  Zeit,  wo  die  .Jünger  schon  eine 
höhere  Schätzung  genossen,  jemand  sie  so  ungünstig  gezeichnet 
haben  sollte.  AVer  einen  Augenblick  auf  den  Gedanken  käme^ 
dass  Markus   den  Jüngern  abgeneigt  sei,    wird    ihn    doch  sofort 

liehe  Deutung-    und  Fassung    der    Speisungsgoschichte    hinaus    kommen 
können. 

1)  Mehr  für  sich  hat  Volkmars  Meinung  (S.  500),  dass  hier  der 
Märtyrertod  der  Zebedaiden  vorausgesetzt  werde. 


107 

wieder  fallen  lassen.  Im  Gedanken  des  Evangelisten  vemnehrt 
es  die  Jünger  gar  nicht  eigentlich,  dass  sie  sich  so  l)enehmen; 
denn  während  des  Lebens  Jesu,  sagen  wir:  während  der  Zeit 
des  Geheimnisses,  ist  das  ganz  natürhch.  Jedenfalls  ist  die 
Hochschätzung  der  Apostel  hiermit  durchaus  verträghch.  Denn 
diese  gilt  eben,  sofern  es  sich  um  die  Personen  handelt,  den 
späteren  Aposteln,  den  Aposteln,  die  nach  der  Auferstehung 
Jesu  keine  Stumpfheit  und  keine  BHndheit  mehr  kennen.  Eben 
das,  was  sie  nachher  geworden  sind,  tritt  in  das  hellste  Licht 
durch  das,  was  sie  vorher  waren.  Danelien  spielt  eine  andere 
Kontrastwirkung  mit:  ihr  Unverstand  bildet  eine  Fohe  für  Jesu 
Höhe  und  Grösse. 

Es  giebt  übrigens  eine  lehrreiche  altchristliche  Parallele  zu 

dieser  Zeichnung  der  Jünger.     Im  Barnabasbiiefe  heisst  es  5  9: 

Als   er  aber  seine  eigenen  Apostel,    die    das  Evangelium 

verkünden  sollten,  auswählte,  die  über  alle  Sünde  hinaus 

sündig  waren  [ovrag  rf.ieQ  7cuoar  ctj^iaQTi'av  avoiACoteQOvg),. 

damit  er  zeigte,  er  sei  nicht  gekommen.  Gerechte  zu  rufen, 

sondern  Sünder  (Mt  9  is),   —    da    offenbarte    er,    dass  er 

Gottes  Sohn  sei. 

Es  könnte  nach  dieser  Stelle  nicht  befremden,    wenn  eines 

Tages  ein  Evangelium  ans  Licht  käme,  in  dem  von  den  Jüngern 

allerlei  Sünden  berichtet  wären.     Denn  dass  Barnabas  hier  einer 

reinen  Privatmeinung  Ausdruck  giebt,  ist  gar  nicht  wahrscheinlich. 

Vielleicht  setzt  doch  auch  des  Celsus  Vorwurf,  Jesus  habe  sich 

berüchtigte  {eTtiQQritovg)  Leute,    die  schHmmsten  {7iovriQ0T(aocg) 

Zöllner  und  Fischer  zu  Aposteln  gewählt,  eine  derartige  Tradition 

voraus!);  wenigstens  glaube  ich  der  Gelehrsamkeit  des  Origenes 

nicht  gern,  dass  Celsus  hier  wohl  vom  Barnabasbriefe  »literarisch 

abhängig«  sei  2).      Übrigens  liegen  im  Neuen  Testamente  selbst 

Daten  vor,    die  in  näherem  oder  fernerem  Zusammenhange  mit 

der  Anschauung   des  Barnabas   stehen.      Nicht   umsonst    zitiert 

Barnabas  ein  Wort,    das  gerade  bei  der  Berufung   des  Zöllners 

Matthaeus  berichtet  wird.     Das  Lukasevangelium  zeigt  uns  eine 

Schilderung  der  Sünderfreundschaft  Jesu,    die  doch  wohl  schon 

1)  Origenes,  Contra  Celsum  I  62.  63. 

2)  Origenoß  sagt  (c.63):  o»(v  {aui^  der  xaDohx!]  ^TTiaToki]  des  Bar- 
nabas) 6  Kilaog  knßwv  rir/n  f'i^tv  iniQQr'jTovg  xi<i  7iovi]QotÜtoi<;  tovs- 
(IttüOtÜXovs. 


108 

eine  Steigerung  älterer  Anschauungen  darstellt.  Im  ei-sten 
Timotlieusbriefe  (lis)  muss  sich  Paulus  den  ersten  unter  den 
Sündern  nennen.  Doch  wir  haben  hier  die  Auffassung  des  ßar- 
nabas  nicht  zu  erklären,  es  gilt  nur  die  Parallele  zu  Markus 
-ZU  betonen. 

Nichts  wäre  wieder  falscher,  als  um  der  starken  Ausdrücke 
willen  zu  meinen,  der  Verfasser  habe  gering  von  den  Aposteln 
gedacht  i).  Denn  der  Tadel  trifft  gar  nicht  die  Zeit  ihrer 
Apostelschaft,  die  für  den  Glauben  des  Barnabas  allein  in  Be- 
tracht kommt,  sondern  ihre  Vergangenheit.  Die  Übertreibung, 
die  man  in  den  Worten  hervorbel)t,  ist  eigentlich  nicht  grösser 
als  die  des  Markus  in  Stellen  wie  6  52  und  8 16  ff.,  sie  liegt  nur  auf 
einem  andern  Gel )iete;  man  könnte  die  Jünger  des  Markus  nach 
solchen  Stellen  rnig  Ttaaav  avoiav  davvETOJVSQOvg  nennen.  Im 
Übrigen  ist  diese  Übertreibung  charakteristisch.  Denn  solche 
Motive  haben  eine  gewisse  Tendenz,  sich  zu  steigern  und  zu 
verdicken.  Bei  Barnabas  empfinden  wir  sofort  die  weite  Ent- 
fernung vom  Historischen;  geschieht  es  bei  Markus  nicht,  so 
kommt  es  nicht  daher,  dass  diese  Entfernung  geringer  wäre. 

Es  wird  nun  deutlich  geworden  sein,  dass  das  Markus- 
evangelium einen  Fortschritt  in  der  Erkenntnis  der 
Jünger  gar  nicht  kennt,  ja  dass  es  prinzipiell  verkehrt  ist, 
ihn  hier  zu  suchen.  Es  ist  deshalb  immerhin  ein  Aus- 
legungsfehler, wenn  man  das  ovtiio  ovrieTs;  durch  die  Bezug- 
nahme auf  eine  einzelne  Erklänmg  Jesu  erläutert.  Z.  B.  darf 
man  nicht  sagen,  das  otTto)  817  stelle  gegenüber  7i8  eine 
Steigerung  dar,  da  die  Jünger  inzwischen  ja  immer  neue  Ge- 
legenheit gehabt  hätten,  sich  im  Verstehen  der  Lehrweise  Jesu 
zu  üben'"*).     Es  hiess  4 41  ja  auch  schon: 

OV/tO)    hyßZE    TtioTlVj 


1)  Gegen  diese  Meinung  von  Hil genfei d  und  Baur,  die  an  die 
Zwölf  als  Judenapostel  denken,  vgl.  J.  G.  Müller,  Erkl.  des  Barnabas- 
briefes  (1869),  S.  144 f.,  auch  Harnack,  Patr.  apost.  opp.  z.  St. 

2)  B.  Weiss,  das  Markusev.  S.  275.  Aus  ähnlichem  Grunde  ist  es 
anfechtbar,  dass  diese  gesteigerte  Unempfänglichkeit  eine  »Vorbereitung 
auf  ihren  gänzlichen  Mangel  an  Verständnis  für  die  Leidensweissagungen« 
sei  (Holtzmann  zu  <Si7).  44i,  652  u.  s.  w.  können  doch  nicht  auch 
blos  »Vorbereitung«  in  diesem  Sinne  sein.     Umo-ekehrt  ist  aber  auch  in 


109 

In  Wahrheit  heisst  es  immer  ovnco;  während  des  Zusammen- 
lebens der  Jünger  mit  Jesus.  Das  Wort  köimte  auch  schon  im 
ersten  Kapitel  des  Evangeliums  stehen.  Es  drückt  sicli  darin 
aus,  dass  die  Jünger  nach  dem,  Avas  sie  von  Jesus  sehen  und 
hören,  durchaus  zur  Erkenntnis  kommen  müssten,  wenn  nicht 
eben  ihre  Augen  gehalten  wären, 

Hiermitisiesdenn  nun  auch  endgiltig  klar  geworden,  dass  von 
dem  Gedanken  einer  Erziehung  der  Jünger  i)  bei  Markus  nicht 
die  Rede  sein  kaim,  wenn  man  nicht  darunter  etwas  versteht, 
was  nicht  mehr  Erziehung  ist.  In  jedem  Momente  ist  das  Ver- 
hältnis der  Jünger  zu  den  Offenbarungen  Jesu  das  gleiche,  in 
jedem  Momente  seine  tadelnde  Verwunderung  über  ihr  Verhalten 
dieselbe.  Und  das  muss  nach  Markus  so  sein.  Dann  kann  er 
aber  nicht  denken,  dass  Jesus  die  Jünger  allmälig  weiterführe. 
Freilich  finden  wir,  dass  die  Jünger  ihn  manchmal  wieder 
ohne  Schwierigkeit  verstehen.  Das  beweist  abermals  nur,  dass 
die  Anschauung  nicht  überall  zur  Herrschaft  gekommen  ist.  Bei 
ilirer  Künstlichkeit  ist  das  ganz  natürlich. 

Ich  muss  aber  einen  Punkt  noch  besonders  klar  stellen. 
Die  Kritik  findet  folgende  Stufenfolge  im  Markus:  zuerst  all- 
gemeines Nichtverstehen,  dann  Verständnis  der  Messianität  Jesu 
(827ft'.),  von  da  an  nur  noch  Unfähigkeit,  die  Art  dieser  Messia- 
nität, d.  h.  den  Leidensgedanken'  zu  begreifen.  Somit  erscheint 
das  Verhalten  der  Jünger  bei  den  Leidensweissagungen  als  etwas 
Besonderes,  und  dies  ist  der  Grund  der  eigentümlichen  Er- 
scheinung, dass  die  Verständnislosigkeit  gegenüber  diesen  Weis- 
sagungen weit  mehr  die  Aufmerksamkeit  auf  sich  zu  lenken 
pflegt  als  die  analogen  Züge,  die  sich  sonst  im  Evangelium 
finden. 

Aber  die  Aufnahme  der  Weissagungen  ist  nichts  Besonderes 
für  Markus.  Die  völlige  Gleichartigkeit  aller  andern  Proben 
des  Jüngerverständnisses  deutet  nur  auf  eine  einzige  sich  gleich 
bleibende  Anschauung  hin.  Einen  Wink,  der  dennoch  auf  jenen 
Fortschritt  hindeutete,  sucht  man  vergebens.  Und  ist  die  Frage, 
weshalb  der  Erzähler,   wenn  er  einmal   eine  Stufenfolge  zeigen 

Stcll(Mi  wie  8 17 f.  keine  »durch  den  Kontrast  motivierende  Vorbereitung 
des  Bekenntnisses  Petri«   zu  sehen.     (Hi  Igenfeld,     das  Markusevang. 
(1850)  S.  56).     Der  Unverstand  dauert  ja  fort. 
1)  Vgl.  oben  S.  41  ft'. 


110 

wollte,  die  Jünger  nicht  bchliesslich  auch  zur  Erkenntnis  des 
leidenden  Messias  hiuauführt,  vielleicht  kein  zwingendes  Ar- 
gument, so  kann  man  doch  nicht  übersehen,  dass  die  Stumpf- 
heit der  Jünger  in  der  späteren  Zeit  keineswegs  blos  bei  den 
Weissagungen  hervortritt.  Das  zeigen  Stellen  wie  95.6  und  9i9. 
Aber  denkt  Markus  nicht  doch  bei  der  Schwierigkeit,  die 
die  Leidensweissagungen  den  Jüngern  bereiten,  an  ein  Motiv^ 
das  sonst  nicht  in  Frage  kommt,  nämlich  an  die  jüdische  Art 
ihrer  Messiaserwartung  ?  Ich  denke,  es  rechtfertigt  sich  hier  viel- 
mehr gerade,  was  fmher ')  über  die  Bedeutung  dieser  jüdischen 
Messiaserwartung  für  das  Evangelium  ausgeführt  wurde.  Markus 
schweigt  von  ihr  ja  gänzlich.  Das  giebt  gewiss  noch  nicht  das 
Recht  zu  behaupten,  dass  er  von  einem  jüdischen  Messiasbegriffe 
überhaupt  nichts  gewusst  hal^e.  Insofern  wäre  also  gar  nichts 
dagegen  einzuwenden,  wenn  man  sagt :  die  Jünger  sind  als  Juden 
gedacht,  sie  stellen  sich  einen  Messias  in  Herrlichkeit  und 
Macht  vor,  der  Gedanke  eines  leidenden  Messias  ist  ihnen  daher 
fremd.  Allein  man  muss  erkennen,  dass  dies  bei  Markus  nicht 
das  Wesentliche  ist,  wenn  er  überhaupt  daran  gedacht  hat.  So 
lauten  seine  Aussagen  über  den  Unverstand  der  Jünger  ja  wahr- 
lich nicht,  dass  eine  rationale  Motivierung  dieser  Art  sie  erklärte. 
Es  heisst  nicht,  dass  ihnen  der  Gedanke  eines  leidenden  Messias 
fremd  Avar,  sondern  ganz  einfach,  dass  sie  das  >  AVort  nicht  ver- 
standen«. Und  wo  nicht  vom  Leiden,  sondern  nur  von  der  Auf- 
erstehung die  Rede  ist  (9,io),  haben  wir  ganz  'dasselbe.  Der 
leidende  Messias  ist  in  Wahrheit  in  demselben  Sinne 
Geheimnis  wie  der  Messias  überhaupt,  seine  Wundermacht  und 
sein  übermenschliches  Wesen,  eben  die  Gleichartigkeit  der 
sonstigen  Schilderung  der  Jünger  beweist  es.  Die  Leidens- 
weissagung erscheint  als  dunkel  und  unbegreiflich  nicht  von 
realen  Verhältnissen  des  Lebens  Jesu  aus,  sondern  von  den 
dogmatischen  Gedanken  einer  spätem  Zeit  aus.  die  im  Leiden 
und  Tode  Jesu  den  paradoxen  göttlichen  Ratschluss  findet. 
Denkt  man  sich,  Jesus  hätte  sich  auch  aus  den  Heiden  Jünger 
geworben,  so  würden  sie  für  Markus  den  Worten  Jesu  im  Kerne 
.^enau  ebenso  gegenüberstehen  wie  die  jüdischen  Schüler. 

1)  Oben  S.  4,3  ff. 


111 


Was  wir  bisher  über  die  Jünger  ermittelt  haben,  bedarf 
noch  einer  wesentHchen  Ergänzung,  Es  ist  angedeutet,  aber 
noch  nicht  gebührend  betont  worden,  dass  ihi-e  beharrhche  Ver- 
ständnislosigkeit  ein  Korrelat  hat.  Sie  korrespondiert  nänüich 
der  fortgesetzten  Offenbarung,  die  die  Jünger  empfangen,  und 
sie  kontrastiert  mit  ihr. 

Die  Jünger  bilden  die  ständige  Begleitung  Jesu  und  sind 
so  notwendig  die  Zeugen  seiner  Selbstoftenbarung  in  Thaten 
und  Worten.  Damit  wird  freilich  noch  nicht  klar,  wie  weit 
der  Evangelist  auf  diese  Thatsache  Wert  legt.  Aber  wir  haben 
den  Gedanken,  dass  die  Jünger  Offenbarungsempfänger  sind, 
schon  vielfach  scharf  ausgeprägt  gefunden. 

Eine  zusammenfassende  Äusserung  liegt  vor  in  dem  Worte: 
Euch  ist  das  Geheimnis  des  Reiches  Gottes  gegeben 
worden  (4ii). 
Damit  ist  im  Grunde  alles  gesagt.  Der  Erzähler  hat  vor  diesem 
Worte  eigentlich  wenig  gethan,  um  zu  zeigen,  wie  Jesus  den 
Jüngern  dies  Geheimnis  übermittelt.  Bei  einem  andern  Autor 
müsste  daher  ein  solches  Urteil  vielleicht  befremden.  Bei  Markus 
darf  man  sich  daran  nicht  stossen.  Sein  Urteil  entstellt  eben 
nicht  erst  auf  Grund  einzelner  Äusserungen  der  Oifenbarungs- 
thätigkeit  Christi.  Es  hat  vielmehr  den  Charakter  einer  fertigen 
Gesamtansicht,  die  sich  deshalb  auch  vor  allem  Einzelnen  Aus- 
druck schaffen  kann. 

Natürlich  wird  sie  aber  auch  im  Einzelnen  erkennbar. 
Gleich  die  Bemerkung  desselben  Zusammenhanges,  dass  Jesus 
den  Jüngern  die  unverständlichen  Parabeln  erschliesst,  gehört 
dahin.  Deutlich  sind  ferner  die  Weissagungen  vom  Leiden  und 
Auferstehen  als  besondere  Oft'enbarungen  markiert,  so  weini 
Jesus  sich  im  Verborgenen  zu  halten  sucht,  um  sie  mitzuteilen 
(93o),  so  wenn  er  sie,  wie  übrigens  auch  bei  andern  Worten  geschieht, 
speziell  an  die  Jünger,  unter  Ausschluss  des  Volkes,  richtet  (831, 
vgl.  34,  IO32,  133),  Ebenso  werden  grosse  Wunder,  wie  die 
Stillung  des  Sturmes  und  die  Speisungen,  durch  den  nachfolgen- 
den Tadel  als  beabsichtigte  Manifestationen  Jesu  charakterisiert. 
Endlich  erinnern  wir  uns,  dass  Jesus  bei  der  Auferweckung  der 
Jairustochter  und  bei  der  Verklärung  nur  die  drei  Vertrauten 
zulässt,  diese  also  absichtlich  die  geheimnisvollen  Vorgänge  schauen 


112 

lassen  Avill.  Xiimentlicli  die  Verklärung  ist  als  eine  Art  Ein- 
weihung ins  Geheimnis  gedacht.  Nicht  erwähnt  ist  bisher  die 
Nachricht,  dass  Jesus  bei  der  Aussendung  den  Jüngern  »Gewalt 
über  die  unreinen  Geister«  verleiht  (67).  Nach  612.13  ist  die 
Yolhnacht  zu  predigen  und  die  Macht  überhaupt  zu  heilen  hin- 
zuzudenken. Das  darf  man  doch  auch  hierherziehen,  so  gut 
wie  das  Fehlschlagen  der  Heilung  des  Knaben  in  das  Kapitel 
des  Jüngerunverstandes  und  -Unglaubens  gehört  (9 19). 

Der  Kreis  der  Offenbarungsempfänger  ist  bei  Markus  bald 
enger,  bald  weiter.  Es  ergeben  sich  leicht  folgende  Stufen: 
Petrus,  die  Drei,  die  Vier,  die  Zwölf,  der  weitere  Anhang  ein- 
schliesslich der  Zwölf  (01  TtsQi  acrbv  gcv  colg  öiööe/ia  4 10,  vgl. 
332,  1082).  Von  Petrus  wird  allerdings  nirgends  eine  besondere 
Offenbarung  belichtet.  Denn  in  der  Szene  von  Caesarea 
Phihppi  wird  ihm  nichts  mitgeteilt,  er  bekennt  nur.  Aber  es 
lässt  sich  kaum  bezweifeln,  dass  der  Evangelist  ihn  doch  auch 
in  dieser  Hinsicht  an  die  Spitze  aller  Jünger  stellt,  und  auch 
die  genannte  Szene  wird  auf  diesem  Gedanken  ruhen. 

Man  darf  fragen:  lässt  sich  bei  den  Offenbarungen  Jesu 
nachweisen,  dass  je  nach  ihrer  grösseren  oder  geringeren  Be- 
deutung der  engere  oder  der  weitere  Kreis  von  Jesus  berück- 
sichtigt wird?  Es  ist  in  der  That  vielleicht  kein  Zufall,  dass 
gerade  l)ei  einem  so  gewaltigen  Wunder  wie  der  Auferweckung 
des  Mädchens  und  bei  einem  so  geheimnisvollen  Vorgange  wie 
der  Verklärung  die  drei  Vertrauten  erscheinen.  Eine  wirkliche 
Durchführung  des  Gedankens  ist  dennoch  nicht  möglich.  Ich 
wüsste  wenigstens  nicht  anzugeben,  weshalb  die  eschatologische 
Rede  an  die  vier  näheren  Jünger  1),  die  doch  sicher  nicht  un- 
wichtigeren Leidensweissagungen  an  die  Zwölf  und  die  Belehrung 
über  die  Parabeln  an  den  weiteren  Kreis  gerichtet  werden.  Es 
niuss  auch  bedacht  werden,  dass  Markus  in  allen  diesen  Fällen 
nicht  gleichmässig  frei  zu  verfahren  braucht.  Es  kann  hier  der 
Fall  sein,  dort  aber  kann  er  eine  bereits  vorliegende  Tradition 
wiedergeben. 

Wenn  nun  die  Offenbarungen  Jesu  den  Jüngern  ob  ihres 
Unverstandes  verschleiert  bleiljen,  und  zwar  den  Vertrauten  genau 

1)  Im  Hinblick  auf  die  folgende  Rede  und  im  Zusammenhange  mit 
den  übrigen  Momenten  muss  man  doch  vermuten,  dass  auch  dies  keine 
historische  Nachricht  ist. 


113 

so  wie  den  ITlmgen,  so  kann  das  doch  nicht  heissen,  dass  sie 
gar  nichts  für  sie  bedeuten.  Viehiiehr  wird  Markus  ineinen, 
dass  sie  eben  doch  in  den  Besitz  der  Jünger  gelangen.  Gewisser- 
massen dinghch  werden  sie  ihnen  zu  Teil,  sie  führen  bei  ihnen 
eine  Art  latenten  Daseins,  bis  die  Zeit  kommt,  wo  die  Binde 
von  ihren  Augen  genommen  wird,  d.  h.  bis  zur  Auferstehung. 
In  diesem  Momente  wird  dann  die  ganze  Selbstdarstellung  Jesu 
nachtrcäglich  wirksam.  Das  Unverstandene  wird  nun  Erkenntnis, 
und  die  Erkenntnis  wird  jetzt  verbreitet  und  muss  verbreitet 
werden.  So  erhalten  die  Jünger  doch  trotz  aller  ßhndheit  von 
Jesus  selbst  die  Ausrüstung,  die  sie  notwendig  haben  müssen, 
um  seine  Zeugen,  seine  Apostel  zu  sein.  Denn  diese  ihre 
Qualität  beruht  auf  dem,  was  sie  von  ihm  selbst  empfangen  und 
überliefert  erhalten  haben, 

Markus  hat  diese  Gedanken  in  seinem  Evangelium,  so  viel 
ich  sehe,  nicht  wirklich  ausgesprochen.  Aber  er  kann  keine 
andere  Auffassung  gehabt  haben.  Die  Bevorzugung  der  Jünger 
vor  der  Menge,  die  esoterische  Belehrung,  die  ihnen  zu  Teil 
wird,  kann  doch  nichts  Zweck-  und  Wirkungsloses  sein.  Und 
das  Aväre  sie,  wenn  dabei  der  Blick  nicht  stets  über  die  Periode 
der  Blindheit  hinausgienge.  Ein  paar  Mal  schimmert  der  Gedanke 
doch  wohl  auch  erkennbar  durch.  In  dem  Parabelabschnitt  tritt 
abgesehen  von  4 1.3  das  Motiv  des  Verständnismangels  zurück, 
die  Jünger  erhalten  z.  B.  die  Deutung  des  Gleichnisses,  und  es 
wird  die  direkte  Weisung  erteilt,  einst  das  jetzt  Geheime  zu 
offenbaren  (42if,),  Auch  das  »festhalten«  des  unverstandenen 
Wortes  vom  Auferstehen  (9 10)  schien  i)  darauf  zu  deuten,  dass 
die  Vertrauten  trotz  aller  momentanen  Unfähigkeit  den  wert- 
vollsten Besitz  in  sich  aufnehmen. 

Neben  dem  Gedanken,  dass  die  Jünger  die  Offenbarung 
erhalten,  steht  der  andere,  dass  sie  dem  Volke  vorenthalten  wird. 
Der  eine  ist  immer  mit  dem  andern  gegeben.  Trotzdem  darf 
man  fragen,  ob  beide  für  Markus  die  gleiche  Wichtigkeit  haben. 

Ich  meine,  der  Accent  fällt  auf  den  positiven  Gedanken 
über  die  Jünger;  der  andere  ist  mehr  die  Folie.  Wenn  be- 
sondere Offenbarungsträger  da  sind,  muss  es  andere  geben,  die 
von  der  Offenbarung  ausgeschlossen  werden.     In  dem  Parabel- 

1)  Oben  S.  1)4. 

Wrode,  Messiasgeheimnis.  g 


114 

abschnitt  wird  freilich  dies  Zweite  nicht  weniger  stark  betont. 
Allein  liier  ist  auch  ein  besonderer  Anlass  vorhanden,  es  steht 
eben  die  besondere  parabolische  Lehrweise  Jesu  in  Frage,  die 
für  das  Volk  bestimmt  ist.  Nim  ist  zwar  auch  dort,  wo  einfach 
von  der  Wahrung  des  Geheimnisses  die  Rede  isti),  immer  hinzu- 
zudenken, dass  die  Messianität  der  Menge  verborgen  wird ;  denn 
den  Jüngern  soll  sie  gerade  nicht  verborgen  bleiben.  Indessen 
hier  wird  der  Nachdruck  auch  wieder  viel  mehr  darauf  gelegt, 
dass  Jesus  überhaupt  sein  Geheimnis  nicht  laut  werden  lässt, 
als  dass  er  es  gerade  dem  Volke  —  etwa  um  seiner  Beschaffen- 
heit willen  —  verbirgt.  Es  wird  doch  nicht  zufälhg  sein,  dass 
in  den  Stoffen,  in  denen  die  Anschauung  vorliegt,  von  Unverstand, 
Bosheit,  Verstocktheit  der  Menge  wenig  die  Rede  ist 2). 


Das  Ergebnis  der  gesamten  bisherigen  Untersuchungen  lässt 
sich  folgendermassen  zusammenfassen. 

Wir  finden  bei  Markus  zwei  Gedanken: 

1)  Jesus  hält  seine  Messianität,  so  lange  er  auf 
Erden  ist,    geheim. 

2)  Den  Jüngern  freilich  offenbart  er  sich  im 
Gegensatze  zum  Volke,  aber  auch  ihnen  bleibt  er  in 
seinen  Offenbarungen  einstweilen  unverständlich. 

Beiden  Gedanken,  die  vielfach  in  einander 
übergehen,  liegt  die  gemeinsame  Anschauung  zu 
Grunde,  dass  die  wirkliche  Erkenntnis  dessen,  was 
er  ist,  erst  mit  seiner  Auferstehung  beginnt. 

Dieser  Gedanke  der  geheimen  Messianität  hat 
bei  Markus  eine  bedeutende  Ausdehnung.  Er  be- 
herrscht viele  Worte  Jesu,  zahlreiche  Wunder- 
geschichten und  überhaupt  den  gesamten  Verlauf 
der  Geschichtserzählung. 


1)  Vgl.  S.  22—81.        » 

2)  An  dieser  Stelle  wird  wohl  klar,  dass  es  richtig  ist,  bei  der 
Erklärung  der  Parabeltheorie  nicht  die  Messiasfeindschaft  des  Juden- 
volkes zu  betonen.    Vgl.  S.  64. 


115 

4. 
Rückblick  auf  Markus. 

Die  bisherige  Darlegung  verfolgte  den  Zweck,  die  Anschauung 
vom  Messiasgeheimnis,  wie  sie  bei  Markus  vorliegt,  als  solche 
zu  entwickeln.  Es  ist  jedoch  notwendig,  Ergänzungen  hinzu- 
zufügen. Es  gilt  einige  Fragen  zu  berühren,  die  sich  bei  der 
Untersuchung  dieser  Zusammenhänge  aufdrängen,  mid  einige 
Folgerungen  für  das  Markusevangelium  schärfer  zu  ziehen,  als 
bisher  geschehen  ist. 

Das  Petrnsbekenntnis  im  Markusevangelium. 

Ist  der  Gedanke  der  geheimen  Messianität  richtig  bestimmt 
worden,  so  ergiebt  sich  unmittelbar,  dass  Markus  kein 
Wissen  darüber  besessen  hat,  wann  Jesus  als 
Messias  bekannt  geworden  ist,  ja  dass  er  für  diese  Frage 
im  historischen  Sinne  überhaupt  gar  kein  Interesse  gehabt  hat. 
Es  ist  möglich,  dass  in  dem  Traditionsstoffe,  den  er  bringt, 
Daten  liegen,  die  sich  in  dieser  Hinsicht  verwerten  lassen.  Es 
ist  auch  möglich,  dass  zur  Zeit  des  Markus  anderswo  ein  solches 
Wissen  vorhanden  war.  Es  ist  ferner  möghch,  dass  in  den- 
jenigen Bestandteilen  der  synoptischen  Tradition,  die  von  Markus 
unabhängig  sind,  Anhaltspunkte  für  diese  Frage  vorliegen.  Alles 
dies  kümmert  uns  hier  nicht,  wir  stellen  nur  fest,  dass  in  der 
messianischen  Gesamttradition,  die  der  älteste  der  Evangelisten 
bietet,  und  von  der  die  beiden  andern  Synoptiker  in  dem  Haupt- 
teile ihrer  Geschichtserzählung  bestimmt  werden,  ein  Wissen 
dieser  Art  nicht  wahrzunehmen  ist. 

Klarer  als  durch  die  einleitenden  Erörterungen  i)  ist  damit 
«rwiesen,  dass  das  Bekenntnis  des  Petrus  bei  Caesarea  Phihppi 
von  Markus  nicht  als  der  Zielpunkt  einer  Entwicklung  oder 
als  eine  Epoche  im  Leben  Jesu  gedacht  sein  kann.  Im 
Einzelnen  ergaben  sich  zwei  Thatsachen,  die  diese  Annahme 
widerlegen.  Einmal  hat  sich  die  gewöhnliche  Ansicht,  dass 
Jesus  sich  auch  den  Jüngern  bis  zu  diesem  Momente  verborgen 

1)  S.  9—22. 


116 

habe,  als  unrichtig  herausgestellt:  es  werden  ihnen  vielmehr 
längst  vorher  die  höchsten  Offenbarungen  zu  Teil.  Sodann  hat 
dies  Bekenntnis  für  das  Verhalten  der  Jünger  bei  Markus  gar 
keine  Folgen:  ihre  Untähigkeit  Jesus  zu  begreifen  ist  nachher 
nicht  geringer  als  zuvor.  Auch  daran  kann  man  übrigens  erinnern, 
dass  trotz  dieser  Szene  die  Verklärung  eine  neue  Einführung 
in  das  Geheimnis  bringt. 

Wie  sollen  wir  dann  das  Bekenntnis  bei  Markus  verstehen? 
Welche  Bedeutung  hat  es  für  ihn  gehabt?  Bei  dieser  Frage 
verweile  ich  zuerst. 

Hat  Markus  das  Bekenntnis  wirklich  als  etwas  Ausser- 
ordentliches und  Xeues  gedacht,  so  muss  man  sagen,  dass  diese 
Meinung  auf  seine  Gesamtdarstellung  keinen  Einfluss  übt;  er 
wüi'de  eine  Episode  schildern,  ohne  zu  ahnen,  was  sie  eigenthch 
bedeutet,  oder  ohne  zu  durchdenken,  welche  Folgerungen  sich 
aus  ihrem  Inhalt  ergeben. 

Unmöglich  ist  das  an  sich  nicht.  Das  kann  uns  Matthaeus 
zeigen.  Bei  Matthaeus  erscheint  die  Szene  nämlich  in  Wahr- 
heit mit  weit  grösserer  Deuthchkeit  als  ein  bedeutungsvoller, 
feierhcher  Moment  im  Leben  der  Jünger  als  bei  Markus.  Denn 
hier  haben  wir  den  Lobi^reis  dieser  von  Petrus  ausgesprochenen 
Erkenntnis  und  die  Auszeichnung  des  Bekenners.  Trotzdem 
ist  gewiss,  dass  das  Bekenntnis  im  Matthaeus  nichts  Neues  ist; 
denn  schon  in  der  Erzählung  vom  Seewandeln  ist  Jesus  von 
den  Jüngern  als  wahrhaftiger  Sohn  Gottes  l^ezeichnet  worden 
(I433).  Und  einen  bemerkbaren  Einfluss  auf  die  folgende  Dar- 
stellung hat  es  auch  nicht.  Die  einzelne  Perikope  hat  ihre 
Bedeutung  also  nur  in  sich  selbst.  Etwas  Verwandtes  ist  es, 
wenn  Matthaeus  (16  21)  die  Leidensweissagung  bestimmt  datiert 
{ärco  tÖtb)  und  doch  das  Wort  vom  Scheiden  des  Bräutigams 
(9iö)  und  vom  Jonaszeichen  (12  40)  zuvor  biingt. 

Nun  liesse  sich  sagen:  Matthaeus  ist  kein  originaler  Schrift- 
steller, er  ist  von  Markus  abhängig ;  deshalb  ist  es  nicht  wunder- 
bar, dass  die  Erzählung  bei  ihm  ganz  episodenhaft  ist.  Aber 
etwas  Ahnliches  könnte  ja  auch  für  Markus  gelten.  Er  könnte 
hier  eine  wie  immer  geartete  Überlieferung  wiedergeben ;  als  ein 
einzelnes,  mit  dem  Übrigen  nicht  weiter  in  Beziehung  gesetztes 
Stück  hätte  er  sie  in  seine  Erzählung  eingestellt. 


117 


Dennoch  ist  es  gar  nicht  wahrscheinhch,  dass  Markus  hier 
etwas  so  AiisserordentUches  zu  berichten  meinte.  Denn  in  der 
Stelle  deutet  eigentlich  nichts  darauf  hin. 

Man  ist  sehr  in  Gefahr,  diese  Szene  unwillküi'lich  nach 
Matthaeus  zu  interpretieren;  es  geschieht  überaus  häufig.  Man 
muss  aber  bei  der  Erklärung  des  Markus  vöUig  vergessen,  dass 
es  einen  Matthaeusbericht  giebt.  Ich  selbst  habe  früher  i)  zwar 
bemerkt,  dass  der  Inhalt  des  Bekenntnisses  bei  Markus  nach 
der  Analogie  des  Matthaeus  aufzufassen,  d.  h.  ebenso  über- 
natüriich  gedacht  sei  wie  bei  ihm.  Ich  nehme  das  auch  nicht 
zurück;  denn  es  ergiebt  sich  aus  allen  Prämissen  des  Markus. 
Etwas  ganz  Anderes  aber  ist  es,  den  Markusbericht  in  das  Licht 
der  Sehgpreisung  zu  rücken,  die  Jesus  bei  Matthaeus  über 
Petrus  ausspricht.  Mir  scheint  gerade  nichts  charaktenstischei; 
als  dass  der  Markustext  hiervon  völhg  schweigt.  Würde  er 
schweigen,  wenn  es  darauf  ankäme,  das  Bekenntnis  als  eine 
grosse  That  des  Jüngers  zu  feiern  ? 

Das  heisst  keineswegs,  dass  es  zufälhg  und  bedeutungslos 
ist,  wenn  ein  Jünger,  und  gerade  Petrus,  das  Bekenntnis  aus- 
spricht. Die  Einleitung  der  Szene  macht  das  deuthch.  Was 
»die  Menschen«  nicht  wissen,  die  von  Jesus  nur  die  geringeren 
Vorstellungen  hegen,  dass  er  Johannes  der  Täufer  oder  Ehas 
oder  einer  der  Propheten  sei,  dem  kann  Petrus  als  der  Wort- 
führer der  Zwölfe  Ausdruck  geben,  da  ihm  »das  Geheimnis« 
gegeben  worden  ist.  Aber  hiermit  ist  nicht  gesagt,  dass  in  dem 
Bekenntnis  ein  Verdienst  oder  eine  Entscheidung  des  Petrus 
geschildert  werden  soll.  Denn  Jesus  bekundet  nach  dem  Texte 
keineriei  Freude  oder  Überraschung  über  das  Bekenntnis.  Seme 
ganze  Antwort  besteht  in   dem  Befehle,  über  seine  Person  nicht 

zu  sprechen.  i    u     u  • 

Schon  Keim  2)  hat  die  Bemerkung  gemacht,  man  habe  bei 
Markus  (und  Lukas)  »ganz  den  Eindruck,  wie  wenn  das  Be- 
kenntnis selbst  als  ein  unzeitgemässes  getadelt  oder,  wie  es  heisst, 
,gescholten'  werden  sollte«.  Keim  ist  damit  auf  der  richtigen 
Spur  gewesen.  Der  Bericht  des  Markus  schweigt  nicht  nur  von 
dem  Makarismus  Jesu,   er  passt  sogar   zu  ihm    wie  die   Faust 

1)  S.  78. 

2)  II  S.  550.  Keim  weist  daun  diese  Darstellung  des  Markus  ala 
unmöglich  zurück  —  zu  Gunsten  des  Matthaeus. 


118 

aufs  Auge^).  Man  wird  auch  Matthaeus  ein  gemsses  Geftüil 
hierfür  zuschreiben  dürfen.  Es  ist  kaum  Zufall,  dass  er  aus  dem 
herben  iTtEvifiriaev  des  Markus  ein  farbloses  dieocet/MTo  ge- 
macht hat. 

Abgesehen  von  der  Einleitung  ist  die  Geschichte  bei 
Markus  eine  volle  Parallele  zu  den  besiDrochenen  Dämonen- 
geschichten, und  hiernach  muss  sie  m.  E.  verstanden  werden.  Sie 
enthält  wie  diese  zwei  Momente  ^) :  das  Aussprechen  des  höchsten 
Wissens  von  Jesus  und  das  sofortige  Einschreiten  Jesu,  um  eine 
Verlautbarung  dieses  Wissens  zu  hindern.  Ich  erinnere  ausser- 
dem daran,  wie  bei  der  Verklärung  die  Stimme  vom  Himmel 
wiederum  das  Geheimnis  ausspricht,  und  -wie  auch  dort  das 
Verbot  sich  anschliesst. 

Betrachtet  man  diese  Fälle  zusammen,  so  entsteht  der  Ein- 
druck, dass  das  Wesenthche  in  diesen  Erzählungen  für  den 
Evangelisten  nicht  in  dem  hegt,  worin  sie  verschieden  sind, 
sondern  in  dem  Gemeinsamen.  Dass  hier  der  Dämon,  dort  der 
Jünger,  dort  die  Stimme  von  oben  sagt,  was  Jesus  ist,  —  dieser 
Unterschied  ist  schwerlich  die  Hauptsache.  Diese  einzelnen 
Grössen  sind  ja  msofeni  höchst  wichtig,  als  das  Wissen  des 
sonst  von  niemand  Gewussten  bei  ihnen  begreifhch  und  natürhch 
ist,  und  besonders  insofern,  als  sie  —  bei  der  Himmelsstimme 
empfindet  das  jeder,  und  hier  muss  es  gewiss  in  besonderer 
Weise  empfunden  werden  —  die  Wahrheit  des  Ausgesprochenen 
verbürgen.  Das  Wichtigste  aber,  soweit  man  hier  überhaupt 
distinguieren  kann,  ist  doch  der  Inhalt  der  Kundgebung  und 
die  Abwehr  Jesu,  die  allerdings  das  Reden  über  diesen  Punkt 
als  »unzeitgemäss«  hinstellt,  wenn  auch  nicht  in  dem  historischen 
Sinne,  den  Keim  im  Auge  gehabt  haben  wh'd. 

Ich  komme  also  zu  einer  Auslegung  dieses  Berichts,  die 
der  gewöhnlichen  Auffassung  ganz  entgegengesetzt  ist.  Der 
Erkenntnis  der  Jünger  steht  logisch  nicht  ihr  eigener  hüherer 
Erkenntnismangel  gegenüber,  sondern  die  Nichterkenntnis  Anderer. 


1)  Die  Überschrift  »Die  Offenbarung  des  Messiasgeheimnisses«,  die 
Hucks  Synopse  dem  Abschnitt  827 — 33  giebt,  ist  also,  sofern  sie  für 
Markus  zunächst  gedacht  ist,  geradezu  falsch.  Besser  sagt  der  alte 
Wilke  (Urevangelist  S.  6)  in  seiner  Tabelle  :  Jesus  verbietet  den  Jüngern 
zu  sagen,  dass  er  der  Messias  sei. 

2)  Vgl.  besonders  3nf. 


119 

Daher  soll  hier  nicht  sowohl  von  einem  Moment  des  Jüngerlebens 
erzählt  werden  als  von  dem,  was  Jesus  ist  und  doch  noch  nicht 
öffentlich  sein  kann. 

Damit  verliert  freihch  die  Szene  ganz  die  ausgezeichnete 
Bedeutung,  die  ihr  überall  zugeschrieben  wird.  Wer  darum 
an  der  Richtigkeit  der  Auffassung  zweifelt,  der  mache  sich  klar, 
wie  stark  eine  exegetische  oder  kritische  Tradition  das  Urteil 
gefangen  nehmen  kann,  wie  leicht  der  Eindruck  des  Matthaeus- 
berichtes  hier  mitwirkt,  und  namentlich  auch,  wie  sehr  die  Küi'ze 
und  Dürftigkeit  der  wirklichen  Angaben  des  Markus  absticht 
von  den  Gedanken,  die  die  verschiedensten  Erklärer  und  Kritiker 
hier  finden.  Denn  in  der  That,  dieser  Kontrast  fällt  auf.  Von 
der  Feierlichkeit  der  Stunde,  von  der  Bedeutung  der  That  des 
Petrus,  von  dem  Inhalt  der  erreichten  Erkenntnis,  von  der 
Stimmung  Jesu  wie  der  Jünger  ist  so  manches  gesagt  worden, 
aber  wenig  Eindruck  hat  es  gemacht,  dass  Markus  nichts  davon 
sagt.  Ich  meine  keineswegs,  dass  der  Historiker  unter  allen 
Umständen  an  den  trockenen  Wortlaut  eines  schlichten  Berichtes 
gebannt  ist.  Er  hat  das  Recht,  ihn  durch  Deutung  zu  beseelen, 
indem  er  ihn  in  ein  grösseres  Gefüge  von  Daten  einstellt.  Aber 
dies  Recht  ist  an  Bedingungen  geknüpft,  die  hier  nicht  erfüllt  sind^). 

Den  Widerspruch,  dass  Petrus  an  dieser  Stelle  eine  Er- 
kenntnis zeigt,  die  er  oder  seinesgleichen  sonst  nicht  verraten, 
lasse  ich  hier  unberührt.  Er  ist  aus  dem  Evangelium  in  keinem 
Falle  fortzuschaffen,  ob  die  gegebene  Erklärung  richtig  ist  oder 
nicht.  Markus  hat  freilich  niemals  von  den  Jüngern  direkt 
gesagt:  sie  wussten  nicht,  dass  er  der  Messias  sei,  oder:  sie  ver- 
standen nicht,  dass  er  meinte,  er  sei  Gottes  Sohn;  aber  wenn 
sie  nicht  wissen,  wer  er  ist,  oder  welche  Wunderkrait  ihm 
eignet,  so  ist  das  eine  gleichbedeutende  Aussage. 

Neben  dem  Sinne  des  Petrusbekenntnisses  ist  seine 
Stellung  ins  Auge  zu  fassen. 


1)  Will  man  sieb  einen  Eindruck  davon  verschaffen,  wie  weit  die 
einzelnen  Ausdeutungen  differieren,  —  zum  Beweise,  wie  subjektiv  das 
Verfahren  ist  — ,  so  vergleiche  man  etwa  die  Ausführungen  voa 
Weizsäcker,  Untersuchungen  S.  470ff.,  Klostermann  S.  176,. 
Keim  II  S.  545  ff.,  B.  Weiss  II,  bes.  S.  270,  J.  Weiss,  Nachfolge 
Jesu  S.  31  ff. 


120 

Man  betont  die  Verbindung  mit  der  Leidensweissaguug  und 
die  Nähe  der  Verklärungsgeschichte,  dazu  die  Thatsache,  dass 
die  Leidensweissagungen  sich  von  da  an  immer  wiederholen. 
Hierdurch  markiere  der  Evangelist  die  Bedeutung  des  Um- 
schwunges im  Verhältnisse  Jesu  und  der  Jünger. 

Auch  dies  kann  ich  natürlich  nicht  zugeben.  Wenn  das 
Bekenntnis  des  Petrus  in  c.  2  oder  c.  12  stände,  die  Leidens- 
weissagungen in  c.  3 — 8  und  12 — 14  verstreut  wären,  die  Ver- 
klärung in  c.  6  gelesen  würde,  so  würde  m.  E,  sachlich,  d.  h. 
für  den  Gedanken  des  Markus  gar  nichts  geändert.  Eben- 
sogut könnte  in  c.  12  noch  eine  Dämonengeschichte  erzählt  sein, 
oder  das  Verbot  Jesu,  das  dem  Aussätzigen  zu  Teil  wird,  in 
der  Leidensgeschichte  (wäre  da  Platz  für  ein  Wunder)  auf- 
tauchen. Das  will  sagen:  das  historische  Bewusstsein  des 
Evangelisten  würde  keinen  Anstoss  an  einer  solchen  Umordnung 
nehmen,  weil  sein  theologisches  sie  gestatten  würde.  Wir  haben 
dafür  direkte  Beweise:  in  der  Leidensweissagung  2 19.20,  in  dem 
Worte  4 11,  dass  das  f.ivanqQiov  des  Reiches  Gottes  den  Jüngern 
schon  gegeben  worden  sei,  auch  in  messianisch  gearteten  Aus- 
sagen Jesu  am  Anfange  des  Evangeliums.  Der  Hauptbeweis 
aber  liegt  immer  darin,  dass  das  Geheimnis  während  seines 
ganzen  Lebens  dasselbe  ist,  und  dass  die  Jünger  ihm  allezeit 
gleich  gegenüberstehen. 

Die  gewöhnliche  kritische  Ansicht  trägt  eine  Bewegung  in 
die  Geschichtserzählung  des  Evangeliums  hinein,  die  nur  künstlich 
ist.  Auch  an  einem  ande]"n  Punkte  lässt  sich  diese  Beobachtung 
machen.  Man  spricht  von  einer  Steigerung  des  Gegensatzes 
zwischen  Jesus  und  seinen  Feinden  im  Markusevangelium.  Ich 
kann  davon  nicht  viel  wahrnehmen.  Schon  nach  den  Sabbats- 
verletzungen im  Anfange  ^^^rd  erzählt,  dass  Pharisäer  und 
Herodianer  einen  Anschlag  gegen  Jesu  Leben  machen  (Se),  Ist 
etwa  bei  dem  Gespräche  über  die  Reinigung  in  c.  7  oder  bei 
den  Streitverhandlungen  in  c.  11  und  12  der  Konflikt  merkbar 
schärfer  geworden?  In  Wahrheit  enthält  bereits  3g  eine  so  starke 
Aussage,  dass  sie  eigentlich  nur  noch  durch  den  Eintritt  aktiver 
Feindseligkeiten  überboten  werden  kann;  und  dies  nach  zwei 
Sabbatsverletzungen  nicht  aus  Frevel,  sondern  aus  Not  und 
Barmherzigkeit !  Der  Grund  liegt  auf  der  Hand.  Der  Evangelist 
denkt    die  Pharisäer    und   ihresgleichen  von  vornherein    als   die 


121 

Todfeinde  Jesu;    so  können    sie    sich    auch  von  vornherein  ent- 
sprechend benehmen  *). 

Ich  lasse  dabei  die  Frage  ganz  offeii,  ob  Markus  in  kleineren 
Zusammenhängen  Steigerungen  beabsichtigt  hat,  ob  beispielsweise 
das  Motiv  3  g  eine  Steigerung  gegenüber  den  vorhergehenden 
Daten  über  das  Verhalten  der  Feinde  Jesu  bedeutet.  Solche 
Steigerungen  kann  im  rhetorischen  Interesse  auch  der  Erzähler 
bringen,  der  von  einer  Entwicklung  im  Ganzen  keine  Anschauung 
hat.  Bei  Markus  wird  man  auch  hier  vorsichtig  urteilen  müssen. 
Ich  möchte  z.  B.  bezweifeln,  dass  er  mit  Absicht  die  dritte  der 
drei  bekannten  Leidensweissagungen  (IO32  ff.)  deutlicher  und  ge- 
nauer gestaltet  habe  als  die  vorhergehenden  2). 

Mit  der  Behauptung,  dass  in  der  Reihenfolge  der  ver- 
schiedenen messianischen  Geschichtsmomente  keine  für  die  An- 
schauung des  Markus  wesentlichen  Gedanken  stecken,  ist  nun 
aber  keineswegs  gesagt,  dass  diese  Anordnung  ledighch  zufällig 
sei.  Sie  kann  in  einigen  Beziehungen  durch  den  wirklichen 
Gang  der  Geschichte  oder  durch  eine  bereits  traditionell  ge- 
wordene Folge  der  Erzählungen  bedingt  sein.  Darüber  lässt  sich 
indessen  ohne  gründliche  Prüfung  nichts  ausmachen.  Aber  unter 
allen  Umständen  wird  noch  ein  anderer  Gesichtspunkt  die  Ge- 
staltung des  Stoffes  wesentlich  bestimmen,  das  ist  die  sachliche 
Verwandtschaft  der  Erzählungen  oder  Erzählungsmotive.  Dieser 
Gesichtspunkt  müsste  sich  ja  allen  denen  besonders  empfehlen, 
die  den  Markus  nach  der  Erinnerung  an  die  Vorträge  des  Petrus 
schreiben  lassen.  Denn  damit  ist  die  Annahme  einer  genauen 
Chronologie  nicht  leicht  verträglich. 

Der  Gedanke  ist  nichts  Neues,  und  man  hat  hier  längst 
manche  wertvolle  Beobachtung  gemacht  a).  Jedoch  ist  der 
Charakter  des  Evangeliums  in  dieser  Richtung  schwerlich  schon 
ganz  zutreffend  bestimmt  worden.  Leicht  denkt  man  sich  das 
Verfahren    des    Markus    zu   kunstvoll,    man   findet    zu  viel   be- 

1)  Das  räumt  im  Grunde  auch  Hultzraaun  ein,  wenn  er  HC 
S.  10  bemerkt,  dass  mit  3o  auticipando  der  11 18,  12 13  gekenn- 
zeichnete Punkt  erreicht  sei. 

2)  So  z.  B.  Br.  Bauer,  Kritik  der  Evaug.  III  S.  50,  Holtzraann, 
Synopt.  Evang.  S.  485,  491. 

3)  Z.  B.  B.  Weiss,   L.  J.  I  S.  46  ff. 


122 

absichtigte  Symmetrie  ^).  Aber  auch  die  formalen  Gesichtspunkte, 
die  den  Autor  leiten,  werden  nicht  immer  mit  der  nötigen 
Vorsicht  festgestellt.  Z.  B.  werfe  ich  die  Frage  auf,  ob  der 
Evangelist  wirklich,  wie  man  sagt  2),  von  der  grossen  öffentlichen 
Volkswirksamkeit  Jesu  fortschreiten  will  zum  allmäligen  Rück- 
züge von  ihr  (614 — 826)  imd  weiter  zur  Belehrung  der  Jünger 
im  engsten  Kreise  (827 — IO45).  Dass  dieser  Eindruck  entstehen 
kann,  leugne  ich  nicht.  Aber  ob  irgend  welche  Anschauung 
von  dem  Gange  der  Geschichte  dabei  zu  Grunde  liegt?  Ob  der 
Eindruck  nicht  ein  blosser  Reflex  der  Thatsache  ist,  dass  sich 
hier  und  dort  verwandte  Stoffe  von  ganz  bestimmtem  Charakter 
zusammen  finden?  Bringt  Markus  in  dem  Abschnitte  827 — IO4& 
Leidensweissagungen,  Worte  über  die  Nachfolge  im  Leiden,  über 
das  Herrschen  und  Dienen,  Bezeugungen  der  Messianität  Jesu,  so 
begreift  es  sich  leicht,  dass  hier  im  Ganzen  die  Jünger  die  Emplänger 
der  Belehrungen  sind.  Ob  jedoch  der  Abschnitt  streng  nach  der 
Intention  des  Evangelisten  charakterisiert  wird,  wenn  man  ihn 
»Jüngerabschnitt«  nennt,  ist  sehr  die  Frage  3).  Denn  das  Ent- 
scheidende wird  der  Inhalt  der  Belehrungen  und  Erzählungen  sein. 
Hätte  man  dem  Evangelisten  gesagt,  Jesus  habe  sich  vom  Volke 
vor  der  Leidenszeit  zurückgezogen  und  den  Jüngern  allein  ge- 
widmet, so  wäre  ihm  das  vermutlich  etwas  Neues  gewesen'*). 

Doch  ich  bin  in  Gefahr  abzuschweifen.  Für  uns  kommt 
es  lediglich  auf  die  Thatsache  an,  dass  verwandte  Stoffe  im 
Evangelium  gern  verbunden  werden,  und  dass  Motive  der  Dar- 
stellung,   die    dem  Erzähler    wichtig  sind,    zum  guten  Teile  an 


1)  Z.B.  Br.  Bauer,  III  S.  46f.,  IV  S.  25,  viellach  Volkmar,  immer- 
hin auch  B.  Weiss  a.  a.  0.  Schriftstellerische  Kunst  findet  man  u.  a.  in 
der  Dreiheit  der  Leidensweissagungen  in  dem  Abschnitt  827 — IO45.  Allein 
•weshalb  bringt  Markus  dann  noch  viele  andere  Leidensweissagungen? 

2)  B.  Weiss,  S.  47  f.     Wernle,   Synopt.  Frage  S.  196. 

3)  Das  Volk  fehlt  doch  auch  hier  keineswegs.  Vgl.  834,  9i4fF.^ 
lOiff.  (auch  Pharisäer),  IO13.  32. 46.  lOi  sagt  Markus  z.  B.  ausdrücklich 
von  den  oykob:  y.iu  w?  tio}(^tt,  nükiv  ^Jiöaaxiv  iiurovs. 

4)  Ähnliches  wäre  dagegen  einzuwenden,  wenn  Hilgenfeld,  Die 
Evang.  S.  145  betont,  dass  im  Markus  der  anfangs  ungeteilt  günstige 
Eindruck  des  Auftretens  Jesu  einerseits  in  die  Feindschaft  der  herrschen- 
den Parteien  und  die  nach  und  nach  hervortretende  Unempfänglichkeit 
des  Volkes,  andrerseits  in  die  sehr  allmälig  entwickelte  Empfänglichkeit 
des  Jüngerkreises  auseinandergehe.     Vgl.  S.  127,  129. 


123 

einzelnen  Stellen  des  Evangeliums  gehäuft  auftreten,  als  könnte 
seine  Phantasie  über  die  schon  berührten  Themen  nicht  leicht 
hinauskommen.  Die  Wiederholung  der  Leidensweissagungen 
besonders  in  c.  8 — 10  ist  mis  schon  aufgefallen,  ebenso  die  gleich- 
massige  Charakteristik  der  Jünger  bei  dieser  Gelegenheit.  Diese 
Punkte  sind  um  so  lehrreicher,  als  es  sich  hier  jedenfalls  um 
nicht  -  historische  Stoffe  handelt.  Dass  die  Erzählimgen  2i — Se 
durch  den  Gedanken  der  Pharisäerfeindschaft  zusammengehalten 
werden,  ist  bekannt.  Am  klarsten  ist  die  Sachordnung  in  der 
Zusammenstellung  der  beiden  Sabbatsgeschichten  am  Schlüsse 
des  Abschnitts.  Ein  deutliches  Beispiel  der  Sachordnung  ist 
ferner  die  Verbindung  der  Gleichnisse  in  c.  4  sowie  die  That- 
sache,  dass  in  c.  11  und  12  ein  Streitgespräch  dem  andern  folgt  i). 
Dass  da  nicht  die  historische  Reihenfolge  massgebend  ist,  ist 
doch  wohl  gewiss.  Schnell  hintereinander  folgen  die  beiden 
Speisungsgeschichteu.  Die  Dämonengeschichten  mit  dem  Motive 
der  Dämonenerkenntnis  wiederholen  sich  gerade  in  der  ersten 
Partie  des  Evangeliums.  Die  Wundergeschichten  erscheinen 
vorzugsweise  in  grossen  Hauptmassen.  Im  Schlussteile  schliessen 
sich  in  sehr  ähnlicher  Art  die  verwandten  Stücke  von  der  Frage 
wer  der  Grösste  sei,  und  vom  künftigen  Ehrenplatze  an  die 
Leidensweissagungen  an  (c.  9  und  10).  Zweimal  ist  kurz  nach 
einander  von  Jesus  und  den  Kindern  die  Rede. 

Hiermit  ist  die  Bedeutung  der  Assoziation  für  das  Evan- 
gelium nicht  erschöpft.  Für  unsern  Zweck  genügen  diese  x\n- 
deutungen,  d.  h.  sie  genügen,  um  zu  zeigen,  dass  es  an  einer 
Erklärung  für  die  Nachbarschaft  von  Petrusbekeuutnis,  Leidens- 
weissagung und  Verklärung  und  für  das  Einsetzen  so  zahlreicher 
Leidens  Weissagungen  mit  Ssi  nicht  fehlt. 

Naturgemäss  stehen  diese  Weissagungen  nahe  vor  dem 
Leiden  selbst,  ebenso  wie  das  Ende  der  erzählten  Geschichte 
die  Weissagung  vom  Ende,  d.  h.  die  eschatologische  Rede  an 
sich  gezogen  haben  wird.  Verklärung  und  Petrusbekenntnis  sind 
inhaltlich  nah  verwandt.  Und  dass  mit  der  Erklärung  über  den 
Messias  die  Erklärung  über  sein  Leiden  sich  verknüpft,  ist  an 
sich  nicht  schwer  zu  verstehen.  Es  drängt  sich  aber  noch  eine 
besondere  Vermutung  auf.     Wird  das  Verheimlichen  der  Messia- 


1)  B.  Weiss  I  S.  46. 


124 

nität  bis  zur  Auferstehung  gefordert,  so  klingt  es  ganz  wie 
eine  Motivierung,  wenn  nun  gesagt  wird,  dass  der  Mensclien- 
sohn  leiden,  sterben  und  auferstehen  müsse.  Weil  dies  alles 
noch  bevoi-steht,  darf  für  jetzt  vom  Messias  noch  niemand 
sprechen.  —  Bei  den  Weissagungen  stehen  dann  die  Äusser- 
ungen der  blöden  Jünger.  So  kommt  es  zu  dem  Eindruck,  dass 
die  Messianität  von  jetzt  an  zwar  klar,  der  Leidensgedanke  da- 
gegen allein  noch  unklar  sei. 


Widersprüche. 

Sobald  der  dogmatische  Gedanke  sich  mit  der  Geschichts- 
darstellung verbindet,  hinterlässt  das  seine  Spuren,  d.  h.  man 
kann  immer  auf  Widersprüche  in  der  Erzählung  gefasst  sein. 
Wir  wissen,  dass  es  auch  hier  an  solchen  nicht  fehlt.  Die 
Öffentlichkeit  der  Wunder  reimt  sich  nicht  mit  dem  Befehl,  von 
ge^sässen  Wundern  zu  schweigen.  Den  sonstigen  Massregeln 
der  Geheimhaltung  stehen  ganz  offene  messianische  Äusserungen 
Jesu  oder  Daten  wie  der  messianische  Einzug  gegenüber.  Die 
Leidensweissagungen,  die  den  Jüngern  unverständlich  bleiben  und 
bleiben  sollen,  werden  von  ihnen  doch  auch  Avieder  verstanden, 
und  Jesus  setzt  das  nach  seiner  Art  zu  reden  manchmal  wie 
etwas  Selbstverständliches  voraus.  Ja,  sie  werden  auch  zu 
anderen  gesprochen,  obwohl  sie  doch  nur  für  die  Jünger  sind. 
Denn  auch  die  Jünger  des  Johannes  mit  den  Pharisäern,  auch 
die  jüdischen  Oberen  bekommen  Hinweise  auf  den  Messiastod 
zu  hören  (2i9£,  126ff.).  Ebenso  ist  die  Parabelanschauung 
keineswegs  dm-chgeführt.  Auf  die  Beschuldigung,  er  treibe  die 
Dämonen  durch  Beelzebul  aus,  antwortet  Jesus  iv  TtagaßoXaJg, 
und  seine  Eechtiertigung  soll  doch  natürlich  verstanden  werden. 
Nach  dem  Gleichnisse  von  den  bösen  AVeingärtnern  sagt  Markus 
selbst 

12 12:    sie  verstanden,    dass    er  auf  sie  hin  das  Gleichnis 
sprach  ^). 
Das  Volk    bestaunt    ferner    die    gewaltige,    neue    Lehre    Jesu 
(I22),  scheint  also  doch  ein  Organ  dafür  zu  haben,   es  emptängt 


1)  Hierin  klingt  freilich  noch  durch,    dass    eine  naoccßolrj    eigent- 
lich unverständlich  ist. 


125 

ja  auch  bikllose  Belehrungen,  andrerseits  bleibt  ihm  alles  dunkel. 
Auch  das  wird  man  zu  den  Widersprüchen  rechnen  dürfen,  dass 
die  Jünger  bald  die  empfangene  Macht,  Teufel  auszutreiben, 
mit  Erfolg  gebrauchen  (613),  bald  den  Dämonen  gegenüber  macht- 
los erscheinen  (9i8ff.). 

Handelte  es  sich  imn  um  nichts  weiter  als  um  eine  mangel- 
hafte Dm-chführung  der  Anschauung,  so  verlohnte  es  sich  kaum, 
darauf  zurückzukommen.  Im  Hauptpunkte  ist  jedoch  der  Wider- 
spi-uch  so  auftallend,  dass  man  darüber  nicht  hinweggehen  kann. 
Wie  erklärt  es  sich,  dass  im  Evangelium  das  Thun  und  damit 
das  Wesen  Jesu  so  an  die  Öffentlichkeit  tritt  und  so  weithin 
bekannt  wird,  wenn  er  immer  wieder  bemüht  ist,  es  zu  ver- 
bergen ? 

Am  nächsten  liegt  der  Gedanke,  dass  der  Evangelist  tradi- 
tionelle Stoffe  übernommen  hat,  in  denen  der  Gedanke  der  ge- 
heimen Messianität  nicht  lag.  So  lässt  sich  in  der  That  dies 
und  jenes  erklären.  Leicht  lässt  sich  z.  B.  diese  Erklärung 
für  den  Einzug  in  Jerusalem  durchführen.  Indessen  reicht 
dieser  Gesichtspunkt  keineswegs  aus.  Es  bietet  sich  aber  noch 
ein  zweiter  und  zunächst  wichtigerer  dar. 

Es  ist  nicht  schwer  zu  erkennen,  dass  die  Anschauung  vom 
Messiasgeheimnis  nicht  nur  zufällig  Widersprüche  mit  sich 
bringen  konnte,  sondern  beinah  notwendig  solche  hervorrufen 
musste.  Hätte  der  Evangelist  nämlich  diese  Anschauung  strikt 
durchgeführt,  hätte  sein  Jesus  sich  wirklich  streng  im  Verborgenen 
gehalten,  so  wäre  sein  Leben  für  ihn  kaum  mehr  erzählenswert 
gewesen. 

Ein  Leben  Jesu  schreiben  liiess  für  Markus  nicht  irgend 
etwas  von  Jesus  berichten,  es  hiess  vielmehr  ganz  einfach  ein 
Leben  voll  messianischer  Manifestationen  erzählen.  Je  mehr 
das  Einzelne  mit  dem  Mittelpunkte  des  Ganzen,  der  Messianität 
in  Beziehung  stand,  desto  mehr  war  es  wert,  berichtet  zu  wer- 
den; je  unbedeutender  es  nach  diesem  Massstabe  war,  desto 
gleichgiltiger  wurde  es  dem  Erzähler.  Denn  das  leidet  keinen 
Zweifel,  sein  Zweck  war  ja  eben  der,  Jesus  mit  seiner  Schrift 
als  Sohn  Gottes  zu  schildern  und  zu  erweisen.  Wollte  und 
konnte  der  Evangelist  sich  also  nicht  darauf  beschränken,  interne 
Offenbarungen  für  die  Jünger  mitzuteilen,  musste  er  Jesus 
handelnd  darstellen,  so  musste  er  ihn  auch  mit   seinem  messia- 


126 

nischen  Thuii  und  Reden  an  die  sich  wenden  lassen,  unter  denen 
er  gelebt  hatte.  Damit  waren  fortwährende  Widersprüche  so  gut 
wie  unvermeidlich.  Der  Jesus,  der  nach  aussen  wirkte  und  sich  kund 
that,  musste  aber  sogar  der  eigentliche  Gegenstand  der  Er- 
zählung sein.  Denn  der  Jesus,  der  sich  verbarg,  liess  sich 
nicht  wirklich  schildern.  Es  konnte  nur  immer  wie  in  einer 
Art  Anmerkung  zu  allen  möglichen  Offenbarungen  hinzugefügt 
werden:  was  Jesus  aber  that,  that  er  im  Geheimen.  Solche 
Anmerkungen,  in  denen  die  Offenbarungen  Jesu  sozusagen  halb 
zurückgenommen  werden,  sind  die  Verbote  und  die  verwandten 
Züge.  Es  hesse  sich  denken,  dass  Markus  noch  häufiger  von 
ihnen  Gebrauch  machte.  Aber  wirkliche  Konsequenz  war  hier 
nicht  möglich. 

Diese  Erkenntnis,  dass  der  Gedanke  des  Messiasgeheim- 
nisses innerhalb  eines  Lebens  Jesu  mit  einem  innern 
Widerspruche  behaftet  ist,  ist  für  das  Verständnis  des  Markus 
von  Bedeutung.  Dennoch  hellt  auch  sie  den  Thatbestand  im 
Evangelium  noch  nicht  genügend  auf. 

Die  merkwürdigste  Erscheinung  ist  nämlich  nicht,  dass  Jesus 
überhaupt  als  öffentlicher  und  weithin  bekannter  AVunderthäter 
erscheint,  sondern  dass  gerade  hart  neben  den  Gedanken,  dass 
er  verborgen  bleiben  will,  die  ausdrückliche  Angabe  gestellt  wird, 
dass  man  seinem  Verbote  zuwiderhandelte  und  seinen  Ruf  immer 
mehr-  ausbreitete.  Diesen  Zug  haben  wir  bisher  dreimal  ge- 
funden (I45,  7 36 f.,  724),  genauer  zweimal;  denn  die  dritte  dieser 
Stellen  lautet  etwas  anders.  Aber  sie  ist  doch  eine  offenbare 
Parallele.  Die  Abweichung  ist  aber  gerade  von  Wert.  Denn 
sie  zeigt  deutlich,  dass  der  Evangelist  an  den  ersten  beiden 
Stellen  in  keiner  Weise  beabsichtigt,  die  undankbare,  ungehor- 
same Gesinnung  der  geheilten  Kranken  zu  kennzeichnen.  7  24  ist 
ja   von   bestimmten   Menschen    gar  nicht   die  Rede.      Es    heisst 

einfach : 

Als  er  in  ein  Haus  gegangen  war,  wollte  er,  dass  es  nie- 
mand einführe; 

und  doch  wird  hinzugesetzt: 

und  er  vermochte  nicht  verborgen  zu  bleiben. 

Der  Evangehst  sagt  also  mit  dürren  Worten :  was  Jesus  wollte, 

geschah  nicht ;  er  will  das  Geheimnis,  und  er  wird  nur  bekannter. 
Nun  ist  es  doch  ganz  unmöglich,  Markus  die  Meinung  zu- 


127 

zutrauen,  die  Verbote  Jesu  seien  nicht  so  ernst  und  strenge  ge- 
dacht, wie  sie  lauten. 

Andrerseits  kann  der  Gedanke,  den  der  Buchstabe  darbietet, 
dass  Jesu  eigenste  Absicht  vereitelt  wurde,  nicht  das  sein,  was 
Markus  sagen  will.  Dass  der  wirkhche  Wille  Jesu  von  Menschen 
dm-chkreuzt  werden  könnte,  ist  sogar  eine  Vorstellung,  die  für 
ihn  nach  all  seinen  Voraussetzungen  unerträglich  sein  müsste. 
Und  er  denkt  ja  auch  durchaus  nicht  daran,  dass  Jesu  Ge- 
heimnis aufgehört  hätte,  Geheinnns  zu  sein ;  auf  die  Nachrichten 
von  der  Ausbreitung  der  Wunderthaten  folgen  immer  neue  Ver- 
bote, d.  h.  das  Geheimnis  besteht  weiter. 

Endhch  ist  aber  gerade  hier  auch  der  Ausweg  abgeschnitten, 
dass  es  sich  in  den  fraglichen  Notizen  um  einen  historischen 
Zug  handle,  der  vom  Evangelisten  beibehalten  werde,  weil  er 
nun  einmal  da  war.  Diese  Bemerkungen  haften  ja  ganz  an 
den  voraufgehenden  Verboten  oder  —  7-24  —  an  der  Erklärang, 
dass  Jesus  nicht  erkannt  werden  wollte;  ohne  diese  wären  sie 
überhaupt  nicht  da.  Ist  es  nun  die  eigenste  Anschauung 
des  Markus,  dass  Jesus  auf  die  Geheimhaltung  seiner  Thaten 
und  seiner  Person  bedacht  war,  so  kann  auch  das,  was  darauf 
folgt,  nur  die  eigenste  Anschauung  des  Markus  darstellen.  Und 
das  beweist  auch  schon  die  Wiederkehr  des  Zuges.  Sie  zeigt, 
dass  es  sich  um  einen  Gedanken  handelt,  der  dem  Verfasser 
positiv  wertvoll  ist.  Es  genügt  also  gar  nicht,  von  einer  not- 
gedrungen hinzunehmenden,  halb  wider  seinen  Willen  sich  ein- 
stellenden Inkonsequenz  zu  reden. 

Das  Interesse,  das  Markus  an  diesem  Gedanken  nimmt,  ist 
an  sich  auch  sehr  verständlich.  Zu  den  Wundern  Jesu  gehört 
notwendig  das  Ansehen  und  der  Ruhm  des  Wunderthäters. 
Zumal  wenn  die  Wunder  als  Offenbarungen  seiner  Grösse  und 
Macht  gedacht  sind,  wenn  sie  einen  bestimmten  Eindruck  von 
ihm  erzeugen  sollen.  So  liegt  eine  Anerkennung  Jesu  darin, 
dass  seine  That  verbreitet  wird.  Es  zeugt  für  ihn,  dass  alle 
Welt  erfährt,  was  er  vermag,  und  betroffen  bekennen  muss: 

er  hat  alles   wohl  gemacht;    die  Tauben  macht  er  hören 
und  die  Sprachlosen  reden  (73?). 
Es  bricht  seine   Herrlichkeit  daraus  hervor,    dass  er  verborgen 
bleiben  möchte  und  doch  alsbald  bekaimt   wird.      Der   einfache 


128 

Bibelleser  verstellt  den  Evangelisten,  wennihm  etwas  Triumphieren- 
des aus  diesen  Bemerkungen  entgegen  klingt. 

Ich  ziehe  etwas  Verwandtes  heran.  Man  könnte  leicht 
meinen,  dass  die  messianische  Anrede  der  Dämonen  oder  das 
Messiasbekenntnis  des  Petrus  im  Sinne  des  Erzählers  ledighch 
die  Bedeutung  hätten,  ein  Anlass  für  das  Gebot  des  Schweigens 
zu  sein.  Aber  das  ist  gewiss  nicht  richtig,  wie  denn  gelegent- 
lich ein  solches  Bekenntnis  der  Messianität  auch  ohne  nach- 
folgendes Gebot  berichtet  wird  (5?).  Jedes  derartige  Bekennt- 
nis ist  ein  Zeugnis  für  Jesus,  er  empfangt  damit  in  den  Augen 
des  Erzählers  wie  des  Lesers  eine  Beglaubigung  i).  Deshalb 
ist  immer  beides  von  Bedeutung:  das  Aussprechen 
der  grossen  AVahrheit  und  das  Verbot  des  Aus- 
sprechens. 

Jener  befremdliche  Widerspruch  bleibt  bestehen.  Er  ist 
auch  durch  keine  Kunst  wegzubringen  oder  auch  nur  zu  mildern. 

Der  Evangelist  hat  zwei  entgegen gesetze  Motive,  in  seinem 
Bewusstsein  aber  stossen  sie  sich  nicht.  Er  bringt  das  eine 
zum  Ausdruck  und  dicht  daneben  das  andere.  Das  eine  ruft 
sogar  das  andere  erst  hervor. 

Diese  Nebeneinanderstellung  ist  nur  möglich,  wenn  der  Er- 
zähler gar  nicht  empfand,  welche  Folgerungen  die  Beflexion 
aus  jedem  der  beiden  Gedanken  für  das  Geschichtsbild  ziehen 
muss,  d.  h.  wenn  er  ganz  anders  schreibt,  als  wir  zunächst  von 
ihm  erwarten.  Die  Erklärung  liegt  also  zuletzt  im  Charakter 
des  Schriftstellers. 

Hierauf  müssen  wir  näher  eingehen,  und  zwar  nicht  blos 
um  dieser  Stellen  willen.  Denn  es  tritt  hier  nur  eine  Eigen- 
tümhchkeit  des  Erzählers  hervor,  die  wir  an  vielen  andern 
Punkten  wiederfinden. 

Die  Exegese  muss  die  bisherige  Anschauung  von 
der  schriftstellerischen  Art  des  Markus  erheblich 
modifizieren.      Das   ist    eine  Folgerung   aus    unserer  Unter- 


1)  Bei  Dalman  I  S.  229  finde  ich  folgende  richtige  Bemerkung 
über  die  Gottesstirame  bei  der  Taufe :  »Die  Evangelisten  erzählen  davon 
nicht  wegen  der  Bedeutung,  die  das  Ergehen  einer  solchen  Gottes- 
stimme  etwa  für  Jesus  haben  konnte,  sondern  im  Sinne  von  gewichtigen 
Zeugnissen,  dass  Jesus  wirklich  das  war,  als  was  seine  Jünger  ihn  der 
Welt  verkündigen.«     Das  trifft  mit  meiner  Auffassung  zusammen. 


129 

suchung,  die  als  solche  klar  gestellt  sein  will.  Manche  der  dem 
Markus  zugeschriebenen  Vorstellungen  wird  aber  wiederum  auch 
verständlicher  werden,  wenn  wir  uns  —  natürlich  nur  soweit 
das  im  Rahmen  dieser  Arbeit  möglich  ist  —  ein  allgemeines 
Urteil  über  diesen  Punkt  zu  bilden  suchen. 


Markus  als  Schriftsteller. 

Die  heutige  Evangelienforschung  geht  durchweg  davon  aus, 
dass  Markus  bei  seiner  Geschichtserzählung  die  wirklichen  Ver- 
hältnisse des  Lebens  Jesu  annähenid  deuthch,  wenn  auch  nicht 
lückenlos,  vor  Augen  habe.  Sie  setzt  voraus,  dass  er  aus  dem 
Leben  Jesu  heraus  denke,  die  einzelnen  Züge  seiner  Ge- 
schichte nach  den  realen  Umständen  dieses  Lebens,  nach  den 
realen  Gedanken  und  Empfindungen  Jesu  motiviere  und  die 
Ereignisse,  die  er  schildert,  im  geschichtlich  -  psychologischen 
Sinne  verkette. 

Hiernach  interpretiert  und  hiernach  kritisiert  sie  das  Evan- 
gelium im  Einzelnen.  Sie  nimmt  wohl  chronologische  Ver- 
schiebungen, sachliche  Ungenauigkeiten,  Änderungen  im  Wort- 
laut der  Jesu  zugeschriebenen  iVussprüche,  auch  einen  Zusatz 
späterer  dogmatischer  Autfassung  an.  Aber  sie  operiert  doch 
überall  mit  den  psychologischen  Notwendigkeiten  und  Wahr- 
scheinlichkeiten, die  für  die  handelnden  Personen  in  den  an- 
gegebenen Situationen  bestanden,  sie  motiviert  hiernach,  ergänzt 
die  Nachrichten  durch  die  Konsequenzen,  die  sich  nach  natür- 
licher Rechimng  aus  ihnen  ergeben,  und  bekleidet  so  das  Gerippe 
düner  Daten  mit  Fleisch. 

Diese  Ansicht  und  dies  Verfahren  muss  prinzipiell 
als  falsch  erkannt  werden.  Es  muss  offen  gesagt  werden : 
Markus  hat  keine  wirkliche  Anschauung  mehr  vom 
geschichtlichen  Leben  Jesu. 

Ich  will  damit  keineswegs  über  den  geschichtlichen  Charakter 
der  Stoffe  absprechen,  die  ich  nicht  untersucht  habe.  Von  diesen 
Stoffen  kann  hier  ganz  abgesehen  werden.  Was  wir  näher  ge- 
prüft hal)en,  reicht  aus,  das  Urteil  zu  begründen. 

Es  verstellt  sich  von  selbst,  dass  Markus  eine  ganze  Reihe 
geschichtlicher  oder  geschichtlich  gearteter  Vorstellungen  besitzt. 

Wrede,  Messiusgeheünnis.  9 


r 


130 

Jesus  ist  als  Lehrer  aufgetreten,  zuerst  und  hauptsächlich 
in  Galilaea.  Er  ist  von  einem  Kreise  von  Jüngern  umgeben, 
zieht  mit  ihnen  umher  und  giebt  ihnen  Unterweisung.  Unter 
ihnen  sind  einige  seine  besonderen  Vertrauten.  Eine  grössere 
Menge  schliesst  sich  manchmal  an  die  Jünger  an.  Gern  redet 
er  in  Parabeln.  Neben  dem  Lehren  steht  sein  Wunderthuu. 
Es  erregt  xlufsehen,  er  wird  überlaufen.  Besonders  hat  er  es 
mit  den  dämonischen  Kranken  zu  thun.  Soweit  er  dem  Volke 
begegnet,  verschmäht  er  nicht  die  Gemeinschaft  von  Zöllnern 
imd  Sündern.  Dem  Gesetze  gegenüber  nimmt  er  eine  freiere 
Stellung  ein.  Er  stösst  auf  die  Gegnerschaft  der  Pharisäer  und 
der  jüdischen  Obrigkeit.  Sie  stellen  ihm  nach  und  suchen  ihn 
zu  Falle  zu  bringen.  Schliesslich  gelingt  es  ihnen,  nachdem  er 
nicht  nur  den  Boden  Judäas,  sondern  Jerusalem  selbst  betreten 
hat.  Er  leidet  und  mrd  zum  Tode  verurteilt.  Die  römische 
Obrigkeit  wirkt  dabei  mit. 

Dies  etwa  werden  die  Hauptsachen  sein.  Dazu  kommt  ja 
nun  manches  Detail  tür  die  Wunder,  die  Reden,  das  Lokale. 
Man  mag  daraus  Züge  von  Bedeutung  abstrahieren  können. 
Aber  für  die  Anschauung  des  Markus  und  damit  für  seine 
Gesamtdarstellung  ist  es  nicht  von  Bedeutung.  Denn  es  handelt 
sich  bei  diesem  Detail  nicht  um  eigentliche  Faktoren,  um  be- 
hen'schende,  charakteiistische  Züge  der  Geschichte.  Soweit 
diese  in  Frage  kommen,  sind  fast  alle  Vorstellungen  ganz  all- 
gemein und  unbestimmt.  Ein  konkretes  Bild  eines  Lebens  ist 
mit  ihnen  in  keiner  Weise  gegeben,  nm*  der  äussere  Rahmen 
oder  meinetwegen  ein  paar  dürftige  Umrisslinien. 

Das  Gewebe  der  Darstellung,  wie  sie  ist,  entsteht  nun  aber 
erst,  indem  zu  dem  Aufzug  dieser  allgemeinen  geschichtlichen 
Vorstellungen  ein  starker  Einschlag  von  dogmatisch  gearteten 
Gedanken  kommt,  i)  Zum  Teil  vei-schmelzen  sie  sich  mit  den 
geschichtlichen  Momenten,  zum  Teil  stehen  sie  neben  und 
zwischen  ihnen. 

Dogmatisch  gedacht  ist  die  Person  Jesu,  sie  ist  Träger  einer 
bestimmten  gottverhehenen  Würde,  oder  was  damit  zusammen- 
fällt, sie  ist  ein  höheres,  übermenschliches  Wesen.     Jesus  handelt 


1)  Vgl.  auch  S.  71  ff. 


131 

mit  göttlicher  Macht,  die  Zukunft  weiss  er  voraus.  Die  Be- 
weggründe seines  Handehis  ergeben  sich  nicht  aus  menschlicher 
Eigenart,  menschlichen  Zielen  und  Notwendigkeiten.  Das  eine, 
durchgreifende  Motiv  bildet  vielmehr  ein  über  dem  menschhchen 
Verstehen  liegender  göttlicher  Ratschluss.  Ihn  sucht  er  zu  ver- 
wirklichen, handelnd  und  leidend.  Die  Lehre  Jesu  ist  dem- 
gemäss  übernatürlich.  Er  hat  das  Wissen,  das  kein  Mensch 
von  sich  aus  besitzen  kann.  Allein  er  verbirgt  es,  verbirgt  sein 
eigenes  Wesen,  weil  er  von  Anfang  an  den  Blick  schon  auf  den 
Zielpunkt  der  ganzen  Geschichte  richtet,  auf  die  Auferstehung, 
die  das  Geheime  erst  oifenbar  machen  soll  —  für  die  Menschen. 
Denn  in  der  jenseitigen  Welt  ist  er  bekannt.  Und  mit  ihr 
steht  er  auf  Erden  schon  in  Verbindung,  indem  er  an  den 
Geistern  seine  Kraft  beweist  oder  den  Himmel  offen  sieht. 

Aber  auch  die  andern  Hauptfaktoren  der  Geschichte  sind 
theologisch  oder  dogmatisch  gedacht.  Die  Jünger  ihrem  Wesen 
nach  Empfänger  höchster  Offenbarung,  freilich  verständnislose 
und  zwar  nach  höherer  Notwendigkeit  verständnislose ;  das  Volk 
seinem  Wesen  nach  Nicht- Empfänger  der  Offenbarung;  die 
eigentlichen  Feinde  Jesu  von  Anfang  an,  gewissermassen  essentiell, 
voll  der  Bosheit  und  des  Widerspruchs,  die,  soweit  die  Menschen 
im  Spiele  sind,  das  Ende,  aber  damit  die  Herrlichkeit  herauf- 
führen. 

Diese  Momente,  und  nicht  die  geschichthchen  an  sich,  stellen 
das  eigenthch  Bewegende  und  Bestimmende  in  der  Erzählung 
des  Markus  dar.  Sie  geben  die  Farbe.  An  ihnen  hängt  natürhch 
das  Interesse,  auf  sie  richtet  sich  das  eigenthche  Denken  des 
Schriftstellers.  Deshalb  bleibt  es  wahr:  als  Gesamtdarstellung 
bietet  das  Evangelium  keine  historische  Anschauung  mehr 
vom  wirklichen  Leten  Jesu.  Nur  blasse  Reste  einer  solchen 
sind  in  eine  übergeschichtliche  Glaubensauffassung  übergegangen. 
Das  Markusevangelium  gehört  in  diesem  Sinne  in  die  Dogmen- 
geschichte. 

Hiernach  muss  man  Markus  exegetisch  behandeln.  Denn 
hierauf  l)eruht  schliesslich  die  formelle  Art  seiner  Geschichts- 
darstellung. In  dieser  Hinsicht  hebe  ich  zur  Charakteristik  nur 
zwei  Züge  hervor. 

Betrachtet  man  die  verschiedenen  Stücke  des  Berichtes 

9  * 


132 

zusammen,  so  ergiebt  sicli,  class  im  Allgemeinen  keine  innere 
Folge  zwischen  ihnen  hergestellt  ist.  Mehrere  Geschichten  wer- 
den zwar  öfter  durch  dieselbe  Situation,  durch  eine  chrono- 
logische oder  sonstige  Bemerkung  zusammen  gehalten,  es  sondern 
sich  kleinere  Ganze  aus,  es  wird  auch  einmal  wie  652,  8 17  ff. 
auf  etwas  Früheres  zurückgegriffen,  im  Ganzen  aber  steht  ein 
Stück  neben  dem  Anderen.  Ein  Zusammenhang  besteht  freilich 
doch,  aber  es  ist  der  Zusammenhang  des  Gedankens,  nicht  der 
der  geschichtlichen  Entwicklung.  Vielleicht  liesse  sich  ja  denken, 
dass  Markus  auch  die  dogmatischen  oder  halb  dogmatischen 
Vorstellungen,  die  er  formell  als  geschichtliche  Motive  giebt,  mit 
einer  Art  geschichtlichen  Lebens  beseelt  hätte,  in  ihnen  auf 
seine  Art  geschichtlich  dächte.  Für  einen  leidlich  naiven  Schrift- 
steller alter  Zeit  ist  das  fi'eilich  äusserst  unwahrscheinlich.  Und 
jedenfalls  thut  es  Markus  nicht.  Wir  sahen,  er  hat  keine  Be- 
ziehung hergestellt  zwischen  den  mancherlei  Verboten,  den  ver- 
schiedenen Weissagungen  über  Sterben  und  Auferstehen,  den 
verschiedenen  Äusserungen  des  Jüngerunverstandes.  Er  hat  vom 
einen  Punkte  seiner  Darstellung  thatsächlich  nicht  zum  andern 
gedacht. 

Daraus  folgt,  dass  es  unerlaubt  ist,  aus  seinen  Angaben 
Folgerungen  zu  bilden,  die  er  nicht  selbst  gebildet  hat,  oder 
Verknüpfungen  vorzunehmen,  die  nicht  offenbar  sind.  B.  Weiss 
bemerkt  gelegentlich  ^)  zu  der  Angabe  6  u,  wonach  Jesu  Name 
auch  am  Hofe  des  Herodes  bekannt  wurde,  es  sei  das  die  Folge 
der  (voraufgehenden)  Jüngeraussendung  gewesen,  die  die  Auf- 
merksamkeit in  viel  weiteren  Kreisen  auf  Jesus  gelenkt  hätte. 
Diese  Bemerkung  verdient  keineswegs  besonderen  Tadel,  denn 
solche  Verbindungshnien  werden  zu  Dutzenden  im  Evangehum 
gezogen.  Das  Beispiel  ist  auch  nicht  besonders  drastisch.  Um 
so  mehr  ist  es  typisch.  Bei  solchen  Verknüpfungen  liegt  eine 
falsche  Gesamtvorstellung  von  der  schriftstellerischen  Art  des 
Markus  zu  Grunde.  Mit  keiner  Silbe  hat  er  angedeutet,  dass 
er  zwei  Fakta  in  eine  Verbindung  gebracht  wissen  will,  die  er 
nacheinander  erzählt.     Deshalb  darf  man  sie  nicht  herstellen. 

Ein  zweites  betrifft  den  einzelnen  Bericht,  und  dies 
ist  noch   lehrreicher.      Es    zeigt  sich,    dass    dieser  Schriftsteller 

1)  Das  Markuserang.  S.  213. 


133 

nur  eine  geringe  Fähigkeit  hat,  sich  i  n  die  historische 
Situation  zu  versetzen,  die  er  angiebt.  SeineVorstellungen 
sind  äusserst  kurz.  Sonst  könnten  sich  nicht  so  sonderbare, 
reahstisch  betrachtet  ganz  unvorstellbare  Dinge  in  den  einzelnen 
Berichten  finden. 

Dass  das  Verbot,  von  der  Auferweckung  des  Mädchens  zu 
sprechen,  nicht  durchführbar  war  '),  war  nicht  schwer  zu  merken, 
Markus  merkt  es  nicht.  Aber  hier  ist  die  ündenkbarkeit  doch 
noch  einigermassen  verdeckt.  Ganz  offen  liegt  sie  zu  Tage, 
wenn  auf  das  Gebot  zu  schweigen  das  Ausposaunen  seitens  der 
Geheilten  folgt.  Markus  fragt  sich  nicht,  was  dann  aus  dem 
Geheimnis  wird.  Eine  ähnliche  Wahrnehmung  drängt  sich  bei 
der  Stelle  I24 — 27  auf.  Man  bestaunt  Jesu  Macht  über  die 
Dämonen,  das  setzt  voraus,  dass  man  Zeuge  der  vorangehenden 
Austreibung  gewesen  ist  und  dann  doch  auch  Zeuge  des 
Gesprächs  Jesu  mit  dem  Dämon.  Der  Dämon  hat  ja  aber  das 
Geheimnis  vom  Heiligen  Gottes  ausgeschrieen,  und  das  darf 
nach  Markus  niemand  hören.  Den  gleichen  Eindruck  kann 
man  3 11. 12  empfangen,  und  man  hat  ihn  empfangen  2). 

So  vergisst  Markus  auch  wohl  sehr  rasch  seine  eigene  Vor- 
aussetzung. Nach  733  ist  er  mit  dem  Taubstummen  allein. 
736  aber  lautet: 

und  er  gebot  ihnen,  es  niemand  zu  sagen;  je  mehr  er 
aber  ihnen  gebot,  desto  reichlicher  verkündeten  sie  es 2). 
Dass  da  nicht  etwa  die  Jünger  stillschweigends  als  Zeugen  ge- 
dacht sind,  zeigt  der  zweite  Satz ;  die  Jünger  sind  gewiss  nicht 
die  Verkünder.  Man  hilft  sich  dadurch,  dass  man  die  Leute, 
die  den  Kranken  zu  Jesus  bringen  (V.  32),  nicht  mit  zu  dem 
oxXoq  rechnet,  von  dem  Jesus  ihn  isohert  (V.  33).  Aber  nur  diese 
Leute  können  der  ox^og  sein,  wenn  man  V.  33  natürlich  erklärt, 
oder  sie  müssen  wenigstens  zum  oy^Xog  gehören.  Es  heisst  ja  nur: 

er  nahm  ihn  vom  Volke  bei  Seite. 
In   Wahrheit   hat    Markus   die   zuerst  gegebene    Situation  ver- 

1)  Vgl.  oben  S.  48  f. 

2)  Hilgonfeld,  die  Evangelien  S.  131,  aber  auch  Holtzmann 
HC  S.  7  :  vor  einer  grossen  Menge  rufen  ihn  die  Dämonen  als  Messias 
aus. 

3)  Schon   Br.  Bauer,    Kritik    der  Evangelien    III    S.  136  betonte 

den  Widerspruch. 


134 

schoben.  Erst  denkt  er  den  Kranken  mit  Jesus  allein,  dann 
hält  er  zwar  die  Vorstellung  der  Isolierung,  wie  das  Verbot 
zeigt,  fest,  aber  er  denkt  die  tJbrigen  mit  dem  Kranken  dabei 
zusammen,  ohne  zu  empfinden,  dass  das  Verbot  an  die  Mehrheit 
keine  Verbesserung  ist. 

Nimmt  man  solche  Züge  wahr,  dann  werden  auch  einige 
frühere  Auslegungen  gerechtfertigt  erscheinen,  die  zunächst  be- 
fremden mochten. 

In  der  That  ^),  Markus  denkt  bei  der  Geschichte  vom 
Blinden  zu  Bethsaida  nicht  daran,  dass  seine  Wohnung  ausser- 
halb der  im  Texte  genannten  /.(Lf^a^  liege.  Aus  dem  Flecken 
hat  Jesus  laut  823  ihn  herausgeführt;  folglich  ist  er  im  Flecken 
heimisch  gedacht.  Wir  haben  hier  also  keine  Daten  einzu- 
schwärzen,  die  Markus  nicht  verrät,  sondern  einfach  zu  lernen, 
dass  er  bei  seinen  Vorstellungen  die  simpelsten  Folgerungen 
übersehen  kann.  Das  Haus  bedeutet  die  Isolierung;  der  Flecken 
die  Öffenthchkeit.  Der  Blinde  soll  deshalb  ins  Haus  und  nicht 
in  den  Flecken  gehen.  Das  genügt  Markus;  was  daraus  folgt, 
dass  das  Haus  im  Flecken  hegt,  macht  ihm  keine  Sorgen. 

Ebenso  genügt  es  dem  EvangeHsten  zu  sagen,  dass  Jesus 
sich  in  Gahlaea  verbarg  (9  30).  Wie  Jesus  das  augefangen  hat, 
wenn  er  gerade  Galilaea  durchzog,  daran  hat  er  nicht  gedacht. 
Er  berichtet  sogar  ganz  ruhig,  dass  Jesus  bei  dieser  Wanderung 
nach  Kapharnaum  kam  (933),  wo  er  ja  nach  den  eigenen  Er- 
zählungen am  allerb ekanntesten  war.  Auch  da  aber  wird  die 
Isolierung  rasch  hergestellt,  indem  es  heisst,  dass  Jesus  »ins 
Haus«  kam.  Im  Hause  stellt  er  dann  ein  Kind  in  die  Mitte 
der  Jünger.  Wo  kommt  das  her,  wenn  er  sich  zu  verbergen 
sucht  ?  Das  Kind  passt  zum  Gedanken,  denn  Jesus  spricht  über 
das  Gross-seiu-wollen,  aber  es  passt  nicht  zur  Situation. 

Ich  mache  auch  darauf  aufmerksam,  dass  Jesus  während 
der  Wanderung  auf  die  Verhandlung  der  Jünger  über  die  Frage, 
wer  der  Grösste  sei,  nicht  eingeht,  im  Hause  dann  aber  sofort  fragt: 
wovon  sprächet  ihr  unterwegs  ?  (V.  33).  Markus  sagt  sich  nicht, 
dass  man  doch  auch  »unterwegs«  eine  geheime  Belehrung  geben 
kann.  »Unterwegs«  ist  für  ihn  allem  Anschein  nach  doch  so 
viel  wie  »öffentlich«.     Im   gleichen  Zusammenhange  hatten  wir 

1)  Vgl.  S.  49. 


135 

den  Gedanken,  dass  Jesus,  um  von  dem  Geheimnis  des  Leidens, 
Sterbens  und  Auferstehens  zu  den  Jüngern  zu  reden,  sich  über- 
haupt vor  der  Welt  verbirgt  (9o0.3i).  Wir  lehnten  die  Ergänzung 
vermittelnder  Vorstellungen  ab  ^),  und  wir  bleiben  dabei.  Markus 
(lenkt  ganz  einfach:  wenn  man  ein  Geheimnis  mitteilen  will,  so 
meidet  man  die  Leute.  Er  merkt  aber  nicht,  dass  der  Apparat  — 
das  heimliche  Reisen  durch  Galilaea  —  für  den  gedachten 
Zweck  zu  gross,  um  nicht  zu  sagen,  ungeheuerlich  ist. 

Die  innere  Vorstellbnrkeit  ist  bei  den  einzelnen  Erzählungen 
mannigfach  verschieden.  Es  überrascht  aber  nicht,  dass  gerade 
da  die  offenbarsten  Verstösse  sich  finden,  wo  die  Ideen  des  Ver- 
fassers, die  wir  kennen  lernten,  sich  besonders  Ausdruck  ver- 
schaffen. Markus  liegt  hier  eben  nichts  anderes  am  Herzen, 
als  diese  Ideen  in  der  Geschichte  auszuprägen.  Er  stellt  das 
dogmatische  Motiv  —  und  an  jeder  beliebigen  Stelle  kann  er 
diese  Lichter  aufsetzen  —  kurzweg  in  die  Erzählung  hinein,  und 
kümmert  sich  wenig  darum,  wie  es  sich  nun  als  geschichtlicher 
Zug  in  seiner  Umgebung  ausnimmt.  Das  ist  sein  Verfahren. 
Wer  es  begreift,  wird  ihn  aber  zugleich  entschuldigen.  Ge- 
schichtlich verstanden  enthältMarkus  eine  ganze  Anzahl  schlimmer 
Sinnlosigkeiten.  Nimmt  man  als  Idee,  was  Idee  ist,  so  befreit 
man  ihn  davon,  d.  h.  man  wird  auf  sie  kein  Gewicht  legen. 
Man  würdigt  sie  als  wohl  begreifliche  Begleiterscheinungen  einer 
Schriftstellerei,  die  etwas  unbeholfen  aus  Gedanken  Geschichte 
zu  formen  sucht. 

Was  speziell  die  Idee  des  Geheimnisses  anlangt,  so  hat 
Markus  ihr  den  nacktesten  Ausdruck  in  den  Verboten  gegeben; 
aber  daneben  hat  er  sie  in  einer  ganzen  Reihe  anschaulicher 
Vorstellungen  ausgeprägt,  ob  er  diese  nun  selbst  geschaffen  oder 
bereits  vorgefunden  hat.  AVir  haben  als  solche  kennen  gelernt: 
das  Alleinsein  mit  den  Jüngern  und  speziell  mit  den  Vertrauten, 
das  heimliche  Reisen,  den  Rückzug  vom  Volke  in  die  Einsam- 
keit, das  Aufsuchen  des  Hauses  oder  — -  bei  Kranken  —  das  ins 
Haus  Schicken.  Ich  verweise  auch  auf  die  früher'^)  zusammenge- 
stellten Notizen.  Dass  die  meisten  von  ihnen  in  diesen  Zusammen- 
hang gehören,  wird  nun  keines  Beweises  mehr  bedürfen.   Man  muss 

1)  S.  81.  2)  S.  51  ff. 


136 

nur  vorbehalten,  dass  einzelne  dieser  Züge,  wie  die  Vorstellung 
des  Rückzugs,  des  Aufsuchens  der  Einsamkeit  oder  des  Hauses 
gelegentlich  auch  eine  weniger  ideelle  Motivierung  empfangen: 
Jesus  wird  von  den  Leuten  belästigt,  oder  ihm  wird  von  den 
Gegnern  nachgestellt, 

Nachträglich  darf  hier  noch  das  Ersteigen  »des  Berges<c 
oder  »eines  hohen  Berges«  genannt  werden.  Das  scheint  bis- 
weilen auch  hierher  zu  gehören.  Nachdem  Jesus  3 12  das  Verbot 
ausgesprochen,  steigt  er  3 13  auf  »den«  Berg  und  nimmt  hier  die 
jedenfalls  feierlich  gedachte  Jüngerwahl  vor.  Diesen  Berg  soll 
man  nicht  auf  der  Landkarte  suchen..  Die  Exegeten  denken  ja 
auch  wegen  der  vorausgehenden  Situation  nicht  an  einen  einzelnen 
Berg,  sondern  an  die  Bergeshöhe,  das  Gebirge  im  Gegensatz 
zum  Seeufer.  Aber  das  heisst  t6  cQog  nicht.  Es  ist  ein  ideeller 
Bergi).  Der  Berg  oder  ein  Berg  ist  für  IVIarkus  jederzeit  eben- 
so zur  Hand,  wo  er  ihn  braucht,  wie  ein  8Qrji.iog  roTtog,  wie  das 
Haus  oder  ein  Haus.  Ähnlich  wie  3 12  heisst  es  92,  wo  dm-ch 
die  Erwähnung  der  Vertrauten  und  die  Betonung  des  Allein- 
seins mit  ihnen  das  Mysterium  so  stark  markiert  ist,  dass  Jesus 
die  Jünger  auf  einen  hohen  Berg  2)  führte.  Es  kann  hier  freiHch 
mehr  die  Vorstellung  zu  Grunde  hegen,  dass  ein  hoher  Berg 
die  angemessene  Stätte  für  eine  solche  Offenbarung  ist  v/ie  die 
Verkläi-ung,  als  dass  er  ein  einsamer  Ort  ist.  Aber  beides  be- 
rührt sich. 

Alle  diese  anschaulichen  Vorstellungen  streut  Markus,  wo 
und  wie  er  will,  in  seine  Darstellung  hinein.  Man  kann  ihn  da 
sehr  gut  beobachten.  Gelegentlich  sieht  man  auch,  dass  in  der 
Belehrung  Jesu  das  zum  Geheimnis  Gestempelte  inhaltlich  nichts 
besonders  Mysteriöses  hat,  jedenfalls  nicht  mehr  als  anderes,  was 
allen  mitgeteilt  wird.  Ein  solcher  Fall  liegt  10 10  vor,  wo  er 
über  die  Ehescheidung  zu  den  Jüngern  »besonders«  redet, 
während  er  über  dasselbe  Thema  zuvor  den  Pharisäern  Rede 
gestanden  hat.  Hier  ist  der  Gedanke  der  geheimen  Belehrung 
offenbar  zur  Manier  geworden.  — 


1)  So  Volkmar,    auf  dessen  Ausführung   S.  240  ff.   ich    verweise, 
ohne  mir  alles  Einzelne  anzueignen. 

2)  2.  Petr.  lis:  fr  toj'ooü  t  o)  äyiur.  eine  treffliche  Erklärung  »des 
Berges«  (Volkmar  S.  4G2j. 


137 

Anhangsweise  sei  es  gestattet,  hier  noch  ein  paar  einzehie 
Stellen  zu  besprechen,  die  gerade  an  diesem  Punkte  erst  recht 
verständlich  werden,  und  die  ich  ungern  unerörtert  lasse. 

Zuerst  verweise  ich  nochmals  auf  den  Passus  l32ff.  Er  ist 
ungemein  charakteiistisch.  In  Kurzem  wechseln  hier  die  beiden 
Motive  der  Verheimlichung  und  des  Offenbarwerdens  dreimal : 

1)  V.  32—34  Jesus  als  Wunderthäter  bekannt  und  über- 
laufen ;  V.  35—39  Rückzug  in  die  Einsamkeit  und  in  die  Nach- 
barschaft (V.  34  schon  das  Verbot  an  die  Dämonen). 

2)  V.  44  das  Verbot  an  den  Aussätzigeu;  V.  45  a  das 
Kundmachen. 

3)  V.  45  b  das  Meiden  der  Stadt  und  Aufsuchen  der  Ein- 
samkeit; trotzdem  aber  wieder  der  Zulauf. 

So  schlägt  die  eine  Vorstellung  immer  wieder  in  die  andere 
um.  Das  erste  Mal  ist  die  Sache  freilich  etwas  verschleiert. 
V,  35  heisst  es,  dass  Jesus  in  der  Einsamkeit  betete,  und  V.  38 
motiviert  er  sein  Fortgehen  in  andere  Städte  damit,  dass  er  ge- 
kommen sei,  auch  dort  zu  predigen.  Aber  der  Gedanke,  dass 
er  sich  vor  der  Öffentlichkeit  verbergen  will,  scheint  mir  doch 
deuthch  im  Texte  zu  liegeii.  Man  beachte,  wie  die  beiden  Vor- 
stellungen: Rückzug  in  die  Einsamkeit  und  Aufsuchen  anderer 
Städte  in  diesem  Gedanken  ihr  Gemeinsames  haben,  wie  der 
zweiten  Vorstellung  das  Jüngerwort  vorangeht: 

alle  suchen  dich  (V.  37), 
und  wie  gleich  V.  45  das  Meiden  der  Stadt  und  das  Aufsuchen 
der  Einsamkeit  sich  wiederholt.  Wenn  von  Jesu  Beten  die 
Rede  ist,  so  wird  das  als  ein  Motiv  anzusehen  sein,  das  Markus 
ebenfalls  geläufig  ist,  wenn  auch  noch  nicht  so  geläufig  wie 
Lukas,  und  hier  gelegentlich  als  an  passender  Stelle  eingestreut 
wird.  Und  das  Wort  von  dem  Berufe  Jesu,  auch  anderswo  zu 
predigen,  das  ja  doch  schon  wegen  des  ug  xovzo  yctq  &Bijl8^ov 
sich  als  eine  retrospektive  Betrachtung  Späterer  zu  erkennen 
giebt,  soll,  wie  mir  scheint,  nur  einen  plausiblen  Grund  für  die 
Jünger  bilden,  weshalb  Jesus  auf  ihre  Aufforderung  nicht  ein- 
geht, lässt  aber  den  Gedanken  offen,  dass  sein  wahrer  Beweg- 
grund ist,  dahin  zu  gehen,  wo  er  unbekamit  ist. 

Beachtung  verdient  auch,  dass  Jesus  2i  doch  schon  wieder 
in  Kapharnaum  anlangt.  Der  Evangelist  setzt  freilich  hinzu: 
öl'  rif.ieqoiv,  aber  dadurch  wird    es  nicht   wesenthch  natürlicher. 


138 

dass  Jesus  die  el^en  gemiedene  Stadt  wieder  aufsucht.  Nach 
V.  39  soll  Jesus  in  diesen  »Tagen«  die  Synagogen  von  ganz 
Galilaea  besucht  haben. 

Eine  zweite  Stelle  ist  834: 

Und  er  rief  die  Menge  samt  den  Jüngern  herzu  und 
sj^rach  zu  ihnen:  Avill  jemand  mir  nachgehen,  der  verleugne 
sich  selbst  und  nehme  sein  Kreuz  auf  und  folge  mir. 
Weshalb  ruft  Jesus  nach  der  Szene  mit  Petrus  die  Menge 
heran  und  richtet  an  sie  eine  solche  Mahnung  ?  Eine  befriedigende 
Erklänmg  ist  mir  nicht  bekannt  geworden.  Ich  vermute  Folgendes. 
Wir  haben  hier  ein  Korrelat  zu  der  Erscheinung,  dass 
Jesus  sich  mit  den  Jüngern  vom  Volke  absondert  und  dann 
eine  Belehrung  mysteriösen  Charakters  giebt.  Die  Szene,  die 
das  Petrusbekenntnis  und  die  Leidensweissagung  enthält,  ist  als 
eine  Geheimszene  gedacht.  Nun  wird  der  Vorhang,  wie  er 
sonst  dm'ch  die  Isolierung  niedergelassen  wird,  wieder  aufge- 
zogen, indem  die  Öffentlichkeit  wiederhergestellt  wird.  Das  und 
nichts  Anderes  dürfte  die  Erwähnung  der  Menge  bedeuten. 
Etwas  zu  ermitteln,  was  diese  Eede  gerade  für  die  Menge  recht 
geeignet  erscheinen  Hesse,  wird  nicht  gelingen.  Ich  zitiere 
Holtzmann.  Er  meint,  die  Betonung  der  Leidensbereitschaft 
»als  Vorbedingung  für  jeden  weiterhin  beabsichtigten  Anschluss 
an  ihn  verstehe  sich  besser  gegenüber  einem  grösseren  Hörer- 
kreise, daraus  Einige  geneigt  schienen,  es  jetzt  noch 
mit  ihm  zu  wagen,  als  gegenüber  solchen,  die  schon  länger 
eingeschult  waren«').  Das  ist  von  der  Annahme  ausgesagt,  als 
ob  sich  Markus  hier  eine  geschichtliche  Vorstellung  mache. 
Allein  der  Gedanke  an  einige  zm-  Nachfolge  Geneigte  hegt  ja 
durchaus  fern.  Nach  Markus  muss  man  vielmehr  eigentlich 
sagen,  die  Eede  passt  für  den  o/Aoc  ihrem  Inhalt  nach  gerade 
nicht.  Denn  das  Nachfolgen  und  Aufnehmen  des  Kreuzes 
setzt  doch  den  Leidensgedanken  voraus,  der  nm-  für  die  Jünger 
ist.  Daran  hat  Markus  hier  nur  nicht  gedacht.  Die  Erklärung 
für  das  Publikum  der  Eede  liegt  eben  ganz  im  Vorhergehenden. 
Ist  nun  aber  vom  oyloc,  vorher  gar  nicht  die  Eede  gewesen^), 


1)  HC  z.  St.  Ähnlich  B.  Weiss,   Das  Markusev.  z.  St. 

2)  Matthaeus  scheint  das  aufgefallen  zu  sein,  da  er  die  Worte  über 
die  Leidensnachfolge  (16 24)  ausdrücklich  an  die  Jünger  gerichtet 
sein  lässt. 


139 

so  bedarf  es  nicht  irgend  welcher  Erwägungen  aus  der  Situation, 
um  ihn  V.  34  zur  Stelle  zu  schaffen.  Man  erklärt:  da  die 
Jünger  vorher  allein  mit  Jesus  auf  dem  Wege  waren,  so  müsse 
er  jetzt  in  einem  Flecken  gedacht  werden,  doch  komme  dem 
Erzähler  auf  den  AVechsel  der  Sitution  nichts  an  (!)  i).  Allerdings^ 
Jesus  »muss«  an  einem  Orte  gedacht  werden,  wo  überhaupt  eine 
Menge  ist  —  wenn  eine  geschichtlich  mögliche  Situation  wirklich 
vorgestellt  wird.  Die  Stelle  enthält  aber  doch  wohl  einige  Auf- 
fordermig,  dies  kleine  »wenn«  über  dem  »muss«  nicht  ganz  zu 
vergessen.  Von  der  Menge  gilt  bei  Markus  nur  ganz  dasselbe 
wie  vom  Hause  und  ähnlichen  Vorstellungen:  er  hat  sie  jederzeit 
zur  Hand,  wo  er  sie  braucht.  Und  sie  ist  stets  nicht  weit, 
sobald  er  an  die  Jünger  denkt. 

Man  vergleiche  noch  lu^).  Mit  den  Pharisäern  und  einigen 
Schriftgelehrten  kommt  Jesus  ins  Gespräch  über  das  Hände- 
waschen  (7iff.).  Dann  ruft  er  »wieder  die  Menge  heran«  und 
giebt  ihr  die  Parabel  zu  hören.  Danach  Rückzug  ins  Haus  von 
der  Menge  weg  und  Deutung  der  Parabel  für  die  Jünger.  Hier 
haben  wir  das  Umgekehrte  wie  im  vorigen  Zusammenhange. 
Dass  »die  Menge«  aber  erscheint,  ist  nicht  viel  weniger  über- 
raschend als  834.  Zwar  denkt  Markus  hier  daran,  dass  er  zuvor 
(653  ff.)  von  einer  Menge  gesprochen  hat  (vgl.  das  TtdXiv),  aber 
die  Szene  7 1  ff.  ist  doch  ein  Stück  für  sich  mit  einer  neuen 
Situation.  Offenbar  ist  es  nur  die  »Parabel«,  die  die  Menge  aus 
der  Versenkung  hervorholt,  weil  Parabel  und  Menge  zusammen- 
gehören. Hat  man  Markus  hier  einmal  verstanden,  so  wirkt 
eine  ernsthaft  buchstäbliche  Fassung  seiner  Angaben  komisch. 
Die  Menge  hat  nichts  von  dem  Gespräche  mit  den  Gesetzes- 
männern gehört,  bekommt  dann  aber  eine  Parabel  zu  hören,  die 
sich  auf  das  Nichtgehörte  bezieht,  und  muss  sich  mit  der  Parabel 
selbst  abspeisen  lassen,  denn  die  Deutung  und  Bedeutung  ist 
wieder  nichts  für  sie! 

Drittens  ein  Wort  über  die  Stelle  der  Gerasenergeschichte 


1)  B.  Weiss  a.  a.  0.  Trotzdem  W.  eine  Erklärung  für  das  Eeden 
zum  Volke  weiss  (s.  0.),  bemerkt  er  doch,  das  unmotivierte  Erscheinen 
des  Volkes  falle  auf.  »Der  Grund,  weshalb  Markus  den  ox^og  herbeizieht, 
kann  .  .  nur  (!)  darin  liegen,  dass  die  apostolische  Quelle  diese  Sprüche 
an  den  o/i-og  gerichtet  sein  liess  .  .  .  .« 

2)  S.  auch  7  33. 


140 

5 19.20.  Die  Bitte  des  Geheilten,  ihn  begleiten  zu  dürfen,  schlägt 
Jesus  ab.  Er  trägt  ihm  nur  auf,  den  Seinen  mitzuteilen,  was 
ihm  der  Herr  gethan  habe. 

Es  erechien  uns  diese  Stelle  fi'üher  als  eine  Ausnahme  von 
der  sonstigen  Praxis  Jesu.  So  fasst  man  sie  auch  meistens  auf. 
Man  meint,  dass  Jesus  für  die  Heidengegend  eine  Verkündigung 
seiner  That  wünschen  konnte,  wie  er  sie  unter  den  Juden  nicht 
wollte^).  Diese  Auslegung  ist  ganz  begreiflich,  macht  aber  nichts- 
destoweniger den  Eindruck  einer  Verlegenheitserklärung.  Warum 
konnte  Jesu  Ruf  von  dieser  Gegend  sich  nicht  in  rein  jüdische 
Distrikte  verbreiten?  Diese  Frage  wäre  vom  Standpunkte  der 
gewöhnlichen  Auffassung  der  Verbote  zu  stellen.  Von  unserm 
Standpunkt  liegt  die  Frage  nahe :  ist  dieser  Widerspruch  zu  dem 
sonstigen  Verfahren  Jesu  nicht  gar  zu  grell?  Warum  macht 
der  Evangelist  auch  im  Texte  nicht  ausdrücklich  bemerklich,  dass 
es  sich  hier  um  Heidengebiet  handle? 

Sollte  die  scheinbare  Abweichung  von  den  anderen  Ver- 
boten nicht  ii^  Wahrheit  eine  Parallele  sein?     Jesus  sagt: 

Gehe  hin  in   dein  Haus   zu  den  Deinen   und  melde 
{c'cnayyei'/.ov)  ihnen,   was  der  Herr  (o  y.vQiog)  dir  gethan, 
und  vde  er  sich  deiner  erbannt  hat. 
Im  Hause,  in  der  Familie  ist  die  Kunde  von  der  Wohlthat  gut 
aufgehoben.     Der  Gerasener  thut  nun  aber   etwas  Anderes,   er 
macht  es  wie  der  Aussätzige  und  der  Stumme  (I45,  Tse  vgl.  724): 
Und  er  gieng  hin   und  begann   in   der  Dekapolis  zu 
verkünden    {/iriQiOGeiv,   predigen),    was   ihm    Jesus    [hier 
heisst  es  nicht:  der  Herr!]  gethan  hatte,  und  alle  ver- 
wunderten sich. 
Die  beiden  Sätze  sind  freilich  nicht  formell  in  Gegensatz  gestellt. 
Und  weil  ^vir  so  manchmal  das  »Haus«  als  Ort  der  Heimlichkeit 
gefunden  haben,  braucht  es  nicht  immer  diesen  Sinn  zu  haben. 
Am  Ende  könnte  auch  ein  Erzähler,    der  von   der  Ausbreitung 


1)  Z.  B.  Kitschl,  Theol.  Jahrbb.  1851  S.  514,  Holtzmann, 
HC  S.  8.  —  B.  Weiss,  Das  Markusevang.  S.  181  sagt  richtig:  »auch 
hier  sorgt  Jesus  nicht  für  die  Ausbreitung  seiner  Heilwunder,  welche 
er  nach  I44  nicht  wünscht«.  Aber  die  Fortsetzung:  er  »will  nur  die 
vollzogene  Heilthat  der  Familie  des  Geheilten  zum  Segen  setzen«,  ist 
wohl  mehr  im  modern  erbaulichen  Geschmacke  als  im  Geschmacke  dea 
Markus. 


141 

der  Thiiteii  Jesu  ohne  Scheu  spricht,  auch  ihm  selbst  einmal 
eine  Aufforderung  zur  Verkündigung  des  AVunders  in  den  Mund 
gelegt  haben,  wenn  er  von  einem  besondern  Motive  geleitet  war^ 
etwa  eine  erste  Predigt  unter  den  Heiden  andeuten  wollte*). 
Allein  Jesus  sagt  eben  nicht,  der  Dämonische  möge  »nach  Hause« 
gehen  und  seine  That  in  der  Heimat  ausbreiten.  So  denke  ich, 
die  Ähnlichkeit  mit  anderen  Stellen  vom  ol-A.og^),  der  sachHche 
Gegensatz,  der  zwischen  dem  Gebot  Jesu  und  der  Handlungs- 
weise des  Geheilten  doch  nicht  zu  leugnen  ist,  die  Übereinstimmuiig, 
die  diese  Stelle  so  mit  den  Verboten  gewinnt,  sind  starke  Stützen 
für  die  vorgeschlagene  Deutung.  Dass  Jesus  dem  Manne  seine 
Bitte  versagt,  wird  man  dann  auch  hiernach  verstehen  müssen: 
er  will  ihn  nicht  mitnehmen  aus  Besorgnis,  von  ihm  verraten  zu 
werden.  Irgend  einen  Sinn  wird  dieser  Zug  doch  haben,  und 
er  steht  im  Gegensatze  zu  der  Anweisung  ins  Haus  zu  gehen. 
Die  Mitteilung  an  die  Hausgenossen  schliesst  die  Vorstellung  der 
Heimlichkeit  so  wenig  aus  wie  die  Erwähnung  der  Mehrheit  736. 
Endhch  darf  die  recht  charakteristische  Stelle  724.25  hier 
nochmals  genannt  werden. 

24  Von  dort  aber  brach  er  auf  und  zog  in  das  Gebiet  von 
Tyrus.  Und  da  er  in  ein  3)  Haus  eingetreten,  wollte  er, 
dass  es  niemand  erfahre,  und  er  konnte  nicht  verborgen 
bleiben.  ^^^  Sondern  alsbald  hatte  eine  Frau  von  ihm  ge- 
hört, deren  Töchterchen  einen  unreinen  Geist  hatte,  kam 

und  fiel  ihm  zu  P'üssen 

Trotzdem  es  den  Anschein  haben  könntej  als  ob  Jesus  aus 
andern  Gründen  das  Haus  betrete*)  und  dann  seine  Anwesenheit 
dort  verbergen  wolle,  wird  doch  das  Haus  selbst  als  Schlupf- 
winkel gedacht  sein.  Nun  könnte  man  fi-agen:  weshalb  bedai"! 
es  in  einem  unbekannten  Lande  noch  eines  besonderen  Versteckes? 


1)  Vgl.  Volkmar  S.  310. 

2)  Namentlich  mit  826:   er  schickte  ihn  in  sein  Haus. 

3)  Es  wäre  nicht  so  ganz  unmöglich,  dass  die  LA.:  (ts  rrjv  oixCuv 
die  von  D  Orig.  bezeugt  ist,  hier  ursprünglich  wäre.  Der  Artikel  könnte 
leicht  als  unpassend  erschienen  sein.  7  17  und  928  schwanken  die  H SS. 
ebenfalls  zwischen  olxog  mit  und  ohne  Artikel.  Übrigens  ist  »das  Haus« 
nicht  zu  scharf  zu  betonen.  Markus  denkt  in  diesen  Fällen  nicht  etwa 
an  ein  bestimmtes  Haus,  er  nennt  das  Haus  im  Gegensatz  zum  Wege 
(wie  B.  Weiss  richtig  zu  933  sagt)  oder  überhaupt  zu  einem  »Draussen«. 

4j  B.  Weiss  bei  Meyer:  um  dort  zu  herbergen. 


142 

würde  dann  al^er  von  Wissenden  darauf  verwiesen  werden,  dass 
Jesus  nach  3  8  vielen  Tyi'iern  und  Sidoniern  l)ekannt  war.  Fragen 
darf  man  aber,  was  ein  solches  Versteck  nützen  soll,  wenn  Jesus 
überhaupt  verborgen  bleiben  will  und  doch  nicht  immer  dort 
bleiben  kann,  oder  weshalb  er  sich  hier  verbirgt '),  wenn  er  sich 
sonst  nicht  verbirgt.  Jeder  empfindet  ferner  das  Miss  Verhältnis 
zwischen  dem  Gebiet  von  Tyi'us  und  »einem«  Hause.  Um  es 
kurz  zu  sagen,  Markus  nähert  sich  in  dieser  Situationsschilderung 
dem  Märchenstile,  Man  könnte  so  von  einem  verkleideten 
spanischen  Prinzen  erzählen,  der  ins  französische  Gebiet  zog:  er 
gieng  dort  in  ein  Haus,  weil  er  nicht  erkannt  werden  wollte, 
aber  man  erfuhr  doch,  dass  er  da  wäre,  auch  eine  arme  Frau 
hörte  es  und  suchte  ihn  auf  2). — 

Die  vielgepriesene  Anschaulichkeit  des  Markus  wird  nach 
unsern  Ausführungen  auch  wohl  etwas  anders  beurteilt  werden 
müssen,  als  gewöhnhch  geschieht  3).  Zunächst  ergiebt  sich,  dass 
manche  Züge,  die  als  anschauliche  Momente  gelten,  in  AVahrheit 
Anschauungsmomente  sind.  Vielleicht  ist  Ähnliches  avich  an 
andern  Punkten  zu  erkennen.  Es  wird  sich  im  Markus  noch 
manche  interessante  Beobachtung  machen  lassen.  Gerade  wo 
das  Material  in  Frage  konnnt,  das  ich  l^ehandelt  habe,  fällt  im 
Grunde  eine  starke  Unanschauhchkeit  auf,  wenn  sie  auch  nicht 
immer  so  gross  ist  wie  72a.  Nicht  als  ob  die  andern  Synoptiker 
in  den  Parallelen  anschaulicher  wären.  Der  Unterschied  ist 
vielmehr  dieser:  Markus  reizt  durch  seine  konkreten  Bemerkungen 
stärker  das  Verlangen  nach  Anschauung  und  lässt  es  doch  un- 
befriedigt.    Ein  kurzes,   hastiges  Wort  Jesu   oder  Anderer,  und 


1)  B.  Weiss  (bei  Meyer)  antwortet:  er  will  sicL.  der  Ausbildung 
der  schwachen  Jünger  widmen.  Deshalb  soll  er  überhaupt  dies  Gebiet 
aufgesucht  haben.  Weshalb  sagt  dann  der  Text  von  diesem  Haupt- 
punkte nichts?  Die  Eeise  in  das  Gebiet  von  Tyrus  wird  offenbar  nur 
wegen  der  Geschichte  von  der  Syrophoenizierin  erzählt.  Denn  abgesehen 
davon  ist  der  Aufenthalt  in  diesem  Heidengebiete  leer.  Bereits  Tsiwird 
Jesus  wieder  nach  dem  Galiläischen  See  versetzt. 

2)  Über  die  Stelle  1047  f,  die  nicht  gut  in  diesen  Zusammenhang 
passt,  vgl.  Exkurs  VI. 

3)  J.  Weiss,  Keieh  Gottes  S.  38  f.  äussert  sich  zu  meiner  Freude 
skeptischer  als  die  Meisten,  ebenso  hinsichtlich  der  Chronologie  des 
Markus. 


143 

eine  kurze  Bemerkung  über  den  Eindruck,  den  es  gemacht, 
rasche,  plötzHche  Ortsveränderungen  im  Ganzen  und  innerhalb 
der  einzehien  Szene,  Aäelfacher  Wechsel  in  der  Umgebung  Jesu, 
Volk  oder  Jünger  treten  hervor  und  treten  wieder  zurück.  Es 
fehlen  die  psychologischen  und  sonstigen  Motivierungen,  die  den 
Vorgängen  erst  greifbare  Gestalt  geben  würden.  Sie  fehlen  aber 
nicht,  weil  sie  hinzuzudenken  wären,  sondern  weil  sie  überhaupt 
nicht  gedacht  sind.  So  macht  das  Auftreten  Jesu  und  der 
andern  Personen  des  Dramas  vielfach  den  Eindruck  des  Hastigen, 
Schemenhaften,  fast  Gespenstischen.  Freilich  nicht  hierdurch 
allein.  Gälte  es  eine  erschöpfende  Schilderung,  so  Aväre  namentlich 
zu  zeigen,  wie  die  übermenschlichen  Züge  Jesu  zu  diesem  Eindruck 
beitragen. 

Doch  das  Evangelium  enthält  auch  wirklich  manches  An- 
schauliche. Hier  aber  bildet  der  ganze  Charakter  der  Schrift 
eine  Mahnung,  Anschaulichkeit  nicht  zu  rasch  und  zu  sorglos 
als  Kennzeichen  der  Geschichtlichkeit  zu  betrachten.  Markus 
kann  sich  sehr  wohl  gegenüber  den  späteren  Evangelisten  auch 
durch  die  grössere  Anschaulichkeit  als  der  ältere  bewähren. 
Aber  dies  relative  Urteil  bedeutet  wenig  für  die  absolute 
Schätzung.  Eine  Schrift  kann  einen  stark  sekundären,  ja  sogar 
ganz  apokryphen  Charakter  haben  und  dennoch  viel  An- 
schaulichkeit zeigen.  Es  kommt  immer  darauf  an.  wie  diese 
geartet  ist. 

Die  Auflassung  von  der  schriftstellerischen  Art  des  Markus- 
evangehuras,  die  ich  nach  einigen  Seiten  der  üblichen  kritischen 
Behandlung  der  Schrift  entgegengestellt  habe,  entspricht  einiger- 
massen  der  Auffassung,  der  die  wissenschaftliche  Kritik  —  ich 
meine  die  unbefangene  —  bei  einer  andern  Schrift  selber  folgt, 
—  beim  Johannesevangelium.  Es  verdient  das  hervorgehoben 
zu  werden,  weil  es  zeigt,  dass  hier  keine  unüberbrückbare  Kluft 
der  exegetisch  -  kritischen  Methode  besteht,  und  weil  man  am 
Johannesevangelium  für  Markus  lernen  kann. 
Wenn  Johannes  Jesus  sagen  lässt(734): 

ihr  werdet  mich  suchen  und  nicht  finden,  und  wo  ich  bin, 

dahin  könnt  ihr  nicht  kommen, 
und   darauf,    obschon  Jesus    zuvor  ausgesprochen,    er   werde  zu 
dem  gehen,  der  ihn  gesandt  habe,  die  Juden  fragen  lässt: 


144 

wo  will  dieser  hingehen,  dass  wir  ihn  nicht  finden  sollen? 

will  er  etwa  in  die  Diaspora  der  Griechen  gehen  und  die 

Griechen  lehren?  — 
so  werden  es  sehr  Viele  als  eine  grobe  Geschmacklosigkeit  er- 
kennen, hier  durch  psychologische  Vermittlungen  das  Unvorstell- 
bare vorstellbar  zu  machen.  —  Wenn  die  Johannesjünger  auf 
die  Erfolge  Jesu  eifersüchtig  sind,  obgleich  sie  selbst  erklären, 
das  Zeugnis  ihres  Meisters  über  Jesus,  das  solche  Eifersucht 
unmöglich  macht,  gehört  zu  haben  (826),  so  nimmt  man  das  als 
etwas  bei  Johannes  gar  nicht  Auffallendes  ruhig  hin.  —  Wenn 
der  Evangelist  erzählt: 

Einige  .  .  wollten    ihn    greifen,    aber   niemand    legte  die 

Hände  an  ihn  (744  vgl.  7  30,  820), 
so  weiss  jeder,  dass  ein  so  absolut  unanschaulicher  Zug  nicht 
durch  Erwägung  der  Situation  verständlich  zu  machen  ist, 
sondern  aus  den  Gedanken  des  Evangelisten  seine  Beleuchtung 
empfängt,  nach  denen  Jesus  einerseits  fortwährend  von  Tod- 
feindschaft umgeben  ist,  andrerseits  aber  nach  dem  oberen 
Ratschluss  so  lange  gefeit  ist,  bis  »seine  Stunde  da  ist«.  Und 
wer,  der  die  Art  des  Johannesevangeliums  einmal  erkannt  hat, 
könnte  vereuchen,  in  den  Streitgesprächen  Jesu,  wo  nichts  vom 
Flecke  kommt,  auch  nur  einen  leidlichen  Fortschritt  nachzu- 
weisen? AVer  sieht  nicht,  dass  es  Johannes  fernliegt,  in  den 
natürlichen  Konsequenzen  seiner  Angaben  zu  denken?  Gewiss 
ist  hier  manches  noch  nicht  so  selbstverständlich  geworden,  wie 
es  sein  sollte.  Und  deshalb  fällt  der  Accent  noch  nicht  immer 
genug  auf  das,  was  der  Schriftsteller  in  den  sonderbaren  geschicht- 
lichen Formen  sagen  will,  worauf  er  doch  fallen  muss,  wenn  man 
ihm  gerecht  werden  will.  Aber  prinzipiell  ist  das  Richtige  da. 
Aus  solchen  Eigentümlichkeiten  kann  man  aber  in  der 
That  für  Markus  lernen.  Natürlich  denke  ich  nicht  daran,  den 
Unterschied  ZAvischen  ihm  und  Johannes  zu  verwischen.  Er  ist 
gewiss  sehr  gross.  Die  Gedankenblässe  des  vierten  Evangeliums 
zeigt  Markus  denn  doch  nicht,  er  hat  es  nicht  mit  einem  ent- 
wickelten Dogma  zu  thun,  er  polemisiert  und  verteidigt  nicht 
wie  Johannes,  er  ist  von  einer  ganz  andern  Naivetät,  er  steht, 
was  den  realen  Boden  der  Geschichte  Jesu,  z.  B.  die  Örtlich- 
keiten,  betrifit,  ganz  anders  da,  er  hat  ein  wesentlich  anderes 
Verhältnis  zur  Tradition  als  Johannes. 


145 

Aber  —  die  prinzipielle  Verwandtschaft  ist  doch  weit  grösser, 
als  man  gemeinhin  denkt,  eben  weil  auch  Markus  schon  vom 
wirklichen  Leben  Jesu  sehr  weit  entfernt  und  von  dogmatisch 
gearteten  Auffassungen  beherrscht  ist.  Man  betrachte  Markus 
durch  ein  starkes  Vergrösserungsglas,  und  man  hat  etwa  eine 
Schriftstellerei,  wie  sie  Johannes  zeigt. 

Schlussbemerkungen. 

Ist  die  Anschauung  vom  Messiasgeheimnis  die  Ei-findung 
des  Markus?     Das  ist  eine  ganz  unmögliche  Vorstellung. 

Schon  aus  Markus  selbst  lässt  sich  das  bestimmt  erkennen. 
Das  ganze  Leben  Jesu  ist  bei  ihm  mit  den  verschiedenen 
Momenten  dieser  Anschauung  übersponnen.  Die  einzehien  Vor- 
stellungen liegen  in  mancherlei  Varianten  vor.  Es  ist  viel  Un- 
ausgeglichenes in  ihnen.  Dergleichen  ist  nicht  das  Werk  eines 
Einzelnen. 

Namentlich  aber  ist  das  klar,  wenn  man  den  Inhalt  erwägt. 
Wie  käme  Markus  dazu,  einen  solchen  Gedanken  in  eine  Tradition 
einzuführen,  die  nichts  von  ihm  wusste  ?  Dafür  lässt  sich  keine 
Erklärung  ersinnen.  Historisch  ist  der  Gedanke  aus  Markus 
unmittelbar  noch  gar  nicht  zu  verstehen.  Er  ist  fertig  da, 
Markus  steht  unter  seinem  Zwange,  so  dass  man  nicht  einmal 
von  einer  »Tendenz«  reden  darf.  Aber  wo  kommt  er  her?  — 
Es  handelt  sich  also  um  eine  Anschauung,  die  grössere  Kreise, 
wenn  auch  nicht  notwendig  grosse  Kreise,  beherrscht  haben 
muss. 

Damit  soll  ein  Anteil  des  Markus  an  seiner  Darstellung, 
und  sogar  ein  wichtiger  Anteil,  nicht  geleugnet  sein.  Im  Rück- 
bhcke  erkennt  man  ja  leicht,  dass  vieles  von  dem,  was  er  sagt, 
ihm  gar  nicht  überliefert  werden  konnte,  vorausgesetzt,  dass 
nicht  schriftliche  Quellen  zu  Grunde  liegen.  Eine  Kritik,  die ' 
das  vergisst,  muss  Markus  mit  einem  Gedächtnis  für  das  Farb- 
lose ausstatten,  wie  es  in  der  ganzen  Weltgeschichte  noch  nicht 
vorgekommen  ist.  Leidensweissagungen  in  der  Art,  wie  sie  uns 
beschäftigten,  wird  es  vor  Markus  gegeben  haben.  Aber  die 
bestimmte  Formulierung,  die  Stelle,  an  der  Markus  sie  bringt, 
konnte  höchstens  im  Ausnahmefalle  überliefert  werden.  Dass 
Jesus  sich  mit  seinen  Jüngern  oftmals  ins  Haus  zurückzog,  hat 

Wrede,   Messiasgeheimnis.  10 


146 

man  vielleicht  schon  vor  Markus  erzählt,  aber  unmöglich  kann 
es  Erinnerung  an  Gehörtes  sein,  wenn  der  Erzähler  Jesus  bei 
diesem  Worte  im  Hause  sein,  bei  jenem  das  ganze  Volk  anreden 
lässt.  Und  wie  sollte  ihm  überliefert  gewesen  sein,  bei  welchem 
"Wunder  Jesus  das  Verbot  aussprach,  bei  welchem  er  es  vergass, 
bei  welchem  er  von  der  Menge  umdrängt  war,  bei  welchem  nicht? 
So  könnte  man  fortfahren.  Die  Motive  selbst  werden  mindestens 
teihveise  nicht  das  Eigentum  des  Evangelisten  sein,  aber  wie 
er  sie  in  concreto  verwendet,  das  ist  jedenfalls  seine  eigene 
Arbeit,  und  insofern  kann  man  auch  hier  und  da  von  einer 
Manier  des  Markus  reden  1).  Wie  sich  Traditionelles  und  Eigenes 
im  Einzelnen  verteilt,  wird  auch  eine  besondere  Untersuchung 
nicht  dm"chweg  feststellen  können.  Man  muss  es  vermischt 
lassen,  wie  es  ist. 

Diese  Beobachtung  wird  übrigens  auch  für  die  Be- 
urteilmig  anderer  Züge  des  Evangelimns  nützlich  werden 
können.  Es  ist  nicht  ganz  wenig  darin,  was  seiner  Natur  nach 
nicht  überhefert  werden  konnte  oder  höchstens  von  einem  Augen- 
zeugen, der  auch  des  Gleichgiltigen  sich  erinnern  kann.  Markus 
aber  war  kein  Augenzeuge. 


Am  Ende  dieser  Betrachtungen  über  Markus  sei  an  ein 
Datum  aus  der  Geschichte  der  Kritik  erinnert. 

Eine  ältere  Periode  der  neutestamentlichen  Forschung  hat 
manchmal  von  einem  mysteriösen  Charakter  des  Markus- 
evangeliums gesprochen.  Schon  Schleiermacher  hat  es  gethan. 
Er  rechnete  dahin  namenthch  das  Besondersuehmen  der  Kranken, 
dann  die  Manipulationen  und  die  Anwendung  sinnhcher  JVüttel 
bei  den  Wunderheilungen  Jesu^).  Manche  derartige  Bemerkung 
hat  dann  Strauss  gemacht.  Das  Mysteriöse  gefalle  Markus. 
Die  Heilung  des  Taubstummen,  des  Blinden,  der  Jairustochter 
seien  als  Mysterien  gedacht,    die  Vertrauten  Jesu  als  Geweihte 


1)  Z.  B.  finde  ich  sie  724,  weil  gar  nichts  Bestiinrates  genannt  ist, 
worauf  sich  das  Verbergen  bezieht. 

2)  Sohleiermacher,  Einleitung  in  das  X.  T.  S.  313.  Nach 
Strauss,  L.  J.  f.  d.  deutsche  Volk  S.  128  (Schleiermacher  war 
mir  nicht  zugänglich). 


147 

und  Eingeweihte,  vor  denen  die  Mysterien  sich  begeben  könnten  i). 
Keim  sagt:  »Geheimnisvoll  wie  in  keinem  der  älteren  Evangelien 
ist  diese  (Jesu)  Persönlichkeit.«  Er  redet  von  einer  untergehenden 
Menschheit,  einer  aufgehenden  Gottheit  in  Fleischgestalt  bei 
Markus,  von  der  bedenklichen  Perspektive  eines  Zauberlebens 
und  weist  u.  a.  hin  auf  die  rätselhaften  einsamen  Reisen  Jesu 
und  auf  »sein  Incognito  aus  Belieben  und  nicht  aus  Not- 
wendigkeit« 2).  Auch  andere  Forscher,  wie  Hilgenfeld  3),  haben 
Andeutungen  in  dieser  Richtung*). 

Es  handelt  sich  hier  freilich  nur  um  einige  Eindrücke. 
Denn  wdrklich  untersucht  hat  man  die  Sache  nicht,  und  alle 
die  Genannten  haben  die  eigentliche  Anschauung  des  Markus 
und  ihren  Zusammenhang  nicht  erkannt.  Aber  wir  haben  ge- 
sehen, die  Eindrücke  waren  richtig.  Und  es  ist  charakteristisch, 
dass  man  sie  gewann.  Wie  kommt  es,  dass  diese  Kritiker  hier 
eine  richtigere  Empfindung  für  den  Charakter  des  Evangeliums 
ven-aten  als  die  meisten  Neueren? 

Sie  haben  den  Markus  unbefangener  betrachtet,  weil  sie 
ihn  als  den  späteren  Evangelisten  dachten,  später  wenigstens  als 
Matthaeus.  Das  gab  ihm  gegenüber  eine  gewisse  Freiheit  der 
Betrachtung.  Fast  möchte  man  hinzufügen:  die  Augen  des 
Gegners  sehen  scharf.  Namentlich  bei  Keim  kann  man  sehen, 
wie  man  diese  Dinge  beobachtete,  weil  man  darin  Waffen  fand 
gegen  eine  Auffassung,  die  den  Markus  vorzog. 

Umgekehrt  ist  leicht  verständlich,  weshalb  all  die  vielen 
sich  so  stark  hervordrängenden  Züge  dieses  Gedankeukomplexes 
in  neuester  Zeit  das  Urteil  über  Markus  so  wenig  beeinflusst 
haben.    Die  Ansicht  über  das  Alter  des  Markus,  gegenüber  den 


1)  St  raus  8,  L.  J.  II  S.  74  f..  137,  vgl.  auch  314;  L.  J.  f.  d. 
deutsche  Volk  S.  272,  420,  429,  445.  Strauss  rechnet  zum  Mysteriösen 
besonders  auch  den  Gebrauch  der  Formeln  Afc^«*«  (734)  und  ^aXid-c 
xovfj,  (54i),  indem  er  wie  manche  andere  Erklärer  (wohl  mit  Kecht) 
annimmt,  dass  die  Fremdsprache  von  Bedeutung  ist  für  die  Zauberkraft 
der  Formel. 

2)  Keim,  I  S.  90  f.  (vgl.  die  ganze  Schilderung),  97,  100,  II  S.522f., 
III  S.  39  f. 

3)  Hilgenfeld,  Markusevang.  S.  58,   Die  Evangelien  S.  149. 

4)  Von  Gelehrten  wie  V  0  1  k  m  a  r  sehe  ich  hier  ab.  Vgl.  aber 
Exkurs  VII. 

10* 


148 

beiden  andern  Synoptikern  und  im  absoluten  Sinne,  auch  die 
Annahme  spezieller  Beziehung  zu  Petrus  hat  die  Betrachtung 
an  sich  schon  befangen  gemacht.  Im  Speziellen  aber  ist  dann 
auch  die  einmal  gefasste  Meinung  vom  Plane  des  Evangeliums 
nicht  ohne  Wirkung  gewesen.  So  scharfsinnig  sie  entwickelt 
sein  mag,  so  bedeutende  Gelehrte  sich  ihrer  angenommen 
haben:  wir  können  hier  behaupten,  dass  sie  ein  starkes 
Hindernis  für  die  Erkenntnis  des  Markus  gewesen  ist.  Denn 
sie  führte  dazu,  viele  Dinge  zu  übersehen,  die  ihr  entgegen, 
aber  für  das  Evangelium  wichtig  sind. 

Schleiermacher  hat  schon  davon  gesprochen,  dass  sich 
dieses  Evangelium  dem  apokryphen  Charakter  zuneige^).  Wie 
er  das  gemeint  hat,  beruhe  auf  sich.  Aber  das  scheint  mir 
gewiss:  käme  heute  dies  Evangelium  aus  einem  Grabe  zmn 
ersten  Male  ans  Licht,  so  würde  dies  Urteil  nicht  vereinzelt 
gefällt  werden,  und  man  würde  viele  von  den  Zügen,  die 
hierher  gehören,  mit  grösster  Leichtigkeit  erkennen,  während 
heute  eine  bestimmte  kritische  Gewöhnung  sie  den  BHcken 
entzieht. 

Wer  nun  die  dargelegte  Auffassung  des  Markus  im 
Wesentlichen  überzeugend  findet,  dem  kommen  wahi-scheinlich 
leicht  Zweifel  an  der  Prioiität  des  Markus  vor  Matthaeus 
und  Lukas.  Vielleicht  werden  sie  vom  Wunsche  unterstützt. 
AVünscheuswert  wäre  es  in  der  That  im  höchsten  Grade,  dass 
ein  solches  Evangehum  nicht  das  älteste  ist.  Aber  Wünsche 
sind  niemals  Gründe.  Ich  kann  hier  ja  keinen  Beweis  versuchen, 
ich  spreche  nur  meine  Ansicht  aus. 

Soviel,  aber  auch  nur  soviel  ist  richtig :  gewisse  Stützen  für 
die  Voranstellung  des  Markus,  namenthch  eben  der  Gedanke, 
dass  in  ihm  der  Entwicklungsgang  des  öffentlichen  Lebens 
Jesu  noch  erkennbar  vorliege,  erweisen  sich  als  morsch.  Aber 
mögen  sie  zusammenbrechen;  es  bleiben  doch  genug  Pfeiler 
stehen,  die  aus  besserem  Holze  sind.  Ich  stimme  namentlich 
Holtzmann  —  und  ich  darf  hinzufügen,  auch  Wende  —  völlig 
bei,   wenn  er  bemerkt  ä),    die  Stärke  der  Markushypothese  liege 


1)  Keim  I  S.  100. 

2)  Holtzmann,  Einleitung  in  das  N.  T.^  S.  367. 


149 

recht  eigentlich  darin,  class  der  Reihenfolge  der  Erzählungen 
bei  Matthaeus  und  Lukas  die  Reihenfolge  bei  Markus  zu 
Grunde  liege.  Daran  ändert  unsere  Untersuchung  gar  nichts. 
Im  Übrigen  giebt  uns  vielleicht  der  nächste  Abschnitt  Gelegen- 
heit, hier  und  da  zu  zeigen,  dass  der  befremdende  Charakter 
der  Markusdarstellung  kein  Gnmd  ist,  sie  für  jünger  als  die 
des  Matthaeus  zu  halten. 


Zweiter  Abschnitt. 

Die  späteren  Evangelien. 


Matthaens  nnd  Lukas. 

Matthaeus  und  Lukas  sind  beide  keine  originalen  Schrift- 
steller. Ausser  Markus  liegen  ihnen  zweifellos  noch  andere 
Quellen  oder  Quelleiifragmente  zu  Grunde.  Dies  scheint  unsere 
Aufgabe  diesen  Evangehen  gegenüber  sehr  kompliziert  zu  machen- 
Nach  der  Auflassung  der  Schriftsteller  selbst  müssen  wir  unter 
allen  Umständen  fragen;  denn  dass  beide  Evangelisten  keine 
blossen  Abschreiber  gewesen  sind,  steht  hinreichend  fest.  Aber 
können  wir  die  Quellen  ignorieren  ?  Ist  es  nicht  eine  Frage  von  selbst- 
ständiger Bedeutung,  was  sie  zu  dem  Gedanken  der  geheimen 
Messianität  sagen? 

Wir  brauchen  dieser  Frage  doch  nicht  nachzugehen.  Zu- 
nächst sind  diese  Quellen,  insbesondere  die  s.  g.  Spruchquelle, 
für  uns  keine  so  deuthchen  und  abgeschlossenen  Grössen,  um 
damit  operieren  zu  können  wie  mit  einem  vor  uns  liegenden 
Evangelium.  Namenthch  ist  es  sehr  wahrscheinHch,  dass  die 
angenommene  Spruchsammlung,  ehe  sie  in  die  Evangehen  des 
Matthaeus  und  Lukas  übergieng,  schon  eine  Geschichte  erlebt 
hat  1). 

Das  Wort  Mt.  II25  =  Luk.  10  21: 

Ich  preise  dich,  Vater,  Herr  des  Himmels  mid  der  Erde, 


1)  Vgl.  Wernle,    Synopt.  Frage  S.  231f.,    auch  Jülicher,   Ein- 
leitung in  das  N.  T.  ^-  *  S.  284. 


151 

dass  du  dieses  vor  Weisen  und  Verständigen  verborgen 
hast,  und  hast  es  Unmündigen  geoffenbart, 
erinnert  an  den  Gedanken,  dass  den  Jüngern  eine  Enthüllung 
der  göttlichen  Geheimnisse  zu  Teil  geworden  ist;  es  ist  mit 
Eecht  oftmals  mit  der  Antwort  Jesu  auf  das  Petrusbekenntnis 
(Mt.  16 17)  zusammengestellt  worden.  Rechnet  man  es  der  Spruch- 
quelle zu,  so  ist  das  quellenkritisch  betrachtet  berechtigt,  sobald 
man  überhaupt  die  Matthaeus  und  Lukas  gemeinsamen  Rede- 
stoffe  auf  eine  solche  Quelle  zurückführt.  Aber  wer  sagt  uns, 
dass  es  sich  hier  um  einen  ursprünglichen  Bestandteil  der  Spruch- 
sammlung handelt  und  nicht  um  einen  späteren  Zuwachs,  sei 
es  nun  alter  oder  junger  Herkunft?  1)  Und  ohne  eine  Entscheidung 
hierüber  ist  für  das  geschichtliche  Urteil,  auf  das  es  uns  an- 
kommt, wenig  gewonnen. 

Die  Hauptsache  aber  ist,  dass  die  sämtlichen  Redestücke 
der  beiden  Evangelien,  die  man  der  Spruchquelle  zuzuweisen 
pflegt,  oder  für  die  man  Sonderquellen  annimmt,  für  unser  Problem 
auf  jeden  Fall  nur  ein  äusserst  geringfügiges  Material  bieten. 
Hiervon  kann  sich  jeder  leicht  überzeugen. 

Wir  halten  uns  also  an  Matthaeus  und  Lukas,  wie  sie  uns 
vorhegen,  rechnen  natürlich  aber  damit,  dass  ihre  Daten  nicht 
ohne  Weiteres  als  der  Ausdruck  ihrer  eigenen  Anschauungen 
zu  betrachten  sind,  eben  weil  sie  zum  grössten  Teile  nur  Über- 
nommenes reproduzieren  und  neu  bearbeiten.  Eine  Hauptfi'age 
wird  dann  sein  müssen:  wie  wird  der  Stoff  des  Markus,  den  wir 
untersucht  haben,  in  den  beiden  Evangelien  behandelt?  Stellen 
lässt  sich  die  Frage,  da  der  Geschichtsstoff  des  Markus  im  Ganzen 
in  ihnen  wiederkehrt.  So  erwarten  wir  hier  unmittelbar  einen 
Blick  in  die  Geschichte  der  Anschauung  zu  thun,  die  uns 
interessiert.  Wieweit  noch  andere  Fragen  in  Betracht  kommen, 
lässt  sich  vorweg  nicht  bestimmen. 


Matthaeus. 

AVie  verhält  sich  der  Bericht  des  Matthaeus  zunächst  zu 
den  Verboten  Jesu  und  zu  den  sonstigen  Momenten,  in  denen  sich 
bei  Markus  ausdrückt,  dass  Jesus  unbekannt  bleiben  will? 


1)  Brandt  S.  537,  Wer  nie  S.  232. 


152 

Matthaeus  hat  eine  Eeihe  dieser  Züge  konserviert.  Die 
Verbote  begegnen  uns  bei  der  Geschichte  vom  Aussätzigen  (8  4)^ 
bei  einem  zusammenfassenden  Bericht  über  Jesu  Heilungen 
12 16  (=Mr.  3 12),  beim  Petrusbekenntnis  (16  20),  beim  Abstieg 
vom  Verklärungsberge  (17  9),  hier  ebenfalls  mit  der  Zeitbestimmung 
über  die  Aufei-stehung. 

Dem  stehen  nun  aber  nicht  wenige  Abweichungen  gegen- 
über. Die  Verbote  an  die  Dämonen  fehlen.  Die  Geschichte 
vom  Dämonischen  zu  Kapharnaum  fällt  nämlich  ganz  aus.  Das 
Verbot  Mr.  I34  bleibt  fort,  obgleich  die  Schilderung,  in  der  es 
steht,  Mt.  8 16. 17  ihre  Parallele  hat.  Das  Verbot  Mr.  3 12  ist  bei 
Matthaeus  an  Geheilte  im  Allgemeinen  gerichtet  (12 16).  Auch 
die  Begrüssung  des  Messias  durch  die  Dämonen  fällt  damit  an 
allen  diesen  Stellen  fort.  Beibehalten  ist  sie  jedoch  in  der 
Gadarenergescliichte  (8  29= Mr.  5?).  Hier  aber  bleibt  die  "Weisung 
Jesu  an  den  Geheilten  (Mr.  5 19. 20)  wieder  ohne  Seitenstück. 

Die  Geschichte  von  der  Jairustochter  enthält  weder  das 
Verbot  noch  den  Zug  von  den  drei  Vertrauten;  im  Schlussverse 
(926)  lesen  wir  dagegen  die  Bemerkung: 

Und  die  Kunde  hiervon  gieng  aus  in  jenes  Land. 
Die  Geschichten  vom  Taubstummen  (Mr.  Tsiff.)  und  Blinden 
(Mr.  8  22  ff.),  in  denen  neben  den  Verboten  auch  die  IsoHenmg 
der  Kranken  sich  findet,  haben  bei  Matthaeus  überhaupt  keine 
direkte  Parallele.  Jedoch  hören  wir  in  der  allgemeinen  Schilde- 
rung (15290".),  die  der  Stellung  nach  Mr.  Tsiff.  entspricht,  auch 
von  Stummen,  die  geheilt  wurden;  ferner  erzählt  Mt.  932if.  von 
der  Heilung  eines  stummen,  1222  0".  von  der  eines  blinden  und 
stummen  Dämonischen.  Jedesmal  werden  Bemerkungen  über 
die  Bewunderung  des  Volkes  (lösi,  Qss,  12 23)  hinzugefügt,  von 
Geheimhaltung  ist  nicht  die  Rede.  Andererseits  findet  sich  für 
die  Blindenheilung  eine  Art  Ersatz  in  der  Geschichte  von  den 
beiden  Blinden  927ff.,  die  in  der  Erzählungsart  an  die  andere 
Blindenheilung  in  Jericho  (20290".)  erinnert;  hier  aber  wird  vom 
Geheimnis  ganz  in  der  Weise  des  Markus  gesprochen.  Die 
beiden  Blinden  schreien  Jesus  an  (92?): 
Erbarm  dich  unser,  Sohn  Davids, 
darauf  begiebt  er  sich  ins  Haus  und  dahin  folgen  ihm  die 
iJlinden.     Am  Schlüsse  (V.  30.31)  heisst  es: 

äoUnd  es  herrschte  sie  Jesus  zornig  an  {h'EßQi^r^d^r]  avTolg) 


153 

und  sprach:    sehet  zu,    dass    es  niemand   erfahre.      ^^Sie 
aber    giengen    hinaus,    und  machten  ihn  kund  in  jenem 
ganzen  Lande. 
Die  Angaben,   dass  Jesus  in  der  Gegend    von  Tyrus    und 
nachher   in  Gahlaea    unbekannt    bleiben  wollte    (Mr.   724,    9  so) 
bietet  Matthaeus  nicht,    obwohl  der  Zusammenhang,  in  dem  sie 
stehen,  wieder  reproduziert  wird  (152if.,  17  22f).     Ebenso  finden 
sich  die  Angaben  über   das  Aufsuchen  der  Einsamkeit  und  be- 
nachbarter Städte  (Mr.  laö — 38.45)  nicht  wieder. 

Diese  Übersicht  beweist  schon,  dass  die  Anschauung  vom 
messianischen  Geheimnis  für  Matthaeus  nicht  mehr  die  Bedeutung 
besitzt  wie  für  Markus.  Man  wird  freilich  sehr  vorsichtig  urteilen 
müssen,  wenn  man  nach  dem  Grunde  der  Auslassungen  im 
Einzelnen  fragt.  Es  lässt  sich  nicht  übersehen,  dass  Matthaeus 
in  seinen  Berichten  auch  vieles  Andere  auslässt,  was  Markus 
bietet  *).  Wie  stark  sind  z.  B.  die  Geschichten  von  den  Gada- 
renern,  von  der  Tochter  des  Jairus,  vom  blutflüssigen  "Weibe 
zusammengeschrumpft.  In  der  Geschichte  vom  Aussätzigen  fehlt 
hinter  dem  Verbote  die  Verkündigung  des  Wunders  durch  den 
Geheilten;  nach  andern  Stellen  sollte  man  meinen,  der  Zug 
müsste  dem  Matthaeus  besonders  sympathisch  gewesen  sein. 
Das  blosse  Streben  nach  Kürzung  scheint  hier  also  stark  mit- 
jzuspielen.  Aber  es  kann  doch  nicht  zufällig  sein,  dass  ihm  ge- 
rade die  Verbote  und  die  nächst  verwandten  Züge  so  oft  zum 
Opfer  fallen.  Im  Markusberichte  sind  es  Hauptmomente, 
Pointen  der  Erzählung.  Matthaeus  hätte  sie  nicht  übergangen, 
wenn  er  sie  ebenso  geschätzt  hätte.  Ich  denke,  so  darf  man 
urteilen. 

Am  auffallendsten  ist  das  Verhalten  des  Matthaeus  bei  den 
Zügen,  die  die  Dämonen  betreffen.  Der  Kampf  Jesu  gegen 
die  Dämonen  spielt  bei  ihm  überhaupt  eine  wesentlich  geringere 
KoUe  als  bei  Markus.  Es  ist  charakteristisch,  dass  er  wohl 
häufiger  als  Markus  von  daif-ioviCoi-ievoi  redet,  aber  viel  weniger 
von  öaii-wvia  und  TtvevfAara  axcc^agra.  Was  Markus  über  das 
Zusammentreffen  Jesu  mit  den  Dämonen  und  über  die  Lebens- 


1)  Ich    nehme  dabei  an,   dass  Matthaeus    auch    hier    durchweg  auf 
unserem  Markus  ruht:  bekanntlich  ein  bestrittener  Satz. 


154 

äusserungen  der  7ivev^aTa  zu  berichten  weiss,  tritt  durchweg  in 
den  Hintergrund.  In  der  Gadarenergeschichte  fehlt  auch  das 
Gespräch  über  den  Namen  Legion  (Mr.  59),  in  der  Geschichte 
vom  mondsüchtigen  Knaben  (Mt.  17  uff.)  vermisst  man  ebenfalls 
manches. 

Fast  möchte  man  aber  meinen,  dass  ihm  das  an  die  Dämonen 
gerichtete  Verbot  Jesu  nebst  der  Betonung  ihrer  Messias- 
erkenntnis geradezu  unsympathisch  und  anstössig  gewesen  sei. 
Namentlich  könnte  hierfür  die  Schilderung  12i5.i6  angeführt 
werden.     Matthaeus  sagt  hier  ganz  A\de  Markus: 

und    er  gebot  ihnen,    sie  sollten  ihn  [avTÖv)  nicht  offen- 
bar machen. 
Während  aber  bei  Markus  das  Dämonenbekenntnis: 

du  bist  der  Sohn  Gottes 
vorangeht,  heisst  es  bei  Matthaeus  mimittelbar  zuvor: 

und  er  heilte  sie  alle, 
der  Befehl  Jesu  richtet  sich  also  an  die  vielen  Geheilten  — 
von  Dämonischen  redet  Matthaeus  hier  überhaupt  nicht.  Ein 
Anzeichen  dafür,  dass  Matthaeus  hier  sekundär  ist,  kann  man 
schon  darin  fijiden,  dass  das  alrov  bei  ihm  minder  gut  passt 
als  bei  Markus  ^).  Giebt  er  nun  aber  dem  Befehl,  statt  ihn 
einfach  auszulassen,  eine  andere  Adresse,  so  sieht  das  ganz  aus 
wie  eine  absichtliche  Korrektur.  Ist  ihm  das  Reden  der 
Dämonen  und  Jesu  Einschreiten  dagegen  befremdend,  vielleicht 
phantastisch  erschienen?  Der  Gedanke  hegt  nahe,  und  die  An- 
nahme wird  dadurch  noch  nicht  unmöghch,  dass  in  der  Gada- 
renergeschichte die  Aiu'ede  des  Messias  nicht  gestrichen  ist. 
Aber  schon  die  Beibehaltung  dieses  Zuges  macht  das  Urteil 
unsicher ;  und  Matthaeus  hat  auch  an  unserer  Stelle  den  Markus- 
bericht stark  zusammengezogen.  So  könnte  sich  die  Änderung 
auch  ohne  eine  besondre  Absicht  erklären.  Gewiss  ist  aber^ 
dass  die  Zeugnisse  der  Dämonen  für  Jesus,  die  Betonung  ihrer 
Erkenntnis  und  die  an  sie  gerichteten  Verbote  keinen  besonderen 
Wert  für  Matthaeus  mehr  gehabt  haben. 

Die  zuletzt  berührte  Stelle  ist  noch  in  anderer  "Hinsicht  von 
Bedeutung.  Ich  denke  dabei  nicht  an  den  handgreiflichen 
Widerspruch,    der  darin  hegt,    dass  Jesus  viele  heilt   und  allen 


1)  Volkmar  Ö.  239. 


155 

das  Verbot  giebt,  wie  er  ja  auch  dem  Aussätzigen  vor  dem 
versammelten  ox^og  (81)  Schweigen  gebietet.  Das  sind  freihch 
gegenüber  Markus  Kennzeichen  des  sekundären  Berichtes^). 
Und  ganz  so  offenbar  hat  Markus  doch  an  keiner  Stelle  gegen 
die  Wahrscheinlichkeit  vei'stossen,  weder  l24ff.  noch  3 12  noch 
auch  736. 

Aber  viel  bemerkenswerter  ist,  dass  Matthaeus  hier  einen 
Fingerzeig  giebt,  wie  er  das  Gebot  verstanden  hat.  Er  findet 
nämlich  auch  dann,  dass  Jesus  es  ausspricht,  das  j^rophetische 
Wort  der  Schrift  erfüllt  und  führt  (12i8ff.)  dafür  die  Stelle 
Jes.  42iff.  an: 

i^Siehe  da,    mein  Knecht,    den    ich   erwählt  habe,    mein 
Geliebter,  an  dem  meine  Seele  Wohlgefallen  hatte.     Ich 
will  meinen  Geist  auf  ihn  legen,  und  er  wird  den  Völkern 
Gericht  verkünden.      i^Er  wird  nicht  streiten  noch 
schreien,  undmanwird  seine  Stimme  nicht  hören 
auf    den  Gassen,      ^o^erstossenes  Rohr    wird    er  nicht 
zerbrechen    und  glimmenden  Docht  nicht  auslöschen,   bis 
er  das  Recht  hinausführt  zum  Siege.      ^iXJnd  auf  seinen 
Namen  Averden  Völker  hoffen. 
Dieser  Schriftbeweis    verrät   uns,    dass  Matthaeus    hier   in  dem 
Verbote  Jesu  einen  Beweis  seiner  Bescheidenheit,   seiner  stillen 
Zurückhaltung  gefunden  hat.     Denn  wie  auch  immer  die  andern 
Worte  des  Zitats  anzuwenden  sind,  der  19.  Vers  kann  sich  nur 
auf    das  Verbot    beziehen.      Und    dieser   Vers    wird    auch    der 
Hauptpunkt  des  Zitats  sein,  der  die  ganze  Anführung  ver- 
anlasst hat.      Der  Schriftbeweis ^)   ist    aber    so  künsthch  und 
gezwungen,  dass  man  vermuten  möchte,  er  wäre  dem  Autor  gar 
nicht  eingefallen,    wenn    er   nicht    das  Verbot  zuvor   schon    als 
Äusserung  einer  aller  Ruhmredigkeit  abgeneigten  Sinnesart  ver- 
standen hätte.     Auf  jeden  Fall  hat  hier  das  Verbot  dem  Markus 
gegenüber    eine   Umdeutung    erfahren,    die    einer    Aufgabe    des 
ursprünglichen  Sinnes    gleichkommt.      Ob  Matthaeus   es  überall 
so  gemeint  hat,   wo   er   es  bei  den  AVundern  Jesu  bringt,    lasse 


1)  So  urteilten  schon  Wilke  und  Br.  Bauer. 

2)  Justin  beweist  mit  dem  gleichen  Zitat  bei  etwas  andern) 
Wortlaut  Dial.  c.  Tryph.  c.  123,  dass  Jesus  die  Namen  Jacob  und 
Israel  in  der  Prophetie  trage  und  danach  auch  die  Christen. 


156 

ich  dahingestellt.  Ich  meine,  das  Zitat  schliesst  gar  nicht  aus, 
dass  er  auch  andere  Beziehungen  hineingelegt  hat.  Solche  will- 
kommenen Deutungen  von  Schriftworten  werden  liier  gemacht 
und  dort  wieder  vergessen.  Aber  der  eine  deutliche  Fall  genügt 
doch,  um  auch  an  diesem  Punkte  zu  erkennen,  dass  der  Ge- 
danke  des  Markus   dem  Matthaeus  schon    fremd  geworden    ist. 

Daran  ändert  es  auch  nichts,  dass  Matthaeus  in  der  Ge- 
schichte von  den  beiden  Blinden  Züge  eingefügt  hat,  die  so 
ganz  der  Art  des  Markus  entsprechen.  Er  hat  hier  Motive 
nachgebildet,  die  ihm  aus  der  Lektüre  des  Markus  geläufig 
waren  —  der  Schluss  der  Erzählung  scheint  speziell  auf  dem 
Schluss  der  Geschichte  vom  Aussätzigen  zu  ruhen  i)  — ,  aber  er 
hat  damit  nicht  einer  seine  Geschichtserzählung  beherrschenden 
Auffassung  Ausdruck  gegeben. 

Bei  dem  Verbot  nach  dem  Petrusbekenntnis  und  nach  der 
Verklärung  ist  an  die  Bescheidenheit  Jesu  wohl  nicht  gedacht.  Liest 
man  die  erste  Stelle,  so  könnte  man  sich  trotz  allem  in  die 
Gedanken  des  Markus  versetzt  fühlen.  Allerdings  ist  das  Ver- 
bot hier  von  dem  Bekenntnis  durch  den  Makarismus  auf  Petrus 
getrennt,  damit  wird  der  schlagende  Gegensatz,  der  bei  Markus 
im  Kundthun  der  Messiaswürde  und  sofoi-t  darauf  folgenden 
Einschreiten  Jesu  liegt,  vÖlhg  verdunkelt  2).  Aber  das  Verbot 
selbst  mit  dem  AVortlaut  (16  20): 

sie  sollten  niemand  sagen,  dass  er  der  Christus  sei, 
und  ebenso  sein  Zusammenhang  mit  der  Versicherung  Jesu, 
dass  Petrus  nur  kraft  göttlicher  Erleuchtung  solches  Wissen 
habe  aussprechen  können,  legen  die  Folgerung  nahe,  dass  Jesu 
Messianität  ein  Geheimnis  ist,  das  den  Jüngern  erst  jetzt  auf- 
gegangen ist,  allen  andern  aber  nach  wie  vor  verhüllt  bleibt. 
Allein  die  Folgerung  kann  Matthaeus  nach  seiner  ganzen  Dar- 
stellung nicht  wirklich  gezogen  haben.  Darüber  ist  schon  das 
Nötige  gesagt  worden.  Es  bleibt  diese  Stelle  also  ein  isohertes 
Moment.  Matthaeus  hätte  das  Verbot  wohl  schwerlich  ohne 
Vorlage    geschrieben.      Das  Gleiche    darf  man  bei  dem  Worte 


1)  Vgl.  bes.  zu  dem  InßQifi^&r]  avrotg  (930)  Mr.  I43,  zu  931 
Mr.  I45,  ausserdem  Mr.  I44  und  543  (B.  Weiss,  Das  Matthaeusevan- 
gelium  und  seine  Lukasparallelen  (1876)  S.  254). 

2)  Vgl.  auch  oben  S.  117  f. 


157 

nach  der  Verklärung  vermuten.  Matthaeus  wird  dabei  wahr- 
scheinlich nicht  so  wie  Markus  an  das  Messiasgeheimnis,  sondern 
speziell  nur  an  den  einzelnen  wunderbaren  Vorgang  (das  o^a^im  17  9) 
gedacht  haben.  Dies  Urteil  wird  freihch  weniger  durch  die 
Stelle  selbst  nahegelegt  als  durch  die  Beobachtungen,  die  über 
das  Verhältnis  des  Matthaeus  zu  Markus  im  Allgemeinen  zu 
machen    waren. 

Was  Matthaeus  über  die  Parabellehre  Jesu  sagt,  kann 
den  Eindi'uck  eines  starken  Unterschiedes  von  Markus 
nicht  beeinträchtigen.  Wenn  er  ihm  hier  wenigstens  nahe  steht, 
so  handelt  es  sich  eben  um  einen  besonderen  Punkt,  der  keine 
Schlüsse  hinsichthch  der  Gesamthaltung  erlaubt.  Diese  Er- 
klärung der  parabohschen  Lehre  hätte  auch  ein  Autor  über- 
nehmen können,  der  alle  Verbote  Jesu  systematisch  ge- 
tilgt hätte.  Übrigens  ist  es  nicht  ganz  ohne  Bedeutung,  dass 
Matthaeus  den  Hauptgedanken  des  Markus:  Jesus  verhüllt  sich 
durch  die  Parabeln  vor  dem  Volke,  zwar  nicht  gänzlich  ver- 
missen (13s4),  aber  doch  zurücktreten  lässt  hinter  der  Frage, 
wem  die  Deutung  der  in  ihnen  beschlossenen  Geheimnisse,  der 
y,s/,QV{.i!xeva  a/tö  yMtaßoXiig  (1335),  zu  teil  wird. 

Sehr  klar  liegt  die  Sache  an  dem  andern  Haujjtpunkte. 
Das  Urteil  über  die  Jünger  lautet  bei  Matthaeus  wesentlich 
anders  als  bei  Markus  1). 

Wenn  im  Parabelkapitel  der  Tadel  der  Jünger  wegen  ihrer 
Frage  (Mr.  4 13)  fehlt,  so  mag  das  belanglos  sein,  da  nach  der 
Fassung  der  Frage  ein  Tadel  nicht  folgen  kann.  Die  Jünger 
erscheinen  aber  ferner  gegenüber  dem  Volke  nicht  blos  als  die 
mehr  Empfangenden,  sondern  auch  als  die  wahrhaft  Empfäng- 
lichen und  Verständnisvollen.  Ihre  Augen  sehen,  wo  die  des 
Volkes  blind  sind,  ihre  Ohren  hören,  wo  die  der  Andern  schwer- 
hörig sind.  So  wird  hier  (ISief.)  ein  Spruch  angewendet 
der  sich  gegen  diese  Anwendung  sträubt.     Denn  das  Wort: 

1'^ Wahrlich  ich  sage  euch,  dass  viele  Propheten  und  Ge- 
rechte zu  sehen  begehi-ten,  was  ihr  sehet,  und  es  nicht 
sahen,   und  zu  hören,    was  ihr  hört,  und  es  nicht  hörten, 

1)  Das  Wesentliche  hat  sehr  gut  schon  Ritschi,  Theol.  Jahrbb. 
1851  S.  517  gesagt.  Vgl.  aucli  Holt z mann,  Synopt.  Evangelien 
S.  43(5,  der  aber  zu  zurückhaltend  urteilt. 


158 

sagt  deutlich,  dass  es  bei  der  voraufgehenden  Seligpreisung  auf 
den  Inhalt  des  Gesehenen  und  Gehörten  ankommt,  nicht  aber, 
wie  Matthaeus  deutet,  auf  das  richtige  oder  wirkliche  Sehen 
und  Hören  im  Gegensatze  zu  einem  blos  äusserlichen  oder  nur 
scheinbaren  ^).  So  steht  auch  am  Schlüsse  des  ganzen  Parabel- 
abschnitts eine  Bemerkung,  die  ausdrücklich  das  Begreifen  der 
Jünger  konstatiert.     Jesus  fragt  13  5i: 

habt  ihr  das  alles  verstanden?  Sie  sagen  zu  ihm:  ja. 
Nach  dem  Wort  von  der  Auferstehung  179  (=  Mr.  99) 
hören  wir  nichts  davon,  dass  die  Jünger  nach  der  Bedeutung 
des  Ausdrucks  fragen  (Mr.  9io).  Nach  der  s.  g.  2.  Leidens- 
weissagung (Mr.  931  =  Mt.  1722  f.)  heisst  es  nicht,  dass  die 
Jünger    die  Worte  nicht  begriffen.      Dagegen    sagt  Matthaeus: 

und  sie  wurden  sehr  betrübt. 
Die   Bemerkung    vor    der    dritten  Leidensweissagung    über    das 
Staunen  oder  die  Furcht  der  Gefolgschaft  Jesu  beim  Zuge  nach 
Jerusalem  (Mr.  10  32)  fehlt  wieder  ganz,   trotz  deuthcher  Bezug- 
nahme auf  den  Markustext 'ä). 

Sehr  charakteristisch  ist  der  Abschluss  der  Geschichte 
vom  Seestumi.  Bei  Matthaeus  fragen  nicht  die  Jünger,  sondern 
»die  Menschen«  (Mt.  827),  wer  der  sei,  dem  Wind  und  Wellen 
gehorchen.  Wo  kommen  die  her?  Zeugen  des  wunderkräftigen 
Befehlswortes  sind  ja  nur  die  Jünger  gewesen.  Also  eine 
offenbare  Korrektur.  Ahnlich  ist  es,  wenn  nicht  blos  die  Be- 
merkung des  Markus  nach  der  Geschichte  vom  Seewandeln, 
die  Jünger  hätten  an  den  Broten  noch  kein  Verständnis  ge- 
wonnen, ausfällt,  sondern  an  der  parallelen  Stelle  nach  der 
Szene  vom  sinkenden  Petrus  der  Schluss  folgt: 

die  im  Fahrzeuge  aber  fielen  vor  ihm  nieder  und  sprachen : 
du  bist  wahrhaftig  Gottes  Sohn  (1433). 
Das  sind  alles  durchaus  beweisende  Züge.  Und  deshalb 
wird  man  es  auch  ähnlich  erklären,  wenn  Matthaeus  (2O20)  nicht 
die  Zebedaiden  selbst,  sondern  ihre  Mutter  für  sie  bitten  lässt. 
Die  Bitte  ist  für  die  beiden  Apostel  selbst  zu  thöricht.  Dass 
Matthaeus   hier  bewusst  geändert  hat,  geht  auch  daraus  hervor, 

1)  Der  richtige  Sinn  bei  Lukas  10  23  f. 

2)  Vgl.  das  iv  Ttj  66äi  Mt.  20 n,  das  nach  den  vorangehenden 
Worten  unerwartet  kommt,  und  bei  Markus  die  Worte:  r,aav  öe  ii'  ti] 
öJw  dvaßaivovTig  /.iX. 


159 

dass  er   die  Änderung  nicht  durchführt.      Denn   er   lässt  Jesus 
ganz  wie  Mr.  10 38  fortfahren: 

Ihr  wisst  nicht,  was  ihr  bittet  (20 22). 
Man  kann  diesen  Dingen  gegenüber  auf  entgegengesetzte  Züge 
hinweisen.     Nach  dem  Gespräche  über  das  Händewaschen  bittet 
Petrus    um    die  Deutung    der  Parabel.     Jesus  sagt    auch    hier 
(Mt.  15 16): 

Immer  noch  seid  auch  ihr  ohne  Einsicht? 
In    der  Erzählung    vom  Seesturm    ist    von   Furchtsamkeit    und 
Kleinglauben  der  Jünger  die  Rede  (826).      Als  Petrus  unterzu- 
gehen droht,  ruft  Jesus  (14  31): 

du  Kleingläubiger,  warum  zweifeltest  du? 
Das  Widerstreben  des  Petrus  gegen  den  Gedanken  an  Leiden 
und  Tod  samt  der  Bezeichnung  des  Jüngers  als  oaraväg  bleibt 
erhalten  (16 23).  Sogar  das  Missverständnis  vom  Sauerteige  der 
Pharisäer  kehrt  wieder,  und  Jesus  spricht  auch  hier  sein  ovtho 
vobIte;  (16 9). 

Das  alles  beweist  nur,  dass  Matthaeus  es  nicht  vermocht 
bat,  die  Beweise  der  Schwäche  und  Unfähigkeit  der  Jünger 
die  er  in  seiner  Quelle  fand,  ganz  auszutilgen;  er  zeigt  darin 
die  Halbheit  des  Späteren.  Es  kann  aber  nicht  darin  iiTe 
machen,  dass  er  prinzipiell  eine  andere  Auffassung  von  ihnen 
hat  als  Markus.  Überdies  zeigt  gerade  ein  Text  wie  der  vom 
Sauerteige  der  Pharisäer  besonders  deutlich,  wie  er  überall  ge- 
mildert hat.  Die  scharfen  Worte,  dass  das  Herz  der  Jünger 
verstockt  sei,  dass  sie  Augen  haben  und  doch  nicht  sehen, 
bleiben  fort.  Das  gelinde  oliyoTzioTOL  (lös)  setzt  Matthaeus 
hinzu,  und  am  Schlüsse  folgt  eine  versöhnende  Bemerkung: 

da    verstanden   sie,    dass    er   nicht  gemeint  hatte,  sie 

sollten  sich  vor   dem  Sauerteige  der  Pharisäer  und  Sad- 

ducäer    in    Acht    nehmen,    sondern    vor   der    Lehre    der 

Pharisäer  und  Sadducäer^). 
So    sind   zwar  einige  momentane  Schwächen    der  Erkennt- 
nis im  Bilde  der  Jünger  zurückgeblieben.     Aber  diese  belasten 
sie  nicht  allzusehr. 

Die  durchgreifende  Änderung,  die  Matthaeus  vorgenommen 
hat,  ist  unmittelbar  verständlich.     Reflexionen  über  die  Natürlich- 


1)  Ähnlich  ausser  1351  auch  17 13  (nach  dorn  Eliasgespräch). 


160 

keit  oder  Unnatürlichkeit  des  von  Markus  Berichteten  haben 
ihn  dabei  gewiss  nicht  bestimmt.  Vielmehr  war  für  seine  dog- 
matische Schätzung  der  Apostel  das  Bild  des  Markus  nicht 
mehr  erträglich.  Die  scharfe  Scheidung  der  Jünger  vor  der 
Auferstehung  und  der  späteren  Jünger  kennt  er  nicht  mehr. 
Dann  musste  ihm  die  Zeichnimg  des  Markus  allerdings  bedenk- 
lich werden.  Man  möchte  fast  sagen,  dass  diese  Entwicklung 
von  Mai'kus  zu  Matthaeus  einmal  kommen  musste,  wenn  man 
auch  einen  Zeitpunkt  für  diese  Notwendigkeit  nicht  angeben 
kann.  Im  übrigen  sehen  wir  hier  von  einer  neuen  Seite,  dass 
der  Gedanke  von  einer  Verljorgenheit  des  Messias  auf  Erden, 
wie  ihn  Markus  zeigt,  bei  Matthaeus  bereits  sehr  verblichen  ist. 
Das  ist  in  gutem  Einklänge  mit  dem,  was  über  die  Verbote 
Jesu  ermittelt  wurde.  Ich  w^ürde  freiHch  nicht  sagen,  es  sei  ein 
neuer  Beweis  für  diesen  Punkt. 

In  einer  andern  Beziehung  hatte  Matthaeus  keinen  Grund, 
die  Aussagen  des  Vorgängers  über  die  Jünger  zii  ändern.  Wir 
erwarten,  dass  er  für  alles,  was  ihre  besondere  Dignität  als  Offen- 
barungsempfänger und  demnach  ihre  Scheidung  von  der  Masse 
angeht,  mehr  Sinn  hai;  als  für  ihren  Unverstand  und  ihre  Stumpfheit. 
Und  so  ist  es  auch.  Untergeordnete  Abweichungen  sind  dabei 
vorbehalten. 

Scharf  tiitt  die  Bevorzugung  der  Jünger  vor  dem  Volke 
im  Parabelkapitel  hervor.  Schon  in  der  Frage  der  Jünger 
verrät  sie  sich.  Denn  sie  fragen  13  lo,  als  wüssten  sie  Jesu 
Antwort  schon  voraus: 

warum  redest  du  in  Parabeln  zu  ihnen?^) 
Im  Übrigen  bedarf  es  keiner  weiteren  Erörterung  dieser  Stelle. 
So  ei-scheinen  auch  nach  der  Parabel  von  der  Verunreinigung  die 
Jünger  wie  bei  Markus  als  die  Empfänger  der  Deutung  (15 12. 15). 
Und  ganz  im  Stile  des  Markus  hat  Matthaeus  der  Erkläning 
des  Gleichnisses  vom  Unkraut  unter  dem  Weizen  eine  eigene, 
wenn  auch  an  Worte  der  Vorlage  sich  anlehnende,  kleine  Ein- 
leitung vorangestellt.  Jesus  entlässt  die  Massen  und  begiebt 
sich  in  das  Haus.  Dort  bitten  ihn  dann  die  Jünger  um  die 
Deutung  2). 

1)  Wernle,  Synopt.  Frage  S.  165. 

2)  Das  ist  bei  Matthaeus  nichts  Tadelnswertes  —  trotz  15 17. 


161 

Aber  auch  sonst  wird  mancher  besonders  wichtigen  Belehrung 
und  Oftenbarung  der  private  Charakter,  wie  ihn  Markus  betont, 
ausdrückhch  bewahrt.  Die  Jünger  oder  die  Vertrauten  sind  mit 
Jesus  allein  bei  der  Verklärung  (17 1),  bei  der  Frage,  weshalb 
die  Austreibung  des  Dämons  nicht  gehngen  wollte  (17  lo),  bei 
der  Leidensweissagung  (20 17),  bei  der  Frage  nach  den  letzten 
Dingen  (243)^).  Sonst  sei  noch  erwähnt,  dass  auch  die  Berg- 
rede als  Jüngerbelehrung  gedacht  ist.  Denn  Jesus  geht  nach 
5i,  da  er  die  Massen  sieht,  auf  den  Berg,  und  da  treten  die 
Jünger  zu  ihm  heran  ^),  die  Lehre  zu  empfangen.  Das  ist  freilich 
am  Schlüsse  (728)  wieder  vergessen. 

Vor  allem  darf  hier  aber  der  Zusatz  zum  Petrusbekenntnis 
nicht  übersehen  werden,  der  Preis  des  Bekenntnisses  und  des 
Bekenners.  Ob  dieser  Text  in  seinem  jetzigen  Wortlaut  ganz 
dem  ursprünglichen  Matthaeus  angehört,  lasse  ich  unentschieden. 
Dagegen  nehme  ich  als  wahrscheinlich  an,  dass  Matthaeus  den 
Zusatz  selbst  gemacht  hat.  Das  ist  der  nächste  Gedanke.  Eine 
eigentliche  Quelle  scheint  mir  deshalb  nicht  wahrscheinlich,  weil 
es  merkwürdig  wäre,  dass  die  ganze  Szene  —  das  darf  man 
sagen  —  nach  Markus  erzählt  und  nur  ein  einzelnes  Wort  aus 
der  zweiten  Vorlage  aufgenommen  wäre.  Und  ohne  das  Be- 
kenntnis wenigstens  kann  der  Makarismus  nicht  existiert  haben. 
Prinzipiellen  Anstoss  kann  der  Gedanke  an  einen  Zusatz  des 
Matthaeus  doch  auch  nicht  bereiten.  Oder  man  müsste  von 
den  zahlreichen  apokryphen  Herrenworten  nichts  gelernt  haben, 
die  doch  auch  von  irgend  jemand  geschaffen  sein  müssen.  Dass 
die  Jünger  etwas  wissen,  was  der  Menge  unbekannt  ist,  sagte 
schon  der  Markustext.  Vielleicht  auf  Grund  davon  stellt  nun 
Matthaeus  durch  das  neue  Wort  die  Grösse  der  Jüngererkenntnis 
ins  Licht.  Stammt  es  nicht  von  Matthaeus,  so  darf  man  in  ihm 
doch  einen  treuen  Ausdruck  seiner  eigensten  Gedanken  finden. 
Denn  dass  Jesu  Wesen  in  seiner  übernatürlichen  Art  nicht  ohne 
Weiteres  erkennbar  ist,  meint  natürlich  auch  er. 


1)  Die  Worte  über  den  Leidensweg  der  Jünger  sind  bei  Mt.  I624 
ebenfalls  an  die  Jünger  gerichtet.  Die  Abweichung  von  Mr.  834  wurde 
S.  138-  berührt. 

2)  IlQoafji.{)^ov  avTw  ol  fialhriTaC,  sagt  Matthaeus  sehr  gern,  auch 
wenn  sie  schon  zuvor  mit  Jesus  zusammen  sind.  T/Qoai^Qxsa&at  gebraucht 
er  überhaupt  öfter  als  alle  sonstigen  Schriften  des  N.T.  zusammen. 

Wrede,   Messiasgobeimnis.  H 


162 

Es  Hessen    sich  noch    mehr  Züge  für    die   Schätzung    der 

Jünger  aus  dem  Evangehum  sammehi.  Unter  ihnen  tritt  Petrus 

durch  manche  Angabe  noch  stärker  in  den  Vordergrund  als  bei 
Markus  1).     Das  ist  bekannt. 

Auch  diese  dem  Markus  so  nahestehenden  Gedanken  über 
die  Jünger  empfangen  durch  den  Zusammenhang  des  Ganzen 
bei  Matthaeus  doch  wieder  einen  etwas  anderen  Sinn  als  bei 
Markus.  Man  kann  ja  auch  bei  Matthaeus  von  einer  geheimen 
Belehrung  sprechen,  und  von  hier  aus  versteht  man  auch  wohl 
besonders  gut,  dass  der  Evangelist  dem  Gedanken,  die  Messianität 
Jesu  solle  nicht  verkündet  werden  (I620),  noch  etwas  abgewinnen 
konnte.  Indessen  ist  doch  das  Entscheidende  nicht  sowohl  die 
Heimlichkeit  als  die  Besonderheit  der  Erkenntnis. 

Bei  Markus  ist  die  Heimlichkeit  der  Offenbarungen 
wesentlich,  die  ganze  Erscheinung  Jesu  in  ihrer  höheren 
und  wahren  Bedeutung  muss  verborgen  bleiben.  Matthaeus  hat 
diesen  Gedanken  nicht  mehr.  Nur  Reste  davon  sind  noch  vor- 
handen. Das  Geheimnis  ist  ein  gelegentliches  Motiv  der  Er- 
zählung, weil  die  Überlieferung  es  nun  einmal  darbot.  Ein 
wirklich  beherrschendes  Interesse  hat  dagegen  für  ihn  der  Ge- 
danke, dass  die  Jünger  die  Lehre  Christi  und  die  wahre  Er- 
kenntnis seiner  Person  verbürgen  und  repräsentieren.  Der  Aus- 
druck dafür  ist  ihm  der  Gedanke,  dass  Jesus  ihnen  giebt, 
w  as  er  der  Menge  vorenthält.  Die  Heimlichkeit  ist  also  insofern 
nicht  das  Wesenthche ;  oder  es  ist  nicht  gedacht  an  den  Unter- 
schied zweier  Zeiten,  eine  Zeit  der  Verborgenheit  und  eine  Zeit 
der  Offenbarung.  Vielleicht  ist  es  auch  nicht  zufällig,  dass  der 
Spruch  von  der  Enthüllung  des  Verhüllten  bei  Matthaeus  (10  26 
vgl.  27)  in  einer  anderen  Beleuchtung  steht  als  bei  Markus.  Er 
redet  zwar  auch  bei  jenem  von  einem  künftigen  Offenbarmachen 

1)  15i5  wird  Petrus  zugeschrieben,  was  Mr.  7 17  von  deu  Jüngern 
sagt.  Petrus  wird  auch  sonst  in  späteren  Berichten  hervorgehoben,  wo 
der  ältere  ihn  nicht  nennt;  vgl.  Luk.  845  (0  IJstqos  xcu  ot  avv  avTcp) 
und  Mr.  531.  Ich  verstehe  so  auch  das  conversus  dixit  Simoni  im  Frag- 
ment des  Hebräerevangeliums  vom  reichen  Jüngling  (gegen  Harnack, 
Chronologie  der  altchristl.  Literatur  I  S.  649).  —  Übrigens  irrt,Wernle 
Synopt.  Frage  S.  166,  li>8,  wenn  er  damit,  dass  Matthaeus  über  Markus 
hinaus  manches  Anfechtbare  von  Petrus  berichtet,  die  Güte  der  Nach- 
richten des  Markus  über  den  Apostel  erhärten  will. 


163 

empfangener  Geheimnisse  durch  die  Jünger.  Der  Nachdruck 
liegt  aber  doch  nicht  darauf,  dass  das  Geheime  kund  werden 
soll,  sondern  dass  man  dreist  und  furchtlos  einst  hinaus- 
predigen soll,  was  man  in  der  Stille  vernommen. 

Doch  das  mag  unsicher  sein.  Jedenfalls  lässt  sich  nicht 
verkennen,  dass  die  Anschauung  des  Matthaeus  von  den  Jüngern 
in  ihrem  Kerne  nichts  weiter  ist  als  die  allgemeine  kirchliche 
Anschauung,  dass  sie  die  massgebenden  Zeugen  des  Lebens 
Jesu  und  die  Urempfänger  und  legitimen  Repräsentanten  seiner 
Lehre  sind. 

Von  der  Christusanschauung  des  Matthaeusevangeliums  im 
Allgemeinen  ist  nicht  die  Rede  gewesen.  Sie  braucht  hier  auch 
nicht  berührt  zu  werden.  Das  Zurücktreten  der  geheimen 
Messianität  bedeutet  natürlich  nicht,  dass  das  Christusbild 
menschlicher  oder  weniger  metaphysisch  und  supranatm-al  aus- 
fällt als  bei  Markus.  Der  Eindruck  könnte  hier  und  da  ent- 
stehen, aber  er  entspricht  nicht  den  wirklichen  Gedanken  des 
Evangelisten.  Das  geht  nicht  l)los  aus  der  Kindheitsgeschichte 
des  Evangeliums  hervor. 


Liikas. 

Das  dritte  Evangelium  macht  in  unserer  Frage  einen  er- 
heblich anderen  Eindruck  als  Matthaeus.  In  den  Überein- 
stimmungen mit  Markus  wie  in  den  Abweichungen  bemerkt 
man  mehr  Verschiedenes  als  Gemeinsames.  Es  drängt  sich  so 
bald  der  Gedanke  auf,  dass  die  leitenden  Anschauungen  einiger- 
massen  verschieden  sind.  Die  Auffassung  des  Lukas  zu  fixieren 
bereitet  aber  besondere  Schwierigkeit.  Denn  die  Herübernahme 
von  Zügen  des  Markus  lässt  sich  ebenso  leicht  missverstehen 
wie  die  tlbergehung  anderer,  und  die  hellen  Schlaglichter,  die 
das  eine  wie  das  andere  sogleich  l)eleuchteten,  vermisst  man  im 
Gegensatz  zu  Matthaeus.  Wir  können  uns  hier  eben  darum 
auch  nicht  auf  die  eigentlichen  Parallelen  zu  Markus  beschränken ; 
und  wemi  wir  doch  nach  der  eigenen  Auffassung  des  Lukas 
suchen,  so  ist  in  einem  Evangelium,  das  in  solchem  Masse  auf 
Quellen  ruht,  auch  aus  diesem  Grunde  Vorsicht  geboten.  Eine 
gewisse   Hilfe    gewährt    es,    dass  wir  von    der  Hand   desselben 

11* 


164 

Verfassers  in  der  Apostelgeschichte  noch  ein  zweites  Werk 
haben.  Wo  beide  übereinstimmende  Anschauungen  zeigen,  kann 
man  m.  E.  mit  gewissen  Kautelen  annehmen,  dass  wir  dem 
Autor  selbst  gegenüberstehen.  Der  Versuch  ein  Verständnis  zu 
gewinnen  muss  jedenfalls  gemacht  werden. 

Auf  besondere  Quellenhypothesen  nehme  ich  auch  hier,  wo 
man  es  vielleicht  besonders  erwartet,  keine  Rücksicht.  Ich 
oi)eriere  nur  mit  der  einfachen  Voraussetzung,  dass  Lukas  das 
Markusevangelium  vor  sich  gehabt  hat,  und  dass  er  selber  an 
seiner  Erzählung  auch  einigen  Anteil  hat.  Das  mag  ein  Mangel 
sein,  aber  wollte  ich  mir  erst  durch  eine  Auseinandersetzung 
mit  neueren  kritischen  Auffassungen  einen  Boden  bereiten,  so 
müsste  ich  darüber  zunächst  ein  eigenes  Buch  schreiben. 

Ich  beginne  mit  einem  sehr  klaroi  und  zugleich  sehr  wert- 
vollen Punkte. 

Der  Gedanke  des  Markus  fordert,  dass  mit  der  Auferstehung 
das  Geheimnis  der  Erdenzeit  der  offenen  Verkündigung  weiche; 
die  Jünger  aber  müsseii  mit  diesem  Augenblicke  die  Erkenntnis 
gewinnen,  die  sie  als  Zeugen  des  irdischen  Lebens  Jesu  nicht 
finden  konnten.  Hiernach  könnte  man  erwarten,  dass  Markus 
in  seinem  Auferstehungsberichte  von  dem  Aufgang  dieser  Er- 
kenntnis oder  von  einer  nunmehr  verstandenen  Belehrung 
erzählt  hätte.  Nun  fehlt  dieser  Auferstehungsbericht  in  der 
Hauptsache.  Sollen  wir  schliessen,  dass  der  verlorene  Schluss 
des  Evangeliums  thatsächlich  Derartiges  enthalten  hat?  Mich 
dünkt,  dazu  läge  weit  mehr  Grund  vor  als  zu  dem  Postulate, 
dass  der  Markusschluss  eine  Restitution  des  Petrus  nach  seiner 
Versündigung  erzählt  haben  müsset).  Ich  möchte  jedoch  gar 
keine  Vermutung  hierüljer  aussprechen.  Bei  der  Auferstehung 
kommt  für  einen  alten  Christen  so  mancherlei  in  Betracht,  dass 
es  immer  misslich  bleibt  zu  behaupten,  er  müsse  gerade  dies 
und  jenes  besonders  in  der  Erzählung  ausgeprägt  haben. 

Indessen  ist  es  von  solcher  Erwägung  aus  besonders  schätz- 
bar, dass  uns  der  Auferstehungsbericht  des  Lukas  nun  wirklich 

1)  Kohrbach,  Die  Berichte  über  die  Auferstehung  Jesu  Christi 
(1898),  S.  40.  Kohrbach  wagt  auch  (S.  56  ff.)  die  Vermutung,  dass 
ein  Mt.  16 17 — 19  nahe  verwandtes  Wort  im  Markusschlusse  gestanden 
habe. 


165 

erzählt,    wie   der    auferstandene    Jesus    den  Jüngern    das    einst 
Vei-schleierte  durch   ausdrückHche  Belehrung  förmlich   aufdeckt. 
Den  Jüngern  von  Emmaus  entgegnet  er  auf  ihre  bewegliche 
und  nur  von  leiser  Ahnung  erhellte  Klage  (24 25 f.): 

0  ihr  Unverständigen,    deren  Herz  so  schwer   glaubt  an 
alles,  was  die  Propheten    geredet   haben.     Musste    nicht 
der  Christus    also  leiden    und  in   seine   Herrhchkeit  ein- 
gehen ?  1) 
Dies  weist  er   ihnen  denn  aus  den  Weissagungen  der  Schriften 
nach.     Doch  bei  dieser  Erzählung    sind   die  Belehrungen  Jesu 
eng  mit  dem  Gange  der  Geschichte  verkjiüpft  und  könnten  daher 
durch    ihn   allein    bedingt    scheinen.      Deshalb    ist    die    spätere 
Szene  (2436—49)   vor   den  Worten    über  das  Scheiden  Jesu  für 
uns  noch  bemerkenswerter. 

Den  Beweis,  dass  er  der  Auferstandene  sei,  hat  hier  Jesus 
vor  den  versammelten  Jüngern  bereits  geführt,  indem  er  sich  hat 
betrachten  und  betasten  lassen  und  vor  aller  Augen  gegessen 
hat.  JDennoch  greift  er  nun  zurück  auf  die  früher  unfassbaren 
Worte,  ausdrücklich  beinift  er  sich  darauf,  dass  er  den  Jüngern 
vorhergesagt  ^),  es  müsse  sich  alles  an  ihm  erfüllen,  was  in  Gesetz^ 
Propheten  und  Psalmen  geschrieben  stehe,  und  »öffnet  ihnen  den 
Verstand  zur  Einsicht  in  die  Schriften«,  die  eben  vom  Leiden 
und  Auferstehen  des  Messias  vornehmlich  reden.  Diese  Belehrung 
dient  also  nicht  der  unmittelbaren  Überführung  von  der  Realität 
der  Auferstehung,  sie  fliesst  auch  nicht  wie  der  Hinweis 
auf  die  künftige  Aufgabe  der  Jünger  oder  die  Verheissung  des 
Geistes  aus  dem  naheliegenden  Gedanken  an  die  Zukunft,  die 
mit  der  Auferstehung  sich  eröffnet,  sondern  sie  hat  ihren  Zweck 
in  sich  selbst.  Sie  ist  das  Gegenbild  oder  die  einfache  Er- 
gänzung zu  der  früheren  Haltung  der  Jünger.  Dem  Rätsel 
folgt  die  Lösung,  das  blinde  Auge  wird  aufgethan. 

Die  gleiche  Anschauung  hat  aber  auch  in  dem  Parallel- 
berichte der  Apostelgeschichte  Ausdruck  gefunden  (Act.  1 3).  Die 
Belehrungen,  in  denen  Jesus  während  der  vierzig  Tage  ra  Tteql 
TTJg  [-^aoileiag  xov  &eoü  behandelt,  sind  gewiss  in  erster  Linie 
nach  der  Analogie  von  Luk.  24  3)  zu  verstehen,  wobei  natürlich 

1)  Nach  Weizsäckers  Übersetzung. 

2)  2444:  (JVTOi  Ol  koyoi  fiov  ovg  iXcilrjaa  ttqos  im«?  in  uJv  avv  i\utr  xtI. 

3)  Vgl.  auch  Wen  dt  bei  Meyer"  z.  St. 


166 

die  Zukunftspersi^ektive  (Y.  47  fF.)  mit  in  Frage  kommt.  Der  Ausdruck 
Tcc  nsQi  TYß  ßaaileiag  tov  dsov  wird  wieder  formelhaft  gemeint 
sein,  so  dass  die  Yorstellung  des  Reiches  nicht  zw  betonen  ist^). 
Lukas  giebt  also  Act.  Is  keineswegs  eine  leere  Bestimmung,  bei 
der  er  sich  nichts  Näheres  gedacht  hätte,  sondern  der  unljestimmte 
Ausdruck  ist  die  Abbre\'iatur  einer  ganz  bestimmten  Anschauung. 
Die  Idee  einer  zweiten  und  höheren  Periode  der  Jünger- 
belehrung, die  weiterhin  in  der  Geschichte  eine  erhöhte  Be- 
deutung gewinnt,  steht  demnach  hier,  wo  sie  uns  zum  ersten 
Male  begegnet,  in  unverkennl)arem  Zusammenhange  mit  der  An- 
schauung, die  "wir  verfolgen. 

Das  Geheimnis,  um  das  es  sich  hier  handelt,  ist  die  Not- 
wendigkeit des  Leidens  und  Sterbens.  Es  ist  daher  keine 
Überraschung,  dass  Lukas  bei  den  Leidensweissagungen  die  Er- 
klänmgen  des  älteren  EvangeHsten  über  die  Jünger  ungeschwächt 
aufnimmt.  Er  überbietet  sie  beinah  noch.  Die  Stelle  Mr.  9io 
—  nach  dem  Wort  über  die  Auferstehung  —  lässt  er  freilich 
aus.  Dagegen  sagt  er  945  nach  der  »zweiten«  Leidens- 
weissagung : 

Sie  aber  verstanden  das  Wort  nicht,  und  es  war  vor  ihnen 

verborgen,     damit    {iva)    sie    es    nicht    begreifen 

sollten,  und  sie  fürchteten  sich,  ihn  über  dies  Wort  zu 

fi'agen. 

Der  Gedanke  der  göttlichen  Absicht   bei  diesem  Nichtbegreifen 

ist  nicht  abzuschwächen.     Bei  der  dritten   Leidensweissagung  2) 

aber  übergeht  Lukas   zwar   die  Einleitung  vom  Voranschreiten 

Jesu  nach  Jerusalem,    aber  wie  zum  Ersätze  bildet  er  eine  der 

vorigen  gleichartige  Bemerkung  neu(1834): 

Und  sie  verstanden   nichts   von   diesen  Dingen,    und  es 

war   dieses  Wort  vor   ihnen  verborgen,   und  sie  begriffen 

das  Gesagte  nicht. 

Dieser  Punkt  ist  also  vollkommen    deutlich.     Damit  ist  jedoch 

nicht    ausgemacht,     dass    Lukas    überhaupt    die    Ansicht    des 


1)  Vgl.  oben  S.  57  f.  le  halte  ich  nicht  für  einen  Gegengrund. 

2)  Jesus  weist  hier  darauf  hin,  dass  das  Leiden  u.  s.  w.  in  der 
Schrift  geweissagt  sei.  Die  Voraussagung  des  Leidens  durch  Jesus 
tritt  bald  als  ein  selbständiges  apologetisches  Motiv  neben  der  Voraus- 
sagung durch  die  Schrift  hervor,  bald  sind  beide  Gedanken  kombiniert, 
indem  Jesus  die  Schriftweissagung  geltend  macht. 


167 

Markus   von  den   Jüngern    teilt.     Wie   erscheinen    sie   bei  ihm 
abgesehen  von  den  Weissagungen? 

Dass  sie  auch  hier  vom  Volke  unterschieden  werden  und 
Lehren  empfangen,  von  denen  das  Volk  ausgeschlossen  bleibt, 
verstellt  sich  fast  von  selbst.  Sie  dürfen  schauen,  was  viele 
Propheten  und  Könige  vergebhch  zu  schauen  begehrten  (l023f.). 
Es  kann  nicht  darauf  ankommen,  unbedeutende  Abweichungen 
von  Markus  zu  registrieren,  die  es  auch  in  dieser  Hinsicht  giebt. 
Wir  fragen  nur  nach  dem  Urteil  über  die  Erkenntnis  und  den 
Glauben  der  Jünger. 

Nimmt  man  das  Lukasevangehum  ganz  für  sich,  so  wird 
man  doch  einen  wesentlich  andern  Eindruck  empfangen  als  bei 
Markus.  Die  Thorheit  und  Blindheit  der  Jünger  ist  im  All- 
gemeinen kein  hervorstechender  Zug  der  Schilderung.  Der 
Vergleich  mit  Markus  lässt  das  näher  erkennen. 

Eine  Rüge  über    verkehrtes  Fragen    nach    »den  Parabeln« 
spricht  Jesus  auch  hier  nicht  aus,  obgleich  die  Frage  der  Jünger 
(89)  eine  solche  veranlassen  könnte.     Die  stärksten  Beweise  der 
Verständiiislosigkeit    bei    Markus   —  vgl.  652,  Sieff.   —   kehren 
nicht  wieder.     Das  Schlafen  der  Jünger  in  Gethsemane  —  denn 
die  Jünger,  nicht  blos  die  Vertrauten  lässt  Lukas  anwesend^  sein 
—  scheint  durch  die  Motivierung:  sie  schliefen  ano  r^g  h'Tnqg, 
zu  einer  Äusserung  entschuldbarer  und  fast  rührender  mensch- 
licher Schwäche   zu   werden  (2245);    das  dreimalige   Schlafen 
fällt  fort.    Der  Schlaf  bei  der  Verklärung,  den  Lukas  wohl  nach 
dieser  Gebetsszene  eingeführt  hat  (932),  wird  schon  deshalb  keinen 
besonderen  Tadel  der  Jünger  ausdrücken.    Vielleicht  soll  er  die 
thörichte  Rede    des  Petrus  erklären  i).      Die   Szene    scheint  bei 
Lukas  als  Nachtszene  gedacht  zu  sein.     Der  Bericht,  nach  dem 
Petrus   sich    der   Leidenseröffnung  widersetzt,    bleibt  fort.     Die 
Vermutung,    dass  Lukas    die  Anrede   des  Petrus    als  Satan  zu 
stark  war,    ist  kaum    abzuweisen.     Aber  deshalb    brauchte   die 
ganze  Szene  noch  nicht  gestrichen  zu  werden.    Lukas  wird  noch 
mehr  missfallen  haben,  z.  B.  das  respektlose  eTTiTi^iav  des  Petrus, 
aber    überhaupt    die    ganze  Disharmonie    zwischen  Jünger   und 
Meister.     Die  Flucht  der  Jünger  (Mr.  14  so)  wird  ebenfalls  von 

1)  Volkmar  S.  458  f. 


168 

Lukas  übergangen.  Liegt  in  seiner  Meinung,  class  die  Er- 
scheinungen des  Auferstandenen  in  Jemsalem  stattfinden,  eine 
genügende  Erklärung?  Eine  momentane  Flucht  war  dadurch 
ja  nicht  ausgeschlossen.  Die  entsprechende  Weissagung  (Mr. 
1427.28)  fehlt  ebenfalls  ganz,  nicht  etwablos  das  Wort  vom  Vor- 
angehen nach  Galilaea.  Das  Wort  an  Simon,  das  gewisser- 
massen  an  die  Stelle  tritt  (Luk.  22  31  f.),  klingt  wesentHch  milder. 
Eine  (TCgenrechnung  lässt  sich  nun  allerdings  auch  bei 
Lukas  aufstellen.    Xach  dem  Seestunn  fi-agt  Jesus  (825): 

Wo  ist  euer  Glaube? 
und  voll  Furcht  und  Verwuudenmg  fragen  die  Jünger  wie  bei 
Markus : 

Wer  ist  denn  dieser,    dass  er  auch  den  Winden  gebietet 

und  dem  Wasser,  und  sie  gehorchen  ihm? 
Die  Jünger  bleiben  ferner  unfähig,  den  Dämon  aus  dem  Knaben 
auszutreiben,  trotz  ihrer  Ausrüstung  mit  der  Macht  über  die 
Dämonen  (9i),  und  die  Rüge  des  »ungläubigen  und  verkehrten 
Geschlechtes«  könnte  zur  Not  auch  hier  (9 41)  auf  die  Jünger 
gehen.  Wahrscheinlich  ist  es  mir  freilich  nicht;  denn  in  dem 
folgenden  Wort: 

führe  deinen  Sohn  her, 
wird  der  Vater  des  Knaben  angeredet.  Von  der  (piloverKia 
der  Jünger  zu  sprechen  hat  Lukas  sich  nicht  gescheut  (22  24). 
Besonders  aber  kann  man  sagen,  dass  das  Ausbleiben  ge- 
rade der  gröbsten  Züge  des  Markus  (652,  Sieff.;  vgl.  auch  Tis) 
nichts  beweise,  da  sie  der  sog.  »grossen  Lücke«  des  Lukas 
(Mr.  640 — 826)  angehören.  Ich  glaube  nun  allerdings,  dass  Lukas 
auch  diese  Partie  des  Markus  gekannt  hati),  dass  er  das  Wort 
vom  Sauerteig  der  Pharisäer  (12 1)  auch  nur  aus  Markus  hat, 
und  dass  er  nicht  von  ungefähr  statt  des  jämmerlichen  Missver- 
ständnisses der  Jünger  nur  die  kurze  Deutung  des  »Sauer- 
teigs« anschhesst: 

der  da  ist  die  Heuchelei. 
Immerliin  ist  das  eine  Streitfrage,  und  der  Beweis,  dass  Lukas 
an  jenen  Bemerkungen    des    Markus    Anstoss    genommen    hat, 
lässt  sich  nicht  führen. 


1)  We  rille,  Synopt.  Frage  S.  5.  Anders  z.  B.  J.  Weiss    in  dem 
Exkurse  zu  Luk.  9 17  (Komm.  S.  432  ff.). 


169 

So  offen  wie  bei  Matthaeus  liegt  nach  dem  allen  die  Sache 
bei  Lukas  freilich  nicht.  Man  wird  ja  auch  in  Anschlag  bringen 
müssen,  dass  Milderungen  im  Einzelnen  sich  mit  dem  Festhalten 
der  Hauptsache  recht  wohl  verbinden  könnten.  Gerade  einem 
Lukas  wäre  es  zuzutrauen,  dass  er  aus  Rücksichten  der  Ver- 
ständigkeit oder  aus  ästhetischen  Rücksichten  manches  allzu 
Krasse  beseitigt  hätte.  Gleichwohl  spricht  ein  sehr  starker  Ein- 
dinick  dafür,  dass  Lukas  die  Anschauung  des  Markus  von  der 
Unfähigkeit  der  Jünger  nicht  mehr  hat,  und  das  Beibehalten 
mancher  Züge  bereitet  dabei  keine  Schwierigkeit.  Es  kommt 
nämhch  noch  hinzu,  dass  er  in  seinen  eigenen  Zuthaten,  soviel 
ich  sehe,  nirgends  darauf  ausgeht,  die  Schwäche  der  Jünger  her- 
vorzuheben. Im  Gegenteil  liegen  da  ein  paar  Äusserungen  vor, 
wie  sie  Markus  kaum  geschrieben  hätte. 

Die  Jünger  erhalten  z.  B.  22-28  folgenden  Lobspruch: 
Ihr  seid  es,  die  bei  mir  ausgeharrt  haben  in  meinen  An- 
fechtungen. 
Doch  mag  dies    nichts  beweisen,    da    ich  nicht   bewiesen    habe, 
<lass  das  Wort  von  Lukas  selbst  ist.     Charakteristisch  erscheint 
mir  jedoch  das  Wort  der  emmauntischen  Jünger  (242i): 

wir  (aber)  hofften,  er  sei  der,  der  Israel  erlösen  soll. 
Hierin  wird  man  jedenfalls  des  Lukas  eigene  Vorstellung  wieder- 
finden dürfen ').      Mir  scheint,   Markus  hätte  so  die  Jünger  vor 
der  Auferstehung  nicht  charakterisiert. 

Ist  das  Bisherige  im  Wesentlichen  richtig,  so  folgt,  dass 
bei  Lukas  die  Auffassung  des  Markus  von  den  Jüngern  nur  in 
einem  bestimmten  Punkte  wirklich  lebendig  ist:  verständnis- 
los stehen  sie  dem  Leiden  Jesu  gegenüber.  Das  bedarf 
aber  der  Verdeutlichung. 

Lukas  giebt  schon  in  jenem  Wort  der  Emmausjünger 
zu  erkennen,  wie  er  sich  die  Jünger  näher  denkt.  Sie  waren 
Israeliten  und  teilten  daher  die  Erwartung  Israels.  Darum  gieng 
alle  ihre  Hoffnung  nur  auf  die  Erlösung  und  Befreiung  des 
Volkes.  Das  Leiden  Jesu  musste  ihnen  so  etwas  Fremdes  und 
etwas  Vernichtendes  sein. 

In  der  Apostelgeschichte  begegnet  uns  eine  nah  verwandte 
Vorstellung.     Act.  le  richten  die  Jünger  an  Jesus  die  Frage: 

1)  Vgl.  das  Folgende. 


170 

Herr,    stellst    du    in    dieser  Zeit    für  Israel    das  Reich 

wieder  her? 
Das  ist  nicht  nach  dem  Sinne  des  Verfassers  selbst  gefragt,  wie 
er  denn  in  der  Antwort  Jesu  (V.  8)  indirekt  eine  Konjektur 
dieses  partikularistischen  Gedankens  giebt.  Aber  er  nimmt  an, 
dass  die  Jünger  damals  im  Gegensatze  zur  späteren  Zeit 
so  jüdisch -partikularistisch  denken^).  Offenbar  sind  sie  hier 
trotz  der  geschehenen  Auferstehung  noch  auf  dem  alten  Stand- 
punkte gedacht.  Weshallj,  wird  sich  später  von  sell)st  er- 
geben. 

Aus  der  gleichen  Vorstellung  ist  auch  die  Bemerkung 
Luk.  19 11  geflossen.  Jesus  nähert  sich  Jerusalem,  diesem  von 
Lukas  seit  9.51  immer  wieder  ins  Gedächtnis  gerufenen  2)  Ziele  — 
seiner  Wanderung  und  in  Wahrheit  der  ganzen  Geschiclite.  Die 
Nähe  der  Königsstadt  Jerusalem  bringt  die  begleitende  Volks- 
menge auf  die  Meinung, 

nun  müsse  alsbald  das  Reich  Gottes  erscheinen. 
Dieser  Erwartung  steuert  dann  das  Gleichnis  von  den  Minen 
(Pfunden).  Dejm  der  vornehme  Mann,  der  in  ein  fernes  Land 
reist  (vor  dem  Antritt  der  Herrschaft),  ist  für  Lukas  Jesus.  Dass 
der  Evangelist  —  denn  gewiss  redet  er  hier  —  ganz  dieselbe 
Meinung  den  Jüngern  hätte  zuschreiben  können,  zeigt  eben  Act.  le. 
Lukas  legt  also  den  Jüngern  als  Juden  eine  Messiaser- 
wartung bei,  die  man  immerhin  national-pohtisch  heissen  mag. 
Um  so  mehr  ist  zu  betonen,  dass  er  die  früher  besprochene 
Auffassung,  mit  der  man  alle  Evangelien  zu  interpretieren  pflegt, 
doch  nicht  hegt. 

Auch  er  denkt  nicht  an  eine  Furcht  Jesu,  weltlichen  Hoff- 
nungen Vorschub  zu  leisten,  an  die  Besorgnis,  falsche  Be- 
geisterung bei  den  Jüngern  und  im  Volke  wachzurufen  oder 
das  Auge  der  römischen  Obrigkeit  auf  sich  zu  lenken.  Ich 
finde  nichts,  was  darauf  hindeutete.  Die  Jünger  verhalten  sich 
doch  auch,  ebenso  wie  das  Volk,  völlig  passiv  und  zuwartend, 
obwohl  sie  ihn  mit  der  Hoffnung,  er  werde  Israel  das  Reich 
aufrichten,  immerfort  begleiten.  Ihre  Vorstellung  erscheint 
eigentlich  auch  gar  nicht  als  Äusserung  einer  fleischlichen,  un- 


1)  Vgl.  meine  Bemerkungen,    Göttingor  gel.  Anz.  1895,  S.  499 f., 
sowie  Ov  erb  eck  und  Wen  dt  z.  St. 

2)  953,  1322,   17 11,  18 31,  19 11.  28. 


171 

etliisclien  Sinnesart.  Dass  sie  öoBcc  vom  Messias  und  beim 
Messias  erwarten,  ist  gar  nicht  verkehrt.  Denn  auf  sie  strebt 
ja  auch  Jesus  zu.  Sie  wissen  nur  nicht  den  AVeg,  der  zu  ilu- 
führt  1).  Und  dies  Nichtwissen  ist  —  freiheh  neben  dem  irrigen 
Partikularismus  —  alles,  worauf  es  ankommt.  Ihre  Erwartung 
verschliesst  ihnen  ein  göttliches  Geheimnis,  das  ist  es,  was  der 
Evangelist  sagen  will.  Nicht  die  möglichen  Folgen  ihrer  Ge- 
danken, nicht  die  Gesinnung,  aus  der  sie  stammen,  sondern  die 
beschränkte  Einsicht,  das  Verkennen  des  göttlichen  Heilsplans 
ist  zu  betonen. 

Vergleicht  man  nuii  diese  Anschauung  mit  der  des  Markus, 
so  scheint  diese  s.  z.  s.  historisiert  zu  sein.  Ich  sage  damit  nicht, 
dass  Lukas  eine  historisch  lichtige,  sondern  nur,  dass  er  eine 
historisch  geartete  Vorstellung  hat.  Bei  Markus  ist  den  Jüngern 
das  Leiden  und  Auferstehen  des  Messias  wie  alles  Andere,  was 
die  Messianität  angeht,  an  sich  verborgen,  vermöge  einer 
inhärenten  Unfähigkeit  zu  verstehen  und  zu  glauben.  Bei  Lukas 
ist  die  Unverständlichkeit  des  Leidensgedankens  durch  die  ge- 
schichtliche Stellung  der  Jünger  bedingt.  Trotzdem  ist  es  nur 
eine  sehr  halbe  Historisierung.  Denn  die  Vorstellung  von  der 
Notw^endigkeit  des  Leidens  und  Auferstehens  bleibt  durchaus 
dogmatisch,  das  Wissen  darum  ist  nicht  durch  ein  Verständnis 
geschichtlicher  Gegensätze  und  Vorgänge  oder  persönlicher  Ent- 
wickelungen  Jesu  zu  erlangen,  sondern  nur  durch  Offenbarung, 
durch  eine  Erkenntnis  der  Schrift,  wie  sie  zu  Lebzeiten  Jesu 
niemand  haben  konnte.  Dem  entsprechen  denn  die  Angaben 
über  den  Eindruck  der  Weissagungen  durchaus.  Auch  bei 
Lukas  lauten  sie  nicht  danach,  als  handle  es  sich  um  einen 
Verständnisraaugel,  der  in  der  bisherigen  Gewöhnung  an  ein 
jüdisches  Messiasideal  seine  natürliche  Erklärung  fände.  Sie 
sollten  es  nicht  merken!  Gott  selbst  verbarg  es  ihnen  2).  Auch 
hier  hören  sie  nur  den  Schall  der  Worte,  der  Sinn  ist  ihnen 
nicht  blos  befremdlich,  sie  finden  überhaupt  keinen  Sinn  heraus. 


1)  Man  könnte  bei  Lukas  den  Eindruck  haben,  dass  das  Leiden  ihm 
mehr  als  das  Unverstandliche  gilt  als  die  Auferstehung.  Mr.  9 10  lässt 
er  aus.  In  der  Weissagung  944  fehlt  die  Aufersteliung.  Die  Erwägung 
ist  indessen  unsicher. 

2)  Das  klingt  für  die  Jünger  milder  als  die  Ausdrucksweise  des 
Markus. 


172 

Aber    dies    nimmt  sich    dennoch    anders    aus  als   bei   Markus, 
weil  s.  z.  s.  die  Natur  der  Jünger  anders  vorgestellt  ist. 

Natürlich  hat  Lukas  seine  Anschauung  nicht  auf  dem  "Wege 
der  Reflexion  gewonnen,  als  hätte  er  wie  modenie  Exegeten 
gefragt:  yne  konnten  die  so  klaren  Weissagungen  Jesu  über 
das  Leiden  unbegriffen  bleiben?  und  wäre  dann  auf  die  Aus- 
kunft verfallen:  die  Jünger  mussten  als  Juden  für  den  leiden- 
den Messias  unempfänglich  sein.  Gerade  dann  müsste  ihre 
Haltung  ganz  anders,  nämlich  rationell,  geschildert  sein.  Deut- 
lich ist  dagegen,  dass  in  der  Vorstellung  des  Lukas  zweierlei 
zusammengeschmolzen  ist,  was  zunächst  nichts  mit  einander  zu 
thun  hat,  nämlich  eine  allgemeine  Anschauung  über  den  jüdischen 
Horizont  der  Jünger  und  der  dogmatische  Gedanke  vom 
Mysterium  des  Leidens. 

Wie  steht  Lukas  zu  dem  andern  Hauptpunkte,  zur  geflissent- 
lichen Verhüllung  der  Messianität  dm'ch  Jesus?  Einige  Statistik 
ist  auch  bei  dieser  Frage  am  Platze. 

Der  Kampf  Jesu  gegen  das  Dämonen-  und  Teufelsreich  tiitt 
bei  Lukas  so  stark  hervor,  dass  man  den  Versuch  machen 
konnte,  seine  Dämonologie  gesondert  darzustellen  i).  So  sind 
denn  die  Züge  des  Markus,  die  dies  Gebiet  betreffen,  hier  \ie\ 
treuer  bewahrt  als  bei  Matthaeus.  Der  Dämonische  von  Kaphar- 
naum  mit  der  Messiasbegrüssung  und  der  Abwehr  Jesu  begegnet 
uns  4  33  ff.  In  der  Schilderang  4«»  f.  wird  dann  abermals  dies 
dämonische  Messiasbekenntnis  formuliert  2),  und  hier  untei-sagt 
Jesus  den  Dämonen  zu  verkünden, 

dass  3)  sie  wüssten,  er  sei  der  Christus. 
Li  der  Schilderung  6i7 — lo  fehlt  freilich  eine  Wiederholung,  wie 
sie  nach  Mr.    3ii.  r2  angezeigt    wäre.     Das  kann   seinen  Gnind 
darin  haben,  dass  Lukas  eben  nicht  wiederholen   will;    überdies 
erinnert  44if.  einigermassen  an  diese  Stelle. 

Im  Übrigen  finden  wir  das  Verbot  Jesu  sowohl  beim  Aus- 
sätzigen wie  bei  der  Auferweckung  der  Jairustochter.    Hier  er- 


1)  Campbell,  Critical  Studies  in  St.  Luke"s  gospel  (I.  The  derao- 
nology  of  tlie  third  gospel)  1891.  Darüber  J.  Weiss.  Theol.  Lit.  Ztg. 
1892,  col.  64  ff. 

2)  Vgl.  828  =  Mr.  57 

3)  ort  dass  bei  Lukas,  nicbt,  wie  Mr.  l34,  weil.  S.  Volk  mar  lOOf. 


173 

sclieiiieii  auch  die  Vertrauten.  Der  Belelil  zu  schweigen  wird 
freihch  nur  den  Eltern  des  Mädchens  zu  Teil.  Wenn  dagegen 
Mr.  736,  826,  724  kein  Äquivalent  finden,  so  kann  das  nicht  be- 
sonders auffallen,  da  die  ganzen  Geschichten  vom  Taubstummen, 
Bhnden  von  Bethsaida  sowie  von  der  Kanaanäerin  wieder  zur 
»grossen  Lücke«  gehören,  d.  h.  fehlen.  Ob  jene  Verse  Lukas 
mitbestimmt  haben,  die  Geschichten  auszulassen,  muss  natürlich 
ganz  dahingestellt  bleiben.  Der  Bericht  von  Mr.  1 35 — 3'j  über  das 
Aufsuchen  der  Einsamkeit  und  anderer  Ortschaften  ist  im 
Wesentlichen  4  42  ff.  wiederholt  i). 

Aus  alle  dem  lassen  sich  keine  Schlüsse  ziehen.  Es  wäre 
hiernach  möglich,  dass  Lukas  den  Gedanken  des  Markus  teilt, 
ebensogut  kann  er  auch  das  Einzelne  mit  eigenen,  uns  uner- 
kennbaren Hintergedanken  übernommen  haben,  ja  vielleicht  so- 
gar ohne  eine  bestimmte  Reflexion  über  den  Grund  des  Ver- 
haltens Jesu.  Denn  in  den  genannten  Partieen  schhesst  er  sich 
überhaupt  viel  treuer  an  Markus  an  als  Matthaeus.  Es  fragt 
sich,  ob  nicht  bestimmte  Fingerzeige  nach  der  einen  oder  anderen 
Seite  weisen. 

Eine  Veränderung  zeigt  die  Geschichte  vom  Gerasener. 
Der  Befehl  Jesu  an  den  Geheilten  lautet  fast  wie  bei  Markus 
(Luk.  839): 

Kehre   zurück    in  dein  Haus   und  erzähle,    was  dir  Gott 
(Mr.:  0  yiVQiog)  befohlen  hat; 
die  Fortsetzung    aber    weiss    nichts    von    einer  Predigt    in    der 
Dekapolis.     Lukas  sagt: 

Und  er  gieng  fort,   in  der  ganzen  Stadt  verkündend, 
was  ihm  Jesus  gethan  hatte. 

Dass  der  Evangelist  sich  an  dem  Namen  Dekapolis  gestossen 
habe,  ist  wohl  nicht  anzunehmen.  Er  ist  ihm  schwerhch  fremd 
gewesen.  Vernmtlich  hat  er  geändert,  weil  ihm  der  Satz  des 
Markus  nicht  zum  Befehl  Jesu  zu  passen  schien. 

Li  der  Geschichte  vom  Aussätzigen  hat  ihm  offenbar  der 
Ungehorsam  des  Geheilten,  der  allenthalben  verkündete,  was  er 
verschweigen  sollte,  nicht  gefallen.  Denn  er  ersetzt  hier  den 
Markustext  durch  eine  neutrale  Wendung  (5 15): 


1)  Vgl.  zu  Mr.  I45  die  Parallele  Luk.  5i5f. 


174 

Es  verbreitete    sich    aber  (dir^Qxeio)  vielmehr   die  Kunde 
von  ihm. 
So    könnte    er    an    unserer  Stelle    den  Ungehorsam  wenigstens 
mildern  -wollen,  indem    er  die  Dekapolis   auf  »die  ganze  Stadt« 
reduzierte. 

Allein  näher  wird  ein  anderer  Gedanke  liegen:  Lukas  hat 
den  negativen  Sinn  des  Befehles  bei  Markus  überhaupt  nicht 
mehr  verstanden.  Er  dachte  an  eine  wirkhche  Aufforderung 
Jesu,  die  That  auszubreiten.  Das  Verkünden  in  der  Dekapolis 
"svar  nun  aber  doch  befremdend,,  da  Jesus  den  Kranken  nach 
Hause  ver-wiesen  hatte.  Deshall)  redet  er  von  einem  Ausnifen 
in  der  ganzen  Stadt.  Damit  richtet  der  Dämonische  gerade 
den  Auftrag  Jesu  aus,  nur  noch  reichlicher,  als  Jesus  es  un- 
mittelbar vorgeschrieben  hatte  ^). 

Doch  wie  man  auch  erkläre,  besondere  Folgerungen  erlaubt 
diese  Abweichung  von  Markus  sicher  nicht.  Fand  Lukas  einen 
Widerspruch  zwischen  dem  Gebot  und  dem  Verhalten  des 
Mannes,  so  war  ihm  das  Gebot  (im  negativen  Sinne)  jedenfalls 
nicht  anstössig.  Hat  er  das  Gebot,  wie  ich  glaulje,  schon  nicht 
mehr  verstanden,  so  folgt  daraus  doch  nichts  für  sein  Verständnis 
der  sonstigen  Gebote  des  Markus;  denn  es  kann  durch  die  eigen- 
tümliche Formulierung  in  diesem  speziellen  Falle  bedingt  sein  2), 

Eine  Auslassung  bemerken  wir  bei  der  zweiten  Leidens- 
weissagung (Luk.  943 — 4ö).  Das  heimhche  Reisen  in  Galilaea, 
das  geflissentliche  Sichverljergen  Jesu  wird  da  nicht  berichtet. 
Ist  die  geographische  Bestimmung  nicht  nach  dem  Sinne  des  Lukas 
gewesen  ?  Man  sieht  das  nicht  ein.  Jedenfalls  ist  beachtenswert, 
dass  er  den  Gedanken  der  Heimlichkeit  ganz  tilgt.  Schien  sie 
ihm  unnötig  und  darum  unbegreiflich?  Das  Haus  in  Kaphar- 
naum  (Mr.  9:33)  wird  auch  nicht  genannt.  Der  Zusammenhang 
der  Markuserzählung  ist  dabei  festgehalten :  zuei'st  der  dämonische 
Knabe,  dann  die  Weissagung,  darauf  die  Streitfrage  der  Jünger. 

Fast  noch  auffallender  ist  die  Änderung,  die  sich  nach  der 
"Verklärungsgeschichte    findet.      Der    Befehl  Jesu    fällt    nämlich 


1)  Das  nobg  roig  oovg  (Mr.  5i9)  hat  Lukas  nicht. 

2)  Ähnlich  ist  es,  wenn  Lukas  die  dem  Aussätzigen  gegebene 
"Weisung  zum  Priester  zu  gehen  (5i4)  nicht  mehr  im  Sinne  des  Markus 
versteht.  Denn  dies  scheint  aus  der  Verwendung  des  Zuges  in  der 
verwandten  Geschichte  17i4  hervorzugehen. 


175 

fort.     Statt  dessen  wird  der  Erzählung  folgende  Schlussbemerkung 
beigefügt  [Qm): 

Und  sie  schwiegen  und  verkündeten  niemand  in  jenen 
Tagen  irgend  etwas  von  dem,  was  sie  gesehen  hatten. 
Lukas  wird  bei  diesen  »Tagen«,  wie  ihn  seine  Vorlage  (Mr.  9o) 
anleitete,  an  die  Zeit  bis  zur  Auferstehung  gedacht  haben.  Das 
salyriaccv  kann  man  als  eine  Bezugnahme  auf  das  tov  Xöyov  ^) 
ly-gdvi^oai'  des  Markus  verstehen.  Aber  wie  kommt  es,  dass 
der  Befehl  Jesu  übergangen  wird?  Der  erste  Gedanke  ist: 
Lukas  hat  nicht  mehr  gewusst,  weshalb  Jesus  das  Schweigen  ver- 
langen sollte.  Gerade  wenn  man  voraussetzt,  dass  ihm  die 
Markusanschauung  wirklich  durchsichtig  und  geläufig  gewesen 
wäre,  sollte  man  erwarten,  dass  er  hier  nicht  geändert  hätte. 
Denn  für  sie  ist  es  wesentlich,  dass  Jesus  das  Geheimnis  Avill, 
Bei  Lukas  erscheint  nun  das  Schweigen  der  Jünger  wie  etwas, 
was  berichtet  wird,  weil  es  nun  einmal  stattgefunden  hat  2). 

Eine  recht  bemerkenswerte  Modifikation  des  Markustextes 
zeigt  der  Bericht  über  das  Petrusbekenntnis.  Lukas  verbindet 
die  Leidensweissagung  mit  dem  Verbote  zu  einem  Ganzen  (9  21): 
Er  aber  l)edrohte  sie  und  befahl  ihnen,  dies  niemand 
mitzuteilen,  indem  er  sagte  (eln-iov),  des  Menschen 
Sohn  müsse  viel  leiden  u.  s.  w. 
Man  hat  beobachtet,  dass  Lukas  die  stilistische  Gewohnheit  hat, 
zwei  dm'ch  y.cd  verbundene  Hauptsätze  der  Vorlage  durch  einen 
Hauptsatz  mit  Participium  zu  ersetzen  3).  Man  fragt  aber:  wie 
kami  er  das  in  diesem  Falle?  Ein  Zusammenhang  zwischen 
Verbot  und  Weissagung  ist  zunächst  gar  nicht  leicht  ersichtlich. 
Für  Lukas  muss  er  aber  doch  bestehen.  Dass  das  eiTtiov  eine 
Begründung  giebt,  ist  gewiss  eine  richtige  Annahme  der  meisten 
Erklärer.  Was  soll  es  dann  heissen:  schweigt  darüber,  dass 
ich  der  Christus  Gottes  bin;  denn  ich  muss  leiden,  sterben  und 
auferstehen  ? 

Man  erläutert:  durch  das  Reden  würde  Anlass  zur  Er- 
regung der  unreinen  politischen  Messiasideale  im  Volke  gegeben 
werden;  Jesus  aber  wolle  eine  andere  Messianität^).     Aber  ab- 

1)  Von  Luk.  dann  auf  das  Verbot  bezogen. 

2)  Vgl.  Volkmar  S.  45i». 

3)  S.  den  Nachweis  l)ei  Wer  nie,  Synoiit.  Frage  Ö.  21  ft'. 

4)  So  z.  B.  Holtzmann. 


176 

gesehen  von  schon  geäusserten  Bedenken :  wer  kann  das  aus  dem 
Satze  heraushören?  Eine  andere  Ergänzung  hiutet:  würden  diu'ch 
das  Reden  Hoffnungen  im  Volke  eiTegt,  so  könnte  dies  den 
Vollzug  des  von  Gott  beschlossenen  Leidensschicksals  durch- 
kreuzen *).  Aber  das  klingt  künstlich  und  lässt  sich  durch  sonstige 
Anschauungen  des  Evangelisten  kaum  stützen. 

Mir  scheint  nur  folgende  Auffassung  möglich^).  Noch  ist 
die  Zeit  nicht  da,  wo  Jesus  als  der  Christus  Gottes  dastehen 
kann ;  erst  muss  er  noch  leiden,  sterben  und  auferstehen.  Des- 
halb geht  es  einstweilen  noch  nicht  an,  ihn  als  den  Christus  zu 
verkündigen.  Man  mag  immerhin  auch  sagen:  die  verfrühte 
Verkündigung  würde  eine  irrige  Meinung  im  Volke  erwecken. 
Der  Irrtum  bestände  darin,  dass  man  die  dot^a  des  Christus 
schon  jetzt  erwartete,  oder  auch  darin,  dass  man  die  Notwendig- 
keit des  Leidens  übersähe.  Das  wäre  ja  etwas  Anderes  als 
eine  Furcht  Jesu  vor  gefährlichen  Demonstrationen. 

Ich  führe  dies  absichtlich  noch  weitläufig  aus,  obwohl  die 
Sache  eigentlich  schon  gesagt  ist.  Für  den  Markustext  wm'de 
ja  bereits  ein  entsprechender  Zusammenhang  zwischen  Verbot 
und  Weissagung  vermutet,  ^j  Wir  haben  hier  eine  Bestätigung 
der  Vermutung;  an  diesem  Punkte  ist  aber  die  Hauptsache, 
dass  Lukas  hier  ein  gutes  Verständnis  des  Markus  zu  verraten 
scheint. 

Eine  Parallele  zu  dieser  Stelle  darf  man  in  dem  schon 
angezogenen,  bald  folgenden  Berichte  finden,  der  die  zweite 
Leidensweissagung  bringt  (943.44).  Lukas  giebt  hier  eine  Ein- 
leitung, die  nm'  ihm  selbst  zugeschrieben  werden  kann.  Sie 
dient  dazu,  die  Geschichte  vom  dämonischen  Knaben  mit  der 
Weissagung  zu  verbinden.     Es  heisst: 

^3  (Sie  wm'den  aber  alle  betroffen  über  Gottes  gewaltiger 
Macht).  Da  aber  alle  sich  wunderten  über  alles,  was 
Jesus  that  [nämlich  an  Wundern],  sprach  er  zu  seinen 
Jüngern:  ^^ nehmet  ihr  [betont!]  euch  diese  [sc.  die  fol- 
genden] Worte  zu  Ohren:    der  Sohn   des  Menschen  wird 


1)  So  z.  B.  Meyer. 

2)  Das  Kichtige  besonders  bei  DalmanI  S.  252.     Vgl.  auch  von 
Hof  mann  und  J.  Weiss  z.  St. 

3)  S.  123  f. 


177 

nämlich    (yctg)    ausgeliefert    werden    in    die    Hände    der 
Menschen, 

Hier  soll  doch  das  Dunkel  der  Leidensweissagung  —  die 
Ankündigung  der  Auferstehung  fehlt  —  gewiss  einen  Gegen- 
satz bilden  zu  der  hellen  Stnnniung  der  Menge.  Das  Volk  ist 
voll  Bewunderung  und  Hoffnung i).  Die  Jünger  sollen  sich  da- 
durch von  ihm  unterscheiden,  dass  sie  merken:  noch  steht  das 
Schwerste  bevor,  erst  geht  es  in  die  Tiefe.  So  sieht  die  freu- 
dige Stimmung  der  Menge  wie  etwas  Vorzeitiges,  fast  wie  ein 
Irrtum  aus.     Das  ist  in  der  That  mit  92if.  nah  verwandt. 

Soll  nun  das  ganze  Leidensdrama  erst  vor  der  Verkündigung 
des  Messias  sich  abspielen,  so  scheint  das,  wie  gesagt,  nichts 
Anderes  zu  sein  als  der  Gedanke  des  Markus,  dass  der  Messias 
erst  nach  der  Auferstehung  kund  werden  kann. 

Nichtsdestoweniger  bleibt  der  Eindruck,  dass  Lukas  diesen 
Gedanken  nicht  nur  zurücktreten  lässt,  sondern  ihn  auch  nicht 
wirklich  hat,  so  verwandt  seine  eigene  Vorstellung  sein  mag. 

Die  Spuren  davon,  dass  er  mit  der  Heimlichkeit  Jesu  nichts 
mehr  anzufangen  weiss,  lassen  sich  doch  nicht  übersehen.  Da- 
zu kommt,  dass  er,  der  seiner  Darstellung  doch  zweifellos  eine 
eigene  Färbung  gegeben  hat  und  gewisse  Motive,  die  ihm  wert- 
voll sind,  erkennbar  genug  zum  Ausdruck  bringt,  niemals,  so 
viel  ich  sehe,  von  sich  aus  das  Geheimnis  in  die  Geschichte  ein- 
führt. Und  wiederum  finden  sich  positive  Züge,  in  denen  wir 
seine  Hand  erkennen  dürfen,  die  in  dieselbe  Richtung  weisen. 
Zwei  Momente  wenigstens  sind  m.  E.  nicht  ohne  Bedeutung. 

Programmartig  hat  Lukas  an  den  Anfang  der  Wirksamkeit 
Jesu  die  Szene  in  der  Synagoge  von  Nazaret  4i6 — 30  gestellt. 
Hier  liest  er  das  Wort  des  Jesaja  (61 1.2)  von  der  Salbung  zum 
messianischem  Berufe  vor  und  spricht  dann: 

Heute  ist  diese  Schrift  erfüllt  worden  vor  euren  Ohren. 
Das  ist  doch  nichts  Anderes  als  eine  messianische  Selbstprokla- 
mation. Und  wenn  nun  Lukas  sehr  wahrscheinhch  selbst  diese 
Szene,  soweit  sie  sich  von  Markus  entfernt,  gebildet,  sicher  aber 
sie  als  bezeichnende  Einleitung  der  folgenden  Geschichtsdar- 
stellung gedacht  hat,  so  hat  man  doch  den  Eindruck:  er  thut 
hier  etwas,   was  Markus  kaum  gethan  hätte.      So   viele  Wider- 


1)  Vgl.  Holtznianu  z,  St. 
Wrode,  Mossiasgeheimnis.  12 


178 

Sprüche  mit  dem  Gedanken  der  geheimen  Messianität  sich  bei 
Markus  finden  mögen,  dieser  ist  anders  beschaffen.  Er  sieht 
aus  wie  eine  Verleugnung  des  Gedankens  selbst. 

Sodann  hat  Lukas  doch  wohl  eine  andere  Vorstellung  vom 
Verhältnis  des  Volkes  zu  Jesus.  Das  Volk  erscheint  zwar  nicht 
im  Besitz  der  Erkenntnis,  dass  er  der  Messias  ist,  aber  es  er- 
wartet in  Hoffnung,  dass  er  es  werden  wird,  täuscht  sich  freilich 
insofern,  als  es  an  Leiden  und  Todesurteil  nicht  denkt.  Deut- 
lich ist  namentlich  die  Bemerkung  19ii  (vgl.  943 f.). ^)  Das  sieht 
auch  anders  aus,  als  wenn  ihm  das  Wissen  um  die  Messianität 
ängstlich  verheimlicht  wird. 

Es  bleibe  hier  bei  der  Feststellung  der  widerstreitenden 
Eindrücke.  (Jb  sich  eine  klarere  Vorstellung  gewinnen  lässt, 
wird  sich  später  zeigen. 


Das  Ergebnis  für  die  beiden  Synoptiker  lässt  sich  einst- 
weilen so  zusammenfassen: 

Matthaeus  hat  für  uns  eigentlich  kein  weiteres  Interesse, 
als  dass  wir  an  ihm  sehen,  wie  die  Anschauung  des  Markus 
verschwindet.  Überbleibsel  davon  sind  genug  vorhanden. 
Aber  dass  Jesus  die  Messianität  verbu-gt,  hat  keine  wirkliche 
Bedeutung  mehr.  Die  Beurteilung  des  Jüngerverständnisses  ist 
positiv  eine  andere. 

Lukas  steht  dem  Markus  entschieden  näher.  Die  Geheim- 
haltung der  Messianität  scheint  zwar  auch  für  ihn  nicht  mehr 
ein  lebendiger  Gedanke  zu  sein,  aber  man  hat  doch  den  Ein- 
druck, dass  er  ihm  noch  etwas  abgewinnen  kann.  Die  Auf- 
fassung der  Jünger  ist  auch  eine  andere,  günstigere  geworden, 
aber  ein  fester  und  wichtiger  Gedanke  bleibt  es,  dass  sie  für  das 
Geheimnis  des  Leidens,  Sterbens  und  Auferstehens  ohne  Ver- 
ständnis sind;  der  Sinn  des  Gedankens  sieht  freilich  A\äeder 
etwas  anders  aus  als  bei  Markus,  eben  weil  die  Grundansicht 
von  den  Jüngern  eine  andere  ist.  — 

1)  Lukas  hat  die  Vorstellung,  dass  Jesus  bis  in  sein  Todesleiden 
von  der  Sympathie  des  Volkes  oder  doch  grösserer  Volksmassen  ge- 
tragen wird.  Die  jüdische  Obrigkeit  steht  natürlich  anders.  Vgl. 
ausser  19ii:  1948,  2045,  2138,  222.6,  2337.48  (hier  ist  doch  wohl  nur  an 
Trauer  gedacht,  trotz  Syr.  Cur.),  auch  1937,  206,  232.5. 


179 

Auch  in  diesem  Gesamtergebnis  kann  uns  die  Untersuchung 
des  Matthaeus  und  Lukas  die  Richtigkeit  unserer  kritischen 
Voraussetzung,  dass  Markus  beiden  zu  Grunde  liege,  nur  be- 
stätigen. Bei  Markus  haben  wir  eine  zwar  keineswegs  wider- 
spruchsfreie, aber  doch  die  ganze  Erzählung  deutlich  beherr- 
schende Gesamtanschauung.  Man  versuche  hier  Matthaeus  als 
Quelle  des  Markus  zu  denken ;  man  stelle  sich  vor,  dass  Markus 
die  fragmentarischen  Momente  des  Matthaeusberichts  erweitert, 
ergänzt  und  zu  einer  geschlossenen  Auffassung  umgebildet  hätte. 
Das  Verhältnis  des  Lukas  zu  Markus  wird  ohnehin  heute  nicht 
leicht  so  angesehen  werden.  Aber  man  ninunt  ja  an,  dass  unser 
Markus  sekundär  sei  gegenüber  einer  Gestalt  des  EvangeUuras, 
wie  sie  Lukas  benutzt  hätte,  dass  er  mithin  insofern  nicht  vor 
Lukas  stehe.  Ich  denke,  auch  dieser  Auffassung  ist  unsere 
Untersuchung  nicht  günstig.  Sollen  Züge  wie  Mr.  7i8.24.36 
8 16 f.  26,  die  so  trefflich  zum  Übrigen  passen,  erst  von  einem  Be- 
arbeiter des  Markus  geschaffen  worden  sein?  Ob  materiell  die 
Anschauung  vom  geheimen  Christus  leichter  als  etwas  Altes,  in 
den  späteren  Evangelien  Verschwindendes  gedacht  werden  kann 
oder  umgekehi't,  soll  dabei  ganz  ausser  Frage  bleiben. 


2. 
Jolianues. 


Die  Anschauung  des  Johannesevangeliums  von  Jesus  wird 
nicht  durch  den  Messiasbegriff  charakterisiert.  Zwar  ist  er  für 
das  Evangelium  nicht  ohne  Bedeutung.  Schon  die  Polemik 
gegen  die  jüdische  Kirche,  die  das  Evangelium  von  Anfang  bis 
zu  Ende  dm'chzieht'),  macht  ihn  dem  EvangeHsten  wichtig. 
Er  muss  nachweisen,  dass  sein  Messias  den  Anforderungen  der 
Juden  an  den  Messias  nicht  widerspricht,  oder  dass  Mängel,  die 


1)  Vgl.  Weizsäcker,  Apostol.  Zeitalter  S.  543  tf.,  und  meine  Be- 
merkungen Göttinger  gel.  Anz.  190Ü  S.  1  ff.  Auch  Jiilicher  hat  in  der 
neuen  (3.  und  4.)  Auflage  seiner  Einleitung  dieser  Auffassung  erfreu- 
licher Weise  sehr  entschiedenen  Ausdruck  gegeben  (S.  335  ff"). 

12* 


180 

man  an  diesem  Messias  nach  einer  festen  messianischen  Dogmatik 
betont,  in  Wahrheit  nicht  vorhanden  oder  belanglos  sind.  Aber 
für  seine  eigene  und  eigentliche  Anschauung  von  Jesus  ist 
Messias  nicht  mehr  der  erschöpfende  und  ^^drkhch  zutreffende 
Begriff.  Der  eingeborene  Sohn  Gottes,  der  Logos,  das  Licht 
der  Welt,  das  Brot  des  Lebens,  der  Bringer  der  Wahrheit  — 
das  sind  Prädikate,  die  nicht  nur  die  spezielle  Beziehimg  auf 
Israel  eingebüsst  haben,  sondern  auch  dem  Wesen  und  der 
Leistung  Jesu  einen  Sinn  geben,  den  kein  Jude  je  in  den 
Messiasgedanken  hineingelegt  hatte.  Man  kann  des  Glaubens 
sein,  dass  schon  bei  Markus  der  ursprünglich  jüdische  Messias- 
begriff im  Verblassen  ist.  Dass  aber  das  JohannesevangeHum 
in  dieser  Beziehung  noch  auf  einer  wesentlich  anderen  Stufe 
steht,  ist  jedem  leidlich  kundigen  Leser  klar. 

Werden  wir  dann  erwarten,  in  dieser  Schrift  etwas  über 
das  Messiasgeheimnis  zu  hören?  Nun,  wenn  nicht,  so  schiede 
darum  das  Evangelium  aus  unserer  Betrachtung  nicht  aus. 
Wir  werden  allerdings  die  Frage  von  vornherein  etwas  anders 
stellen  als  für  die  Synoptiker;  sie  lautet  hier:  hält  Jesus  sein 
ül)erirdisches  Wesen  und  die  göttliche  Wahrheit  im  Verborgenen, 
oder  bleibt  doch  beides  in  seinem  irdischen  Leihen  thatsächlicli 
verborgen?  Hören  wir  darüber  etwas,  so  handelt  es  sich 
offenbar  im  Wesen  um  die  gleiche  Sache  wie  bisher. 

Das  ganze  Evangelimn  ist  nun  freilich  so  geartet,  dass 
a  priori  niemand  darauf  verfallen  kann,  einen  solchen  Gedanken 
in  ihm  zu  suchen.  Was  ist  denn  das  Handeln  und  Reden  des 
johanneischen  Christus  anders  als  eine  fortgehende  Offenbarung? 
Über  seine  Reden  liesse  sich  als  Motto  das  Wort  an  den 
Hohenpriester  setzen : 

Ich  habe  offen  zur  Welt  geredet  .  .  .  und  im  Geheimen 
habe  ich  nichts  geredet  (18 20). 
Die  höchsten  Geheimnisse  über  seinen  Vater,  sich  selbst 
und  sein  Verhältnis  zu  ihm  legt  er  dem  Einzelnen  wie  der 
Menge,  Gegnern  wie  Freunden  von  Anfang  an  unermüdet  dar. 
Er  stellt  es  als  seinen  Beruf  hin,  weiter  zu  sagen,  was  er  von 
seinem  Vater  vernommen  hat.  In  seinen  Thaten  aber  giebt  er 
die  Ergänzung.  Sie  sind  die  Offenbarung  seiner  do^a,  die 
sichtbaren  Ausstrahlungen  seiner  himmlischen  Natur,  die  öfient- 


181 

liehe  Bekräftigung  seiner  Ansprüche,  der  Text,  den  seine  Reden 
auslegen.  Dazu  kommt,  dass  es  an  richtiger  Erkenntnis  seiner 
Person  nicht  fehlt.  Der  Täufer  steht  darin  nicht  allein,  auch 
die  Jünger  wissen  sehr  schnell,  dass  sie  den  Messias  gefunden 
haben.  Das  samaritanische  Weib  und  seine  Landsleute  erkennen 
ihn  als  Heiland  der  Welt  (442),  und  Martha  findet  die  gleichen 
Worte  des  Bekenntnisses  wie  Petrus  (11 27,  vgl.  669). 

Dennoch  ist  die  Idee  des  geheimen  Christus  —  im 
weitesten  Siinie  —  dem  Johannes  nicht  unbekannt.  Und  das 
ist  um  so  wertvoller,  als  hier  der  Stoff  des  Markus  gar  keine 
Rolle  mehr  spielt.  Fast  alle  konkreten  Züge  seiner  Darstellung, 
die  uns  interessierten,  sind  verschwunden.  Wir  hören  nichts 
mehr  von  den  Dämonen  und  ilii-em  Wissen,  nichts  von  heim- 
lich vollbrachten  Wundern,  von  der  Isolierung  mit  Jüngern  oder 
Yertrauten,  von  der  himmlischen  Bezeugung  des  Gottessohnes 
bei  der  Verklärung  i),  von  der  Belehrung  über  die  ans  Volk 
ergehende  Parabelrede  und  vor  allem  von  den  drohenden 
Worten,  in  denen  das  Reden  untersagt  wird.  Das  Petrusbe- 
kenntnis findet  sich  zwar  wieder,  aber  es  hat  einen  neuen  Sinn, 
es  ist  das  Gelöbnis  treuer  Anhänglichkeit  (609).  Leidens-  und 
Auferstehungsweissagungen  hat  das  Johannesevangelium  auch, 
sogar  in  Fülle,  aber  an  den  eigentümlichen  Schnitt  der 
Weissagungen  bei  Markus  erinnert  keine.  Von  einem  Reden 
in  Gleichnissen  (16  25)  ist  wohl  die  Rede,  aber  in  ganz  be- 
sonderer Weise.  So  laufen  höchstens  dünne  Fäden  zwischen 
dem  Materiale  hüben  und  drüben. 

Es  trifft  sich  glückhch,  dass  wir  an  den  späteren  EvarigeUen 
den  Vergleich  mit  Markus  in  so  verschiedener  Weise  vollziehen 
können.  Es  hat  seinen  Wert,  zu  verfolgen,  wie  der  konkrete 
Stoff,  in  dem  sich  die  Anschauung  des  Markus  ausprägt,  von 
Matthaeus  und  Lukas  aufgenommen  und  verändert  wird.  Es 
hat  auch  seinen  Wert  —  und  freilich  einen  höheren  — ,  in 
einem  Evangehum  nahverwandte  Gedanken  zu  finden,  bei 
dem  die  Frage,  wie  jener  Stoff  behandelt  wird,  ganz  abge- 
schnitten ist. 

Auch  Johannes  berichtet  gelegentlich,  Jesus  habe  sich  ver- 
borgen oder    vor  der  Menge  zurückgezogen.      Vielleicht   denkt 

1)  1288  enthält  eine  andere  Aussage  als  die  synoptische  Stelle. 


182 

man  zuerst,  dass  es  auf  diese  Züge  ankomme.  Aber  gerade 
sie  haben  mit  der  Idee,  die  wir  verfolgen,  nichts  zu  thun. 
Jesus  verbirgt  sich  oder  geht  in  die  Einsamkeit,  weil  ihm 
Feindschaft  entgegentritt,  und  er  doch  noch  nicht  sterben  soll 
(859  vgl.  1236,  IO39,  llssf. ).  Er  zieht  sich  vor  dem  Volke  auf 
den  Berg  zmück  (615),  weil  er  die  äussere  Königswürde,  die 
ihm  aufgedrängt  werden  soll,  nicht  will.  Er  entweicht  der 
Menge  (IBevevoev  5 13),  weil  er  ihre  Gegenwart  für  den  Augen- 
blick nicht  wünscht,  etwa  um  keinen  Tumult  zu  en'egen.  Es 
ist  möghch,  dass  in  solchen  Bemerkungen  etwas  von  den 
synoptischen  Daten  nachklingt.  Aber  gewiss  ist,  dass  es  sich 
hier  nur  um  untergeordnete  Erzähluhgsmotive,  nicht  um  einen 
theologischen  Gedanken  handelt. 

Ebensowenig  ist  es  hier  von  Bedeutung,  dass  Jesu  Aufenthalt 
in  Galilaea  als  ein  Eivai  ev  -/.Qvnti^  charakterisiert  wird  (7i.3.4). 
Das  Weilen  in  Galilaea  erscheint  bei  Johannes  als  Ausnahme. 
Es  bedarf  besonderer  Rechtfertigung: 

Er    wollte  nicht    in    Judaea  wandeln,    weil    die   Juden 

ihn  zu  töten  suchten, 
und,  muss  man  hinzusetzen,  weil  seine  Zeit  doch  noch  nicht  da 
war  (7 1.6  vgl.  4iff.  43ff).  In  dieser  Vorstellung  giebt  sich  gewiss 
charakteristisch  kund,  wie  der  Schauplatz  bei  Johannes  ver- 
schoben ist,  und  wne  seine  historische  Anschauung  von  ihm 
geartet  ist.  Judaea  und  Galilaea  sind  fast  zu  blossen  Aus- 
driicken  für  die  Idee  der  Öffentlichkeit  und  der  Verborgenheit 
geworden.  Man  sieht  femer  leicht,  wie  der  Evangelist  Jesus 
hier  vor  dem  Voi^wurfe,  er  sei  ein  Winkelprophet,  in  Schutz 
nimmt,  indem  er  einen  bestimmten  plausibeln  Grund  für  den 
Aufenthalt  in  Galilaea  angiebt,  und  wie  er  gleichzeitig  in  dieser 
Form  der  älteren  Überlief ening  seinen  Zoll  entrichtet,  die 
Jesus  nun  einmal  nach  Galilaea  versetzte  ^).  Aber  die  Moti- 
vierung beweist  auch  liier,  dass  er  nicht  daran  denkt,  Jesus 
habe  in  irgend  einem  allgemeinen  Sinne  sein  Wesen  ver- 
hüllen wollen. 

Das  Wichtigste  und  Deuthchste  ist  im  Evangelium  jeden- 
falls,   was    wir    über     die    Jünger    hören.       Es    kommen     da 

1)  Vgl.  Bälden  sperger,  Der  Prolog  des  vierten  Evangeliums  S.120, 
Wer  nie,  Zeitschr.  für  neutestam.  Wiss.  1900  S.  56  f. 


183 

einige  Bemerkungen  des  Evangelisten  selbst   in  Betracht,   noch 
mehr  aber  gewisse  Worte  Jesu  an  die  Jünger. 

Nahe  unter  einander  verwandt  sind  zunächst  folgende 
Stellen: 

222:     Als  er  nun  von  den  Toten  erweckt  ward,   da   ge- 
dachten seine  Jünger   daran,    dass   er    dies  [das  Wort  vom 
'kveiv  und  tyeiQtiv  des  vaög,  d.  h.  des  oo}f.ia]  sagte,  und  sie 
glaubten  der  Schrift  und  dem  Worte,  das  Jesus  geredet  hatte  i). 
12 ig:     Dies   [die   Übereinstimmung   des   Einzugs   Jesu   mit  der 
Weissagung  Sach.  99]  erkannten  seine  Jünger  vorerst  nicht, 
aber  als  Jesus  verherrlicht  wurde  (söo^daO-ri),   da  ge- 
dachten   sie  daran,  dass  dies  auf  ihn    hin  geschrieben  war, 
und    dass    man    ihm    dies    [das    Sach.  9    Geweissagte   mit 
der  Huldigung  beim  Einzüge]  erwiesen  hatte. 
20  y  (Auferstehungsbericht):     denn    noch  hatten    sie    die  Schrift 
nicht  verstanden,  dass  er  von  den  Toten  auferstehen  müsse. 
In  diesen  Stellen  ist  unverkennbar  ausgesprochen,  dass  mit 
der  Auferstehung  oder  Verherrlichung  Jesu  für  die  Jünger  eine 
Phase  höherer  Erkenntnis  beginnt.     Das  letzte  Wort  darf  hier- 
hergezogen werden,  weil  es  sichtlich  die  Erkenntnis  der  Schrift- 
weissagung auch  von  der  Auferstehung  selbst  datiert. 

Die  zweite  dieser  Stellen  ist  die  wichtigste.  Die  beiden 
andern  würden  den  Gedanken  zulassen,  dass  ganz  naturgemäss 
die  Auferstehungsweissagungen  erst  mit  ihrer  Erfüllvmg  den 
Jüngern  klar  werden.  Das  zweite  Wort  entzieht  sich  derartiger 
Ziu-echtlegung.  Der  messianische  Einzug  und  die  messianische 
Huldigung  dal)ei  stehen  in  keiner  spezielleren  Beziehung  zur 
Verherrlichung  oder  Auferstehung  Jesu  als  irgend  ein  anderes 
bedeutungsvolles  Ereignis  seines  Lebens  oder  irgend  ein  wichtiger 
Ausspruch.  Hier  liegt  sichtlich  die  allgemeine  Vorstellung  zu 
Grunde,  dass  gewisse  Thatsachen  seiner  Geschichte    selbst   den 


1)  Ganz  entsj)rechend  sagt  Ju  stin,  Dial.  c.  Tryph.  c.  107  mit  Be- 
zug auf  das  Wort  vom  Zeichen  des  Propheten  Jonas:  xnl  TctCrn  Xsyovrog 
(tvTov  7iK(jax(xttXv/jjitsv(t  rjv  vofTad^fti  ino  jiüv  dxovövTwv  oti  /jfTit  rb 
aTav()w,i^^vai  avtbv  Trj  t()itij  >)fJfQ(<  ((vttoTrjatTfxt.  Matthaeus  (124o)  sagt 
davon  noch  nichts.  Ziehen  wir  Lukas  hinzu,  der  wieder  die  Deutung 
des  Matthaeus  noch  nicht  kennt,  so  haben  wir  drei  Stufen:  Lukas, 
Matthaeus,  Justin. 


184 

Jüngern  anfänglich  dunkel  blieben,  nach  seinem  Siege  über  den 
Tod  aber  hell  und  deuthch  \\'urden. 

Ohne  Weiteres  darf  man  mit  diesem  Gedanken  zwei 
andere  Stellen  erläutern;  obschon  sie  von  Verherrlichung  nichts 
sagen. 

Nachdem  Jesus  den  Verräter  zu  seinem  schwarzen  Werke 
aufgemfen  hat: 

was  du  thust,  das  thue  bald, 
heisst  es  1328: 

Dies  aber  verstand  keiner  von  den  Tischgenossen,  wo- 
zu er  ihm  dies  sagte. 
Aus  der  Situation  empfängt  diese  Bemerkung  kein  Licht. 
Denn  nach  dem  voraufgehenden  Reden  und  Handeln  Jesu,  wo- 
durch der  VeiTäter  deutlich  bezeichnet  ist,  war  es  nicht  möghch, 
jene  Aufforderung  misszuverstehen.  Die  Berufung  auf  die  im 
Evangelium  gewöhnhchen  Missverständnisse  reicht  hier  auch  nicht 
ganz  aus.  V.  29  folgt  zwar  ein  solches  Missverständnis  ganz 
im  sonstigen  Stil:  Einige  wähnten,  Jesus  habe  Judas,  weil  er 
die  Kasse  führte  —  in  der  Nacht!  —  aufgefordert,  Einkäufe 
für  das  Fest  zu  machen  oder  den  Armen  etwas  zu  geben. 
Aber  der  allgemeiner  lautende  Satz  V.  28  sagt  eben  noch  mehr; 
er  hebt  heiTor,  dass  das  Wort  an  Judas  überhaupt  unverstanden 
bheb.  Alles  ist  klar,  wenn  wir  ergänzen  dürfen:  solche  wichtige 
Andeutungen  und  Weissagungen  Jesu  —  denn  als  Weissagung 
wird  sein  Wort  betrachtet  —  mussten  den  Jüngern  bis  zur 
Aufei-stehung  völUg  dunkel  bleiben. 

Ebenso  wird  das  Wort  an  Petrus  bei  der  Fusswaschung 
(13?)  zu  deuten  sein: 

was  ich  thue,    weisst  du  jetzt   nicht,   du   wirst  es   aber 

später  begreifen. 
Die    Handlung    Jesu     hat     eine     geheime     Bedeutung.       Der 
Evangelist    hat    dabei  höchst  wahrscheinlich    an    die  Taufe    ge- 
dacht.    Der  Satz  V.  10  : 

AVer  gewaschen  ist,   hat  nicht  nötig,  sich  (weiter)  netzen 

zu  lassen  i),  sondern  er  ist  ganz  rein, 
zeigt  in  Verbindung   mit  anderen  Momenten,   dass   das  Wasser 
nicht  mehr  wie  im  Anfang    der  Erzählung    das  bedeutungslose 


1)  Das  fi  II rj  Toig  noöctg  hinter  rCv^aal^tu  ist  zu  streichen. 


185 

Mittel  für  den  Demutsdienst  der  Fusswaschung  ist,  vielmehr 
etwas  bedeutet:  es  weist  auf  die  »Reinigung« i).  Dieser  Sinn 
der  Handlung  wird  also  dem  Petrus  einst  offenbar  werden. 

Man  kann  schon  hiernach  nicht  bezweifeln,  dass  Johannes 
hinsichtlich  der  Jüngererkenntnis  eine  Anschauung  hat,  die  der 
des  Markus  aufs  Nächste  verwandt  ist.  AVertvoll  ist  dabei, 
dass  er  ausdrücklich  die  Auferstehung  als  den  entscheidenden 
Zeitpunkt  hervorhebt.  Markus  hat  das  bei  den  Aussagen  über 
die  Jünger  nirgends  gethan.  Trotzdem  habe  ich  ihn  mit  dem 
Gedanken  interpretiert.  Bedarf  es  noch  der  Rechtfertigung,  so 
ist  sie  hier  gegeben. 

Aber  die  Anschauung  ist  nicht  blos  vorhanden,  in  gewissem 
Sinne  beherrscht  sie  die  Darstellung  des  Evangelisten,  Das 
zeigen  mit  voller  Deuthchkeit  die  Abschiedsreden.  Sie  sind 
die  eigentlichste  Jüngerbelehning,  die  das  Fvangelium  enthält. 
Sie  blicken  überall  auf  den  bevorstehenden  Umschwung  im 
Jüngerleben  hin.  So  ist  es  nur  natürlich,  dass  hier  der  Ge- 
danke ganz  besonders  im  Vordergrunde  steht. 

Ich  hebe  zunächst  folgende  drei  Äusserungen  heraus: 
14-20:  An  jenem  Tage  werdet  ihr  erkennen,  dass   ich  im  Vater 

bin,  und  ihr  in  mir,  wie  ich  in  euch. 
I612:  Noch  viel   hätte   ich  euch    zu  sagen,  aber  ihr  vermögt  es 

nicht    zu   tragen    {ßaocaCsir)   für    jetzt;    wenn    er  (s/Mvog) 

aber  kommt,  der  Geist  der  Wahrheit,  der  wird  euch  leiten 

zu  aller  Wahrheit. 
16 25:  Dieses  habe  ich  in  Rätselbildern  (r-r  Tiagoifiiaig)  zu  euch 

geredet:    es    kommt    die    Stunde,    da    ich    nicht    mehr    in 

Rätselbildern  zu  euch  reden,  sondern  offen  {TraQQrjöLo)  euch 

vom  Vater  verkündigen  werde. 

Der  »Tag«  oder  »die  Stunde«  ist  der  Moment,  ore  6  ^Ir^aovg 
ido^da^Ti.  Dieser  Moment  ist  aber  als  der  Anbruch  einer  neuen 
Periode  gedacht.  Es  folgt  für  die  Jünger  eine  Periode  des 
Wissens  als  das  Widerspiel  der  früheren  Zeit.  Wenn  sie  »nun« 
erkennen  werden,    so  haben  sie  vorher  nicht  erkannt;    wenn  sie 


1)  Näheres  bei  0.  Holtzmaun,  das  Jobannosevang-elium  (1887) 
und  H.  Holtzmann,  HC  z.  St.  Schon  Kirchenväter  haben  die 
Allegorie  herausgefunden. 


186 

nun  »offen«     vom  Vater  hören  werden,    so  haben  sie  bisher  nur 
dunkle,  undurchsichtige  Rede  über  ihn  vernommen. 

Der  EvaugeHst  lässt  seinen  Jesus  aber  sagen,  dass  er  den 
Jüngern  in  der  Gegenwart  nicht  alles  sagen  will,  oder  dass  er, 
was  er  sagt,  in  rätselhafte  Bilder  hüllt,  offenbar,  damit 
es  nicht  verständhch  sei  wie  die  eigentliche  Rede.  Und  doch 
ei-scheint  dies  Verbergen  und  Verschleiern  iiicht  als  der  eigent- 
Kche  Wille,  als  der  AVunsch  Jesu,  es  ist  in  Wahrheit  nur  sein 
notgedrungenes  Verfahren.  Die  Schwäche  der  Jünger  ist  zu 
gross,  um  alles  aufnehmen  zu  können.  Die  Lehre  zu  gewaltig, 
zu  liimmelhoch,  um  in  die  erdbefangenen  Sinne  eingehen  zu 
können.  Das  Verschweigen  oder  Zurückhalten  Jesu  nimmt  so 
die  Form  einer  natürlichen  und  nötigen  pädagogischen  Massregel 
an.  Der  eigentliche  Grund  liegt  in  dem  Al^stande  zwischen  der 
Fähigkeit  der  Jünger  und  dem  transzendenten  Charakter  der 
Lehre  Jesu. 

Man  hat  die  angezogenen  Worte  wesentlich  anders  aufgefasst. 
Ehe  ich  den  Gedanken  des  Evangehums  verfolge,  setze  ich  mich 
mit  dieser  Auffassung  auseinander. 

Weizsäcker  1)  hat  in  geistvoller  Art  den  Gedanken  durch-^ 
geführt,  dass  der  EvangeHst  den  scheidenden  Jesus  auf  die  Lehre 
des  Johannesevangeliums  selber  hinweisen  lasse,  und  zwar  im 
Gegensatze  zur  älteren  apostohschen  Lehi-e.  Der  Geist  sei  ge- 
dacht als  die  Quelle  neuer  Offenbarung.  Diese  Offenbamng 
stelle  sich  eben  in  der  Lehre  des  Evangeliums  dar.  Die  neue 
Erkenntnis  verhalte  sich  zu  der  früheren  des  Urchristentums  und 
der  Urapostel  wie  die  offene  Wahrheit  zum  verhüllten  Bilde 
{Tragoifiia).  Wenn  imn  Jesus  auf  sie  hinweise,  so  solle  sie  da- 
mit aus  seinem  eignen  Munde  beglaubigt  werden.  Freihch 
werde  sie  keineswegs  in  einen  wirklichen  Gegensatz  zur  älteren 
Lehre  gestellt.  Der  Zusammenhang  mit  dieser  und  das  An- 
sehen der  Urapostel  werde  ausdrücklich  aufrecht  erhalten,  weim 
ihr  Zeugnis  152?  ^j  flir  die  Zukunft  neben  das  des  Geistes  ge- 
stellt werde. 


1)  Weizsäcker,  Apostol.  Zeitalter  S.  537  f.   Sehr  ähnlich  Wer  nie. 
Zeitschr.  f.  neutest.  Wiss.  1900  S.  61  f. 

2)  ....  er    (der  tikqixxXtitos)    wird  zeugen  von  mir,   aber  auch  ihr 
(yM't  v^ui  (ii)  zeuget,  weil  ihr  von  Anfang  an  bei  mir  (gewesen)  seid. 


187 

Diese  s.  z.  s.  montanistische  Aiiß'assung,  die  ich  selbst  eine 
Zeit  lang  geteilt  habe,  wäre  für  den  Charakter  der  johanneischen 
Darstellung  eine  Erkenntnis  von  hoher  Bedeutung  —  wenn  sie 
richtig  wäre.     Allein  sie  ist  nicht  lichtig. 

Dagegen  lässt  sich  zwar  nichts  erinnern,  dass  die  Lehre, 
die  der  Geist  der  Wahrheit  enthüllt,  sachlich  mit  der  Christus- 
lehre des  Evangeliums  selber  zusammenfällt.  Das  werden  wir 
noch  erkennen.  Aber  damit  ist  nicht  gegeben,  dass  die  Lehre 
des  Evangeliums  einer  älteren  urapostolischen  Auffassung  gegen- 
übergestellt wird,  sei  es  auch  nur  wie  die  Pflanze  dem  Keim 
oder  wie  das  Deutliche  dem  Verhüllten. 

Man  könnte  freihch  versucht  sein,  in  dem  Dasein  des  Evan- 
geliums selbst,  in  der  Thatsache,  dass  es  gescluieben  wurde,  obwohl 
es  bereits  andere  Evangelien  gab,  eine  Bestätigung  der  Ansicht 
zu  sehen.  Hätte  der  Verfasser  sein  Werk  geschrieben,  wenn 
ihm  die  Evangelien,  die  er  kannte,  genügten?  Das  muss  man 
in  der  That  stark  bezweifeln.  Aber  daraus  folgt  nichts.  Man 
hat  doch  auch  allen  Grund  zu  dem  Glauben,  dass  er  den  Unter- 
schied seiner  Schrift  von  früheren  Evangelien  nicht  wie  ein 
Historiker  von  heute  betrachtet  hat.  Zweifellos  hat  ihn  seine 
eigene  Lehre  aus  ihren  Worten  immer  wieder  angeblickt,  unver- 
meidlich hat  er  sie  in  sie  hineingelesen.  Man  denke  etwa  an 
AVorte  über  den  »Sohn  Gottes«.  Nur  werden  die  vorhandenen 
Schriften  ihm  nicht  deutlich  genug  zum  Ausdruck  gebracht 
haben,  was  ihm  am  Herzen  lag,  was  insbesondere  in  dem 
Kampfe  der  Gemeinde  gegen  ihren  Rivalen,  das  Judentum,  zu 
sagen  notthat.  Aber  hätte  er  selbst  stärker,  als  ich  für  wahr- 
scheinlich halten  kann,  die  Auffassung  der  älteren  Evangelien 
gering,  mangelhaft  oder  gar  anstössig  gefunden  —  im  Einzelnen 
wird  es  manchmal  der  Fall  gewesen  sein  — ,  so  brauchte  er  sie 
doch  nicht  mit  den  Uraposteln  zu  identifizieren.  Konnte  er  von 
der  Lehre  Christi  sagen :  meine  Vorgänger  haben  sie  noch  nicht 
in  der  rechten  Höhe  dargestellt,  so  konnte  er  das  Gleiche  Avohl 
auch  von  der  Lehre  der  Apostel  sagen. 

Bleiben  wir  also  bei  den  Abschiedsreden  selbst  stehen.  Sie 
lassen  keinen  Zweifel  übrig,  dass  Weizsäckei-s  Meinung  ein  Irr- 
tum ist. 

Zunächst  sollte  man  erwarten,  der  Evangelist  hätte  deut- 
licher geredet,    hätte    er  jene  Unterscheidung    im  Auge  gehabt. 


188 

Es  ist  vor  allem  gar  keine  sichere  Hindeutimg  auf  den  Inhalt  der 
neuen  Erkenntnis  im  Gegensatze  zur  alten  gegeben.  Ein  be- 
stimmter Inhalt  müsste  doch  als  neu  gedacht  sein,  eine  höhere 
Christuslehre  müsste  bewusst  von  einer  unzureichenden,  rudimen- 
tären untei-schieden  sein.  Sollte  dann  nicht  wenigstens  ange- 
deutet sein,  in  welcher  Richtung  das  zu  suchen  ist,  was  die 
Jünger  zur  Zeit  nicht  tragen  können,  und  was  Jesus  hinter  den 
Traooif-iiai  verbirgt?  Sollte  nicht  eine  gegensätzliche  For- 
mulierung auf  eine  bestimmte  Spur  weisen?  Der  kennt  den 
Evangelisten  schlecht,  der  da  meint,  er  hätte  solche  Andeutungen 
nicht  geben  können,  um  nicht  aus  der  Rolle  zu  fallen.  In  dem 
angefülu*ten  Ausspruche  16  25  sagt  Jesus  z.  B.,  dass  er  einst 
Ttegl  rov  TtaiQog  offen  reden  wird.  Ist  das  ein  Punkt,  wo 
man  an  eine  Überbietung  der  apostolischen  Lehre  durch  die 
spätere  Geistesunterweisung  denken  wird? 

Sodann  aber  verheisst  Jesus  ja  eben  den  Jüngern  den 
Geist,  die  nach  seinen  Worten  schwach,  unreif  und  unfähig  zur 
vollen  Erkenntnis  sind.  Sie  selbst  sollen  vom  Geiste  in  alle 
Wahrheit  geleitet  werden.  Man  verkennt  den  historischen  Stil 
des  Evangelisten,  wenn  man  ihm  zutraut,  dass  er  in  dieser  Art 
die  von  ihm  selbst  fixierte  historische  Situation  —  Jesus  vor 
seinem  Tode  im  Gespräch  mit  seinen  -wirklichen  Jüngern  — 
einfach  überspringe  und  als  Objekte  der  Geistesbelehrung  solche 
denke,  die  gerade  nicht  die  Jünger,  sondern  Spätere  und  Fort- 
geschrittenere waren. 

Es  ist  richtig,  aus  den  johanneischen  Jesusreden  spricht 
mannigfach  schon  das  Bild  einer  Zeit,  die  über  die  urapostohsche 
Periode  hinaus  ist.  Jesus  blickt  selbst  auf  die  grosse  Kirchen- 
gemeinschaft hin,  in  der  die  Schafe  aus  dem  Stalle  mit  den  in 
aller  Welt  zerstreuten  Schafen  schon  zu  einer  Heerde  zusammen- 
gewachsen sind  1).  Er  redet  in  der  Abschiedsfürbitte  ausdrück- 
lich von  denen,  die  durch  das  Wort  der  Jünger  gläubig  Averden, 
und  dajnit  ist  an  das  Geschlecht  gedacht,  das  den  Jüngern 
folgt  (1720  0".).  Aber  in  diesen  Fällen  giebt  Jesus  selber  die  Ab- 
stufung, den  Unterschied  an,  der  zwischen  dem  engeren  und 
weiteren    Schauplatz,    zwischen    der    ersten    und    der    folgenden 


1)   Vgl.    10 16,    1152. 


189 

Generation  besteht.      Der  historische  Standpunkt  des  Redenden 
ist  insofern  nicht  verleugnet. 

Manchmal  liegt  die  Sache  freilich  anders.  Gewiss  redet 
doch  der  Evangehst  in  so  manchem  Worte,  das  sich  formell  an 
die  Jünger  richtet,  zugleich  zu  den  Christen  seiner  Zeit.  Da& 
darf  man  z.  B.  glauben,  wenn  «Jesus  weissagt  über  den  Hass 
der  Welt,  der  die  Seinen  treffen  wird  (löisff.).  Ihn  erleben  die 
Leser  des  Evangeliums  ja  alle  Tage.  Noch  klarer  ist  es  viel- 
leicht im  vorhergehenden  Stücke  (15 1 — 17).  Wenn  Jesus  die 
wechselseitige  Liebe  fordert,  und  namenthch,  wenn  er  das 
»Bleiben«  in  ihm  betont,  wobei  doch  die  Gefahr  des  Verlassenst 
des  Abfalls  vorschwebt,  so  sind  das  Mahnungen,  die  nicht  aus 
der  historischen  Situation  der  Jünger  verständlich  werden,  sondern 
nur  aus  der  Bedeutung,  die  sie  für  Leben  und  Gedeiheji  der 
Gemeinde  haben.  Aber  eine  wirkliche  Schwierigkeit  liegt  auch 
hier  keineswegs  vor:  es  versteht  sich  von  selbst,  dass  die  Jünger 
in  vielen  Dingen  die  typischen  Repräsentanten  der  Gemeinde 
selbst  sind.  Übrigens  zeigt  eine  Bemerkung  wie  16  2,  wo  den 
Jüngern  der  Ausschluss  aus  der  Synagoge  angekündigt  wird, 
dass  auch  in  solchen  Abschnitten  die  angenommene  Situation 
nicht  vergessen  ist.  Alle  solche  Fälle  sind  also  etwas  ganz 
Anderes  als  der  Ausblick  auf  die  Gegenwart  des  Evangelisten 
als  ein  Zeitalter  des  Parakleten,  wie  ihn  die  besprochene  Auf- 
fassung annimmt. 

Nein,  nicht  aus  dem  Bewusstsein  von  einem  Fortschritte 
dieser  Gegenwart  über  die  apostolische  Periode  sind  die  Gegen- 
sätze der  verhüllten  und  offenen  Rede,  der  noch  vorenthaltenen 
und  der  später  vom  Geiste  mitgeteilten  Lehre  zu  erklären.  Man 
legt  dem  Evangelisten  zu  viel  historisches  Gefühl  bei  für  den 
Unterschied  der  Zeiten,  wenn  man  das  glaubt.  Die  Gegensätze 
sind  vielmehr  erwachsen  aus  einer  historischen  Generalansicht 
über  die  Stellung  der  wirklichen  Jünger  zu  Jesus  und  seiner 
Lehre.  Stehen  die  Jünger  152?  einmal  neben  dem  Geiste,  ge- 
wissermassen  als  das  historische  Prinzip  der  christlichen  Wahr- 
heitserkenntnis  neben  dem  dynamischen,  so  hat  das  gar  nichts  zu 
sagen  *).     Es   hebt  nicht  auf,    dass   die  Jünger    als  Träger   des 

1)  Act.  5.82  hal)en  wir  etwas  Ähnliches:  ijf^fig  fofAiv  /.(i'tQTVQfg  tiöv 
^t]fX('(Tiüv  TovTcov  y.al  rö  nvtvfxu  to  ayiov  xtX. 


190 

Geistes  gedacht  sind  oder  auch  als  die  Objekte  seiner  belehren- 
den Thätigkeit. 

Die  Schilderung    der  Jünger   selbst  in  den  Abschiedsreden 
entspricht  den  heiTorgehobenen  Worten  Jesu  völlig. 
Er  sagt  ihnen: 

Wohin  ich  gehe,  ihr  wisset  den  Weg; 
Thomas  aber  erwiedert: 

Wir  mssen  nicht,  wo  du  hingehst.     Wie  sollen  wiv  (dann) 

den  Weg  (dahin)  wissen?  (14.5).  — 
Im  Blick  auf  seine  Einheit  mit  dem  Vater  hat  Jesus  gesprochen : 

Schon  jetzt  1)  erkennt  ihr  ihn  (denVater)  und  habtihn  gesehen. 
Philippus  zeigt  darauf  seinen  völligen  Unverstand  durch  die  Bitte  : 

Herr,  zeige  uns  den  Vater,  so  sind  wir  zufrieden  (148). 
Denn  als  eine  kindisch-sinnlose  Bitte  ist  dies  Wort  gemeint. 
Nicht  das  Verlangen  nach  einer  Theophanie  ^)  redet  aus  ihm, 
sondern  die  Thorheit,  die  sich  bei  geistig  gemeinten  Worten 
(hier  das  Sehen)  an  den  Laut  des  Wortes  hängt  und  alles  sinn- 
lich =  eigentlich  versteht.  Hat  man  die  Missverständnisse  im 
vierten  Evangelium  richtig  verstanden,  so  kann  man  nicht 
zweifeln,  dass  Philippus  ein  ganz  krasses  »zeigen«  meint,  wie 
es  für  jedes  sinnliche  Ding  passend  ist.  —  Gleich  nach  dieser 
Stelle  fordert  Jesus  die  Jünger  auf,  zu  glauben,  dass  er  im  Vater 
sei,  und  der  Vater  in  ihm  (14  ii),  und  fügt  hinzu,  wenn  sie  ihm 
(auf  sein  Wort)  nicht  glauben  wollten,  so  möchten  sie  es  doch 
wenigstens  der  AVerke  wegen  3)  thun.  Ihr  Glaube  scheint  also 
noch  recht  dürftig  zu  sein.  —  Jesus  sagt  (16  le): 

Ein  wenig,    und    ihr  seht   mich  nicht  mehr,    und  wieder 

ein  wenig,  und  ihr  werdet  mich  sehen. 
Darauf  beginnt  ein  Fragen  unter  den  Jungem: 

Was  ist  das,  was  er  zu  uns  redet? 
Das  Wort  tAiAQÖv  bleibt  ihnen    unklar,   und   selbst  in  das    »ich 
gehe    zum  Vater   hin«  wissen    sie  keinen  Sinn  zu  bringen,  wie- 
wohl Jesus  hinreichend  oft  darüber  gesprochen  hat 
Wir  vrissen  nicht,  was  er  redet, 


1)  0.  Holtzmann  S.  267  wird    mit    dieser  Fassimg   des    an    uQTt 
Kecht  haben.     Vgl.  1.3 19. 

2)  H.  Holtzmann  z.  St. 

3)  Vgl.  die  analoge  Äusserung  zu  den  Juden  1037.38. 


191 

sprechen  sie,  und  so  müssen  sie  sprechen,  müssen  demnach 
Fragen  stellen,  bis  »der  Tag«  kommt,  da  sie  Jesus  nichts  mehr 
h'agen  werden  (16  23). 

Freilich  am  Schlüsse  der  Reden  finden  sie  plötzlich,  dass 
Jesus  nun  offen  und  verständlich  redet.  Sie  erkennen,  dass  er 
alles  weiss,  und  so  wird  es  ihnen  leicht,  zu  glauben,  dass  er 
von  Gott  hergekommen  ist  (16  29.  so).  Aber  es  wäre  verkehrt, 
aus  dieser  Stelle  zu  schhessen,  dass  der  Evangelist  im  Ernste 
mit  einem  Umschwünge  der  Jüngererkenntnis  unmittelbar  vor 
Jesu  Tode  rechnet.  Es  verschlägt  auch  nichts,  dass  er  in  der 
Abschiedsfürbitte  (17?)  Jesus  auf  dies  Bekenntnis  der  Jünger  zu- 
rückblicken lässt.  Es  kann  sich  hier  nur  um  ein  untergeordnetes 
Motiv  der  Darstellung  handeln.  Denn  der  Evangelist  sagt  ja 
zu  deutlich,  dass  die  Erleuchtung  der  Jünger  erst  nach  dem 
Tode  Jesu  zu  erwarten  ist.  Und  schon  die  Fortsetzung  der 
Stelle  1629f.  beweist,  dass  sich  die  Ansicht  über  die  Schwach- 
heitsperiode der  Jünger  keineswegs  ändert.  Sie  behält  vielmehr 
das  letzte  Wort.     Denn  Jesus  bemerkt  sogleich: 

Jetzt  glaubt  ihr?     Siehe,  es  kommt  die  Stunde,  und   sie 
ist  schon   da,    dass    ilu*   zerstreut   werdet    ein  Jeder    an 
seinen  Ort  {elg  ca  Yöia)  und  mich  allein  lasset  (16 32). 
Das    ist    natürhch  nur  möglich,   wenn  Glaube  und  Erkenntnis 
wieder  abhanden  gekommen  sind. 

Der  Evangehst  schildert  also  bewusst  den  Erkenntnismangel 
der  Jünger,  und  er  giebt  damit  den  "Worten  von  dem  künftigen 
Geistesunten-ichte  die  Fohe.  Solche  Jünger  vennögen  aller- 
dings »vieles«  noch  nicht  zu  tragen.  Über  die  groben  Mittel, 
die  der  Schriftsteller  bei  seiner  Schilderung  anwendet,  muss 
man  nicht  zu  erstaunt  sein.  Seine  Mittel  sind  meistens  grob, 
wo  er  aus  Gedanken  Geschichte  macht. 

Was  hat  nun  Jesus  zu  seinen  Lebzeiten  den  Jüngern  vor- 
enthalten oder  ins  Dunkel  gehüllt?  Augustin  hat  auf  diese 
Frage  geantwortet:  Cum  Christus  ipse  ea  tacuerit,  quis  nostrum 
dicat:  illa  vel  illa  sunt?  und  neuere  Exegeten  wie  Meyer  und 
B.  Weiss  haben  die  Antwort  treffend  gefunden.  Die  geschicht- 
Hche  Auffassung  des  Evangeliums  muss  dagegen  sagen:  der 
Evangehst  hat  nichts  im  Auge,  was  nicht  von  seinem  Christus 
selbst   ausgesprochen  würde.     Insofern   hat  es  in  der  That  gar 


192 

kein  Bedenken  zu  behaupten,  dass  die  Weissagung  der  Beleh- 
rung durch  den  Geist  der  AVahrheit  und  alle  die  verwandten 
AVorte  auf  die  Lehre  des  Evangeliums  selber  zielen. 

Ich  schreibe  damit  ohne  Weiteres  dem  Johannesevangelium 
einen  offenen  Widerspruch  zu:  Jesus  verweist  auf  die  künftige 
Offenbaning,  auf  eine  höhere  Mitteilung,  als  die  Jünger  sie 
einstweilen  empfangen,  und  doch  sagt  er  l)ei  Lebzeiten  alles. 
Dieser  Widerspruch  war  für  den  Evangelisten  aber  auch  gar 
nicht  zu  umgehen,  wenn  er  überhaupt  die  Enthüllung  der 
Wahrheit  für  die  Jünger  in  die  Zeit  der  Verherrlichung  verlegte. 

Die  Erkenntnis,  die  die  Zukunft  bringt,  muss  doch  das 
Allerhöchste  und  Allerwichtigste  betreffen.  Wie  könnte  der 
EvangeHst  das  aber  verschweigen?  Gerade  dies  will  er  ja  in 
seiner  Erzählung  und  besonders  in  den  eingelegten  Reden  dem 
Leser  vorlegen.  Und  wenn  man  das  Evangelium  ansieht,  wie 
es  ist,  —  was  sollte  denn  da  noch  an  der  vollkommenen  Lehre 
fehlen?  Giebt  es  noch  etwas  Höheres  und  Geheimnisvolleres, 
als  dass  der  Sohn  beim  Vater  gewesen  ist,  dass  er  lebendig 
macht  und  richtet,  welche  er  will,  dass  er  eins  ist  mit  dem 
Vater?  Man  erinnert  sich  hier  an  Markus.  Markus  muss 
seijien  Christus  sich  verbergen  lassen,  und  doch  muss  er  üljerall 
nachweisen,  wie  er  sich  als  solcher  offenbart;  denn  sonst  hätte 
er  wenig  zu  erzählen  gehallt.  Johannes  muss  den  seinen  die 
Volloffenbarung  veiiagen  lassen,  und  doch  kann  er  nur  immer 
dafür  sorgen,  dass  er  sie  bis  zum  Letzten  ausspricht;  denn  sonst 
brauchte  er  kein  Evangelium  zu  schreiben.  Unmittelbarer  aber 
ist  der  AViderspnich  bei  Johannes;  er  ist  hier  eine  logische 
Notwendigkeit. 

Die  konkreten  Aussagen  der  Abschiedsredeii  ergänzen  diese 
Betrachtung.  Zu  dem  Satze :  Jesus  hat  alles,  was  er  noch  ver- 
birgt, schon  gesagt,  kann  man  nach  ihnen  den  andern  stellen: 
er  hat  noch  nichts  so  gesagt,  dass  es  verständlich  geworden  wäre. 

Der  Situation  entspricht  es,  wenn  sich  die  Schwäche  der 
Jüngererkenntnis  besonders  darin  zeigt,  dass  die  Weissagung 
vom  Sterben  und  Wiederaufleben  oder  vom  Hingehen  zum  Vater 
unbegriffen  bleibt  (145,  IQöi,  leff.,  28(32)).  Hier  haben  wir  der 
Sache  nach  dasselbe  wie  bei  Markus  und  Lukas.  Aber  neben 
diesem  Punkte  mrd  sehr  viel  sonstiger  Erkenntnisinhalt  gestreift. 

Philippus  versteht  nicht,  dass  das  Sehen  des  Vatei-s  mit  dem 


193 

des  Sohnes  zusammenfällt,  d.  h.  die  Einheit  von  Vater  und  Sohn 
ist  ihm  unbekannt  (148  ff.).  Der  künitigen  Erkenntnis  wird 
es  zugewiesen,  dass  Jesus  in  seinem  Vater  ist,  wie  die  Jünger 
in  ihm,  und  er  in  ihnen  (142o).  >Vom  Vater«  wird  er  dereinst 
offen  sprechen,  redet  folglich  jetzt  verhüllt  über  ihn  (16  25).  Auch 
nach  14?: 

wenn  ihr  mich  erkannt  hättet,  so  würdet  ihr  auch  meinen 

Vater  kennen, 
ist  den  Jüngern  die  Erkenntnis  des  Vaters  bisher  nicht  aufge- 
gangen. Nach  16 30  glauben  sie  zwar,  dass  Jesus  vom  Vater 
ausgegangen  ist.  Wenn  er  aber  diesen  Glauben  für  eine 
Augenblickserscheinung  erklärt  (V  32),  so  muss  auch  sein  Aus- 
gehen vom  Vater  ihnen  eigentlich  verborgen  sein.  Nach  einem 
ganzen  Komplex  von  Gedanken  (1423.24)  sagt  Jesus,  das  habe 
er  ihnen  gesagt,  so  lange  er  bei  ihnen  weilte  1),  der  Geist  aber 
werde  sie   an   alles,    was   er   gesagt,  erinnern  (V.  25.  26). 

Das  sind  doch  Andeutungen,  die  so  ziemhch  die  ganze 
spezifische  Lehre  des  Evangeliums  umfassen.  Ganz  offenbar 
gemacht,  scheint  sie  doch  auch  ganz  verborgen  zu  bleiben. 

Genau  betrachtet  liegt  der  Gedanke  des  Johannes  in  ver- 
schiedenen Formen  vor.  Einmal  verschweigt  Jesus  manches 
ganz  (16 12).  Dann  wieder  sagt  er  zwar  alles,  aber  er  kleidet 
es  in  Rätselrede  (16  25).  Drittens  spricht  er  —  auch  diese  Vor- 
stellung liegt  vor  —  alles  deutlich  aus,  aber  die  Jünger  be- 
greifen es  in  ihrer  inhärenten  Einsichtslosigkeit  dennoch  nicht. 
Jesus  spricht  ja  15 15^): 

Ich   habe   euch   Freunde   genannt,    weil   ich    euch   alles, 

was  ich  von  meinem  Vater  gehört  habe,  kundgethan  habe; 
damit  halte  man  zusammen,  was  soeben  über  die  Haltung  der 
Jünger  gesagt  wurde. 

1)  Tavja  XiXKkriy.a  v/nTv  Trrüjp'  vfxiv  /Lifvwv  1425  vgl.  15  ii,  IGl.  25. 33 
heisst  bei  Johannes  einfach:  so  sprach  Jesus  vor  seinem  Tode  zu  seinen 
Jüngern.  Solche  Erklärungen  des  Evangelisten  über  Jesus 
werden  auch  sonst  in  die  "Worte  Jesu  selbst  hineingezogen.  Der  Evan- 
gelist will  z.  B.,  als  er  Jesus  am  Grabe  des  Lazarus  beten  lässt,  ver- 
sichern, dass  sein  Gebot  nicht  auf  eine  seiner  Würde  gefährliche 
Menschlichkeit  hinweise.  So  muss  Jesus  im  Gebete  selber  (!)  sagen: 
Ich  aber  wusste,  dass  du  mich  allzeit  hörest,  doch  habe  ich  wegen  des 
umstehenden  Volkes  so  gesprochen  ....  (11 42). 

2)  Vgl.  auch  176. 

Wrede,  Messiasgeheimnis.  23 


194 

Die  erste  dieser  Vorstellungen  trägt  die  Folgerung  in  sich, 
dass  den  Jüngern  nach  dem  Tode  Jesu  noch  Neues,  sachlich 
Neues  geoffenbart  werden  wird.  Da  hätten  wir  also  doch  den 
Gedanken,  dass  die  Zeit  des  Geistes  über  die  ältere  Belehrung 
hinausführt.  Allein  ich  habe  schon  gezeigt,  dass  ein  neuer 
Offenbarungsinhalt  in  Wahrheit  nicht  vorgestellt  wird.  Des- 
halb ist  es  unrichtig,  jene  Folgerung  zu  betonen. 

Es  handelt  sich  hier  überhaupt  lediglich  um  Varianten, 
verechiedene  Ausdrucksformen  für  die  gleiche  Sache,  und  es 
lässt  sich  leicht  zeigen,  dass  jede  dieser  Vorstellungen,  gepresst 
und  einseitig  durchgeführt,  zu  Sätzen  fühi't,  denen  sich  nicht 
alles  fügt. 

So  kann  man  auch  dem  Gedanken,  dass  eigentlich  alles 
den  Jüngern  verschlossen  bleibt,  Ausseningen  entgegenstellen, 
die  ihm  widersprechen,  ausser  16 12  z.  B.  die  direkte  Aussage  16  27: 
...  ihr  habt  geglaubt,  dass  ich  vom  Vater  ausgegangen 
bin. 
Es  ist  ja  auch  wohl  begreiflich,  dass  der  Evangelist  die  Vor- 
stellung, die  Jünger  hätten  gar  nichts  begriffen,  nicht  in  ihrer 
vollen  Härte  vollzieht.  Er  hat  ja  doch  diese  Jünger  auch  in 
langem  Verkehr  mit  Jesus  und  als  seine  treuen  Anhänger  und 
Bekenner^)  gezeigt,  mid  er  behandelt  ihre  Mängel  entschieden 
mit  Milde,  viel  milder  als  Markus.  Sachhch  wichtig  bleibt  aber, 
dass  man  hier  keine  Scheidung  nach  dem  Inhalt  vornehmen 
kann.  Man  kann  keine  Lehren  aussondern,  die  den  Jüngern 
ein  für  allemal  zugänglich,  und  keine,  die  ihnen  ständig  ver- 
schlossen wären.  Das  Zweite  könnte  zwar  mit  einigem  Rechte 
von  der  Belehrung  über  Leiden  und  Verherrlichung  gesagt 
werden.  Aber  dieser  Eindruck  entsteht,  nicht  weil  hier  etwas 
vorläge,  was  an  sich  schwerer  verständhch  und  eine  geheimere 
Weisheit  wäre  als  Anderes,  sondern  weil  die  Geschichtserzählmig, 
die  auf  das  Ende  hinausgeht  und  die  Jünger  vor  das  Ende 
stellt,  eine  besondere  Nötigmig  mit  sich  bringt,  das  Rätsel  zu 
betonen. 

Zwei  einzelne  Wendungen  des  Gedankens  sind  noch  be- 
sonders zu  beleuchten. 

1)  Vgl.  669. 


195 

Charakteristischer  als  die  Vorstellung,  class  der  Geist  Neues 
lehi-en  wird,  die  im  Grunde  unvollzogen  bleibt i),  ist  eigentlich 
die  andere,  dass  der  Geist  an  alles  erinnern  wird,  was 
Jesus  gesagt  hat  (1426).  Hier  ist  es  auf  den  präzisesten  Aus- 
di'uck  gebracht,  wie  die  neue  Erkenntnis  und  die  alte  Belehrung 
Jesu  zusammengehören.  Nahe  verwandt  ist  ein  andres  Wort: 
die  Jünger  selbst  sollen  sich  seiner  Zeit  erinnern,  dass  Jesus 
alles  gesagt,  wie  es  eintrifft  (I64).  Der  Evangelist  hat  auch 
ein  Beispiel  für  dieses  Erinnern  des  Geistes  oder  dieses  Selbst- 
erinnern gegeben.  Die  Bemerkung  (2-22),  dass  die  Jünger,  als 
Jesus  auferstanden  war,  an  sein  Wort  von  dem  Abbrechen  und 
Erstehenlassen  des  Tempels  »gedachten« ,  darf  so  aufgefasst 
werden.  Das  parallele  Wort  über  den  Einzug  in  Jerusalem 
(12 16)  —  auch  hier  das  sf-iv^od^riaavl  —  wäre  ebenfalls  hierher- 
zuziehen, bezöge  sich  hier  die  Erinnerung  nicht  auf  einen  Vor- 
gang statt  auf  ein  Wort  Jesu.  Vielleicht  kann  man  mit  diesem 
»Gedenken«  auch  die  eigentümliche  Formulierung  in  Zusammen- 
hang bringen,  die  den  Weissagungen  Jesu  einige  Male  gegeben 
wird.  Über  den  Verrat  des  Judas  heisst  es  13 19  (ganz  ähnlich 
wie  mit  Bezug  auf  den  Hingang  Jesu  1429)  2): 

Jetzt  sage  ich  es,    bevor  es   geschieht,    damit,   wenn  es 
geschieht,  ihr  glaubet,  dass  ich  es  bin. 

Der  zweite  Punkt  betrifft  das  Reden  ev  Ttagoif^iiaig.  Es 
berührt  ganz  eigentümlich,  was  das  Johannesevangelium  darüber 
sagt. 

Dies  habe  ich  in  Rätselbildern  zu  euch  gesprochen  (16 25), 
—  wo  sind  denn  die  Rätselbilder,  die  Jesus  gebraucht  haben 
will? 

Man  verweist  zur  Erklärung  des  Wortes  auf  die  (V.  23  f.) 
vorhergehende  Bezeichnung  Gottes  als  des  Vaters  3).  Das  ist 
höchst  gezwungen;  der  Name  Vater  für  Gott  erscheint  bei 
Johannes  keineswegs  als  Bild.  Dagegen  lässt  sich  eine  Be- 
ziehung auf  das  Wort  V.  16: 

1)  Natürlich  soll  damit  nicht  gesagt  sein,  dass  der  Evangelist  bei 
■der  Geistesbelehning  sich  überhaupt  nichts  Bestimmtes  denke.  Er 
weiss  so  gut  wie  andere  alte  Christen ,  dass  der  Geist  den  Jüngern 
>(and  der  Gemeinde)  Erleuchtung  zu  Teil  werden  lässt. 

2)  S.  dazu  164. 

3)  B.  Weiss  bei  Meyer«  z.  St. 

13* 


196 

Ein   wenig,    und   ihr    seht   mich   nicht,   und  wieder   ein 

wenig,  und  ihr  Averdet  mich  sehen, 
kaum   abAveisen.     Man  muss  freiHch  zugeben,  dass  der  Gegen- 
satz V.  25  b: 

es  kommt  die  Stunde,    wo  ich  oifen   vom  Vater    euch 

verkündigen  werde, 
nicht  recht  passt,  da  V.  16  vom  Vater  nicht  die  Rede  war. 
Aber  darum  ist  die  Beziehung  noch  nicht  unmöghch.  Und  sie 
ist  wahrscheinhch,  nicht  nur  weil  die  Verwmiderung  der  Jünger 
V.  17  ff.  so  starken  Ausdruck  findet,  sondern  besonders,  weil 
V.  28,  wo  nach  dem  Jüngerwoite  »offene«  Rede  vorliegt,  dem 
V.  16  entspricht. 

Aber  ich  meine  allerchngs  nicht,  dass  damit  der  Inhalt  von 
V.  25  erschöj)ft  ist.  Das  Sicherste  und  zugleich  die  Hauptsache 
ist  gerade,  dass  diese  Erklärung  über  jedes  einzelne  Moment  im 
Kontexte  weit  hiuausgreift  ^).  Es  handelt  sich  um  eine  allgemeine 
Charakteristik  der  Art  Jesu  mit  den  Jüngern  zu  sprechen.  Und 
man  muss  dabei  nicht  einmal  ausschliesslich  an  den  Cyklus  der 
Abschiedsreden  denken  2). 

Fraglich  kann  nur  sein,  ob  der  Evangelist  wirkliche  Rätsel- 
worte mitgeteilt  zu  haben  meint.  Es  Hesse  sich  darüber  streiten^ 
ob  er  nicht  auch  im  andern  Falle  von  Rätseh'ede  sprechen 
könnte.  Jedenfalls  ist  es  unbestreitbar,  dass  das  lelähf/M  iv 
TcaQOifilaig  thatsächlich  doch  keineswegs  in  der  Luft  steht  3). 
Der  EvangeHst  formt  die  AVorte  Jesu  manchmal  so,  dass  man 
merkt,  der  direkte,  eigentliche  Ausdruck  ist  vermieden,  und 
irgend  ein  Moment,  das  das  Fragen  herausforderi,  ist  eingesetzt. 
Das  Beispiel,  das  der  Text  selbst  l)ietet,  zeigt  das.  In 
V.  16  ist  niclit  geradezu  vom  Sterben  die  Rede.  Die 
pointierte  Formulierung  der  beiden  Glieder  klingt  nach  einem 
Paradoxon.  In  der  »offenen«  Rede  V.  28  fehlt  das  (.wa.q6v^  das 
die  Jünger  befremdet,  es  ist  nicht  mehr  vom  »Nichtsehen«  die 
Rede,  sondern  vom  Verlassen  der  Welt;  vielleicht  darf  man  auch 
sagen,  der   Gegensatz:   vom  Vater  ausgegangen  —  in  die  "Welt 


1)  Vgl.  auch  B.  Weiss  z.  St.  (S.  534  Anm.). 

2)  H.  Holtzmann  z.  St. 

3)  Vgl.  0.  Holtzmann   S.  135,    dem  ich  freilich   nicht   in    allem, 
zustimme. 


197 

gekommen,    die   Welt   verlassen   —   zum  Vater    gehen,    ist    als 
etwas  besonders  Klares  empfunden. 
Ein  äliidiches  AVort  ist  13  as: 

Kindlein,    noch  ein  wenig    bin  ich   bei  euch:    ihr  werdet 

mich  suchen,    und  wie   ich    den  Juden    gesagt  habe,    wo 

ich  hingehe,  dahin  könnt  ihr  nicht  kommen,  so  sage  ich 

jetzt  auch  euch. 
Zu  den  Juden  hat  Jesus  allerchngs  733  (36)  ebenso  gesprochen. 
Der  Hinweis  darauf  dürfte  schon  zeigen,  dass  der  Evangelist 
auf  die  Fassung  des  Wortes  Wert  legt.  Auch  dies  Wort  hat 
etwas  absichtlich  Geheimnisvolles.  Ebenso  gewiss  das  Wort,  das 
Philippus  nicht  begreift: 

Schon  jetzt    kennet    ihr  ihn    (den  Vater)   und   hal)t  ihn 

gesehen ; 
und  noch  klarer  die  Weissagung  vom  Abbrechen  und  Aufrichten 
des  Tempels  (2 19);    denn   hier  wird    das  Rätsel   durch   die  Er- 
läuterung des  Evangelisten  ausdrücklich  markiert. 

Man  kann  hier  aber  auch  getrost  manches  Wort  anziehen, 
das  nicht  zu  den  Jüngern  geredet  ist.  Z.  B.  muss  Johannes 
bei  dem  Spruche  (1232) : 

Wenn  ich  erhöht  werde  von  der  Erde,  so  werde  ich  alle 

zu  mir  ziehen, 
empfunden  haben,   dass  die  Rede  figürlich   sei.     Denn   er  giebt 
wieder  eine  Deutung  bei: 

Das   sagte    er   aber,    um  anzudeuten,    welches  Todes  er 

sterben  werde. 
Für  uns  gehört  einige  Anstrengung  dazu,  in  solchen  Worten 
etwas  Rätselhaftes  zu  finden,  sie  sind  uns  in  der  Regel  auf  den 
ersten  Blick  durchsichtig.  Aber  darauf  kommt  gar  nichts  an. 
Ein  Autor,  der  auch  ein  VTväyw  Trqbg  tov  Tcariqu  unverständlich 
für  die  Jünger  nennt  (16 17),  hat  über  Dunkelheit  der  Rede  ohne 
Zweifel  seine  eigenen  Begriffe,  und  die  muss  man  ihm  lassen. 
Es  genügt  also,  dass  er  das  Bewusstsein  haben  konnte,  sein 
Jesus  habe  wirklich  im  Evangelium  immer  wieder  geheimnisvolle, 
schwer  deutbare  Worte  geredet. 

Dies  Bewusstsein  war  aber  sicher  nicht  derart,  dass  er  diese 
Worte  scharf  von  andern  unterschied,  so  dass  man  den  Gedanken 
einer  zwiefachen,  einer  offenen  und  einer  rätselvollen  Art  der 
Aussprache    durchführen    könnte;     kann    doch    sogar    dieselbe 


198 

Wendung  hier  als  verständlich,  dort  als  undurchsichtig  behandelt 
werden.  Vielmehr  ist  für  seine  Empfindung  die  Dunkelheit,  die 
er  manchmal  wirkHch  in  den  Reden  Jesu  auszuprägen  sucht, 
ein  allgemeines  Prädikat  der  Sprechweise  Jesu.  Der  amphi- 
bolische  Charakter  seiner  Gedanken  zeigt  sich  aber  wieder  darin, 
dass  er  ebensogut  nach  andern  Worten  sagen  könnte,  Jesus 
habe  so  deutlich,  so  klar  gesprochen,  dass  jeder  ihn  habe  ver- 
stehen müssen. 

Die  Vorstellung  selbst,  Jesus  habe  tv  naQoif.ilaic,  geredet, 
hat  der  Autor  überkommen;  und  man  wird  nicht  zweifeln,  dass 
sie  die  Fortführung  des  synoptischen  Xaleiv  iv  Ttaqaßolalg  ist. 
Sie  hat  hier  aber  eine  andere  Beziehung  gewonnen.  Davon 
später. 

Wenn  die  vertrauten  Jünger  Jesu  diese  Schwäche  und  Un- 
fäliigkeit  im  Begreifen  zeigen,  so  können  andere  Personen  der 
Erzählung,  insbesondere  die  feindlichen  Juden,  Jesus  unmöglich 
richtig  verstehen.  Das  soll  nicht  heissen,  dass  der  Evangehst 
ihnen  aus  diesem  Grunde  ein  fortgesetztes  Nicht-  und  Miss- 
verstehen Jesu  zuschreibt.  Ich  stelle  nur  fest,  dass  er  es  thut. 
Welchen  Sinn  das  hat;  muss  gerade  gefragt  werden. 

Denn  hier  liegt  die  Sache  viel  weniger  klar  als  bei  den 
Jüngern.  Bei  diesen  scheiden  sich  eben  die  zwei  Perioden  des 
Verständnisses.  Der  Eintritt  der  Verherrlichung  macht  die 
frühere  Blindheit  zu  einem  sinnvollen  Gedanken.  Bei  den 
Juden  fällt  die  Bedeutung  dieses  Wendepunktes  fort.  Der 
Gedanke  an  die  Zukunft,  an  die  Zeit  nach  Jesu  Tode  hat  hier 
überhaupt  keine  wesentliche  Bedeutung.  Höchstens  wird  an  das 
Gericht  gedacht,  das  den  Unglauben  dann  treffen  soll.  Die 
Voraussetzung  ist  aber  natürlich,  dass  die  Juden  ihre  alte  Stellung 
Jesus  gegenüber  festhalten. 

Tiitt  man  von  aussen  an  das  Evangelium  heran  und  be- 
trachtet jene  bekannten  Missveretändnisse  isoliert,  so  wird  man 
darin  zunächst  nur  eine  eigentümliche  stilistische  Manier  wahr- 
nehmen. Der  Hauptzug  ist  dabei,  dass  was  Jesus  geistig  und 
geistlich  meint,  buchstäblich  genommen  wird.  Das  Brot  des 
Lebens  wird  von  äusserer  Speise  verstanden,  die  Freiheit,  die 
die  Wahrheit  bringt,  im  sozialen  Sinne  genommen  (833),  das 
(iviü&sv  yevvrjd^r^vai  von  einer  eigentlichen  Geburt,  obgleich  durch 


199 

das  civco&ev,  das  bei  Johannes  Jiur  »von  oben«  heissen  kann^), 
diese  Auffassung  schon  abgeschnitten  sein  sollte.  Auf  diese 
Weise  wird  in  den  Gang  der  Reden  Jesu  eine  Art  Leben  hinein- 
gebracht, das  sich  freilich  dem  ei-sten  Blicke  als  ein  blosses 
Scheinleben  enthüllt.  Denn  die  Entwicklung  der  Gedanken 
wird  doch  nur  wenig  durch  die  Einreden,  die  Jesus  ertährt,  be- 
dingt; sehr  häufig  nimmt  er  einfach  von  ihnen  keine  Notiz  und 
setzt  den  Gedankengang,  in  dem  er  begriffen  war,  ruhig  fort, 
z.  B.  im  Nikodemusgespräch.  Aber  das  schliesst  ja  nicht  aus, 
dass  sie  dem  Evangelisten  ein  rhetorisches  Mittel  sind. 

Aus  der  älteren  Evangelienerzählung  ist  diese  Form  gewiss 
nicht  erklärbar,  obgleich  die  Deutung  des  Sauerteigs  der  Pharisäer 
bei  Markus  ein  Missverständnis  von  demselben  Schnitt  ist,  wie 
die  bei  Johannes.  So  könnte  man  fast  auf  den  Gedanken  ge- 
raten, der  Autor  habe  nähere  Bekanntschaft  mit  dialogischer 
Literatui"  gehabt,  in  der  die  Reden  der  Hauptperson  durch 
thörichte  Einwände  der  Nebenpersonen  unterbrochen  wurden. 

Eine  Manier  ist  ja  nun  zweifellos  vorhanden.  Aber  dass 
sie  keine  blos  stilistische  Bedeutung  hat,  ist  ebenso  gewiss.  Ihr 
Ui"sprung  wird  daher  auch  nicht  in  der  Gewöhnung  an  eine 
literarische  Form  zu  suchen  sein.  Offenbar  dienen  die  Miss- 
verständnisse dem  Evangehsten  zur  sachlichen  Charakteristik. 
Dass  der  Unglaube  der  Juden  darin  zur  Erscheinung  kommt, 
wird  man  auch  leicht  zugeben.  Aber  genügt  das?  Sind  es 
denn  nur  die  Juden,  die  Jesus  missverstehen?  Muss  nicht  ein 
Zusammenhang  bestehen  zwischen  diesen  Zügen  und  dem,  was 
der  Evangelist  über  die  mangelhafte  Fassungskraft  der  Jünger 
sagt?  Mit  andern  Worten:  prägt  sich  nicht  auch  in  ihnen  das 
»Geheimnis«  aus? 

Ich  möchte  das  in  gewissem  Sinne  annehmen.  Markus  macht 
in  Bezug  auf  die  Belehrung  Jesu  einen  bestimmten  Unterschied 


1)  Die  Antwort  des  Nikodemus  34,  die  Jesu  Wort  auf  eine  eigent- 
liche Geburt  bezieht,  beweist  keineswegs,  dass  (ivw&tv  »von  Neuem« 
lieisst  oder  auch  nur  doppelsinnig  (H.  Holtzmann  z.  St.,  0.  Holtz- 
uiann  S.  207)  gemeint  ist.  Denn  der  Evangelist  lässt  Jesus  auch  sonst 
missverstanden  werden,  wo  sein  Wort  zum  Voraus  schon  das  Miss- 
verständnis ausschliesst.  An  eigentliche  Knechtschaft  z.  B.  denken  die 
Juden  833,  obwohl  Jesus  gesagt  hat:  die  Wahrheit  wird  euch  be- 
freien (832). 


200 

zwischen  dem  Volke  und  den  Jüngern.  Er  prägt  sich  in  dem 
Alleinsein  Jesu  mit  den  Jüngern  aus,  aber  auch  darin,  dass  be- 
stimmte Themata  dem  Volke  vorenthalten  werden.  Bei  Johannes 
kann  man  diesen  Unterschied  nicht  machen.  Das  Einzige,  was 
man  anführen  kann,  ist,  dass  zuletzt  eine  Belehrung  der  Jünger 
allein  erfolgt.  Hier  kann  ein  Einfluss  älterer  Darstellungen 
vorliegen,  überdies  handelt  es  sich  hier  um  Gedanken,  die  eben 
speziell  die  christliche  Gemeinde  und  die  Jünger  als  ihre 
Eepräsentanten  angehen.  Im  Übrigen  spricht  Jesus  nach  Form 
und  Inhalt  zu  »den  Juden«  oder  auch  zu  mehr  neutralen  Per- 
sonen eigentlich  ganz  ebenso  wie  zu  den  Jüngern.  Man  denke 
nur  an  die  Weissagungen  von  seinem  Tode.  In  der  Aufnahme 
der  Belehrung  ist  aber  ein  prinzipieller  Unterschied  ebensowenig 
wahrzunehmen. 

Kommt  nun  bei  den  Jüngern  in  der  Art  der  Unterweisung 
wie  in  ihrer  korrespondierenden  Haltung  eine  Idee  zum  Vorschein, 
so  scheint  dieselbe  Idee  auch  auf  die  Zeichnung  des  Verkehrs 
Jesu  mit  Anderen ,  insbesondere  seinen  Gegnern  einzuwirken. 
D.  h.  es  scheint  der  allgemeine  Gedanke  zu  Grunde  zu  liegen, 
dass  Jesus  die  übermenschliche  Wahrheit,  die  er  vom  Himmel 
brachte,  während  seines  Erdenlebens  in  einer  geheimnisvollen,  an- 
deutenden Form  verkündigte  und  deshalb  unverstanden  blieb. 

Beispiele  für  den  Gebrauch  von  dunklen  Worten  gegen- 
über den  Juden  wurden  schon  gestreift  (733,  1232).  Aber  geht 
nicht  durch  die  meisten  Reden  Jesu  etwas  Figürliches,  Mysteriöses  ? 
Jesus  bedient  sich  wie  absichtlich  einer  andeutenden,  doppel- 
deutigen i),  das  Missverständnis  geradezu  provozierenden  Aus- 
drucksweise. Man  lese  unter  diesem  Gesichtspunkte  einen 
Abschnitt  wie  die  Geschichte  vom  samaritanischen  Weibe  (c.  4) 
oder  die  Rede  über  das  Brot  des  Lebens  (c.  6).  Liegt  aber 
nicht  selbst  dort,  wo  es  sich  nicht  um  eigentliche  Lehre  handelt, 
dieselbe  Erscheinung  vor?  In  der  Lazarusgeschichte  z.  B.  sagt  Jesus : 

die  Krankheit  ist  nicht  zum  Tode; 
er  denkt  dabei  an  die  Krankheit,  die  Jünger  an  die  Genesung. 
Er  spricht  vom  »Einschlafen«  {y.oi/.iaa3-ai),   sodass  darunter  der 
Schlaf  und  der  Tod  verstanden  werden  kann,    vom  Auferstehen 
des  Toten,   sodass  bei  Martha    der  Gedanke  an  die  letzte  Auf- 


1)  Das  S.  199  Anm.  1  Gesagte  nehme  ich  hiermit  nicht  zurück. 


201 

erstelmng  entsteht,  während  er  selbst  die  gleich  folgende  Wunder- 
that  im  Auge  hat*).  So  scheint  sich  das  oben  Gesagte  noch 
zu  erweitern.  Jesus  könnte  im  Rückblick  auf  seine  ganze  Lehre 
sagen,  er  habe  iv  Ttagoiutaig  gesprochen. 

Doch  es  drängen  sich  Erwägungen  auf,  die  diese  Deutung 
der  Redeweise  Jesu  und  der  entsprechenden  Missverständnisse 
durchkreuzen. 

Dass  die  doppelsinnigen  Wendungen  meist  sehr  bald  klar 
gestellt,  die  Missverständnisse  durch  weitere  Erklärungen  Jesu 
gelöst  werden,  beweist  freilich  nicht  viel.  Das  bringt  zum  Teil 
schon  der  Gang  der  Erzählung  mit  sich,  zum  Teil  ist  eine  Auf- 
lösung auch  schon  der  Leser  wegen  am  Platze.  Denn  Jesus 
redet  im  Evangelium,  wenn  er  zu  Freunden  oder  Gegnern  spricht, 
doch  auch  immer  zum  Leser  2). 

Dagegen  ist  folgender  Punkt  von  Wichtigkeit.  Es  ist  doch 
keine  Erage,  dass  Johannes  bei  den  Gegnern  Jesu,  die  ja  in 
ihrer  Haltung  zugleich  das  christenhassende  Judentum  seiner 
Zeit  repräsentieren,  ganz  andere  Gründe  für  das  Nichtverstehen 
Jesu  wirksam  denkt  als  bei  den  Jüngern  oder  sonstigen  An- 
hängern. Er  hat  sich  selbst  123?  ff.  darüber  näher  ausgesprochen. 
Hier  zitiert  er  das  aus  den  Synoptikern  bekannte  Wort  Jes.  69.10. 
Sie  glauben  nicht,  weil  ihre  Augen  verblendet,  weil  sie  verstockt 
sind.  Dabei  ist  aber  der  Gedanke  hinzuzunehmen:  der  Un- 
glaube ist  ihre  Schuld,  er  ist  Bosheit,  sie  wollen  nicht  den 
Willen   dessen    thun,    der    ihn    gesandt    hat   (7 17)  3).     Das    alles 


1)  11 4,    11  f.,   23  ff. 

2)  Vielleicht  darf  man  es  so  verstehen,  dass  in  der  oben  besprochenen 
Stelle  16 16 — 33  die  Jünger  schliesslich  (V.  28)  einen  Ausspruch  Jesu  zu 
hören  bekommen,  in  dem  das  Rätsel  verschwunden  ist.  Oder  will  der 
Verfasser  nur  in  einer  Art  ästhetischer  Absiebt  am  Ende  der  Eeden  das 
Nichtverstehen  zu  einem  Abschluss  bringen  ? 

3)  Es  ist  merkwürdig,  dass  man  diesem  Worte  unter  dem  Drucke 
einer  bekannten  systematischen  Verwendung  noch  immer  einen  Sinn 
abgewinnt,  an  den  der  Evangelist  gar  nicht  gedacht  hat.  Man  findet 
7  17  einen  »erkenntnis-theoretischeu«  Grundsatz,  der  die  sonstige  johanne- 
ische  Voraussetzung  vom  Primat  der  Erkenntnis  durchbreche.  Der 
Evangelist  soll  sagen:  wer  sich  von  der  Wahrheit  der  Lehre  Christi 
überzeugen  wolle,  der  müsse  vom  sittlichen  Gebiete  ausgehen,  mit  dem 
Thun  des  göttlichen  Willens  den  Anfang  machen.  Vgl.  H.  Holtzmann 
HC  zu  Joh.i  S.  13.  18,  Neutest.  Theol.  II  S.  363,  .1.  Weiss,  Nachfolge 


202 

zeigt  sich  iiatiü'lich  auch  in  ihrem  Nichtverstehen  und  Falsch- 
verstehen. Dann  aber  entsteht  die  Fi'age:  sollen  die  miss- 
verständlichen, andeutenden  Worte  Jesu  wirklich  das  Geheimnis- 
volle seiner  Lehre  kennzeichnen,  oder  sind  sie  dem  Evangehsten 
nur  das  Mittel,  die  jMissverständnisse  hervorzurufen,  d.  h.  die 
Blindheit  mid  Thorheit  der  Juden  zu  schildern? 

Man  hat  in  der  That  den  Eindruck,  dass  auf  das  Zweite 
der  Schwei-punkt  fällt,  aber  der  erste  Gesichtspunkt  ist  damit 
nicht  ausgeschlossen,  und  auch  er  dürfte  doch  vorhanden  sein. 
Halten  wir  uns  an  ein  vergleichsweise  deuthches  Beispiel.  Ist 
das  Wort  ISss  zu  den  Jüngern  als  7iaqoLf.iia  geredet,  weshalb 
soll  es  den  Juden  gegenüber  7 33 f.  (vgl.  821)  keine  ^caooif.iia  sein? 
Äusserlich  lassen  sich  die  beiden  Gesichtspunkte  nicht  scheiden. 

Übrigens  meine  ich  nicht,  dass  Johannes  der  Belehrung 
Jesu  hier  den  Rätselcharakter  giebt,  um  ihm  die  Absicht  bei- 
zulegen, zeitweihg  seine  Gedanken  noch  zurückzuhalten.  Das 
passt  wohl  den  Jüngern,  aber  nicht  den  Juden  gegenüber.  Viel- 
mehr wird  nur  daran  gedacht  werden  dürfen,  dass  das  Rätsel 
ein  Ausdruck  für  die  Höhe  und  Tiefe  seiner  Lehi'e  ist.  Es 
entspricht  dem  erhabenen  Charakter  der  götthchen  Wahrheit^ 
dass  sie  in  geheimnisvollen,  schwer  verständlichen  Worten  kund 
wird. 

Um  das  Ganze  zu  verstehen,  ist  freilich  noch  Anderes  zu 
bedenken.  Wie  schoii  gesagt,  hat  es  für  den  Evangelisten  doch 
auch  wieder  die  höchste  Bedeutung,  Jesus  seine  Lehre  und 
seine  Ansprüche  mit  grösster  Klarheit  aussprechen  zu  lassen. 
Im  Streite  mit  den  Juden  muss  ihn  aber  noch  etwas  Besonderes 
dazu  treiben.     Jesus  selbst  sagt  1022  (vgl.  V.  24): 

Wäre  ich  nicht  gekommen  und  hätte   zu  ihnen    geredet^ 

so  hätten  sie  keine  Sünde. 

Der  Unglaube    der  Juden,    ihr    böser  Wille  wird   gerade   dann 

recht  offenbar,    wenn   sie   auch    seine    deutlichen,    unverblümten 

Ansprüche  bezweifeln,  abweisen  und  missverstehen.     Denn  miss- 


Christi  S.  52  f.  Als  ob  den  Evangelisten  das  Problem  von  der  Ver- 
gewisserung der  religiösen  Wahrheit  beschäftigte!  Er  sagt  einfach:  bei 
den  Gegnern  der  Lehre  Jesu,  die  seine  Lehre  nicht  als  göttlich  an- 
erkennen, liege  der  Grund  nur  darin,  dass  sie  eben  Gott  ungehorsam 
seien,  bösen  Willen  haben.  Demnach  liegt  auch  kein  Grund  vor,  in. 
diesem  Worte  »synoptischen  Klang«  wahrzunehmen. 


203 

vei-standen  wird  Jesus  doch  auch,  wo  man  etwas  absichüich 
Rätselhaftes  in  seine  Ausdrücke  schwer  hineinlegen  kann.  Der 
Ausdruck  o  jTei.npag  //£  tiir  Gott  ist  bei  Johannes  so  gewöhnlich? 
erscheint  überall  so  sehr  als  ein  festes  Element  seiner  Lehrsprache^ 
dass  er  nicht  wohl  auf  das  Missverständnis  berechnet  sein 
kann.  Trotzdem  wird  gelegentlich  (820)  nach  dieser  Wendung 
versichert : 

sie  begriffen  nicht,   dass  er  von   seinem  Vater   zu  ihnen 

sprach. 
Ebenso  wird   das    slerO^eQoöv  im    geistigen  Sinne    (832)    als    ein 
terminus    zu    betrachten    sein,     der    nicht    erst    um    des    Miss- 
verständnisses oder  des  Rätsels  willen  gebildet  worden  ist. 

So  kommen  wir  hier  zu  einem  Eindruck,  der  dem  früheren 
gerade  entgegengesetzt  ist.  Auch  dies  hat  aber  seine  Vernunft. 
Je  greller  die  Sonne  scheint,  um  so  deutlicher  wird,  wie  blind 
das  Auge  ist,  das  von  keinem  ihrer  Strahlen  getroffen  wird. 

Die  Sache  ist  ungemein  schwer  zu  greifen  und  auf  Fonneln 
zu  bringen.  Wie  mir  scheint,  wird  man  aber  der  Sprache  des 
Evangeliums  nur  gerecht,  wenn  man  allen  diesen  so  verschie- 
denen Motiven,  obwohl  sie  an  der  einzelnen  Stelle  gar  nicht 
immer  sichtbar  hervortreten,  ihr  Recht  lässt;  untergeordnete 
Motive  kommen  dabei  noch  hinzu.  Damit  ist  schon  gesagt,  dass 
die  Vorstellung,  Jesus  habe  die  Wahrheit  in  dunkler  Form  ge- 
bracht, gewiss  nicht  voll,  nicht  ungebrochen,  nicht  als  klar  gefasster 
Gedanke  zur  Erscheinung  kommt.  Aber  dass  er  nachwirkt,  ein- 
wirkt auf  das  Ganze,  neben  anderem  ein  farbegebendes  Moment 
der  Gesamtdai-stellung  bildet,  lässt  sich  schwerlich  leugnen. 

Ich  ziehe  die  Summe  aus  den  vorangehenden  Unter- 
suchungen. 

Das  Johannesevangelium  zeigt  eine  Anschauung,  die  sich 
mit  der  des  Markus  nahe  berührt,  und  bietet  somit  auch  einige 
Bestätigung  für  unsere  Interpretation  des  Markus.  Ihre  Be- 
deutung für  das  Evangelium  darf  zwar  nicht  überschätzt 
werden,  aber  sie  hat  doch  eine  wesentliche  Bedeutung.  Aus 
den  polemisch-apologetischen  und  dogmatischen  Tendenzen  des 
Autors  lässt  sie  sich  auf  keinen  Fall  begreifen.  Dass  er  sie 
von  sich  aus  gebildet  hätte,  ist  daher  ganz  unmögUch.  Ebenso 
undenkbar  scheint  es,  dass  der  blosse  EinHuss  des  Markus  oder 


204 

der  anderen  Synoptiker  sie  erzeugt  hätte.  Denn  die  blosse 
Verwandtschaft  der  allgemeinen  Gedanken  macht  eine  Uterarische 
Entlehnung  noch  gar  nicht  wahi-scheinlich.  Vielmehr  miissten 
gerade  die  eigentümlichenFormen,  in  denen  sie  bei  Markus 
oder  seinen  Nachfolgern  auftreten,  herübergenommen  sein.  Das 
ist  nicht  der  Fall  oder  höchstens  in  ganz  eingeschränktem  Sinne. 

Doch  es  muss  näher  bestimmt  werden,  wie  weit  die  Über- 
einstimmung mit  Markus  reicht. 

Gemeinsam  ist  beiden  Schriftstellern  jedenfalls  der  Ge- 
danke, dass  die  Auferstehung  für  die  Jünger  zwei  Zeiten 
scheidet,  die  Zeit  der  Blindheit  und  die  der  Vollerkenntnis. 

Ferner  hält  Jesus  seine  Lehre  auch  bei  Johannes  in  ge- 
wissem Sinne  im  Verborgenen,  oder  er  teilt  sie  in  einer 
Weise  mit,  die  die  Hörer  hindert,  sie  zu  erfassen.  Das  ist 
aber  allerdings  nicht  mehr  die  Anschauung  vom  geheimen 
Messias  im  Sinne  des  Markus,  vom  Messias,  der  sich  selbst 
verbirgt.  Diese  ist  vielmehr  m.  E.  verschwunden,  wie  denn  der 
Johanneische  Christus  gerade  von  vornherein  offen  mit  dem  An- 
spruch auftritt,  Gottes  Sohn  zu  sein.  Dagegen  wird  das,  Avas 
hierher  gehört,  auf  den  Eintluss  zuriickzuführen  sein,  den  die 
besondere  Vorstellung  vom  Reden  Jesu  in  Parabeln  geübt  hat. 
Denn  sie  wirkt  freilich  bei  Johannes  deutlich  und  kräftig  nach, 
und  es  ist  dabei  gleichgiltig,  dass  das  Wort  yiaooiaia  nur  selten 
gebraucht  wird. 

Diese  Voi"stellung  ist  nun  aber  anders  und  enger  mit  der 
Vorstellung  von  der  Unfähigkeit  der  Jünger  verbunden  als  bei 
Markus.  Nach  der  synoptischen  Überlieferung  werden  die  Pa- 
rabeln den  Jüngern  gedeutet;  nur  für  das  Volk  bleiben  sie 
»Parabeln«.  Bei  Johannes  ist  der  Rätselcharakter  der  Rede 
Jesu  gerade  auf  die  Jünger  in  besonderm  Sinne  berechnet. 
So  bildet  er  geradezu  die  Ergänzung  zu  dem  Gedanken  der 
Jüngerschwachheit  und  in  gewissem  Sinne  seine  Motivierung. 
Dass  Jesus  einstweilen  nicht  begriffen  wird,  ist  naturgemäss; 
denn  er  hat  dunkle  Rede  gebraucht.  Die  »offene«  Rede  wird 
später  Verständnis  finden.  Freihch  das  Umgekehrte  ist  auch 
richtig :  Jesus  unterlässt  die  offene  Belehrung,  weil  er  liebe-  und 
nachsichtsvolle  Rücksicht  auf  die  Schwachheit  der  Jünger  nimmt. 
In  beiden!  zeigt  sich  zugleich,  dass  die  Ansicht  von  den  Jüngern 
selbst  nicht  che  Härte  hat.  die  ihr  bei  Markus  eignet. 


205 

Die  Vorstellung  der  Parabelrede  selbst  hat  aber  eine  innere 
Umwandlung  erfahren.  Aus  der  Anschauung,  dass  Jesus  einen 
b  e  s  t  i  m  m  t  e  n  T  e  i  1  seiner  ileden,  eben  die  bekannten  naqaßoXai, 
gesprochen  habe,  um  seine  Lehre  in  Dunkel  zu  hüllen,  ist  der 
Gedanke  geworden,  dass  er  seinen  Jüngern  gegenüber  und  sonst 
dunkel  in  seiner  Lehre  gewesen  sei.  Aus  dem  Subjekte,  von 
dem  die  Synoptiker  ihre  Aussage  machen,  —  der  wirklichen 
Gleichnisrede  Jesu  —  ist  bei  Johannes  s.  z.  s.  ein  Prädikat  ge- 
worden, ein  Charakterzug  seiner  irdischen  Redeweise  überhaupt. 
Natürlich  vermag  auch  Johannes  bei  7caQoifxla  an  eigentliche 
Gleichnisrede  zu  denken.  Nach  dem  Bilde  vom  Hirten  und 
den  Schafen  wird  zur  Einleitung  der  Deutung  (10 6)  bemerkt: 
Dieses  Gleichnis  sprach  Jesus  zu  ihnen;  jene  aber  be- 
griffen nicht,  was  das  bedeute,  was  er  zu  ihnen  sagte. 
Aber  die  Beziehung  der  dunklen  ß,ede  auf  solche  Gebilde,  wie 
man  sie  sonst  unter  den  Ttagaßolal  oder  7caQ0if.iiai  vorstellt, 
hat  sich  doch  ganz  gelockert.  Für  den  Evangehsten  würde 
Jesus  ev  TragoLf-ücug  reden,  auch  wenn  Derartiges  gar  nicht 
existierte.  Der  Ausgangspunkt  der  Voi"stellung  ist  also  so  gut 
wie  vergessen. 

Wenn  wir  nun  das  Recht  haben,  diese  Vorstellung  auch 
dort  zu  finden,  wo  die  Jünger  nicht  in  Frage  kommen,  so 
könnte  man  meinen,  ursprünglich  sei  doch  nur  an  die  Jünger 
gedacht,  die  allgemeinere  Vorstellung  sei  erst  eine  Erweiterung. 
Ich  glaube  vielmehr,  sie  wird  das  prius  sein.  Der  ursprüng- 
liche Gedanke  war:  Jesus  redete  auf  Erden  in  Rätselworten. 
Dieser  Gedanke  bleibt  aber  da,  wo  es  sich  nicht  um  das 
spezielle  Jüngerpublikum  handelt,  vergleichsweise  unbestimmt 
und  unwichtig,  weil  entgegengesetzte  Motive  ihn  zurückdrängen, 
oder  er  erscheint  nur  als  ein  Mittel,  den  erhabenen,  transzendenten 
Charakter  der  Lehre  Jesu  fühlbar  zu  machen.  Dagegen  erhält 
er  seine  scharfe  Ausprägung  bei  der  Schilderung  der  Jünger- 
belehrung. Und  zwar  deshalb,  Aveil  er  hier  auf  die  andere 
Vorstellung  der  Tradition  trifft,  dass  die  Jünger  Jesus  vor  seinem 
Tode  nicht  zu  verstehen  vermochten.  Diese  Vorstellung  hat 
ihn  an  sich  gezogen,  sich  mit  ihm  verbunden  und  ihm  dadurch 
erst  den  eigentlichen  Halt  gegeben. 

Man  kann  diese  johanneische  Auffassung  leicht  als  eine 
Umbildung   der    synoptischen   Parabeltheorie   verstehen.        Die 


206 

spezielle  Beziehung  der  Parabeln  auf  das  Volk,  wie  sie  die 
-S}^loptiker  anuebmeir.  wäre  dann  in  der  Folge  undeutlich  ge- 
worden oder  in  Wegfall  gekommen.  Indessen  muss  man  wohl 
mit  der  Möglichkeit  rechnen,  dass  die  Vorstellung  vom  Reden 
in  Parabeln  auch  früher  schon  ohne  die  Betonung  des  Volkes 
bedeutungsvoll  gewesen  ist.  Die  johanneische  Anschauung 
könnte  dann  auch  unmittelbar  mit  einer  Form  des  Gedankens 
in  Kontinuität  stehen,  die  noch  hinter  der  synoptischen  Auf- 
fassung läge. 

Noch  eins  scheint  mir  für  Johannes  bemerkenswert.  Es 
fällt  auf,  dass  nicht  blos  Worte  Jesu,  sondern  auch  Vorgänge 
seiner  Geschichte  wie  der  Einzug  in  Jerusalem  (12  le)  oder  das 
Fusswaschen  (13")  in  ihrer  höheren  Bedeutung  den  Jüngern 
dunkel  bleiben.  In  ge\vissem  Sinne  ist  das  ja  auch  schon  bei 
Markus  der  Fall.  Man  darf  an  Jesu  Leiden,  Tod  und  Auf- 
erstehung denken.  Die  Verständnislosigkeit  der  Jünger  wird 
zwar  zunächst  der  Belehrung  gegenüber  gekennzeichnet,  die 
Jesus  von  diesen  Dingen  giebt,  aber  darin  liegt  ja,  dass  ihnen 
die  Thatsachen  selbst  unverständlich  sind.  Doch  bleibe  Markus 
hier  aus  dem  Spiele,  da  seine  Voraussetzungen  zum  Teil  etwas 
anders  sind.  Bei  Johannes  ist  die  Ei-scheinung  jedenfalls  leicht  zu 
begreifen.  Das  Nichtverstehen  der  Worte  Jesu  ist  natürlich 
das  Erste.  Aber  die  Geschichte  Jesu  ist  den  Worten  in  ge- 
wisser Hinsicht  so  verwandt,  dass  die  scharfe  Grenzlinie  schwindet. 
Die  Vorgänge  bedeuten  etwas,  und  insofern  treten  sie  mit 
den  Worten  auf  eine  Linie,  sie  sind  Lehre  wie  diese.  Es  ist 
daher  ganz  natürHch,  dass  die,  die  sie  erleben,  sich  ihnen  gegen- 
über ebenso  verhalten  wie  den  Reden  Jesu  gegenüber. 

Sehen  wir  von  den  Besonderheiten  des  Johannes  ab,  so 
ergiebt  sich,  dass  er  in  seiner  Anschauung  von  den  Jüngern 
•dem  Markus  teilweise  näher  steht  als  Matthaeus,  der  die  iA.uf- 
fassung  des  Markus  verwischt,  und  selbst  als  Lukas,  der  sie 
wesentlich  einschränkt.  Dies  Zusammentreffen  ist  gerade  darum 
wertvoll,  weil  Markus  und  Johannes  zwei  ziemlich  weit  aus- 
einander liegende  Zeugen  sind,  und  weil  die  Charakteristik  der 
Jünger  bei  Johannes  aus  Markus  nicht  verständhch  wird,  jeden- 
faUs  nicht  aus  Markus  allein.  Es  beweist,  dass  es  sich  hier 
um  Gedanken  handelt,  die  in  weiteren  Kreisen  der  Kirche 
lebendig  gewesen  sind. 


Dritter  Abschnitt, 

Gesehiehtliehe  Beleuchtung. 


Wir  müssen  die  Idee  der  geheimen  Messianität  geschicht- 
lich zu  begreifen  suchen.  Denn  bis  jetzt  ist  sie  selber  für  uns 
noch  ein  Geheimnis.  Und  ein  Geheimnis,  das  sich  auf  den 
ersten  raschen  Bhck  kaum  enthüllen  wird.  Was  hat  es  für 
einen  Sinn,  dass  man  auf  den  Gedanken  verfällt,  Jesus  habe 
bis  zur  Auferstehung  nicht  erkannt  sein  wollen  und  sei  that- 
sächhch  selbst  von  seinen  vertrauten  Jüngern  nicht  erkannt 
worden?  Man  sucht  nach  einem  dogmatischen  Interesse,  das 
einen  solchen  Gedanken  erzeugen  könnte,  man  fragt  etwa  nach 
dem  Zwecke,  den  man  Jesus  zuschrieb,  wenn  man  sich  sein 
Verhalten  so  dachte,  wie  es  hier  geschieht;  aber  auf  diesem 
Wege  findet  man  keine  Antwort. 

Wir  betreten  überhaupt  ein  dunkles  Gebiet,  wenn  wir  nach 
dem  geschichthchen  Zusammenhange  fragen,  in  dem  die  An- 
schauung entstajiden  ist. 

Wer  da  meint,  er  könne  unter  den  messianischen  Daten 
der  Evangehen  dies  oder  jenes,  was  ihm  zusagt  oder  imponiert, 
ohne  Prüfung  als  richtig  hinnehmen,  danach  die  andern  Züge 
beurteilen  und  das  Gesamtbild  entwerfen,  hat  wenigstens  eine 
gewisse  Basis  für  die  Untersuchung.  Ich  vermag  mich  diesem 
Verfahren  nicht  anzuschliessen.  Die  Frage,  ob  Jesus  sich  über- 
haupt fiir  den  Messias  gehalten  und  als  solchen  kund  gegeben 
hat,  ist  bisher  nicht  sicher  beantwortet  worden.  Die  blosse 
Berufung  auf  die  Fülle  des  messianischen  Stoffes  in  den 
Evangehen  oder  auf  einzelne  in  sich  selbst  vielleicht  unbedenk- 


208 

liehe  Geschichten  erledigt  die  Sache  ebensoweing  wie  ein 
aprioristischer  Zweifel.  J.  Weiss  hat  zwar  kürzlich,  im  Sinne 
Vieler,  gesagt '),  kein  Sachkundiger,  der  vor  der  Überliefening 
Respekt  habe,  werde  wagen,  das  fortdauernde  »Messiasbewusst- 
sein«  Jesu  in  Zweifel  zu  ziehen.  Aber  es  handelt  sich  gerade 
darum,  wie  die  Überlieferung  beschaffen  ist,  ob  sie  Respekt 
verdient  oder  nicht.  Klar  ist  niu*  das  Eine :  wenn  Jesus  sich 
wirklich  als  Messias  gewusst  und  bezeichnet  hat,  so  ist  die  echte 
Überlieferung  so  sehr  mit  später  zugewachsener  verflochten, 
dass  sie  nicht  ganz  leicht  zu  erkennen  ist.  Das  ist  schon  durch 
die  obigen  Untersuchungen  genügend  bewiesen. 

Wir  können  hier  lediglich  fragen,  ob  sich  nicht  aus  der 
ermittelten  Anschauung  selbst  folgerungsweise  bestimmte  Er- 
kenntnisse ableiten  lassen,  die  sie  beleuchten ;  und  ob  nicht 
andere  deutliche  Anschauungen  aufzufinden  sind,  mit  denen  vär 
sie  geschichtlich  verknüpfen  können. 

Dabei  sind  wir  zunächst  ganz  auf  die  Daten  des  Markus 
gestellt.  Aber  es  wurde  schon  bemerkt,  dass  Markus  sich  diese 
Anschauung  nicht  ausgedacht  hat.  Wie  eng  oder  wie  weit 
das  Gebiet  war,  auf  dem  sie  zu  Hause  war,  bleibt  dunkel ;  doch 
eine  Geschichte  hat  sie  vor  Markus  zweifellos  gehabt.  Wir 
haben  dai'um  auch  damit  zu  rechnen,  dass  sie  in  der  Erzählung 
vom  Leben  Jesu  nicht  überall  in  den  konkreten  Formen  existiei-t 
hat,  die  Markus  uns  zeigt. 

Ich  habe  durchweg  zwei  Gedanken  auseinandergehalten: 
1)  Jesus  hat  bis  zur  Auferstehung  seine  Messianität  und  Gottes- 
sohnschaft verborgen;  2)  von  den  Jüngern  wurde  er  vor  diesem 
Momente  nicht  begriffen.  Für  die  jetzige  Untersuchung  ist  es 
besonders  mchtig,  diesen  Unterschied  in  aller  Strenge  aufrecht 
zu  erhalten. 

Es  ist  nämlich  sofort  klar,  dass  keiner  der  beiden  Ge- 
danken unmittelbar  aus  dem  andern  folgt.  Der  erste  Gedanke 
enthält  den  zweiten  nicht:  d.  h.  aus  der  Geheimhaltung  der 
Messianität  ergiebt  sich  nicht,  dass  die  Jünger  Jesus  nicht  ver- 
stehen. Sonst  müsste  er  sich  vor  ihnen  auch  verhüllen.  Der 
zweite    Gedanke    führt    aber     auch    nicht   notwendig    auf  den 


1)  J.  Weiss,  Jesu  Predigt  vom  Keiclie  Gottes  S.  157. 


209 

ersten.  Denn  wenn  es  der  VerstJlndnislosigkeit  der  Jünger 
nichts  abbricht,  dass  er  sicli  ihnen  offenbart,  so  könnte  er  über- 
haupt unerkannt  bleiben,  ohne  sich  geheim  zu  halten. 

Hiernach  entsteht  die  Vermutung,  dass  beide  Gedanken 
irgendwie  einen  verschiedenen  Ursprung  haben.  Grleichwohl 
ist  ihre  Verwandtschaft  gross  genug,  um  es  wieder  für  unwahr- 
scheinlich zu  halten,  dass  sie  ihrer  Entstehung  nach  gar  nichts 
mit  einander  zu  thun  haben  sollten. 


Das  Verbergen  der  Messianität  bis  zur  Auferstehung. 

Von  vornherein  Avill  ich  eine  Vorstellung  zurückweisen,  die 
sich  bei  der  Untersuchung  dieser  Idee  vielleicht  einstellen 
könnte. 

In  verschiedenen  Wendungen  begegnete  uns  der  Gedanke 
einer  geheimen  Belehrung.  Und  insofern  Hesse  sich  mit  einem 
gewissen  Rechte  alles  darunter  befassen,  als  die  Messianität 
oder  Gottessohnschaft  Jesu,  die  dem  Volke  verborgen  wird,  ge- 
radezu als  der  Inbegriff  der  christlichen  Lehre  gelten  kann, 
wie  ein  Markus  sie  denkt.  Damit  wären  dann  Vorstellungen 
nahegelegt,  Avie  sie  der  Begriff  »Geheimlehre«  in  der  Dogmen- 
geschichte erweckt.  Dies  Prädikat  hat  immer  wieder  dazu  ge- 
dient, eine  bestimmte  Lehre  als  die  wahre  zu  legitimieren.  Es 
bedarf  keiner  Überlegung,  um  zu  sehen,  dass  eine  solche 
Tendenz  nicht  der  Ausgangspunkt  unseres  Gedankens  sein  kann. 
Wo  der  Titel  Geheimlehre  eine  Beglaubigung  bedeutet,  pflegt 
es  sich  um  die  Empfehlung  einer  neuen  Lehre  neben  einer 
bekaimten  und  anerkannten  zu  handeln.  Bei  Markus  steht 
neben  der  geheimen  Lehre  keine  öffentliche  Lehre  mit  anderem 
Inhalt.     Dies  genügt  schon,  um  den  Gedanken  abzuweisen. 

Aber  wo  muss  nu)i  liei  dem  Versuche  einer  Erklärung  der 
Hebel  angesetzt  werden?  Wir  haben  den  Gedanken  des  Ge- 
heimnisses, deutlicher  der  Geheimhaltung  in  mehreren  Formen 
gefunden.  Hier  lassen  sich  drei  Hauptvorstellungen  unter- 
scheiden : 

Jesus  verbirgt  sein  Wesen  oder  seine  Messianität. 

Wrede,   Messiaspeheimiiis.  14 


210 

Er  verhüllt  seine  Lehre  durch  Parabelrede. 
Er  hält  seine  Lehre  geheim  (ohne  nähere  Bestimmung). 
Ich  nehme  an,  dass  diese  Voi-stellmi gen  zusammenhängen.  Dann 
wird  vor  allem  Weiteren  zu  fragen  sein,  welches  die  Grund- 
vorstellung ist.  auf  die  sich  die  eigentliche  Erklärung  zu 
richten  hat. 

Deutlich  scheint  mir  da  zu  sein,  dass  die  Vorstellung  der 
geheimen  Lehre  im  unbestimmten  Sinne  nicht  als  der  Aus- 
gangspunkt des  Ganzen  gedacht  werden  kann.  Im  Markus 
tritt  sie  jedenfalls  sehr  zurück,  abgesehen  von  der  besonderen 
Vorstellung  der  geheimnisvollen  Weissagung  des  künftigen 
Geschickes  Jesu,  aus  der  man  das  Übrige  nicht  wird  ableiten 
wollen.  Vor  allem  aber  ist  es  schwer  zu  begreifen,  wie  von 
hier  aus  die  bestimmte  Vorstellung  vom  Geheimnis  der  Person 
Jesu  entstanden  sein  sollte.  Ist  diese  dagegen  das  prius,  so  ist 
der  Weg  zum  Geheimnis  der  Lehre  leicht,  sobald  die  Lehre  auch 
als  eine  Funktion  des  Messias  betrachtet  wurde. 

Immerhin  ist  es  aber  der  Erwägung  wert,  ob  nicht  die 
Parabeltheorie  die  Grundlage  der  ganzen  Anschauung  ist.  Der 
Vorteil  dieser  Erklärung  läge  darin,  dass  ^\ir  sofort  einen  kon- 
kreten Anlass  für  die  Bildung  des  Gedankens  hätten.  Dass 
Jesus  in  Parabeln  gelehrt  hatte,  war  in  der  Überlieferung  ge- 
geben; dass  er  die  Sprache  der  Parabeln  wählte,  um  seine 
Gedanken  zu  verbergen,  war  nach  der  Bedeutung  von  rtagaßoli^ 
ein  fast  aufgenötigter  Gedanke. 

Von  der  fertigen  Parabeltheorie  aus  müssten  wir  uns  dann 
etwa  folgenden  Gedankengang  vorstellen:  Jesus  hat  sich  dem 
Volke  durch  dunkle  Rede  verschlossen.  Natürlich  hat  er  dabei 
die  Hauptsache  nicht  ausgenommen,  die  Messianität.  Also  hat 
er  dem  Volke  verborgen,  dass  er  der  Messias  sei.  Also  hat  er 
verboten,  darüber  zu  sprechen,  sobald  er  als  Messias  bezeichnet 
wurde. 

Niemand  wird  an  diesen  Gedankengang  glauben,  und  nicht 
nur  danim,  weil  er  keine  Notwendigkeit  hat.  Bei  Markus  geht  die 
Parabeltheorie  wohl  in  gewissem  Sinne  neben  den  einzelnen 
Gleichnissen  her,  aber  der  Gedanke  der  verhüllenden  Rede  ist 
doch  von  den  konkreten  Gebilden  der  Gleichnisse  keineswegs 
abgelöst.  Sollen  wir  nun  annehmen,  dass  vor  Markus  diese  Ab- 
lösung sich  längst  vollzogen  habe,  und  dass  neben  dem  gänzlich 


211 

umgewandelten  Gedanken  sich  andrei*seits  die  ursprüngliche 
Theorie  in  ihrer  ersten  Gestalt  bei  ihm  darstelle?  Unmöghch 
sind  solche  Entwicklungen  ja  keineswegs.  Indessen  es  müssen 
bessere  Gründe  vorhanden  sein  als  hier,  wenn  wir  mit  ihnen 
rechnen  sollen ;  und  der  Weg,  den  hier  die  Vorstellung  durch- 
laufen haben  müsste,  bis  sie  ihre  konkrete  Gestalt  bei  Markus 
erreicht  hätte  —  für  ihn  müssen  die  Verbote  als  der  Haupt- 
punkt gelten  — ,  ist  denn  doch  sehr  weit.  Dazu  noch  eins.  Bei 
den  Verboten  ist,  wenn  wir  recht  gesehen  haben,  der  Gedanke 
an  den  Zeitpunkt  der  Auferstehung  wesentlich.  Die  Be- 
deutung dieses  Zeitpunktes  kann  von  der  Parabelanschauung 
aus  nicht  begriffen  werden  i). 

Demnach  betrachte  ich  als  den  eigentlichen  Gegenstand 
der  Untersuchung  die  messianische  Selbstverhüllung  Jesu  im 
nächsten  und  engsten  Sinne  des  Wortes. 

Hier  kann  nun  die  Vermutung  auftauchen,  dass  eine 
messianische  Vorstellung    des  Judentums   die  Erklärung   liefere. 

Auch  auf  jüdischem  Boden  begegnet  uns  der  Gedanke,  dass 
der  Messias  eine  Zeit  lang  verborgen  existiert,  und  zwar  nicht 
blos  im  Himmel,  was  hier  ja  nichts  bedeuten  würde,  sondern 
auf  Erden.  Haben  wir  hier  den  Vorgänger  des  christlichen 
Gedankens  bei  Markus?  Auch  wenn  volle  Identität  der  Vor- 
stellungen nicht  vorhanden  wäre,  könnte  es  wichtig  sein,  dass 
das  Judentum  eine  solche  Vorstellungsform  geschaffen  hätte. 
Das  Entstehen  einer  Idee  wird  leichter  begreiflich,  wenn  eine 
Form  für  ihren  Inhalt  schon  fertig  vorliegt. 


Der  verborgene  Messias  des  Judentums. 

Wir  finden  den  Gedanken^)  in  deuthcher  Prägung  bei  Justin. 
Der  Jude  Trypho  sagt  im  Dialoge  c.  8: 

(Der)  Christus  [aber],    wenn  er  auch  (schon)    geboren  ist 
und   irgend   wo    lebt  (xat  tOTi  rtov),    ist  unbekannt  und 


1)  Diese  Erwägungen  stützen  auch  das  oben  S.  62  f.  Gesagte. 

2)  Vgl.  zum  Folgenden  G  fror  er,  Jahrhundert  des  Heils  II  S.  223  ff., 
Lücke  zu  Joh.  727,  Sehürer,  Gesch.  des  jüd.  Volkes^  II,  S.  531  f. 
.(=  ■•'II  S.  447  f.),  Da  Im  an,  I  S.  247,  107. 

14* 


212 

kennt  sich  auch  selbst  noch  nicht,  hat  auch  noch  keinerlei 

Macht,   bis    dass  Ehas  gekommen  ist,    ihn  gesalbt  ^)  und 

allen  offenbar  gemacht  hat. 
Ebenso    giebt  Justin   c.  110    als  jüdische  Vorstellung  an:    auch 
wenn  der  Messias  gekommen  sei,  wisse  man  doch  nicht,  wer  er 
sei,  vielmehr  erfahre  man  es  erst,  wenn  er  offenbar  werde  und  in 
Hen^lichkeit  erscheine  (orav  e/ncpavrjg  y,al  ivdo^og  yevrjTca). 

Diese  Anschauung  tritt  bei  Justin  der  chiistlichen  Behauptung 
gegenüber,  dass  der  Messias  schon  gekommen  sei.  Das  Juden- 
tum kann  die  Möglichkeit  zugeben,  dass  er  bereits  geboren  ist, 
aber  es  legt  dem  nicht  die  Bedeutung  bei  wie  die  Christen, 
und  eigentlich  überhaupt  keine  Bedeutung;  denn  es  kanji  mit 
dieser  leeren  Möglichkeit  nichts  anfangen.  Die  Erfüllung  der 
Hoffnung  beginnt  doch  erst  mit  dem  Augenblicke,  wo  er  in 
Glanz  und  Herrschermacht  hervortiitt;  oder  mit  der  Ankunft 
des  Elias,  die  das  Kennzeichen  ist,  dass  er  selbst  erscheint. 

Eine  verwandte  Voi-stellung  setzt  das  Johannesevangelium 
voraus,  wenn  die  Juden  72?  sagen: 

wenn  der  Chiistus  kommt,  so  weiss  niemand,  von  wannen 

er  ist; 
die  Verborgenheit  seiner  Herkunft  erscheint  als  ein  Kennzeichen 
des  Messias.     Verwandt  ist  auch  das  rabbinische  Theologumenon, 
dass    der  Messias,    nachdem    er    geboren    ist,    zunächst    wieder 
entrückt  wird,  ehe  er  als  Messias  auftritt  2). 

Wie  alt  die  von  Justin  bezeugte  Vorstellung  ist,  wissen 
wir  nicht.  Man  darf  nicht  vergessen,  dass  gerade  die  Existenz 
eines  christlichen  Messiasglaubens  die  jüdische  Gelehrsamkeit 
und  Spekulation  über  den  Messias  sehr  stark  belebt  haben  wird. 
Das  ist  eine  Warnung,  solche  Vorstellungen  unbesehens  in  die 
vorchristhche  Zeit  zu  schieben.  Aber  es  mag  sein,  dass  diese 
schon  da  war,  als  Markus  schrie!).  Es  mag  auch  sein,  dass 
sie  weiteren  clu-istlichen  Kreisen  vor  Markus  bekannt  war,  wie- 
wohl sie  eher  nach  einer  gelehrten  Tiftelei  aussieht  als  nach 
einer  populär-jüdischen  Anschauung.      An   irgend  einen  Zu- 


1)  Vgl.  Dial.  c.  49.    üerJude  sagt:  Ix  rfi  tov  ^»jJi  'HXiuv  ilrjXvd^evai, 
Ol Ji  TovTov  (Jesus)  c(7TO(faivofx«i  th'tu  (sc.  der  Christus). 

2)  S.  Da  Im  an  a.  a.  0. 


213 

sammenhang  mit  dem  christlichen  Gedanken  der  verborgenen 
Messianität  vermag  ich  selbst  unter  diesen  Voraussetzungen  nicht 
zu  ghiuben.  Deim  diese  Anschauung  ist  von  ihm  zu  verschieden. 
Misshch  ist  schon,  dass  man  eine  andere  Gestalt  des  christ- 
lichen Analogons  erwarten  sollte:  eine  Verborgenheit  nur  vor 
der  Taufe  durch  Johannes  als  den  Elias,  der  zum  Messias 
Jesus  gehört.  Jedoch  braucht  der  Gedanke  an  die  Salbung 
und  Kundmachung  durch  Elias  nicht  durchaus  als  notwendiger 
Zug  der  jüdischen  Vorstellung  zu  gelten,  sie  könnte  auch  ohne 
ihn  existiert  haben.  Entscheidend  aber  ist,  dass  die  Verborgen- 
heit hier  und  dort  etwas  ganz  Verschiedenes  bedeutet.  Bei 
Markus  verhüllt  der  Messias  absichtlich  die  Würde,  deren  er 
sich  bewusst  ist,  er  verhüllt  auch  sein  Wirken,  das  dieser  Würde 
entspricht.  Bei  Justin  handelt  es  sich  nur  um  ein  inhaltloses 
Da-sein  des  Messias  vor  seinem  Auftreten.  Er  ist  unbekannt, 
das  bedeutet  lediglich:  er  ist  zunächst  nur  »ein  Mensch  von 
Menschen  her«  i),  von  dem  man  nichts  weiss.  Nicht  einmal  er 
selbst,  wird  charakteristisch  hinzugefügt,  weiss  von  seiner  Be- 
stimmung. M.  a.  W.  diese  Idee  ist  nichts  weiter  als  der 
Schatten  der  wichtigeren  Vorstellung  von  einem  unberechenbaren, 
plötzlichen  Erscheinen  des  Messias  in  Herrlichkeit.  Und  es  ist 
allerdings  nicht  unwahrscheinlich,  dass  sie  nur  entstanden  ist, 
weil  einerseits  dieses  plötzliche  Erscheinen  feststand,  andrerseits 
das  messianische  Dogma  aufgekommen  war,  der  Messias  werde 
als  Kind  in  Betlehem  geboren  werden  2).  Sie  würde  dann  die 
Verbindung  und  den  Ausgleich  beider  Gedanken  darstellen. 
Ich  vermag  nicht  zu  sehen,  wie  man  die  Markusanschauung  von 
hier  aus  irgendwie  erklären  will. 

Dagegen  giebt  es  nun  eine  christliche  Anschauung,  deren 
nahe  Verwandtschaft  mit  der  unsern  sich  kaum  in  Abrede 
stellen  lässt:  es  ist  der  Gedanke,  dass  Jesus  erst  mit  der 
Auferstehung  zum  Messias  wird. 

Der  Vergleich  drängt  sich  einmal  deshalb  auf,  weil  die 
Auferstehung  in  beiden  Fällen  das  massgebende  Datum  ist.  So- 
dann   aber   ist  die  Betrachtung    des    irdischen  Lebens  Jesu    in 


1)  Dial.  c.  49. 

2)  S.  Schürer   a.  a.  0. 


214 

ihrer  negativen  Art  nah  verwandt:  das  eine  Mal  muss  man 
die  Folgerung  bilden :  Jesus  war  während  seiner  irdischen  Wirk- 
samkeit noch  nicht  der  Messias,  das  andere  Mal  heisst  es:  er 
wollte  es  noch  nicht  sein,  und  er  galt  noch  nicht  als  solcher. 
Demgemäss  ist  die  Auferstehung  hier  die  Offenbarung,  dort  die 
Eealisierung  der  Messianität.  In  der  That,  der  Eindruck,  dass 
diese  Gedanken  zusammenhängen,  ist  von  vornherein  stark. 

Der  Punkt  erfordert  eine  eingehende  Betrachtung.  Es  sei 
gestattet,  die  Vorstellung,  dass  Jesus  erst  nach  seinem  irdischen 
Leben  Messias  wird^),  kurzweg  mit  dem  Ausdnick  »zukünftige 
Messianität«  zu  bezeichnen. 

Der  geheime  und  der  zukünftige  Messias. 

Petms  sagt  in  seiner  PfingstiDredigt  (Act.  2 so),  dass  Gott 
den  Jesus,  den  die  Juden  kreuzigten,  zum  Herrn  und  zum 
Christus  gemacht  habe;  hinzugedacht  ist  dabei:  durch  die 
Auferweckung,  Dies  Wort  würde  ganz  allein  beweisen,  dass  es 
im  Urchristentum  eine  Anschauung  gegeben  hat,  nach  der  Jesus 
in  seinem  irdischen  Leben  nicht  der  Messias  war.  Ich  vermeide 
den  Ausdinck:  noch  nicht  der  ganze  Messias.  Im  irdischen 
Leben  fehlt  Jesus  allerdings  nur  eins,  um  der  Messias  zu  sein: 
die  Herrscherwürde  und  -macht.  Aber  dies  Eine  ist  das  Ganze, 
es  macht  eben  den  Begriff  des  Messias  aus,  sowie  ihn  das 
Christentum  vom  Judentum  überkommen  hat.  Die  Auferstehung 
hat  erwiesen,  dass  Jesus  diese  Würde  und  Macht  nunmehr  er- 
langt hat;  und  nicht  blos  erwiesen,  sondern  bewirkt.  Von  nun 
an  kann  man  also  des  Messias  warten;  vorhanden  ist  er,  so 
kann  er  kommen. 

Mit  Recht  weist  man  darauf  hin,  dass  Paulus  eine  analoge 
Anschauung  verrät.  »Kraft  der  Auferstehung  von  den  Toten« 
ist  Jesus    »eingesetzt   zum  Sohne  Gottes    in  Macht«  (Rom.  I4). 

1)  Es  ist  ein  Verdienst  von  J.  Weiss,  diese  Auffassung  von  der 
Messianität  besonders  kräftig  vertreten  zu  haben.  S.  Nachfolge  Christi 
S.  59ff.,  Predigt  J.  vom  Keiche  Gottes  S.  158 f.,  auch  Komm,  zu  Lukas 
S.  637 f.  (zu  Luk.  22 66 ff.).  Vgl.  ferner  Brandt,  Die  evang.  Gesch. 
und  der  Ursprung  des  Christentums  S.  478  (Änm.),  Dalman  I  S.  259, 
auch  Well  hausen,  Israelit,  und  jüd.  Geschichte  1.  Ausg.  S.  318, 
4.  Ausg.  (1901)  S.  391,  Holtzmann,  Neutest.  Theol.  I  S.  361,  Jülich  er, 
Gleiehnisreden  II  S.  473. 


215 

Es  ist  gleichgiltig,  ob  Paulus  auch  den  irdischen  Jesus  Sohn 
Gottes  nennen  konnte.  Das  käme  dann  nui-  daher,  dass  er  im 
vorirdischen  Dasein  die  Sohnschaft,  das  elvai  Yoa  ^e(n  liesass. 
In  Wahrheit  hat  der  Menschgewordene  sich  ja  gerade  des  Daseins 
entäussert,  das  den  Sohn  Gottes  kennzeichnet i).  Und  so  wird 
er  auch  nach  Paulus  durch  die  Auferstehung  etwas,  was  er  als 
Mensch  in  keinem  Sinne  war.  Deutlich  sagt  das  auch  die  be- 
kannte Stelle  des  Philipperbriefs  (2 off.).  Das  raenschhche  Sein, 
in  dem  Jesus  aller  Würde  und  Hoheit,  die  ihm  zustände,  haar 
und  leer  ist,  wird  aufgehoben  durch  die  Erhöhung,  und  damit 
empfängt  er  den  Namen  über  alle  Namen,  den  Herrnnamen, 
mit  dem  Namen  aber  natürlich  die  Sache,  die  Herrschaft  über 
alle  und  über  alles. 

Bedeutsam  ist  ferner  die  Art,  wie  das  Neue  Testament  von 
seiner  dereinstigen  Erscheinung  redet.  Wir  hören  nicht  von 
seinem  Wiederkommen,  sondern  nur  von  seinem  Kommen.  In  allen 
eschatologischen  Reden  der  Evangelien  wird  vom  Christus  nicht 
anders  gesprochen  wie  vom  erwarteten  Reiche:  der  terminus  ist 
l'QXeo&m^).  nagoLola  ferner  heisst  nicht  Wiederkunft,  sondern 
stets  Ankunft:  man  sollte  die  lalsche  Übersetzung 3)  streng  ver- 
meiden, um  nicht  eine  Avichtige  Eigentümlichkeit  der  neutestament- 
lichen  Sprache  zu  verwischen.  Der  ganze  Sprachgebrauch  ruht 
offenbar  auf  der  Vorstellung,  dass  die  »Wiederkunft«  die  erste 
und  einzige  messianische  Erscheinung  ist.  Jesus  ist  dagewesen^ 
aber  der  Messias  kommt  doch  erst.  Dass  er  aber  erst  bei  der 
Ankunft  Messias  wird,  ist  damit  nicht  gesagt.  Er  ist  es  seit 
der  Auferstehung. 

Es  ist  nützlich  der  Veränderung  zu  gedenken,  die  hier  die 
Folgezeit  biingt.  Justin  unterscheidet  schon  überall  eine  ugiorri 
und  Öevrega  nagotoia  Christi,  (he  eine  ist  ado'iog,  die  andere 
svdoBog*).  Gerade  die  doppelte  Ankunft  ist  eine  christliche 
Unterscheidungslehre  gegenüber  dem  Judentum.     Natüriich  wn'd 

1)  Die  Sohnschaft  im  wahren  Sinne  hängt  auch  für  die  Christen 
an  dem  Verlassen  des  Fleischeslebens  (Köm.  823).  Erst  damit  werden 
sie  dem  »Bilde  des  Sohnes«,  d.  h.  seiner  Seinsweise  gleich  gestaltet  (829). 

2)  Luk.  1730:  (inoxuXvnrtaiha. 

3)  Auch  bei  der  naQovala  des  Antichrists  2.  Thess.  28 f.  hat  sie 
Unheil  gestiftet. 

4)  Dial.  c.  4i>. 


216 

sie  auch  bereits  in  der  Schrift  gefunden:  die  beiden  Böcke 
Lev.  16  sind  der  Tyi^us  der  beiden  TtccQovoim  i).  Aber  auch 
schon  bei  Ignatius  ward  der  neue  Sprachgebrauch  bemerkhch, 
unter  der  nagovoia  zov  owziJQog  wird  2)  die  Erscheinung  im 
Fleische  verstanden  3). 

Diese  Veränderungen  der  Terminologie  sind  charakteristisch. 
Indessen  deckt  sich  die  Sache  nicht  immer  ganz  mit  der  Ter- 
minologie; die  Terminologie  hinkt  etwas  hinterdrein,  auf  die 
Sache  aber  kommt  es  an.  Diese  ist  nun  doch  z.  B.  im  Johannes- 
evangehum  bereits  völlig  da.  Hier  ist  Jesus  offenbar  in  seinem 
geschichthchen  Leben  bereits  der  Messias.  Mag  das  einstige 
Kommen^)  Christi  bedeuten,  was  es  will,  das  Gekommen  sein, 
das  Erscheinen  im  Fleische  steht  an  Wichtigkeit  nicht  dahinter 
zurück.  Das  Urteil:  er  war  der  Messias,  ist  genau  so  not- 
wendig wie  das  andere:  er  hat  Gott  und  seine  AVahrheit  ge- 
off"enbart,  hat  alles  vollbracht,  was  zum  Heile  notwendig  ist. 

Die  Entwickelung  in  der  Anschauung  vom  Messias  Jesus, 
die  wir  hier  wahrnehmen,  lässt  sich  wohl  verstehen. 

Die  Auffassung,  nach  der  Jesus  erst  nach  seinem  Tode  zum 
Messias  wrd,  ist  sicher  nicht  blos  alt,  sondern  die  älteste,  von 
der  wir  wissen.  Wäre  von  Anfang  an  das  irdische  Leben  Jesu 
als  eigenthches  Leben  des  Messias  angesehen  worden,  so  wäre 
man  schwerlich  nachträghch  darauf  verfallen,  die  Auferweckmig 
als  den  formellen  Beginn  der  Messianität,  die  Erscheinung  in 
Herrhchkeit  als  das  eine  Kommen  des  Messias  zu  betrachten. 
Eine  andere  Erwägung  kommt  hinzu.  Wer  konnte  nach  jüdischen 
Begriffen  im  irdischen  Leben  Jesu  das  Wesen  der  Messianität 
auch  nur  zum  Teil  verwirklicht  ffnden?  So  dehnbar  waren  denn 
doch  diese  Begriffe  schwerlich  &),    dass    man  einen  umherziehen- 

1)  Dial.  c.  40. 

2)  Ad  Philad.  c.  9.  Ebenso  auch  A';jpi';'ji/«/7frpoi;  (bei  Preus  eben, 
Antilegomena  p.  54,  Fragm.  9). 

3)  Justin  gebraucht  so  neben  naooiaia  auch  ^nnfävnn  (Apol. 
1.44)  oder  (fcwfQuiaig  tov  Xoiaiov.  Übrigens  zeigt  sich  die  Wandlung  im 
Sprachgebraucbe  auch  schon  in  den  spateren  Schritten  des  N.  T.  Vgl. 
z.  B.  ^nitfävnu  2.  Tim.  lio. 

4)  1.  Job.  228:  nuQovaia. 

5)  An  eine  Elastizität,  wie  sie  Harn ac  k,  Das  Wesen  des  Christen- 
tums S.  86f.  hier  annimmt,  vermag  ich  nicht  zu  glauben.  Es  fragt  sich 
eben,  was  die  evangelischen  Daten  wert  sind,  auf  die  er  sich  stützt. 


217 

den  Lehrer  und  Krunkenheiler,  dessen  Leben  von  Herrschaft 
und  Herrhchkeit  nichts  aufwies,  als  wirklichen  Messias  ansehen 
konnte.  Denkbar  scheint  nur,  dass  Wirksamkeit  oder  Persönhch- 
keit  Jesu  schon  zu  seinen  Lebzeiten  die  Frage,  die  Ahnung,  die 
Hoffnung,  vielleicht  den  Glauben  erweckt  hätte,  er  sei  zum 
Messias  von  Gott  ausersehen.  Das  hiesse  aber  eben  wieder  nur, 
dass  er  es  noch  nicht  war.  Wer  das  Petrusbekenntnis  für  ein 
geschichtliches  Faktum  hält,  muss  auch  schon  daraus  den 
gleichen  Schluss  ziehen.  Denn  es  beweist  dann  jedenfalls;  dass 
das  Volk  bis  dahin  trotz  aller  vorhergegangenen  Wunderwirk- 
samkeit nichts  in  Jesus  fand,  was  auf  seine  Messianität  zwingend 
hinwies;  und  selbst  für  die  Jünger  müsste  trotz  aller  Verehrung 
für  den  Meister  die  längste  Zeit  dasselbe  gegolten  haben. 

Diese  älteste  Auffassung  der  Messianität  Jesu  hat  nun  mehr 
und  mehr  eine  Verschiebung  erfahren.  Das  Entscheidende  ist 
dabei  nicht,  dass  man  den  irdischen  Jesus  den  Messias  nannte, 
oder  dass  man  sagte,  Gott  habe  den  Messias  gesandt;  das 
würde  immer  noch  heissen  können:  der  ist  dagewesen,  den  wir 
nun  als  Messias  erwarten  dürfen.  Vielmehr  kommt  alles  darauf 
an,  dass  die  Thatsachen  des  vergangenen  Lebens  Jesu  ein  neues 
Gewicht  und  ein  anderes  Ansehen  erhielten. 

Das  nächsthegende  Beispiel  ist  hier  der  Tod  Jesu,  ur- 
sprünghch  ein  Ereignis,  das  den  schneidendsten  Gegensatz  zu 
jeder  auf  Jesus  gerichteten  Hoffnung  darstellen  musste.  Wer 
ihn  als  Erlösungstod  betrachtete,  erkannte  damit  an,  dass  das 
Vergangene,  das  Geschehene  nicht  blos  eine  Anwartschaft  gab 
für  das  Künftige,  sondern  wirklich  schon  etwas  Wesentliches 
gebracht  hatte.  Das  ist  trotz  des  oben  Gesagten  bereits  bei 
Paulus  der  Fall.  Es  ist  zwar  nicht  richtig,  dass  bei  Paulus 
die  Sehnsucht  nach  der  Zukunft  zurückträte  hinter  der  Em- 
pfindung der  schon  erfahrenen  Erlösung,  und  man  sollte  nicht 
sagen,  er  betone  den  Glauben  mehr  als  die  Hoffnung  i).  Denn 
dass  der  Glaube  betont  wird,  hat  andere  Gründe,  und  es  lässt 
sich  zeigen,  dass  alle  Aussagen  des  Paulus  über  die  bereits  voll- 
zogene Erlösung  in  sich  den  Hinweis  auf  die  Zukunft  tragen. 
Aber  soviel  ist  richtig:  so  sehr  auch  bei  ihm  alle  Gedanken  auf 


1)  So  Wollhausen,  Israel,  u.  jüd.  Gesch."   S.  ;519.     Die  4.  Ausj; 
•S.  392  fügt  zum  Glauben  die  Liebe  hinzu. 


218 

das  Ende  hindrängen,  so  sehr  ruht  seine  Hoffnung  allerdings  schon 
auf  dem,  was  Gott  in  Christus  gethan  hat,  auf  der  Thatsache 
der  Vergangenheit,  dass  er  gestorben  ist. 

Allein  neben  dem  Tode  wurde  vieles  Andere  im  Erden- 
leben Jesu  bedeutungsvoll,  notw^endig,  unentbehrlich,  ob  es  nun 
erst  hinzuwuchs  ziu'  Erinnerung  oder  schon  ursprünglich  in  ihr 
enthalten  war.  Nicht  blos  die  Begabung  mit  dem  Geiste  und 
die  übernatürliche  Geburt  gehören  dahin,  sondern  schliesslich 
auch  die  Wunder-),  als  die  Zeichen  und  Zeugnisse  seiner  Macht 
und  Herrlichkeit,  sowie  alles,  was  bewues,  dass  sich  die  Weissagung 
au  ihm  erfüllt  habe.  Denn  die  blosse  Thatsache,  dass  ein  Zug 
seines  Lebens,  auch  ein  untergeordneter,  geweissagt  war,  ver- 
wandelte seine  Quahtät. 

Einigermassen  parallel  mit  dieser  wachsenden  Bedeutung 
des  Lebens  Jesu  gieng  ein  Verblassen  der  ersten  Hoffnung,  das 
Zurücktreten  nicht  des  Glaubens  an  die  Parusie,  aber  an  die 
unmittelbar  bevorstehende  Parusie. 

So  gewann  das  L'rteil :  Jesus  ist  der  Messias  gewesen, 
mehr  und  mehr  einen  eigenen  Inhalt  und  eine  selbständige  Be- 
deutung. Es  entstand  ein  neuer,  ein  spezifisch  christ- 
licher Messiasbegriff,  der  nicht  bestimmt  genug  von  dem 
älteren  unterschieden  werden  kann,  ein  Begriff  von  sehr  kom- 
plexer Art.  Er  war  zum  guten  Teile  dadurch  zu  Stande  ge- 
kommen, dass  eine  Fülle  von  neuen  Prädikaten  zum  über- 
kommenen Begriff  des  Messias  hinzutrat,  wodurch  auch  die 
alten  ein  neues  Gesicht  bekamen,  oder  dadurch,  dass  alles 
Wesentliche,  was  man  von  Jesu  Leben  wusste  und  zu  wissen 
meinte,  zum  Begriff  des  Messias  selber  geschlagen  wurde. 

Die  Datierung  der  Messianität  von  der  Auferstehung  ist 
nun  jedenfalls  nicht  ein  Gedanke  Jesu,  sondern  ein  Gedanke 
der  Gemeinde.  Das  Erlebnis  der  Erscheinungen  des  Auferstan- 
denen ist  dabei  vorausgesetzt.  Das  kann  nur  der  leugnen,  der 
die  Weissagung  der  sofortigen  Auferstehung  für  Jesus  möglich 
findet 


1)  Auch  wenn  sie  schon  zu  Jesu  Lebzeiten  den  Gedanken  an  seine 
raessianische  Bestimmung  erweckt  haben  sollten,  würden  sie  doch  nach- 
her noch  in  einem  anderen  Sinne  messianisch  bewertet  worden  sein. 


219 

Ebenso  deutlich  scheint  mir,  dass  Jesus  nicht  so  von  seinem 
messianischen  Kommen  geredet  haben  kann,  wie  es  die  Synoptiker 
berichten.  Die  oftmals  heimlich  weggewünschten  und  ebenso  oft 
als  Trumpf  ausgespielten  Parusieaussagen  über  den  Menschen- 
sohn setzen  doch  ganz  offenbar  den  christlichen  Messias- 
begriff voraus.  Vom  Kommen  des  Messias  konnte  zwar  jeder 
Jude  reden.  Aber  es  ist  ein  grosser  Unterschied,  ob  Dritte  so 
sprechen,  oder  ob  Jesus  selbst  der  Eedende  ist.  Das  »Kommen« 
ist  doch  ein  Kommen  auf  die  Erde.  Jesus  redet  aber  auf  der 
Erde.  Folglich  ist  der  Tod,  der  ihn  von  der  Erde  entfernt,  in 
diesen  Aussagen  eingeschlossen.  Die  Evangehsten  haben  daran 
nicht  gedacht;  sie  geben  diese  Worte  von  ihrem  eigenen  Stand- 
punkte hinter  dem  Tode  Jesu.  Andernfalls  hätten  sie  — 
wenigstens  Markus  —  vermutlich  erst  recht  nach  ihnen  beteuert, 
dass  die  Jünger  Jesus  nicht  verstanden.  Für  uns  aber  liegt 
hier  ein  unüberwindlicher  Anstoss.  Ob  Jesus  mit  der  Mög- 
lichkeit oder  Wahrscheinlichkeit  seines  Todes  ge- 
rechnet hat,  kommt  hier  gar  nicht  in  Betracht.  Wer  so  sprach, 
für  den  war  der  Tod  nicht  das  eine  und  nicht  das  andere,  er  war 
eine  Selbstverständlichkeit  geworden.  Er  brauchte  nicht  eimnal 
mehr  genannt  zu  werden,  wenn  von  ihm  die  Rede  war.  Auch 
bei  seinen  Hörern  müsste  Jesus,  wenn  er  so  gesprochen  haben 
soll,  vorausgesetzt  haben,  dass  sie  mit  dem  Gedanken  so  vertraut 
waren,  dass  sie  das  übergangene  Zwischenglied  ohne  Weiteres 
ergänzten.  Vor  den  Richtern  möchte  eine  Drohung  Jesu,  er 
werde  auf  den  Wolken  des  Himmels  kommen,  noch  vei'ständlich 
scheinen,  wenn  die  Hiiu'ichtung  beschlossene  Sache  war;  aber 
die  Evangelisten  lassen  Jesus  auch  sonst  ebenso  reden,  Markus 
gleich  nach  dem  Petrusbekenntnis  und  trotz  der  Ablehnung  des 
Leidensgedankens  durch  den  Jünger  (Sss),  Matthaeus  gar  in  der 
Aussendungsrede  (IO23)  *). 

Der  Glaube  Jesu  an  eine  künftige  Erhöhung,  eine  der- 
einstige Krönung  mit  messianischer  Herrlichkeit  ist  hiermit 
noch  nicht  als  unmöglich  erwiesen.  Man  könnte  sagen,  er 
habe    sie    auf  Erden    erwartet,   etwa   in    der  Form    einer  Ver- 


1)  Der  Charakter  der  Parusieaussagen  ebenso  wie  der  der  Leidens- 
weissagungen wirft  nebenbei  auch  ein  Licht  auf  den  terminus  o  vlos 
Tov  «ri^^JWTToi',  der  ja  bei  beiden  eine  besondere  Rolle  spielt. 


220 

Wandlung  ^),  vielleicht  aucli,  er  habe  diese  Erwartung  später  nach 
den  geschichtlichen  Umständen  modifiziert,  indem  er  mit  der 
Wahrscheinlichkeit  des  Todes  vor  der  Erhöhung  rechnete  2). 
Von  beideni  wissen  die  EvangeHsten  freilich  nichts,  wenn  man 
bei  ihren  Worten  bleibt. 

Eine  wesenthche  Schwierigkeit  für  die  Annahme,  dass 
Jesus  sich  selbst  für  den  Messias  ausgegeben  habe,  liegt  darin, 
dass  man  nicht  leicht  angeben  kann,  was  er  damit  gemeint  hat. 
Ist  der  Gedanke  an  eine  Messiasproklamation  im  politischen, 
patriotisch-revolutionären  Sinne  ausgeschlossen,  was  bedeutet  dann 
der  messianische  Anspruch?  Charakteristisch  für  die  Sachlage 
ist,  was  Wellhausen  geantwortet  haf^).  Jesus  hat  gerade  alle 
jüdischen  Messiasvorstellungen  abgelehnt.  Er  richtete  die  Hoff- 
nung und  Sehnsucht  >auf  ein  anderes  Ideal,  höherer  Ordinmg. 
Nur  in  diesem  Sinne  kann  er  sich  den  Messias  genannt  haben : 
«ie  sollten  keines  andern  warten.  Er  war  nicht  derjenige,  den 
«ie  wünschten,  aber  er  war  der  wahre,  den  sie  wünschen 
sollten«.  Ich  gestehe,  dass  ich  mir  davon  keine  Vorstellung 
machen  kann.  Ein  jüdischer  Mann,  der  inmitten  seines  Volkes 
lebt  und  wirkt,  substituiert  dem  festgeprägten  Messiasbegriffe 
«twas,  was  alle  seine  eigentlichen  Merkmale  aufhebt,  er  ver- 
wandelt eine  theokratisch  -  eschatologische  Idee  unter  der  Hand 
in  eine  geistig-religiöse,  wie  sie  keinem  Juden  bekannt  war? 

Aber  hier  scheint  nun  gerade  die  einfache  und  klare  An- 
nahme zu  helfen,  dass  Jesus  sich  rein  »im  proleptischen  Siinie« 
als  Messias  betrachtete  und  bezeichnete.  Damit  wird  die 
Kontinuität  mit  dem  jüdischen  Begriffe,  d.  h.  dem  einzig  vor- 
handenen gewahrt,  eine  Vergeistigung  der  landläufigen  Gedanken 
durch  Jesus  scheint  gleichwohl  nicht  ausgeschlossen,  und  es 
wird  der  Thatsache  Rechnung  getragen,    dass  alle   prophetische 


1)  Weizsäcker,  Apostol.  Zeitalter  S.  14. 

2)  Wer  nie,  Die  Anfänge  unserer  Eeligion  S.  33. 

3)  Well  hausen,  Israel,  u.  jüd.  Gesch.*  S.  315.  Die  4.  Ausg. 
S.  387  fügt  den  zitierten  Worten  hinzu:  »Wenn  man  also,  wie  man 
doch  eigentlich  muss,  dem  Worte  die  Bedeutung  lässt,  in  der 
es  allgemein  verstanden  wurde,  so  ist  Jesus  nicht  der  Messias  gewesen 
und  hat  es  auch  nicht  sein  wollen«.  Damit  wird  doch  wohl  aufge- 
hoben, dass  er  sich  den  Messias  genannt  und,  wie  es  zuvor  heisst^ 
•den  Jüngern  als  solchen  kund  gegeben  hat. 


221 

Kraft  seiner  Predigt,  alle  sittliche  Grösse  seiner  Erscheinung 
und  alle  Heilthätigkeit  sein  Auftreten  doch  noch  nicht  messia- 
nisch  machte. 

Das  Vertrauen,  mit  dem  diese  Auffassung  vorgetragen  wird^), 
ist  mir  dennoch  nicht  recht  verstündlich.  Die  Schwierigkeit 
ist  nur  auf  eijien  andern  Punkt  verlegt,  und  zwar  auf  das  psy- 
chologische Gebiet. 

Ein  wollender  und  handelnder  Messias,  ein  Prätendent, 
der  die  Massen  zu  einer  Bewegung  gegen  die  Fremdherrschaft 
fortzureissen  suchte,  mochte  gemss  sein  können,  dass  Gott  ihm 
zur  rechten  Stunde  die  Krone  selbst  aufs  Haupt  setzen  werde. 
Wie  denken  wir  uns  eine  solche  Gewissheit  bei  Jesus,  wenn  er 
jeder  ähnlichen  Wirkung  auf  die  Massen  sorgfältig  aus  dem 
AVege  geht?  Nicht  Segen  und  Beistand  im  Allgemeinen  soll 
Gott  ihm  geben,  sondern  eine  ganz  bestimmte  und  eine  einzig- 
artige Ehre  und  Würde.  Wie  kann  er  das  wissen,  d.  h.  fest 
und  sicher  glauben  ?  2)  Wie  kann  er,  wenn  er  nur  hofft,  einen 
messianischen  Anspruch  nach  aussen  erhoben  haben? 3)  Und 
das  müsste  er  wohl  in  irgend  einem  Sinne  gethan  haben,  wenn 
er  sein  Bekenntnis  vor  dem  Hohenpriester  gesprochen  und  als 
Messias  das  Todesurteil  empfangen  haben  soll.  Dass  der  beken- 
nende Petrus  und  der  fragende  Hohepriester  die  Messianität 
ebenfalls  »proleptisch«  *)  verstanden  haben  müssten,  macht  die 
Sache  auch  nicht  leichter.  Nun,  die  Elle  landläufiger  Psycho- 
logie, sagt  man,  ist  kein  Mass  für  eine  religiöse  Persönhchkeit 
wie  Jesus;  Avir  wissen  wenig  darüber,  wie  bei  den  Grössten 
der  Beligionsgeschichte  eigenartige  Gewissheiten  über  den  eigenen 
Beruf  entstehen,  und  bei  Jesus  darf  man  das  »Sohnesbewusst- 
sein«  nicht  vergessen. 

Ich  folge  dem  an  dieser  Stelle  nicht  weiter.  Es  soll  hier  nicht 
etwa  nebenbei  entschieden  werden,  ob  Jesus  sich  wirklich  für  den 
Messias  gehalten  hat.    Dafür  kommen  noch  ganz  andere  Gesichts- 


1)  Vgl.  .J.  Weiss  und  Dal  man. 

2)  Brandt  S.  476  ff.:  zur  völligen  Gewisslieit  habe  Jesus  seine 
Bestimmung  zum  Messias  nie  werden  können.  —  Einige  Unsicherheit 
hinsichtlich  dieser  Gewissheit  scheint  doch  auch  durch  J.  Weiss'  psy- 
chologische Erörterungen  (Eeich  Gottes  S.  156)  hindurch. 

3)  Dies  auch  gegen  Brandt. 

4)  J.  Weiss,  üalman. 


222 

punkte  in  Frage.  Meine  Absicht  bei  diesen  Erörterungen  war. 
ein  Fragezeichen  zu  machen  und  damit  anzudeuten,  weshalb 
ich  hier  die  Anschauung  Jesu  selbst  nicht  in  Ansatz  bringe. 

Leichter  erkennbar  ist  für  uns  jedenfalls  auch  an  diesem 
Punkte  die  Auffassung  der  Evangelisten.  Welche  Stellung 
nehmen  sie  in  der  oben  berührten  Entwicklung  ein?  Ich  ant- 
worte: sie  ist  hier  gewiss  noch  nicht  abgeschlossen,  aber  sie 
neigt  sich  bereits  dem  Abschlüsse  zu.  D.  h.  man  weiss  zwar 
noch  nichts  von  einem  doppelten  Kommen,  die  künftige  Er- 
scheinung des  Messias  ist  auch  überall  das  Ziel  der  C-redanken, 
aber  der  Sache  nach  wird  schon  das  ganze  Leben  Jesu  als 
Ausstrahlung  wie  als  Beweis  seiner  Messianität  betrachtet.  Das 
Leiden  und  Sterben  ist  ein  festes,  notwendiges  Prädikat  des 
Menschensohnes  —  de7  xov  v\6v  lov  ai'O^QOj/tov  Tvad^elv.  Der 
Geistesempfang  oder  in  den  jüngeren  Evangelien  die  Avunder- 
bare  Geburt  macht  ihn  zum  Messias  i).  Die  Heilungen,  die 
Siege  über  das  Dämonenreich  und  sonstige  Wunder  noch 
höherer  Ordiumg  sind  messianische  Thaten.  Und  ebenso  wie 
in  ihnen  sieht  man  selbst  in  der  Predigt,  im  eiayyeh'uead^aL 
die  Erfüllung  dessen,  was  die  Schrift  für  die  messianische  Zeit 
verheisst  (Mt.  lls,  Luk.  4i8f.).  Die  Sündenvergebung  wie  die 
Verfügung  über  den  Sabbat  ist  ein  Hoheitsrecht  des  Menschen- 
sohnes (Mr.  2 10. 28).  Der  Täufer  ist  der  geweissagte  Vorläufer 
des  Messias.  Kurz,  es  ist  das  Leben  des  Messias,  das  erzählt 
wird  2). 

Man  vergleiche  hier  den  ältesten  christlichen  Zeugen, 
Paulus.     Wie  kommt  es,  dass  für  ihn  Jesu  irdisches  Leben  ab- 


1)  Well  hausen,  Israel,  und  jüd.  Gesch. ^  S.  391,  meint,  der  An- 
fang der  Messianität  sei  von  der  Auferstehung  zuerst  auf  die  VerkLä- 
rung,  dann  auf  die  Taufe,  endlich  auf  die  Geburt  Jesu  zurückgeschoben 
worden.     Die  Verklärung  hat  man  m.  E.  niemals  so  betrachtet. 

2)  Aufmerksamkeit  verdienen  in  diesem  Zusammenhange  die  Logien, 
die  in  sehr  gleichartiger  Form  vom  Zwecke  oder  von  bestimmten  Merk- 
malen des  »Kommens«  Jesu  reden:  Mr.  '2i7,  1045  (vgl.  124.38),  Mt.  5i7 
{oiiy.  ^k»ov  xKTakvaai),  1034,  11 19,  18x1,  Luk.  12  49,  19io,  auch  text.  rec.  zu 
Luk.  956  und  Ebjonitenev.  {r]kd-uv  /.(attlvani  rüg  Uvaiag ,  Preuschen, 
Antilegomena  p.  10).  Man  vergleiche  damit  Job.  543,  9  39,  1246,  1628, 
1837  u.  s.  w.     Handelt  es  sich  hier  um  Eückblicke  auf  das  Leben  Jesu? 


223 

gesellen  von  Tod  und  Auferweckung  nichts  bedeutet,  dass  er  es 
nur  als  Sklavendasein  (Phil.  2),  als  Entäusserung  himmlischer 
Seinsweise  würdigt?  Weshalb  hinterlässt  der  messianische  Stoff 
unsrer  Evangelien  keine  Spur  bei  ihm  ?  War  er  etwa  in  der 
Hauptsache  noch  nicht  da? 

Doch,  wie  gesagt,  abgeschlossen  ist  die  Entwicklung  in  den 
synoptischen  Evangelien  noch  nicht,  und  gerade  darum  kann 
hier  die  Frage  entstehen,  ob  unsere  Interpretation  des  Markus 
nicht  noch  einer  Ergänzung  bedarf.  Die  Dämonen,  Petrus  und 
die  Stimmen  vom  Himmel  sagen,  Jesus  sei  der  Christus  oder 
der  Sohn  Gottes.  Hat  das  Messiasprädikat  hier  einen  futuri- 
schen Klang :  du  bist  der,  dem  die  messianische  Glorie  be- 
reitet ist? 

Die  Ausdrücke  selbst  lassen  die  Möglichkeit  offen.  Ein 
wirklicher  Widerspruch  käme  bei  dieser  Deutung  in  die  Vor- 
stellungen des  Markus  auch  nicht  notwendig  hinein.  Ein  pro- 
leptischer  Sinn  des  Messiastitels  nähme  sich  bei  einem  Evange- 
listen, der  bereits  ein  eigentlich  messianisches  Erdenlel)en  Jesu 
kennt,  freilich  etwas  anders  aus  als  im  Munde  Jesu  oder  der  mit 
ihm  Lebenden,  wo  die  Messianität  nur  im  Sinne  des  Glaubens 
oder  der  Anwartschaft  gemeint  wäre.  Aber  warum  sollte  es  ein 
Widerspruch  sein,  dass  Markus  Wunder  und  Lehre,  Leiden 
und  Sterben  als  Attribute  und  Bedingungen  der  Messianität 
denkt,  und  doch  den  Empfang  der  eigentlichen  Würde  und 
Macht  —  und  auch  der  adäquaten  Daseinsart  —  von  einem 
späteren  Momente  datiert?  Es  wäre  nur  anzunehmen,  dass  er 
den  ursprünglichen  Begriff  des  Gesalbten  im  Sinne  des  Herrn 
und  Herrschers  in  voller  Schärfe  gefasst  hätte.  Die  Wunder 
könnten  auch  so  recht  wohl  als  Verräter  der  Messianität  vor- 
gestellt sein.  Und  sogar  das  Herabkommen  des  Geistes  könnte 
den  Sinn  behalten,  den  wir  annahmen.  Man  müsste  sagen :  das 
7tvEvf.ia  schafft  die  Vorbedingung  dafür,  dass  Jesus  wirkt,  wie 
es  dem  Messias  geziemt,  es  stattet  ihn  aus  mit  der  Kraft  der 
Wunder  und  macht  so  in  der  That  aus  einem  blossen  Menschen 
etwas  Neues  und  Höheres  aber  es  giebt  eben  noch  nicht  die 
messianische  Vollendung.  Das  Auftreten  als  Herr  und  König 
steht  doch  noch  aus,  und  so  könnte  auch  der  Titel  gerade  auf 
den  späteren  Moment  bezogen  sein.  Die  Taufe  Jesu  wäre  dann 
bei  Mar-kus  der  Beginn  der  Messianität,  sofern  es  sich  um  sein 


224 

Wesen,  die  Auferweckung  aber,  sofern  es  sich  um  die  definitive 
Würde  handelte. 

Zu  Gunsten  dieser  proleptischen  Fassung  der  messianischen 
Bekenntnisse  und  Zeugnisse  Hesse  sich  die  Verklärungsgeschichte 
anführen.  Ist  die  Verklärung  wirklich  eine  Vorausdarstellung 
des  Kommenden,  ein  Aufleuchten  der  künftigen  Herrlichkeit  im 
Erdenleben  Jesu,  so  bekäme  das  Zeugnis  von  oben  freilich 
einen  besonders  prägnanten  Sinr^,  wenn  es  mit  dem  Prädikate 
des  Gottessohnes  auch  direkt  auf  die  Auferstehung  hindeutete. 
Ferner  könnte  es  sinnvoll  erscheinen,  dass  das  Geheimnis,  dessen 
Offenbarung  verboten  wird,  nicht  blos  nach  seinem  supranatu- 
ralen Inhalte  jenseits  des  menschlichen  Erkennens  läge,  sondern 
sich  auch  auf  die  Zukunft  bezöge.  Geheimes  Wissen  und  Wissen 
um  die  Zukunft  haben  ja  eine  natürliche  Verwandtschaft.  Es 
entstände  so  die  Pointe:  was  erst  durch  die  Auferstehung  zu 
Stande  kommt,  bleibt  auch  bis  dahin  verborgen. 

Solche  Erwägungen  könnten  für  die  Auffassung  einnehmen. 
Beweise  sind  es  aber  nicht,  und  ich  kann  mich  einstweilen  nicht 
von  dieser  Auslegung  überzeugen.  Vor  allem  liegt  bei  der 
Taufe  der  Gedanke,  dass  das  Prädikat  Gottessohn  als  prolep- 
tisch  empfunden  sei,  entschieden  fern.  Sein  Inhalt  scheint  hier 
schon  reahsiert  zu  sein,  eben  weil  Jesus  der  Träger  des  Geistes 
geworden  ist.  Warum  sollen  dann  die  Aussagen  der  Dämonen 
den  futurischen  Nebensinn  haben? 

Übrigens  ist  es  nicht  sehr  wichtig,  wie  Markus,  der  ein- 
zelne Schriftsteller,  die  messianischen  Titel  in  dieser  Hinsicht 
gemeint  hat.  Die  besprochene  Auffassung  würde  ja  die  beiden 
Vorstellungen  vom  künftigen  und  vom  verborgenen  Messias  ein- 
ander besonders  nahe  rücken  —  die  zweite  schlösse  die  erste 
in  diesem  Falle  geradezu  ein.  Aber  an  dem  Zusammenhange 
der  Vorstellungen  selbst  wird  nichts  geändert,  wenn  sie  ausser 
Betracht  bleibt. 

Wie  ist  dieser  Zusammenhang  nun  zu  bestimmen?  Und 
wie  sollen  war  uns  die  Vorstellung  der  verhüllten  Messianität 
entstanden  denken  ?    Damit  kommen  wir  endlich  zur  Hauptfrage. 

Die  erste  Vermutung,  die  mir  bei  der  Erwägung  des  Pro- 
blems kam,  gieng  dahin,  es  möchte  eine  apologetische  Tendenz 
im  Spiele  sein.     Man   hätte  entweder  in   der  Gemeinde  selbst 


225 

die  Beobachtung  gemacht,  dass  es  in  Jesu  Erdenleben  an  Zeug- 
nissen für  seine  Messianität  fehlte,  oder  von  feindlicher  Seite 
wäre  darauf  hingewiesen  worden,  er  sei  als  Messias  gar  nicht 
bekannt  gewesen  und  habe  sich  selbst  nicht  dafür  erklärt. 
Darauf  hätte  man  dann  geantwortet:  Jesus  war  freilich  der 
Messias,  aber  er  selbst  hat  befohlen,  darüber  einstweilen  zu 
schweigen ;  kein  Wunder  also ,  dass  man  ihn  nicht  kannte ! 
Diese  Erklärung  hätte  mithin  den  Wert  eines  direkten  Zeug- 
nisses. 

Ich  habe  diese  Vermutung  rasch  aufgegeben.  Die  Art, 
wie  Markus  die  verborgene  Messianität  Jesu  schildert,  erweckt 
an  keinem  Punkte  den  Eindruck,  dass  es  sich  dabei  um  eine 
apologetische  Ausrede  handelt.  Nun  könnte  freilich  das  ursprüng- 
liche Motiv  bei  Markus  schon  undeutlich  geworden  sein ;  der 
Gedanke  hätte  sich,  nachdem  er  einmal  da  war,  selbständig 
weiter  entwickelt.  Indessen  die  Annahme  ist  auch  an  sich 
unwahrscheinlich . 

In  der  Gemeinde  selbst  hat  man  schwerlich  in  dieser  Art 
über  Mängel  der  Überlieferung  von  Jesu  Leben  reflektiert. 
Beobachtungen  über  »die«  Überlieferung  konnte  man  überhaupt 
nur  dann  allenfalls  anstellen,  wenn  sie  in  abgeschlossener  Form, 
d.  h.  in  Schriften  vorlag.  Allein  es  hat  auch  wenig  für  sich, 
dass  Gegner  gerade  einen  solchen  Einwand  erhoben  hätten. 
Ein  christlicher  Satz,  der  zum  Angriff  herausforderte,  steht  hier 
nicht  in  Frage.  Es  handelte  sich  aber  auch  nicht  um  einen 
Punkt,  wo  der  christliche  Messiasglaube  besonders  verwundbar 
war.  Jesus  war  durch  die  Auferstehung  als  Messias  erwiesen 
worden.  Für  die  Erdenzeit  behauptete  man  selbst  zuerst  keine 
(wirkliche)  Messianität.     Was  sollte  dann  ein  solcher  Angriff? 

Oder  sollte  dem  apologetischen  Sinne  der  Vorstellung  nur 
eine  andere  Wendung  gegeben  werden  müssen,  um  ihn  selbst 
festzuhalten?  In  dem  Verhüllen  der  Messianität  bis  zur  Auf- 
erstehung steckt  das  Vorauswissen  Jesu.  Wäre  dies  der  sprin- 
gende Punkt?  »Jesus  hat  sehr  wohl  vorhergewusst,  dass  die 
Auferstehung  ihm  die  messianische  Würde  bringen  werde;  er 
hat  es  nur  bei  Lebzeiten  noch  verborgen*  ?  Daran  ist  noch 
weniger  zu  denken.  Dieses  Motiv  hätte  sich  viel  eher  in  direkten 
Voraussagungen  Jesu  Ausdruck  geschaffen.  Das  Verheimlichen 
wäre  nur  ein  Umweg. 

Wrede,  Messiasgoheininis.  15 


226 

Nein,  so  wenig  für  Jesus  ein  besonderer  Beweggrund  ange- 
nommen wird,  wenn  er  sich  so  verbirgt,  so  wenig  sieht  die 
ganze  Vorstellung  nach  einer  Tendenzidee  aus.  Das  ist  nicht 
unwichtig,  und  es  ist  für  das  Folgende  festzuhalten.  — 

Gewiss  ist,  dass  die  mit  der  Auferstehung  beginnende 
Messianität  die  Vorstellung  der  verhüllten  Messianität  nicht  for- 
dert. Sie  schliesst  nicht  notwendig  aus,  dass  Jesus  sich  auf 
Erden  den  Messias  nannte,  noch  weniger  aber,  dass  der  irdische 
Jesus  einfach  nicht  als  Messias  galt.  Dagegen  setzt  umgekehrt 
der  geheime  Messias  m.  E.  den  künftigen  Messias  voraus  und 
erweist  sich  damit  als  die  jüngere  Anschauung. 

Ist  nämhch  die  geheime  Messianität  wh'khch  ein  erst  nach 
dem  Leben  Jesu  entstandener  Gredanke  der  Gemeinde,  so  wüsste  ich 
nicht,  wie  er  aufgekommen  sein  sollte,  wenn  bereits  alle  Welt  wusste 
und  erzählte,  dass  Jesus  auf  Erden  sich  offen  für  den  Messias 
ausgegeben  habe.  ÜberHefemngen  können  gewiss  korrigiert 
und  dabei  selbst  in  ihr  Gegenteil  verkehrt  werden.  Aber  dann 
pflegt  ein  bestimmtes  Motiv  wirksam  zu  sein.  Welcher  Anlass 
hätte  aber  bestanden,  die  Messianität  Jesu  im  Widerspruch  mit 
der  ursprünghchen  Vorstellung  zu  einer  Sache  der  Heimhchkeit 
zu  machen,  m.  a.  W.  Jesu  messianischen  Anspruch  auf  Erden 
nachträglich  geradezu  zu  leugnen? 

Man  versuche  sich  von  dieser  Voraussetzmig  aus  eine  Vor- 
stellung zu  bilden.  Die  Erklärung  könnte  dann  wohl  nur  in 
dem  Gedanken  gesucht  werden,  dass  Jesus  sich  allein  den  Jün- 
gern wahrhaft  offenbart  habe.  Sie  erhalten  von  ihm  geheime 
Aufschlüsse,  also  wurde  auch  ihnen  nur  die  Hauptsache  bekannt, 
die  Messianität.  FolgHch  wurde  sie  dem  Volke  vorenthalten. 
Auf  diesen  indirekt  sich  ergebenden  Gedanken  käme  es  an; 
er  müsste  dann  eine  selbständige  Bedeutung  erlangt  haben. 

Diese  Entwicklung  hat  wenig  für  sich.  Nehmen  wir  an, 
der  Ausgangspunkt,  diese  dogmatische  Scheidung  von  Jüngern 
und  Volk,  stehe  fest.  Sehen  wir  auch  davon  ab,  dass  Markus, 
wo  er  vom  Verbergen  der  Messianität  redet,  den  Gegensatz 
zwischen  Jüngern  und  Volk  keineswegs  so  besonders  mai'kant 
in  den  Vordergrund  stellt.  Allein  wie  die  Uberaeugung,  Jesus 
sei  öffentlich  mit  dem  messianischen  Anspruch  hervorgetreten, 
wenn  sie  da  war,  so  leicht  hätte  beseitigt  oder  ausser  Acht 
gelassen  werden  sollen,  bleibt  doch  unbegreiflich.    Gleichgiltig  war 


227 

€s  denn  doch  nicht,  dass  er  schon  zu  Lebzeiten  hatte  sein 
wollen,  als  was  ihn  die  Auferstehung  erwies.  Überdies  ist 
wieder^)  von  Bedeutung,  dass  das  Geheimnis  bis  zur  Auf- 
erstehung gewahrt  werden  soll.  Nach  der  angenommenen  Voraus- 
setzung, die  das  Verbergen  vor  dem  Volke  betont,  müsste  man 
meinen,  Jesus  werde  durch  die  Auferstehung  nun  dem  Volke 
offenbar  werden.  Dieser  Gedanke  fehlt  und  gewiss  nicht  durch 
Zufall.  Er  ist  in  sich  selbst  unpassend;  dass  die  Auferstehung 
gerade  dem  Volke  eine  besondere  Offenbarung  bringe,  hat  kein 
alter  Christ  gedacht 2).  "Wird  also  die  Auferstehung  als  die 
Grenze  des  Geheimnisses  betrachtet,  so  spricht  das  gegen  die 
ganze  in  Betracht  gezogene  Ableitung.  Denn  die  Auferstehung 
bildet  die  Grenze  nicht  wegen  der  Menge,  sondern  weil  nun 
das  für  Jesu  messianisches  Dasein  selbst  entscheidende  Ereignis 
kommt. 

Es  bleibt  also  schwerlich  eine  andere  Möglichkeit,  als  dass 
die  Anschauung  vom  Geheimnis  in  einem  Momente  entstand, 
wo  man  von  einem  messianischen  Ansprüche  Jesu  auf  Erden 
noch  nichts  wusste,  und  das  heisst  eben,  in  einem  Momente, 
wo  man  als  den  Beginn  der  Messianität  die  Auferstehung  dachte. 

In  diesem  Momente  muss  dann  allerdings  der  Titel  Messias 
wirklich  noch  einen  —  vom  Leben  Jesu  aus  gerechnet  —  futu- 
rischen Sinn  gehabt  haben.  Sonst  könnte  die  geheime  Messia- 
nität nicht  aus  der  künftigen  hervorgegangen  sein.  Und  das 
ist  sie.    Sie  ist  nicht  blos  nach  ihr  entstanden,  sondern  aus  ihr. 

Freilich  erst  zu  einer  Zeit,  als  sachlich  die  ursprünghche 
Auffassung  schon  im  Weichen  war,  d.  h.  als  im  Leben  Jesu 
bereits  Hinweise  auf  seine  künftige  Stellung,  Kennzeichen  und 
Äusserungen  seiner  Messianität  gefunden  wurden.  Denn  dies 
ist  eine  weitere  notwendige  Voraussetzung,  die  sich  aus  dem 
Gedanken  des  Geheimnisses  selbst  unmittelbar  ergiebt.  Das 
Verbergen  schliesst  ein,  dass  etwas  zu  verbergen  war. 

Das  Zurücktragen  der  Messianität  ins  Leben  Jesu  war  ein 
sehr  natürlicher  Vorgang.  Jesus  musste  doch  selbst  den  Moment 
der  Verherrlichung  erwartet,  er  musste  auf  ihn  hin  gelebt  haben. 
Er  musste  auch  m  seinem  Wirken   schon  etwas  von   der   künf- 

1)  Vgl.  oben  S.  211. 

2)  Act.  1040  f.  sagt,  dass  Gott  Jesus  durch  die  Auferweckuiig  oifen- 
Lar  machte    nicht  allem  Volke«,  sondern  »den  zuvor  verordneten  Zeugen«. 

15* 


228 

tigen  Grösse  verraten  haben,  in  gewissem  Sinne  also  der 
Messias  gewesen  sein.  Gerade  dies  war  das  Interesse,  mit  dem 
man  vorwiegend  sein  Leben  betrachten  musste,  wenn  wirkhch 
das  Auferstehungserlebnis  der  Mittelpunkt  der  Gedanken  war, 
und  das  war  es.  Das  vorangehende  Leben  war  nur  dann  des 
Ostertages  würdig,  wenn  der  Glanz  dieses  Tages  selbst  darauf 
zurückstrahlte.  Allein  man  wusste  noch  deutlich,  dass  er  der 
Messias  doch  erst  geworden  war.  Mochte  man  daher  im  Blick 
auf  sein  Leben  sagen:  er  war  der  Messias,  man  hatte  doch 
ebensoviel  Anlass,  das  halb  zurückzunehmen.  Die  Spannung 
beider  Gedanken  aber  war  gelöst,  wenn  man  behauptete:  er 
war  es  zwar  eigentlich  schon  auf  Erden,  er  wusste  es  natürhch 
auch,  aber  er  sagte  es  noch  nicht,  er  wollte  es  noch  nicht  sein; 
und  wenn  sein  Handeln  ganz  dazu  angethan  war,  den  Glauben 
an  seine  Messianität  zu  wecken,  so  that  er  doch  alles,  um  sich 
niicht  zu  verraten.  Denn  die  Offenbarung  sollte  nun  einmal  erst 
die  Zukunft  bringen. 

Es  kann  hierbei  von  Bedeutung  gewesen  sein,  dass  die 
Auferstehung  nicht  blos  als  die  Herstellung  der  Würde  durch 
Gott  betrachtet  wurde,  sondern  zugleich  als  die  offene  Kund- 
gebung darüber,  sie  war  die  rfaveQioa ig  der  öo^a^).  Der  Offen- 
barung gieng  dann  naturgemäss  das  Geheimnis,  das  Verbergen 
vorher.  Doch  lässt  sich  hierüber  nichts  Sicheres  sagen.  Jeden- 
falls wird  man  aber  in  Anschlag  bringen,  dass  der  Gedanke 
des  Geheimnisses  und  des  geheimen  Wissens  damals  in  der 
Eehgion  in  den  verschiedensten  Beziehungen  eine  Rolle  spielte. 
In  einer  solchen  Zeit  begreift  man  die  Bildung  unserer  Vor- 
stellung doppelt  leicht. 

Dies  ist  m.  E.  der  Ursprung  der  Idee,  die  wir  bei  Markus 
nachgewiesen  haben.  Sie  ist  s.  z.  s.  eine  Übergangsvorstellung, 
UTid  sie  lässt  sich  bezeichnen  als  die  Nachwirkung  der 
Anschauung,  dass  die  Auferstehung  der  Anfang  der 
Messianität  ist,  zu  einer  Zeit,  wo  man  sachlich  das 
Leben  Jesu  bereits  mit  m  essianischem  Gehalte  er- 
füllt. Oder  sie  ist  hervorgegangen  aus  dem  Triebe,  das  irdische 
Leben  Jesu  messianisch  zu  machen,  aber  aus  dem  durch  die 
ältere,  noch  kräftige  Anschauung  gehemmten  Triebe. 


1)  Job.  211.14,  Mr.  10 14. 


229 

Vielleicht  findet  man  eine  Schwierigkeit  darin,  dass  Markus 
sich  nicht  mit  der  Angabe  begnügt,  Jesus  habe  von  seiner 
Würde  geschwiegen,  vielmehr  berichtet,  er  habe  das  Reden 
darüber  geflissentlich  und  streng  verboten  und  eigens  Massregeln 
getroffen,  die  Offenbarung  zu  verhüten.  Indessen,  wenn  man 
einmal  glaubte,  dass  Jesus  diese  Offenbarung  nicht  wollte,  so  hat 
diese  kräftige  Ausprägung  des  Gedankens  nichts  Befremdendes. 
Überdies  pflegt  in  der  Vorstellung  des  f-ivoiiqQLov  der  Reiz  zu 
liegen,  das  Mysteriöse  hervorzukehren.  Möglich  ist,  dass  die 
erste  Vorstellung  war:  Jesus  war  als  Messias  unbekannt,  und 
erst  die  zweite:  er  wollte  unbekannt  sein. 

Man  betrachte  diese  Erörterungen  als  einen  Versuch.  Ich 
behaupte  nicht,  dass  ich  einen  Beweis  gefükrt  habe,  der  jede 
Dunkelheit  beseitigte.  Vielleicht  urteilt  man,  dass  dies  ganze 
Vorstellungsgebiet  zu  wenig  durch  urkundliche  Nachrichten  er- 
hellt ist,  um  ganz  sichere  Schritte  zu  thun.  Vermögen  wir  über- 
haupt nui'  zu  sagen,  dass  wir  die  möglichen  AVege  der  Er- 
klärung sämtlich  übersehen?  Ich  nehme  es  nicht  leicht  mit 
dieser  Frage,  aber  ich  meine,  der  Versuch  hat  eine  gute,  solide 
Grundlage  an  der  starken  Ähnlichkeit  der  beiden  verglichenen 
Vorstellungen. 

Ist  meine  Ableitung  richtig,  so  ist  sie  für  die  Beurteilung  des 
geschichtlichen  Lebens  Jesu  selber  von  Bedeutung.  Konnte 
unsere  Anschauung  nur  entstehen,  wenn  man  von  einem  offenen 
messianischen  Ansprüche  Jesu  nichts  wusste,  so  scheinen  wir  in 
ihr  ein  positives  geschichtliches  Zeugnis  dafür  zu 
haben,  dass  sich  Jesus  thatsächlich  nicht  für  den 
Messias  ausgegeben  hat.  Diese  Frage  ist  hier  jedoch 
nicht  zum  Abschluss  zu  bringen. 


2. 

Die  Verständnislosigkeit  der  Jünger  vor   der  Auferstehung. 

Dass  die  Jünger  die  messianische  Lehre  empfangen  und  in 
sich  aufgenommen  haben,   ist  ein  Gedanke,   der  für   uns   nichts 


230 

Dunkles  hat.  Sie  bürgen  ja  für  die  Lehre,  die  Gemeinde  hat 
sich  an  die  Bürgen  allein  zu  halten.  Die  historische  Bedeutung 
der  Jünger  als  Empfänger  der  Belehrungen  Jesu  verwandelte 
sich  hier  für  die  Späteren  ganz  von  selbst  und  unvermerkt  in 
eine  dogmatische  Vorstellung.  Hatte  Jesus  dann  geheime  Be- 
lehrungen gegeben,  so  waren  natürlich  die  Jünger  die  einzig 
berechtigten  Empfänger.  Insofern  sind  sie  also  ohne  Weiteres 
Träger  eines  Geheimwissens.  Allein  weshalb  verstehen  sie  nun 
Jesus  nicht? 

Strauss  deutet  gelegentlich  ^)  an,  dass  »das  Bestreben,  durch 
den  Kontrast  mit  dem  Nichtverstehen  der  Zwölfe  die  IJber- 
legenheit  Jesu  und  der  späteren  Heidenapostel  ins  Licht  zu 
stellen«,  hier  in  Anschlag  zu  bringen  sei.  Die  »späteren  Heiden- 
apostel« gehören  nicht  hierher.  Der  Kontrast  zAvischen  Jesus 
und  den  Zwölfen  ist  ein  Motiv,  das  in  der  Darstellung  des 
Markus  wie  des  Johannes  wohl  eine  gewisse  Bedeutung  hat. 
Aber  der  Gedanke  des  Nichtverstehens  selbst  wird  dadurch  auf 
keine  Weise  aufgehellt.  Denn  wir  sehen  keinen  Anlass,  einen 
solchen  Kontrast  zu  erfinden  ^). 

Hätten  wir  nur  die  johanneische  Form  des  Gedankens,  so 
läge  vielleicht  doch  die  Vennutung  nahe,  dass  es  sich  hier  nur  um 
eine  Folgerung  aus  dem  Geheimnis  handelt.  Denn  bei  Johannes 
entspricht  der  Mangel  an  Verständnis  der  Dunkelheit  der  Be- 
lehrung Jesu.  Aber  bei  Markus  fehlt  den  Jüngern  die  Er- 
kenntnis gerade  trotz  deutlichster  Offenbarungen  Jesu.  Diese 
Auffassung  ist  aber  die  ältere,  und  nicht  blos  deshalb,  weil 
Markus  älter  ist  als  Johannes.  Sie  erklärt  sich  mithin  auf  diesem 
Wege  nicht.  — 


1)  Strauss,  L.J.  f.  d.  deutsche  Volk  S.  276.  Str.  spricht  speziell 
von  Luk.  2421,  Act.  1  6. 

2)  G  fror  er,  Die  heilige  Sage  II  S.  278  f.  hat  folgende  Erklärung 
für  das  Nichtverstehen  der  Leidensweissagungen  gegeben.  Man  habe 
in  der  Gemeinde  an  diesen  Weissagungen  gezweifelt,  indem  man  darauf 
hinwies,  dass  von  den  Jüngern  niemand  das  bevorstehende  Schicksal  Jesu 
erkannte.  Darauf  sei  die  Antwort  gegeben  worden:  die  Weissagungen 
Jesu  blieben  den  Jüngern  im  Momente  gänzlich  unverständlich:  eine 
Antwort,  die  die  Leidensweissagungen  rechtfertigte  und  dem  Einwände 
die  Spitze  abbrach,  indem  sie  ihm  entgegenkam.  Sehr  unwahrscheinlich, 
obgleich  Gfrörer  meint,  ein  Blinder  müsste  dies  erkennen. 


231 

Hat  es  Wert,  weniger  Bekanntes  mit  Bekannterem  zu  ver- 
binden, so  ist  es  angezeigt,  zunächst  einer  parallelen  Anschauung 
der  alten  Christenheit  zu  gedenken.  Die  Parallele  gilt  freihch 
nur  für  den  positiven  Gedanken,  dass  mit  der  Auferstehung  die 
Erkenntnis  der  Jünger  eine  Neugeburt  erfährt.  Indessen  dieser 
ist  ja  die  notwendige  Ergänzung  der  Vorstellung,  dass  sie 
vorher  blind  und  thöricht  sind.  Die  Anschauung,  die  ich  im 
Auge  habe,  ist  die  Idee  der  Geistesmitteilung  an  die 
Jünger. 

Wir  haben  den  Pfingstbericht  der  Apostelgeschichte.  Er 
enthält  in  dem  s.  g.  Sprachenwunder  den  Gedanken,  dass  das 
Christentum  für  alle  Völker  bestimmt  ist.  Dies  Thema,  in  dem 
man  eine  Nachbildung  der  jüdischen  Legende  von  der  Ver- 
kündigung des  Gesetzes  an  alle  Völker  sehen  muss,  kommt 
hier  natürlich  durchaus  nicht  in  Frage.  Die  Erzählung  enthält 
aber  noch  ein  zweites  Thema  i),  dem  das  Übrige  erst  nach- 
gewachsen ist:  die  Apostel  werden  durch  den  Empfang  des 
Geistes  befähigt,  das  Evangelium  zu  predigen,  und  zwar  bald 
nach  Jesu  Auferstehung.  Der  Mut,  die  Begeisterung,  die 
überzeugende  Macht  ihrer  Rede,  man  darf  nach  Parallelen 
wie  Act.  1046,  196 2)  ohne  Scheu  hinzusetzen,  ihr  Zungenreden 
und  Weissagen  hat  hier  seinen  Ursprung.  Das  liegt  doch  nicht 
weit  davon  ab,  dass  die  Auferstehung  ein  neues  Verständnis 
der  Lehre  und  Person  Jesu  bringt.  Dass  der  Geist  das 
Prinzip  der  höheren  Erkenntnis  ist,  ist  überdies  eine  bekannte 
Anschauung.  Freilich  —  die  Apostelgeschichte  selber  spricht 
es  nicht  aus,  dass  am  Pfingsttage  eine  Erleuchtung  der  Jünger 
über  das  früher  von  Jesus  Gehörte  stattfand  und  zur  Basis 
ihrer  Predigt  wurde.  Allein  ihre  Erzählung  ist  doch  auch  nur 
eine  Form  der  Darstellung  des  »Pfingstereignisses«.  Neben 
ihr  kann  es  andere  gegeben  haben,  die  unseni  Gedanken  ge- 
radezu ausprägten.  Dass  Lukas  ihn  schon  an  anderer  Stelle, 
nämlich    in    der    Auferstehungsgeschichte     seines    Evangeliums 

1)  Vgl.  über  diese  Duppelseitigkeit  des  Berichtes  meine  Be- 
merkungen, Güttinger  gel.  Anzeigen  1895  S.  502 ff'.  Zur  jüdischen 
Gesetzgehungslegcnde  s.  Gfrörer,  Jahrhundert  des  Heils  II  S.  390  ff"., 
Overbeck  zu  Act.  2iff".,  Spitta,  Die  Apostelgeschichte  ö.  27f. 

2)  Vgl.  2 17  f. 


232 

niedergelegt  hat,  beweist  gar  nichts.  Es  wäre  nicht  das  erste 
Mal,  dass  zwei  wurzelverwandte  Geschichtszüge  in  derselben 
Erzählung  als  etwas  Verschiedenes  nebeneinander  gestellt  wären, 
oder  dass  ein  Gedanke  in  zwei  Formen  auseinandergieng,  deren 
Verschiedenheit  gross  genug  wurde,  um  die  ursprüngliche 
Identität  zu  verdecken.  Dass  der  Pfingstbericht  des  Lukas 
eine  Bildung  aus  idealen  Motiven  ist,  haben  bereits  Gelehrte 
me  Zeller  und  Overbeck  hinreichend  gezeigt. 

Die  blosse  Kombination  führt  leicht  auf  diese  Gedanken- 
verwandtschatt.  Aber  sie  ist  nicht  eine  blosse  Kombination. 
Den  urkundhchen  Beweis  hefert  das  Johannesevangelium.  Diese 
Schrift  vollzieht  selbst  die  Verbindung  der  beiden  Gedanken: 
der  Geist  ist  es,  der  nach  der  Auferstehung  die  neue  Erkenntnis 
der  Jünger  schafft. 

Die  Bedeutung  des  Geistes  erschöpft  sich  zwar  auch  nach 
den  Johanneischen  Abschiedsreden  darin  nicht.  Die  Jünger 
selber  haben  es  ja  auch  nicht  blos  mit  der  Erfassung  der 
Wahrheit  zu  thun.  Sie  haben  zu  kämpfen  in  und  mit  einer 
hasserftillten  Welt,  sie  bedürfen  des  Schutzes,  sie  blicken  hinaus 
auf  die  künftigen  Dinge.  So  mrd  auch  der  Geist  ihnen  bei- 
stehen, wird  die  Welt  strafen  und  überführen,  auch  das 
Kommende  ihnen  verkünden  (16 13).  Aber  im  Mittelpunkte 
steht  doch  der  Gedanke,  dass  der  Geist  der  Lehrer  der  Wahr- 
heit, der  Erinnerer  an  die  Belehrung  Jesu  ist,  und  so  erscheint 
ihre  Erleuchtung  nach  der  irdischen  Lebenszeit  Jesu  als  seine 
Gabe. 

Der  Perspektive  der  Abschiedsreden  entspricht  dann  die 
Auferstehungsgeschichte  des  Evangeliums.  Sobald  der  Auf- 
erstandene mit  den  Jüngern  zusammentrifft,  bläst  er  sie  an  und 
überträgt  auf  sie  mit  seinem  Hauche  den  Geist  (2O22).  Damit 
schwindet  die  alte  Schwäche,  der  Tag  ist  da,  wo  sie  nichts  mehr 
zu  fragen  brauchen.  Dies  steht  nicht  im  Evangelium,  aber  es 
ist  eine  notwendige  Folgerung.  Ostern  und  Pfingsten  fallen 
also  ftir  Johannes  zusammen.  Es  hat  keinen  Sinn,  ihm  noch 
ein  anderes  Pfingsten  zuzuschi'eiben.  Auch  739  hat  er  das  ge- 
meint: vor  der  Verherrlichung  Jesu  giebt  es  keinen  Geist,  sie 
aber  bringt  ihn.  Sachlich  ist  diese  Anschauung  älter  als  die- 
jenige des  Lukas.  Bei  ihm  ist  die  Geistesmitteilung  zwar  auch 
noch  deutlich   eine  Wirkung    der  Auferstehung,    aber    die  Ver- 


233 

bindung  ei-scheint  etwas  gelockert.  Dass  die  Jüngerbelehnmg 
Luk.  24  die  Pfingstgeschichte  eigentlich  schon  vorwegnimmt, 
hat  Lukas  natürlich  nicht  gewusst. 

Was  die  Evangelien  über  den  Unverstand  der  Jünger  be- 
richten, gewinnt  durch  diese  Betrachtung  eine  erhöhte  Be- 
deutung. Wir  sehen,  es  steht  im  engsten  Zusammenhange  mit 
einer  andern  wohlbekannten  und  wichtigen  Anschauung  des 
Urchristentums. 

Die  wirkliche  Erklärung  für  die  Tradition,  dass  Jesus  von 
den  Jüngern  während  der  Zeit  seines  Wirkens  nicht  begriffen 
wurde,  liegt  nun  auch  gar  nicht  fem.  Diese  Idee  hat,  wenn 
nicht  alles  trügt,  einen  geschichtlichen  Hintergrund.  Die  wirkliche 
Erfahrung  der  Jünger  ist  ihre  Basis,  natürlich  die  eine,  besondere 
Erfahrung,  dass  die  Erscheinungen  des  Auferstandenen  einen 
plötzlichen  Umschwung  in  ihrem  Verständnisse  Jesu  hervor- 
gerufen hatten. 

An  der  Thatsache  als  solcher  kann  kein  Zweifel  sein.  Das 
Erlebnis  der  Erscheinungen  hat  den  Jüngern  zeitlebens  als 
ein  grundlegendes  gegolten.  Es  war  grundlegend  für  den 
Glauben,  den  sie  verkündigten,  aber  es  war  auch  grundlegend 
im  subjektiven  Sinne  für  die  Überzeugung,  die  sie  gewonnen 
hatten,  und  fiir  ihr  Bewusstsein  davon.  Unmittelbar  verständlich 
ist  nun  aber  auch,  dass  dies  historische  Jüngererlebnis  von  der 
Gemeinde  festgehalten  wurde  und  in  der  chiistlichen  Tradition 
eine  tiefe  Spur  zurückliess.  Es  handelt  sich  dabei  nicht  blos 
um  eine  Erinnerung  an  die  Jünger  als  Personen.  Schätzte  man 
in  ihnen,  die  Jesus  begleitet  hatten,  bald  die  qualifizierten 
Bürgen  und  Autoritäten  des  Glaubens,  so  war  damit  auch  ein 
mehr  als  blos  persönliches  und  historisches  Interesse  für  diesen 
entscheidenden  Moment  ihres  Lebens  gegeben.  Der  Reflex 
dieses  höheren  Interesses  und  die  Nachwirkung  jenes  Erlebnisses 
in  der  kirchlichen  Tradition  ist  das  spätere  Bild  der  verständnis- 
losen Jünger.  LTnd  es  hat  gar  nichts  Rätselhaftes,  dass  hierbei 
-die  Farben  nicht  zart  gewählt  wurden,  dass  —  nach  geschicht- 
lichem Massstabe  —  sogar  eine  Kanikatur  der  Jünger  heraus- 
kam, wie  uns  Markus  und  Johannes  jeder  in  seiner  Weise 
zeigen.  Die  Wandlung,  die  mit  der  Aufei-stehung  gegeben  war, 
wurde  um    so  fühlbarer,  je    greller    die    Blindheit   der  früheren 


234 

Zeit  ins  Auge  fiel;  das  Licht  um  so  hellei',  je  schwärzer  der 
Schatten  gemalt  wurde.  Natürlich  ist  die  positive  Anschauung 
vom  Gemnn  der  neuen  Erkenntnis  das  Erste  gewesen,  aber  der 
komplementäre  Gedanke  über  die  vorhergehende  Periode  hat 
die  schärfere  Ausprägung  in  der  Erzählung  erfahren.  Die  ein- 
zelnen Geschichtszüge,  in  denen  das  geschah,  sind,  wie  wir 
sahen,  durchweg  völlig  frei  erfunden.  Deshalb  würde  man  auch 
bei  ihnen  nicht  gut  von  einem  historischen  Kerne  sprechen. 
Der  Hergang  ist  im  Grunde  derselbe  gewesen  wie  bei  den 
Leidensweissagungen:  eine  feste  Idee  ist  in  konkreten  Zügen 
zum  Ausdruck  gebracht  und  auf  mannigfache  Art  mit  den. 
Stoffen  der  Überlieferung  verbunden  worden.  Der  Unterschied 
ist  nur  der,  dass  die  Idee  das  eine  Mal  in  einem  gescliichtlichen 
Ereignis  wurzelt,  das  andere  Mal  in  einem  apologetisch  gearteten 
Glaubensbedürfnis  der  Gemeinde. 

Das  Erlebnis  der  Jünger  selbst  hat  dann  unter  dem  Ein- 
fluss  der  vorhandenen  Anschauung  vom  Geiste  auch  die  Fonn 
angenommen,  dass  mit  der  Auferstehung  der  Geist  über  sie 
gekommen  sei.  Die  Idee,  dass  die  Apostel  in  besonderm  Sinne 
Geistesträger  gewesen  seien  —  Paulus  wird  davon  nicht  zufällig 
schweigen  — ,  braucht  freilich  nicht  auf  diesem  Wege  entstanden 
zu  sein.  Aber  die  Datierung  des  Geistesemiifangs  auf  die  Zeit 
nach  der  Auferstehung  Jesu  weist  auf  das  Jüngererlebnis  zurück. 

übrigens  ist  es  nur  natürlich,  dass  schon  die  Jünger  selbst 
ihre  frühere  Einsicht  in  einen  Kontrast  zu  der  erfahrenen  Er- 
leuchtung gestellt  haben.  In  welcher  Art  das  geschehen  sein 
mag,  sagt  uns  keine  Überlieferung.  Es  ist  aber  notwendig  hier 
noch  eine  Frage  aufzuwerfen.  Haben  die  Jünger  von  den  Er- 
scheinungen eine  neue  Erkenntnis  datiert:  um  welchen  Erkennt- 
nisinhalt hat  es  sich  dabei  gehandelt? 

Verständlich  ist  das  Bewusstsein,  eine  Erleuchtung  erlebt 
zu  haben,  gewiss  schon  dann,  wenn  sie  jetzt  erkannten,  dass  die 
Hinrichtung  Jesu  kein  Scheitern,  sondern  den  Durchgang  zur 
Herrlichkeit  bedeute.  Aber  die  Gestalt  der  Tradition  führt  zu- 
nächst auf  einen  andern  Gedanken.  Nach  Markus  wie  Johannes 
sind  die  Jünger  nicht  nur  in  diesem  Punkte  blind,  sondern  dem 
ganzen  höhern  Wesen  Jesu  gegenüber  versagt  ihr  Verständnis. 
Dem  entspräche  am  besten  das  Bewusstsein,  mit  den  Offen- 
barungen des  Auferstandenen  eine  neue  Ansicht  von  Jesus  über- 


235 

haupt  gewonnen  zu  haben.  Oder  ist  die  Auffassung  jener 
Evangelisten  lediglich  eine  nachträgliche  Erweiterung  und  Ver- 
allgemeinerung? Es  wäre  das  nicht  undenkbar.  Indessen 
scheint  noch  etwas  Anderes  dafür  zu  sprechen,  dass  sich  das 
Gefühl  des  neuen  Verständnisses  nicht  blos  auf  Leiden  und 
Tod  Jesu  bezog.  Ist  die  Messianität  ursprünglich  von  der  Auf- 
erstehung datiert  worden,  so  liegt  der  Gedanke  sehr  nahe,  dass 
nun  auch  erst  der  Glaube  entstand,  Jesus  sei  der  Messias,  und 
dass  eben  diese  Erkenntnis  der  Messiaswürde  als  der  Inhalt  der 
Erleuchtung  empfunden  wurde.  Mit  der  Erklärung  der  Vor- 
stellung vom  geheimen  Messias,  die  ich  gegeben  habe,  stimmt 
diese  Annahme  aufs  Beste  überein.  Indessen  sei  dies  mit  Vor- 
behalt ausgesprochen. 


Unsere  Untersuchung  hat  bestätigt,  dass  die  beiden  unter- 
schiedenen Gedanken  wirklich  dem  Ursprünge  nach  ausein- 
ander zu  halten  sind.  Der  eine  ist  ein  Gedanke  über  Jesus:  er 
ruht  darauf,  dass  Jesus  mit  der  Auferstehung  für  den  Glauben 
der  Seinen  zum  Messias  wurde.  Der  andere  ein  Gedanke  über 
die  Jünger:  er  ruht  darauf,  dass  sie  durch  die  Auferstehung  ein 
neues  Verständnis  Jesu  gewinnen.  Der  Ausgangspunkt  aber 
erweist  sich  doch  schliesslich  als  einheitlich.  Beide  ruhen  darauf, 
dass  die  Auferstehung  für  die  Messianität  das  entscheidende 
Ereignis  ist,  und  dass  Jesu  irdisches  Leben  zuerst  nicht  als 
messianisch  gedacht  wird.  Wie  sehr  die  Auferstehung  das  Ziel 
ist,  auf  das  die  ganze  Evangeliendarstellung  hinstrebt,  wird 
durch  diese  Anschauungen  besonders  deutlich. 


3. 
Nochmals  Markus  und  Lukas. 

Wie  verhält  sich  die  Darstellung  des  Markus  zu  der  ur- 
sprünglichen Gestalt  der  nachgewiesenen  Anschauungen? 
Wie  weit  entfernt  sie  sich  bereits  von  ihr?  Das  lässt  sich  nicht 
mit  Sicherheit  ausmachen. 


236 

Man  hat  wohl  den  Eindruck,  dass  Markus  die  beiden  Ge- 
danken als  eine  Einheit  gedacht,  d.  h.  dass  er  auch  bei  der 
Zeichnung  des  Jüngerunvei-standes  empfunden  hat,  die  Messia- 
nität  müsse  vor  der  Auferstehung  ein  Mysterium  bleiben.  Allein 
behaupten  lässt  sich  das  kaum.  Gewiss  ist  nur,  dass  die  beiden 
Traditionen  bis  zu  einem  gewissen  Grade  bei  ihm  zusammen- 
geflossen sind.  Das  zeigt  sich  an  zwei  Punkten.  Die  Parabeln 
werden  von  den  Jüngern  ohne  Deutung  nicht  begriffen,  und  die 
Parabeln  sind  für  Jesus  zugleich  ein  Mittel,  sich  oder  seine 
Lehre  zu  verbergen.  Ebenso  bleiben  den  Jüngern  die  Leidens- 
und Auferstehungsweissagungen  verschlossen,  und  auch  sie  sind 
zugleich  ein  Stück  absichthch  geheimer  Belehrung.  — 

Die  Widersprüche  in  der  Erzählung  des  Markus  hegen 
offen  vor^).  Ich  glaube  gezeigt  zu  haben,  wie  natürHch  es  war, 
wenn  Markus  selbst  Züge  in  seinem  Berichte  brachte,  die  zum 
messianischen  Geheimnis  nicht  passten.  Die  Betrachtungen  über 
die  Entstehung  der  Idee  können  das  nur  noch  wahrscheinlicher 
machen.  Ich  nehme  an,  dass  sie  niemals  ohne  Widei-sprüche 
existiert  hat.  Denn  ihr  haftet  von  Anfang  an  etwas  Zwie- 
spältiges an:  Jesus  stellt  sich  als  Messias  dar  und  darf  sich 
doch  nicht  als  solcher  zeigen. 

Wie  viel  nun  aber  bei  den  Widei-sprüchen  auf  die  eigenste 
Rechnung  des  Markus  kommen  mag,  wird  auch  eingehende 
Untersuchung  nur  mangelhaft  entscheiden  können.  Jedenfalls 
bei  weitem  nicht  alles.  Soweit  es  sich  um  Traditionelles  han- 
delt, darf  man  zwei  Gesichtspunkte  unterscheiden. 

Manches,  was  jetzt  zmii  geheimen  Messias  nicht  passt,  kann 
schon  in  der  allerältesten  Tradition  wesentlich  ebenso  erzählt 
worden  sein,  ohne  dass  damals  der  Widerspruch  bereits  vor- 
handen gewesen  wäre.  Ich  denke  besonders  an  die  Wunder- 
geschichten. Dass  Jesus  Wunder  gethan  habe,  hat  man  sicher 
vom  ei-sten  Anfang  an  erzählt,  und  natürlich  dann  öffenthche 
Wunder.  Waren  aber  die  Wunder  anfangs  noch  nicht  egya 
Tov  Xqiotov  (Mt.  11 2),  messianische  Werke,  so  war  natürhch 
auch  jener  Widerspruch  nicht  da.  Die  Öffenthchkeit  der  Wun- 
der erhielt  sich  dann  einfach  in  der  Tradition,  und  der  Wider- 
spruch entstand  ei-st  dadurch,    dass    sie    nachträglich   als  messi- 

1)  Obea  S.  124  ff. 


237 

anisch    betrachtet   wurden,    die    Messiaiütät    aber    als    Geheim- 
nis galt. 

Anderes  aber  ist  so  geartet,  dass  man  es  einer  Tradition 
zurechnen  muss,  die  der  Vorstellung  des  heimlichen  Christus 
schon  dem  Ureprunge  nach  entgegengesetzt  ist.  Die  deutlichsten 
Beispiele  dürften  der  Einzug  in  Jerusalem  und  das  Bekenntnis 
vor  dem  Hohenpriester  sein.  Diese  Geschichten  rechnen  unbe- 
fangen mit  der  öffentlichen  Messianität  Jesu.  Eine  solche  Tra- 
dition hat  es  also  zur  Zeit  des  Markus  und  vor  Markus  sicher 
schon  gegeben. 

Liegt  demnach  die  Idee  des  geheimen  Messias  uns  nur  in 
einer  Vermischung  mit  fremdartigem  Stoffe  urkundlich  vor,  so 
hindert  dieser  Beisatz  doch  nicht,  dass  sie  selbst  im  Markus 
noch  rein  und  ungebrochen  erhalten  ist.  In  einem  Zuge  scheint 
sich  jedoch  zu  verraten,  dass  sich  die  ursprüngliche  Konzeption 
bereits  zu  verdunkeln  beginnt.  Ich  denke  an  jene  Bemerkungen, 
wonach  das  Verbot  Jesu  unbeachtet  blieb,  sein  Wunsch  uner- 
kannt zu  bleiben  nicht  zum  Ziele  führte.  Darf  man  das  nicht 
als  einen  nachgewachsenen  Gedanken  ansehen,  in  dem  sich 
bereits  ankündigt,  dass  die  Geheimnisidee  der  natürlichen  Ten- 
denz weichen  muss,  das  Leben  Jesu  immer  mehr  zum  offenen 
Spiegel  seiner  Messianität  zu  machen? 

Eine  besondere  Erwägung  fordert  hier  noch  einmal  das 
Petrusbekenntnis. 

So  wie  es  im  Markusevangehum  vorliegt,  bildet  es  zum 
Gedanken  der  geheimen  Messianität  durchaus  keinen  Gegensatz. 
Man  kann  die  messianischen  Zeugnisse  und  Bekenntnisse  in 
zwei  Klassen  teilen.  Die  einen  ruhen  auf  dem  Gedanken  des 
übernatürHchen  Wissens;  dahin  gehören  die  Gotteszeugnisse  bei 
der  Taufe  und  Verklärung,  die  Bekenntnisse  der  Dämonen  und 
auch  eigene  Belehrungen  Jesu.  Hier  verträgt  sich  das  Bezeugen 
und  Aussprechen  mit  dem  Geheimnis  natürlich  aufs  Beste.  Die 
andern  —  man  denke  abermals  an  den  Einzug,  das  Bekenntnis 
vor  dem  Hohenpriester,  auch  die  Anrede  Davidssohn  im  Munde 
des  Bhnden  u.  a.  —  ruhen  an  sich  nicht  auf  jener  supranatu- 
ralen Voraussetzung,  sie  legen  die  Erkenntnis  der  Messianität 
gewöhidichen  Menschen  bei  und  schliessen  demnach  das  Ge- 
heimnis einfach  aus.     Das  Petrusbekonntnis  gehört  nach  Markus 


238 

zweifellos  zur  ersten  Klasse.  So  muss  man  urteilen,  weil  die 
Jünger  für  Markus  dogmatische  Grössen  sind:  vf,uv  x6  uvarij- 
Qiov  öedovai  tTiQ  ßaaiXeiag  vov  d^Eov. 

Aber  nach  einer  andern  Seite  steht  diese  Szene  gerade 
mit  der  Auffassujig  der  Jünger  im  Widerspruche.  Sie  widerspricht 
ihrer  sonstigen  Verständnislosigkeit,  von  Markus  selbst  wird  sie 
daher  schwerlich  geschaffen  worden  sein.  Der  Widerspruch  ist 
jedoch  für  Markus  nicht  befremdlicher  als  manche  andere.  Ein 
Datum,  das  auf  gleicher  Linie  liegt,  scheint  mir  die  Nachricht 
zu  sein,  dass  die  Jünger  von  der  (supranatural  gedachten)  Ge- 
walt über  die  Geister,  die  Jesus  auf  sie  überträgt,  schon  bei 
der  Aussendung  Gebrauch  zu  machen  wissen  (613). 

Das  Bekenntnis  steht  mithin  gerade  in  der  Mitte  der  beiden 
unterschiedenen  Hauptgedanken.  Es  würde  unmittelbar  ver- 
ständlich sein,  dächte  man  sich  eine  Variante  der  eigentlichen 
Markustradition  von  folgender  Form:  die  Messianität  war  im 
Allgemeinen  verborgen,  aber  die  Jünger,  speziell  Petrus,  er- 
kannten das  Geheimnis;  ihnen  war  es  gegeben  worden,  denn  sie 
sollten  ja  die  glaubwürdigen  Zeugen  von  Jesus  werden.  Es 
muss  damit  gerechnet  werden,  dass  es  eine  solche  Variante 
wirklich  gegeben  hat.  Das  Nichtverstehen  der  Jünger  braucht 
in  der  Tradition  dem  Verhüllen  der  Messianität  keineswegs 
überall  zur  Seite  gegangen  zu  sein. 

Hiermit  ist  gesagt,  dass  diese  Erzählung  nach  ihrem  eigent- 
lichen Inhalte  einer  Erklärung  aus  späterer  Zeit  nicht  wider- 
strebt. Einen  speziellen  Anlass  könnte  die  Bildung  in  der  That- 
sache  haben,  dass  Petrus  als  der  erste  den  Auferstandenen  er- 
kannte ^).  Die  Projektion  dieses  Ereignisses  auf  das  geschicht- 
liche Leben  Jesu  wäre  bei  dogmatischer  Anschauung  von  den 
Aposteln  wohl  zu  verstehen. 

Sollen  wir  demnach  den  Bericht  aus  der  wirklichen  Ge- 
schichte Jesu  streichen? 

Es  ist  eine  Art  Dogma,  dass  er  ungefähr  das  Gesichertste 
sei,  was  die  Evangelien  erzählen.  Ich  erkenne  dieses  Dogma 
nicht  an.  Ich  meine  sogar,  wenn  so  viel  Verwandtes  sich  als 
ungeschichtlich  herausstellt,  ist  der  Zweifel  äusserst  natürlich. 
Es  kommt  hinzu,    dass   die   unmittelbare  Umgebung   der  Szene, 


1)  So  Volkmar  S.  448. 


239 

nämlich  die  Leidensweissagung  und  was  darauf  folgt,  ungeschiclit- 
lich  ist,  in  ihr  selbst  aber  jedenfalls  das  Verbot,  ferner  dass  sie 
einen  individuellen  Inhalt  kaum  besitzt.  Denn  wenn  Petrus  be- 
kennt, so  bedeutet  das  viel  weniger,  als  wenn  wir  das  Gleiche 
von  Philippus  oder  Jakobus  Alphaei  Sohn  hörten.  Petrus 
scheint  nur  das  Apostelhaupt  bei  Markus  zu  sein,  es  wäre  ganz 
natürlich,  dass  er  bei  solcher  Gelegenheit  der  Sprecher  ist,  auch 
wenn  von  dem  Gedanken  an  die  ausgezeichnete  Bedeutung  seiner 
Christusvision  abzusehen  wäre.  Das  Bekenntnis  selbst  enthält 
nichts  Eigenartiges.  Die  Urteile  des  Volkes  über  Jesus,  von 
denen  die  Jünger  wissen  —  er  sei  der  Täufer,  Elias  oder  einer 
der  Propheten  —  sind  schon  darum  keine  sicheren  Kennzeichen 
eines  geschichtlichen  Vorgangs,  weil  sie  auch  anderswo  vor- 
kommen, bei  der  Erzählung  von  Herodes  (6i4f.),  mithin  ein  Mo- 
tiv darstellen,  das  man  verschieden  verwendet  hat.  Dass  es 
zuerst  der  Bekenntnisszene  angehört  hat,  lässt  sich  schwer  be- 
weisen. Eine  spätere  Entstehung  dieser  vom  Volke  auf  Jesus 
angewandten  Kategorien  wäre  keineswegs  unmöglich.  Die  ab- 
rupte und  nicht  eben  natürlich  klingende  Frage  Jesu  nach  der 
Meinung  des  Volkes  wäre  leicht  aus  der  Absicht  zu  begreifen, 
ein  Postament  für  das  nachfolgende  Bekenntnis  des  Jüngers  zu 
schaffen. 

Der  Beweis  der  Ungeschichtiichkeit  ist  jedoch  hiermit 
nicht  erbracht.  Den  dogmatisch-supranaturalen  Sinn,  den  das 
Bekenntnis  bei  Markus  hat,  braucht  es  nicht  immer  gehabt  zu 
haben.  Das  Verbot  könnte  sich  nachträglich  angesetzt  haben, 
die  folgende  kleine  Szene  ebenfalls.  Und  positiv  fällt  zu  Gunsten 
des  Berichtes  ins  Gewicht,  dass  ein  geographisches  Datum  von 
bemerkenswerter  Eigentümlichkeit  an  der  Szene  haftet:  sie  soll 
in  der  Gegend  von  Caesarea  Philippi  gespielt  haben.  Die  Ent- 
scheidung wird  darin  liegen,  wie  man  über  dies  Datum  denkt  i) 
und  —  wie  die  sonstigen  Nachrichten  über  Jesu  messianischen 
Anspruch  und  messianische  Geltung  auf  Erden  zu  beurteilen 
sind.  So  lange  dies  nicht  klargestellt  worden  ist,  thut  man 
gut,  mit  dem  Endurteil  zurückzuhalten. 

1)  Volkmars  Gedanke  (S.  449),  die  Kaiserstadt  (A«<or«()6«)  stehe 
in  Beziehung  zu  Christus  als  dem  wahren  ßccaiktig,  ist  eine  Spielerei. 
—  Die  Geographie  des  Markus  bedarf  überhaupt  einer  zusammen- 
hängenden Untersuchung. 


240 

Es  ist  hier  der  Ort,  auch  aul'  Lukas  nochmals  zurück- 
zukommen. 

Seine  Stellung  zur  Geheimhaltung  der  Messianität  blieb 
oben')  im  Unklaren.  Wir  fanden  Anzeichen  dafür,  dass  er  die 
Auffassung  des  Markus  nicht  teilt,  und  doch  machte  Anderes 
wieder  den  entgegengesetzten  Eindruck.  Insbesondere  schien 
die  eigentümliche  Verbindung  der  Leidensweissagung  mit  dem 
auf  das  Petrusbekenntnis  folgenden  Verbote  darauf  hinzuweisen, 
dass  er  die  Verkündigung  der  Messianität  auch  erst  hinter  die 
Auferstehimg  verlegt. 

Die  Lösung  der  Sch"v\ierigkeit  dürfte  darin  liegen,  dass  bei 
Lukas  der  Gedanke  der  »zukünftigen  Messianität«  noch  deutHch 
erhalten  ist. 

Bei  Lukas  fanden  wir  die  Aussage,  dass  Gott  durch  die 
Auferweckung  Jesus  zum  Christus  gemacht  hat  (Act.  2.36).  Diese 
Aussage  ist  aber  nichts  Isohertes,  sie  steht  mit  andern  Momenten 
im  Zusammenhange  2).  Lukas  ist  nicht  der  Meinung,  dass  Jesus 
seinen  Volksgenossen  auf  Erden  schon  in  der  Würde  des  Messias 
ei-schienen  sei.  Er  ist  hervorgetreten  als  ein  Mann,  beglaubigt 
durch  Zeichen  und  Wunder  (Act.  222),  als  ein  mit  dem  Geiste 
gesalbter  Wunderthäter  und  Wohlthäter  des  Volks  (lOäs).  Einen 
grossen  Propheten  musste  das  Volk  in  ihm  erkennen,  in  dem 
Gott  sein  Volk  heimgesucht  habe  (Luk.  7i6).  So  ist  er  auch 
den  Emmausjüngern  erschienen:  er  ist  ihnen  ein  Prophet,  ge- 
waltig in  That  und  Wort  vor  Gott  und  allem  Volke  (Luk.  24 19). 
Hierauf  gmndete  sich  deim  freilich  ihre  Erwartung,  er  werde 
Israels  Erlöser,  d.  h.  der  Messias  sein  (242i)  ^}.  Aber  mehr  als 
die  Erwartung  haben  sie  nicht.  Und  hierin  steht  ihnen  das 
Volk  gleich.  Denn  wenn  es  in  der  Nähe  \on  Jerasalem  den 
Anbruch  des  Reiches    für    unmittelbar  bevorstehend  hält  (19 11), 


1)  S.  172—178. 

2)  Vgl.  J.  Weiss,  Nachfolge  Christi  S.  59 ff.  —  Auf  Luk.  2267 ff. 
gehe  ich  an  dieser  Stelle  nicht  ein.  J.  Weiss'  Auffassung  der  Stelle 
(im  Kommentar  zu  Luk.j  teile  ich  nicht.  Er  meint,  Sohn  Gottes  sei 
Jesus,  sowie  er  vor  dem  Synedrium  stand,  gewesen,  Christus  noch  nicht. 
Ich  halte  diese  Scheidung  nicht  für  durchführbar  (vgl.  den  Wechsel 
4«).  Sohn  Gottes  ist  Jesus  nach  dieser  Stelle  auch  keineswegs  deshalb, 
»weil  er  der  ausschliesslichen  Liebe  Gottes  gewiss  ist«. 

3)  Vgl.  Act.  l6. 


241 

so  ist  doch  die  Meinung,  dass  es  darauf  rechnet,  Jesus  werde 
es  errichten,  d.  h,  die  messianische  Würde  erhingen  und  das 
AVerk  des  Messias  thun.  Gott  hat  aber  einen  andern  Weg  ge- 
wollt. Erst  niusste  Jesus  leiden  und  sterben,  dann  erst  wurde 
er  zur  Rechten  Gottes  erhöht  als  Führer  und  Erlöser  {ag^r^yog 
xttf  aioirjQ  53i),  um  Israel  Busse  und  Sündenvergebung  zu  ge- 
währen '). 

Gewiss  enthält  auch  die  Darstellung  des  Lukas  manches, 
was  von  andrer  Art  ist,  aber  diese  Gedankenreihe  als  solche 
liegt  m.  E.  doch  deutlich  vor,  und  auch  die  Idee  der  meta- 
physischen Gottessohnschaft,  wie  sie  in  der  übernatürlichen  Ge- 
])urt  der  Kindheitsgeschichte  erscheint,  ist  nicht  von  EinHuss 
auf  sie  gewesen.  Dass  wir  aber  hier  vor  einer  Auffassung  des 
Lukas  selbst  stehen,  ist  wegen  der  Übereinstimmung  von  Evange- 
lium und  Apostelgeschichte  sehr  wahrscheinlich. 

Hiernach  erklärt  sich  nun  leicht,  dass  Lukas  in  den  Verboten 
Jesu,  die  ihm  in  seiner  Vorlage  Markus  begegneten,  sehr  wohl 
einen  Sinn  finden  konnte.  Was  der  Messiastitel,  den  ihm 
Dämonen  oder  Jünger  geben,  ausdrückt,  kann  erst  in  einem 
späteren  Momente  realisiert  werden.  Solange  das  Leiden  und 
Sterben  noch  bevorsteht,  erscheint  es  darum  nach  den  geschicht- 
lichen Umständen  noch  nicht  passend,  von  seiner  Messianität  zu 
reden.  Eine  verfrühte  JVlitteilung  an  das  Volk  würde  nur  darüber 
hinwegtäuschen,  dass  ei"st  das  Dunkel  des  Todes  kommt  (vgl. 
Qiaf.).  Das  ist  mit  Markus  verwandt,  und  es  ist  doch  nicht 
Markus  selbst.  Denn  die  allgemeine  Tendenz  auf  das  Verbei-gen 
und  Geheimhalten  der  Älessianität  ist  hiermit  keineswegs  gegeben. 
Und  dass  es  für  Lukas  kein  lebendiger  Gedanke  ist,  ist  eben 
daraus  zu  entnehmen,  dass  er  die  charakteristischen  Aussagen 
des  IVIarkus  mehrfach  beseitigt  hat. 

Ist  nun  die  geheime  Messianität  aus  der  zukünftigen  hervor- 
gegangen, so  gelangen  wir  zu  dem  Ergebnis,  dass  der  spätere 
Evangelist  nicht  mir  die  ältere  Anschauung  zeigt,  sondern  auch 
die  jüngere  nach  ihr  umdeutet,  soweit  er  überhaupt  etwas  mit 
ihr  anfangen  kann.  Eine  Schwierigkeit  kann  ich  in  beidem 
nicht  finden.     Dass  jüngere  Schriften  das  sacMch  Altere  bieten, 

1)  Über  den  historischen  Wert  dieser  lukanischen  Angaben  spreche 
ich  mich  hier  nicht  aus. 

Wrede,   Messiasgoheimnis.  1(3 


242 

darf  niemals  Wunder  nehmen.  Wenn  dann  die  Auffassung  des 
Markus  dem  Lukas  doch  vorlag,  so  ist  es  ganz  natürlich,  dass 
er  sie  nach  seinen  eigensten  Gedanken  verstand  und  auch  nicht 
verstand. 


Zur  weiteren  Greschichte  der  Vorstellungen. 

Der  eigentliche  Gedanke  des  Messiasgeheiranisses  scheint 
nur  eine  kurze  Geschichte  gehabt  zu  haben,  wie  denn  sein  Ge- 
biet wahrscheinlich  immer  beschränkt  gewesen  ist.  Bereits  bei 
den  synoptischen  Nachfolgern  des  Markus  verliert  er  seine  m'sprüng- 
liche  Bedeutung,  und  bei  Johannes  trafen  wir  ihn  nicht  mehr 
an.  Anderwärts  kann  ich  ihn  nicht  nachweisen.  Das  mehrfach 
zitierte  Logion: 

(xvGTriQiov  ii-iov  e/uol  nal  rölg  violg  rov  o'r/.ov  f.iov 
hat  mit  unserer  Anschauung  kaum  etwas   zu  thun,    weder  nach 
seinem  Ursprünge  noch  nach  seiner  späteren  Auflassung  i). 

Befremden  kann  die  Thatsache  nicht.  Sie  entspricht 
wenigstens  unserer  Deutung  recht  gut.  Es  handelte  sich  nicht 
um  eine  Idee,  die  einen  dogmatischen  oder  apologetischen  Eigen- 
wert dargestellt  hätte,  sondern  um  eine  Übergangsvorstellung. 
Dass  Jesus,  wenn  er  der  Messias  gewesen  war,  sich  als  solcher 
zeigte  und  ofienbarte,  war  eine  zu  natürliche  Vorstellung,  als 
dass  sie  sich  lange  hätte  zurückdrängen  lassen.  Weshalb  Jesus 
sein  Licht  unter  den  Scheffel  gestellt  haben  sollte,  wui'de  um  so 
unverständlicher,  je  mehr  man  ihn  schon  auf  Erden  als  Messias 
dachte. 


1)  Obiger  Text  nach  Clem.  AI.  Strom.  V,  10,  69.  Etwas  anders 
Hom.  Clem.  XIX,  20.  Vgl.  Nestle,  N.  T.  Gr.  supplem.  p.  90  und  bes. 
Eopes,  Die  Sprüche  Jesu,  die  in  den  kan.  Evang.  nicht  überliefert 
sind  (1896\  S.  94 ff.  Kleraens  von  Alexandrien  leitet  das  Zitat  ein:  od 
yccQ  (fd^oväv  (f^riaC)  naQr'jyytikev  6  xvQtog  sv  tivi  tvceyy(kiti).  Die  Worte 
finden  sich  in  der  Hauptsache  aber  bei  Symmachus,  Theodotion  und  in 
Codd.  der  LXX  im  Texte  von  Jes.  24 16,  und  hier  werden  sie  ihre 
Heimat  haben. 


243 

Die  Vorstellung,  dass  Jesus  durch  Parabelrede  seine  Lehre 
verborgen  habe,  ist  hierbei  aber  auszunehmen.  Dass  sie  sich 
besser  hielt  als  die  Idee  der  verhüllten  Messianität,  ist  leicht 
verständlich.  Es  war  in  der  Überlieferung  zu  fest  ausgeprägt, 
dass  Jesus  in  Parabeln  gelehrt  habe,  um  vergessen  zu  werden, 
und  der  Begriff  /taQaßoXi^  regte  den  Gedanken  an  das  Dunkle 
und  Geheime  immer  wieder  an. 

Eine  weitere  Geschichte  hat  aber  auch  die  Idee  gehabt, 
dass  die  Auferstehung  zwei  Zeiten  der  Jüngererkenntnis  schei- 
det. Matthaeus  und  Lukas  zeigten  uns  jeder  in  seiner  Art,  wie 
sie  in  der  Evangelienerzählung,  wenigstens  was  den  Unverstand 
der  früheren  Zeit  betrifft,  recht  bald  modifiziert,  sei  es  nun  ver- 
wischt oder  sei  es  eingeschränkt  werden  konnte.  Johannes  lehrte 
uns  schon,  dass  hieraus  keine  voreiligen  Schlüsse  gezogen  werden 
dürfen.  Denn  er  vertritt  die  Anschauung  kräftig,  wenn  auch  in 
besonderer  Art.  Bei  Johannes  fanden  wir  auch  die  Parabelvor- 
stellung bereits  in  enger  Verbindung  mit  dem  Gedanken  der 
Jüngererkenntnis.  Das  Gleiche  lässt  sich  für  die  Folgezeit  viel- 
fach beobachten. 

Die  Entwickelung  nach  dem  Abschluss  der  kanonischen 
Evangelien  lässt  sich  nun  ohne  eine  systematische  Durchforschung 
der  ältesten  kirchlichen  Literatur  nicht  genügend  darstellen.  Für 
meine  Zwecke  erschien  mir  eine  solche  entbehrlich.  Wenn  ich 
also  im  Folgenden  noch  auf  ein  paar  bemerkenswerte  Data  hin- 
weise, so  liegt  mir  der  Gedanke  fern,  den  Gegenstand  zu  er- 
schöpfen. 

Zunächst  ein  Wort  über  Justin.  Er  spricht  in  der  Apologie 
•wie  im  Dialoge  wiederholt  aus,  dass  die  Jünger  nach  der  Auf- 
erstehung durch  Jesu  Belehrung  zu  einer  neuen  Einsicht  ge- 
kommen sind.  Es  scheint  das  also  zu  seinen  festen  und  leben- 
digen Gedanken  zu  gehören.  Die  beiden  bemerkenswertesten 
Äusserungen  sind  folgende  i): 

Apol.  I,  50:  (Vorangeht  ein  Zitat  aus  Jes.  c.  52  und  53.)  Nach 
seiner  Kreuzigung  nun  fielen  auch   alle  seine  Vertrauten 

1)  Vgl.  ausserdem  Apol.  I,  67,  Dial.  c.  .53.  Zusammengestellt 
sind  die  Stelleu  bei  Hilgenfeld,  Acta  Apostolorum  (1899)  p.  198  und 
bei  P  reu  sc  hon,  Antilegoraena  p.  30. 

16* 


244 

(ynogii-ioi)  von  ihm  ab,  nachdem  sie  ihn  verleugnet. 
Später  aber,  da  er  von  den  Toten  erstanden  und  ihnen 
erschienen  war  und  sie  gelehrt  hatte,  die  Prophetieen  zu 
lesen  {Talg  TrQOCftjTsiaig  ivTvydv),  in  denen  vorausgesagt 
war,  dass  alles  dies  geschehen  werde,  und  da  sie  ihn  zum 
Himmel  auffahren  gesehen  und  gläubig  geworden  waren 
und  die  ihnen  von  dorther  gesandte  Kraft  von  ihm 
empfangen  hatten  und  zu  jeglichem  Geschlecht  der 
Menschen  gekommen  waren  —  da  lehrten  sie  dies  und 
wurden  Apostel  genannt. 
Dial.  c.  Tiyph.  c.  106:  ....  (Die  Apostel),  die  da  —  nachdem 
er  von  den  Toten  auferstanden  war,  und  nachdem  sie 
überzeugt  worden  waren  von  ihm,  dass  er  schon  (xa/) 
vor  dem  Leiden  ihnen  gesagt,  er  müsse  das  leiden,  und 
von  den  Propheten,  dass  diese  Ereignisse  vorausverkündigt 
waren,    —   Busse    thaten,   Aveil    sie    von    ihm    abgefallen 

waren,  als  er  gekreuzigt  wurde 

Diese  Stellen  lehren  uns  in  der  Hauptsache  nichts  Neues. 
Im  Einzelnen  sind  sie  nicht  uninteressant.  Der  Abfall  der 
Jünger  erscheint  als  Gegensatz  der  nachhergewonneiien  Über- 
zeugung, also  als  eine  Frucht  des  einstigen  Unverstandes.  Der 
Unverstand  wird  zugleich  als  Unglaube »)  und  Schuld  betrachtet, 
nach  der  Auferstehung  müssen  die  Jünger  dämm  Busse  thun. 
Die  neue  Überzeugung  wird  geradezu  als  die  Grundlage  ihrer 
Mission  in  der  AVeit  hingestellt  *).  Die  Belehrung  Jesu  stellt  sich 
dar  als  ein  förmlicher  Unterricht,  eine  Anweisung  zur  richtigen 


1)  Unglauben  und  Zweifel  spielen  in  den  Auferstehungsgeschichten 
eine  besondere  Rolle  (Luk.  24,  Mt.  2Sn,  Job.  2025).  Besonders  cha- 
rakteristiscb  der  unecbte  Markusscbluss  (16u.':  Und  er  schalt  ihren 
Unglauben  und  ihre  Herzenshärtigkeit,  dass  sie  denen,  die  ihn  aufer- 
weckt gesehen,  nicht  geglaubt  hatten.  Dieser  Punkt  gehört  zur  Öko- 
nomie der  Auferstehungsgeschichten.  Dem  Erkennen  und  Anerkennen 
des  Auferstandenen  muss  Ahnungslosigkeit,  Misstrauen  und  Unglauben 
recht  handgreiflich  vorangehen.  Aber  dies  Benehmen  wird  als  Fort- 
setzung der  entsprechenden  Haltung  vor  der  Auferstehung  gedacht  sein. 
(Eohrbach  S.  32f.  dürfte  aus  der  Übereinstimmung  verschiedener  Be- 
richte in  diesem  Motive  zu  viel  schliessen.) 

2)  Vgl.  Dial.  53,  Apol.  I,  .50. 


245 

Schriftlektüre.  Das  Kerygnia  Petri ')  bietet  eine  abweichende 
und  doch  ähnhche  Vorstellung,  wenn  es  den  Glauben  der 
Jünger  auf  eifriges  Schriftstudium  zurückführt.  Hier  erscheint 
dabei  alles,  was  in  den  Schriftbeweis  hineinfällt,  als  Inhalt  der 
neuen  Erkenntnis.  Justin  dagegen,  bei  dem  man  die  lukanische 
Erzählung  besonders  durchfühlt,  beschränkt  in  den  vorliegenden 
Angaben  =*)  die  Belehrung  auf  das,  was  vor  der  Auferstehung 
das  Unverstandene  war,  d.  h.  auf  die  Notwendigkeit  des  Leidens ; 
er  betont  dabei  gleichmässig  die  Weissagung  der  Propheten  und 
Jesu  eigene  Voraussagung,  von  der  die  Jünger  nicht  wissen, 
sofern  sie  ihnen  eben  dunkel  blieb.  Diese  Beschränkung  ist  be- 
merkenswert. Justin  scheint  von  weitergehenden  Belehrungen 
des  Auferstandenen  noch  nichts  gewusst  zu  haben,  oder  sie 
hatten  keine  Bedeutung  für  ihn. 

Uns  muss  hier  gerade  die  weitere  Ausdehnung  des  urspmng- 
lichen  Gedankens  in  erster  Linie  interessieren. 

Beden  des  Auferstandenen  sind  bekanntlich  in  den  ersten 
Jahrhunderten  der  Kirche  in  Fülle  erdichtet  worden.  Die 
wenigsten  von  ihnen  haben  es  —  auch  dies  in  Fortführung  von 
Anfängen,  die  schon  in  den  kanonischen  Evangelien  vorliegen  — 
mit  Weisungen  an  die  Apostel  in  Sachen  ihres  Berufes  zu  tiiun  ^). 
Überwiegend  handelt  es  sich  um  eigentliche  Lehre.  Derartiges 
hat  man  in  allen  möghchen  Kreisen  der  Kirche  produziert  *). 
Aber  die  bemerkenswerteste  Erscheinung  ist  in  dieser  Hinsicht 
die  Gnosis;  auf  sie  beschränke  ich  mich  hier. 


1)  Fragiu.  9  (bei  Pre tischen  p.  54;  vgl.  auch  von  üobschütz, 
das  Kerygraa  Petri  S.  27):  Wir  aber  schlugen  die  Bücher  der 
Propheten  auf,  die  wir  besassen,  ...  und  fanden  sowohl  seine  An- 
kunft als  seinen  Tod  und  sein  Kreuz  und  alle  die  übrigen  Martern  .  ., 
wie  alles  das,  was  er  leiden  niusste,  und  was  nach  ihm  sein  werde,  auf- 
geschrieben war.  Da  wir  nun  dies  erkannten,  schenkten  wir  Gott 
Glauben  {incoTSvaafjsv  rw  &f(o)  durch  das  auf  ihn  hin  Geschriebene. 

2)  Unbestimmt  lautet  Apol.  I,  67. 

3)  So  z.  B.  Kerygma  Petri,  Fragra.  7  bei  Preuschen  (y.  53). 

4)  Man  darf  wohl  glauben,  dass  manches  von  den  sekundären  Be- 
standteilen der  Evangelien,  wäre  es  erst  in  einer  späteren  Zeit  zur 
evangelischen  Erzählung  gekommen,  in  den  grossen  offenen  Kaum  nach 
der  Auferstehung  gestellt  worden  wäre.  In  früherer  Zeit  stand  dieser 
Platz    noch    nicht    so   zur  Verfügung,     man    hatte    ihn   aber  auch  nicht 


246 

Der  kirchliche  Gnostiker  Klemens  von  Alexaiidria  schreibt 
in  seinen  Hj^DOtyposen  i) : 

Jakobus  dem  Gerechten  2)  und  dem  Petrus  und  Johannes 
hat  der  HeiT   nach    der  Auferstehung    die  yvcuoig 
überliefert,   diese  überheferten  sie  allen  Aposteln,   die 
übrigen  Apostel  aber  den  Siebenzig,  zu  denen  auch  Bar- 
nabas  gehörte. 
Lassen    wir    die    verschiedenen    Traditionsglieder,    die    da 
genannt  werden,   bei  Seite,   so  haben  wir  in  diesem  Worte  den 
bündigsten  Ausdruck    für  eine  Vorstellung,    die    als  Gemeingut 
der    weitesten    gnostischen    Kreise,    insbesondere    natürlich    der 
häretischen    zu    betrachten  ist.      Es    ist    bekannt,    wie    in    der 
gnostischen  Überlieferung  die  Zeit  des  Erdenwandels  Jesu  nach 
der  Auferstehung    sich  von  den  40  Tagen    des  Lukas  (Act.  Is) 
zu  18  Monaten    oder,    wie   es  auch  statt  dessen  heisst,    zu    545 
Tagen,'  ferner  zu  7  Jahren,    zu  12  Jahren    und    wer  weiss  wie 
sonst    noch    erweiterte  3).      Da   haben   denn    die  geheimen  Be- 
lehrungen  Platz,    die   die   Gnosis   vertrauten  Jüngern  Jesu   zu 
Teil  werden  lässt^). 


nötig,  da  die  Erzählung  vom  Erdenleben  Jesu  noch  nicht  so  stark  fest- 
gelegt war.  Es  ist  lehrreich  zu  fragen,  welche  Stoffe  man  in  den 
Evangelien  hinter  die  Auferstehung  versetzt  denken  könnte.  Ich  möchte 
z.  B.  die  Apostelinstruktion  dahin  rechnen.  Ebenso  könnte  die  eschato- 
logische  Rede  bei  Markus,  die  die  Vertrauten  vernehmen,  der  Sache 
nach  sehr  gut  als  Eede  des  Auferstandenen  gegeben  sein.  In  einem 
syrischen  Sammelwerk  kirchenrechtlichen  Inhalts  ist  ein  ßißUov  KXri- 
f^evTog  TTQonov  überliefert,  dessen  weitere  Überschrift  (griechisch)  lautet: 
ot  Xöyoi,  ovg  juera  t6  {IraaTfjvat  amov  [rbv  xvQiov)  ix  rexQtSv  IXakrjae 
ToTs  uyioig  nnoarökotg  avTov,  und  in  dem  Fragen  der  Jünger  (Johannes 
und  Petrus)  thqI  tov  rs'kovs,  d.h.  nach  allen  möglichen  eschatologischen 
Dingen  (z.  B.  den  arjjufttt  des  Endes,  der  Parusie  des  Teufels)  vom 
Herrn  beantwortet  werden.  (Vgl.  L  a  g  a  r  d  e ,  Reliquiae  iuris  ecclesiastici 
antiqui  p.  80 f.  und  Harnack,  Theol.  Lit.  Ztg.  1884,  col.  340.) 

1)  Bei  Eusebius,  h.  e.  II  1. 

2)  Klemens  verwechselt  den  Zebedaiden  und  den  Bruder  des 
Herrn. 

3)  Vgl.  darüber  Patr.  apoet.  opp.  ed.  Gebhar  d  t  etc.  I  2"^  p.  138 sq., 
C.  Schmidt.  Gnostische  Schriften  in  koptischer  Sprache.  T.  u.  U. 
VIII,  1.2  S.  438  f. 

4)  Über  die  Ophiten  z.  B.  Irenaeus,  Adv.  haer.  I  30,14. 


247 

Man  kann  nicht  sagen,  dass  der  gnostische  Gedanke  die 
Konsequenz  der  evangelischen  Vorstellung  von  einer  Erleuchtung 
der  Jünger  nach  der  Auferstehung  sei.  Markus  hat  wohl  den 
Gedanken  der  Geheimlehre,  aber  neben  der  Lehre,  die  er  im 
Evangelium  selbst  mitteilt,  kennt  er  keine  weitere.  Johannes 
hat  die  Vorstellung  einer  Belehrung,  die  über  die  einstige 
Rätselsprache  hinausgeht.  Aber  auch  er  will  damit  keine  sach- 
lich neue  Lehre  legitimieren;  auch  sondert  er  die  Jünger  für 
den  Empfang  einer  bestimmten  Lehre  nicht  eigentlich  vom 
Volke  ab.  Lukas  lässt  Jesus  in  den  40  Tagen  über  ra  r^g 
ßaGilsiag  zou  Osoü  mit  den  Jüngern  reden.  Aber  es  scheint 
mir  ein  Missverständnis,  wenn  man  darin  schon  den  Gedanken 
einer  »höheren«:,  d.  h.  über  die  Lehren  des  Evangeliums  hin- 
ausliegenden Belehnmg  angedeutet  findet ').  Denn  Lukas  hatte 
noch  keine  autoritativen  Schriften  vor  sich  und  konnte  daher 
Jesus  in  der  Zeit  seiner  Wirksamkeit  noch  alles  sagen  lassen, 
Avas  nötig  war.  Alle  dem  gegenüber  zeigt  die  Gnosis  etwas 
Neues,  sofern  sie  von  der  Tendenz  geleitet  ist,  eine  neue  Lehre 
neben  einer  überlieferten  einzubürgern  und  sie  ihr  zugleich  als 
das  Höhere  überzuordnen. 

Man  könnte  sogar  zweifeln,  ob  diese  gnostische  Ansicht  von 
den  Belehrungen  des  Auferstandenen  mit  der  Anschauung,  die 
wir  in  den  Evangelien  fanden,  überhaupt  in  wirklichem  Zu- 
sammenhange steht.  War  es  nicht  ohnehin  für  die  Gnosis  natür- 
lich, die  Geheimbelehrung  hinter  die  Auferstehung  zu  legen,  ein- 
fach weil  hier  ein  leerer  Raum  war? 2)  Denkbar  wäre  das  wohl^ 
allein  ein  innerer  Zusammenhang  mit  der  Vorstellung  der  Evan- 
gelien lässt  sich  nicht  abweisen.  Auch  in  der  gnostischen  Vor- 
stellung steckt  der  Gedanke,  dass  die  Jünger  —  und  zwar  eben 

1)  So  meint  es  wohl  Weizsäcker,  Apost.  Zeitalter,  S.  21. 

2)  Origenes  e.  Cels.  VI  p.  279  (vgl.  Gieseler,  Kirchengeschichte 
I  ■'  S.  257;  G.  zitiert  nach  ed.  Spencer:  bei  Delarue  steht  das 
Zitat  VI,G  p.  633.)  sagt :  'frjaovg,  ort  fttv  fXäXfi  tov  tov  f^fov  köyov  tois 
/tind^rjTcag  xar'  ttficcr,  xni  fifiXiaia  iv  raig  dr  ((/lüorjOfa  i  v,  tiQrjiai' 
Tivct  6'  tjv,  u  (Xeyfv,  ovx  dvayf'yQKTiTai.  ov  yuQ  ((fuCvfro  (tinoTg  y^anrta 
txavwg  (Ivat  raOrn  tiqo;  tüvs  noXkovg.  ovöi  (5>;r«.  Nach  dieser  Stelle,  in 
der  die  charakteristischen  Äusserungen  besonders  des  Markus  noch  gut 
verstanden  sind,  wäre  es  denkbar,  dass  man  auch  andere  Plätze  für  die  ge-^ 
heime  Belehrung  gewählt  hätte.  Dass  von  ihnen,  s.  v.  ich  weiss,  kein 
Gebrauch  gemacht  worden  ist,  ist  abtr  ganz  natürlich. 


248 

mit  der  Auferstehung  —  eine  höhere  Einsicht  gewannen,  als 
sie  bis  dahin  hatten.  Dieses  Zusammentreffen  kann  nicht  zu- 
falhg  sein.  Die  Gnosis  hat  also  an  eine  vorhandene  Idee  sich 
angelehnt,  aber  sie  hat  zugleich  etwas  Neues  aus  ihr  gemacht, 
indem  sie  sie  ihren  Zwecken  dienstbar  machte.  Von  ihrem 
Ursprünge  her  hat  sie  mit  einer  Tendenz  nichts  zu  schaffen. 
Ein  Erlebnis  der  Jünger  hat  sie  erzeugt,  das  bleibende  Interesse 
an  den  Jüngern  als  den  Autoiitäten  des  Glaubens  hat  sie 
lebendig  erhalten.  Die  Gnosis  aber  durchdringt  sie  mit  einer 
Tendenz,  sie  wird  nun  ein  Mittel,  ihren  eigensten  Gedanken  die 
Autorität  der  Lehre  Jesu  zu  sichern.  Die  Haltung  und  Stellung 
der  Jünger  selbst  und  die  Bedeutung  der  Auferstehung  für  sie 
wird  dabei  zur  Nebensache. 

Es  hat  jedoch  in  gnostischen  Kreisen  eine  besondere  Form 
dieser  Belehrungen  des  Auferstandenen  gegeben,  die  noch  in 
viel  bestimmterer  Weise  auf  den  eigentümlichen  Vorstellungen 
der  Evangelien  ruht,  und  die  darum  ein  ganz  besonderes  Interesse 
für  uns  beansprucht. 

Das  klassische  Dokument  ist  hier  die  llioTig  ^ocpia  *).  In 
diesem  Buche  finden  wir  Jesus  im  Verkehr  mit  seinen  Jüngern 
und  Jüngerinnen.  Elf  Jahre  sind  seit  der  Auferstehung  schon 
verflossen.  Im  zwölften  teilt  Jesus  auf  dem  Olberge  diesen  Ver- 
trauten, unter  denen  Maria  Magdalena  an  erster  Stelle  steht, 
ihr  zunächst  Johannes,  der  spado,  die  höchsten  "Wahrheiten  mit  ^). 
Seine  Belehrung  nimmt  nun  aber  beständig  Bezug  auf  die 
frühere  Unterweisung,  d.  h.  auf  die  in  den  Evangelien  nieder- 
gelegten Worte,  unter  Umständen  auch  auf  Züge  der  evan- 
gelischen Geschichte.  So  repräsentiert  dies  Buch  »gleichsam 
die  Niederschrift  eines  zweiten  Evangeliums«  3)  nach  und  über 
dem  alten.  Von  einer  Exegese  der  E  van  gehen  woiie  lässt  sich 
freilich  kaum  sprechen;  denn  es  wird  ihnen  mit  bekannter 
gnostischer  Willkür  alles  Beliebige  einfach  substituiert.     Formell 


1)  Vgl.  zum  Folgenden  Harnack,  Über  das  gnostische  Buch 
Pistis  Sophia,  T.  ii.  U.  VII  2.  (Ich  zitiere  nach  dieser  Untersuchung,  da 
mir  der  Text  selbst  nicht  zugänglich  ist.)  Harnack  hat  auch  bereits 
mehrfach  auf  den  Zusammenhang  mit  den  Daten  der  Evangelien  hingewiesen 
{s.  bes.  S.  54ff.,  60f.):  im  Einzelnen  kann  ich  mirdanicht  alles  aneignen. 

2)  S.  15  f.,  13.  3)  S.  12. 


249 

erscheint  die  neue  Belehrung  aber  doch  als  eine  Art  Exegese 
oder  genauer  als  die  Enthüllung  der  einstigen  Rätsei- 
re de.  Denn  dies  ist  der  ständige  Gegensatz:  was  Jesus  einst 
mit  dunklem  AVort  gesagt  hat,  das  spricht  er  jetzt  offen  {h 
rcaQQrjaia  oder  (favegtoi;)  aus.  Dixi  vobis  olini  oder  iv  ytagaßoli^ 
olim  und  Dixisti  olim  sv  TcaQafio'li  —  das  sind  die  immer  wieder- 
kehrenden Fonneln,  mit  denen  Jesus  oder  auch  die  tragenden 
Vertrauten  die  Rede  beginnen.  i7«(»«/>'oArj  aber  ist  alles  und 
jedes  in  den  Worten  Jesu  ^),  das  Wort  vom  siebenzigmaligen 
Vergeben  ebenso  wie  etwa  das  vom  Mammon  der  Ungerechtig- 
keit oder  von  der  Aufnahme  der  Sendboten  Jesu  (Mt.  10 12  f.). 
Gelegentlich  wird  wohl  einmal  auch  unter  dem  Früherge- 
sprochenen zwischen  solchem  unterschieden,  was  offen,  und 
solchem,  was  verhüllt  gesagt  sei ").  Doch  ist  das  ohne  Be- 
deutung; im  Ganzen  ist  der  Unterschied  von  h>  Ttagaßolij  und 
ev  7caQQ\oia  der  von  einst  und  jetzt. 

Die  besondere  Verwandtschaft  mit  den  johanneischen  Ge- 
danken liegt  auf  der  Hand.  Mit  den  Worten  des  Johannes- 
evangeliums (16 25. 29)  sagt  Jesus  denn  auch  einmal^),  jetzt  sei 
die  Stunde,  der  Tag,  wo  er  offen  mit  den  Jüngern  rede  »inde 
ab  otQxfi  äXrj-^tiag  usque  ad  eius  finem«,  wo  er  von  Angesicht 
zu  Angesicht  ohne  7caQaßo?a[  mit  ihnen  spreche. 

Die  Voraussetzung  dieser  Darstellungsweise  ist  die  auto- 
ritative Bedeutung  der  alten  Evangelien.  Neue  Lehre  ist  von 
Anfang  an  in  der  Kirche  eingebürgert  worden,  und  zwar  in 
einer  Form,  die  ihre  Autorität  sicherte.  Die  Evangelien  selbst 
liefern  die  Beweise.  Aber  man  braucht  dabei  im  Allgemeinen 
das  Neue  nicht  in  einen  Gegensatz  zu  einem  Alten  zu  stellen. 
Insofern  war  die  Situation  jetzt  andere  geworden.  Die  Tendenz^ 
eine  neue  Lehre  als  die  wahre  und  geheime  Lehre  Jesu  einzu- 
führen, hat  sich  nun  mit  dem  Ansehen  geltender  Schriften  not- 
w^endig  abzufinden.  Sie  thut  das  hier,  indem  sie  das  Neue  in 
das  Alte  hineinlegt  oder  aus  ihm  herausholt.  Aber  die  besondere 
Form,  in  der  das  geschieht,  die  systematische  Beziehung  der 
neuen  Belehrung  auf  die  frühere  lässt  sich  nur  daraus  erklären, 

1)  Übriji'eiis  ist  auch  das  ulttestamentliche  Schrit'twort  Rede  ^i'  7r«()«- 
ßolri  (S.  50). 

2)  S.  4.  9  f.  3)  S.  14. 


250 

dass  die  alte  Anschauung  vom  Rätselcharakter  der  Verkündigung 
Jesu  auch  nach  den  Evangelien  kräftig  weiterlebte.  Soviel 
später  immer  die  Pistis  Sophia  entstanden  sein  mag  als  das 
vierte  Evangelium  —  es  ist  schvv^er  zu  glauben,  dass  diese  Ge- 
danken erst  infolge  der  Lektüre  des  Evangeliums  zu  einer  be- 
stimmten Zeit  wieder  aufgegrifien  wurden,  sie  müssen  vielmehr 
in  lebendiger  Tradition  erhalten  gewesen  sein,  als  die  Gnosis 
sich  ihrer  in  dieser  Art  bemächtigte. 

Der  Fortschritt  über  Johannes  hinaus  ist  auch  hier  leicht 
zu  erkennen,  v.iewohl  es  scheinen  könnte,  als  ob  hier  nur  mit 
den  Johanneischen  Gedanken  rechter  Ernst  gemacht  werde.  Bei 
Johannes  handelt  es  sich  doch  noch  ernstlich  um  das  Früher 
und  Später  im  wirklichen  Aposteileben.  Und  das  johanneische 
AaXelv  iv  7caQoiftiaig  bedeutete  nicht,  dass  einfach  und  massiv 
auf  alle  überlieferte  Lehre  das  Prädikat  n:uQutiol-t[  zu  über- 
tragen sei. 

Übrigens  ist  die  Pistis  Sophia  nicht  das  einzige  gnostische 
Werk,  in  dem  uns  der  Gegensatz  der  verhüllten  und  offenen 
Rede  Jesu  in  dieser  Weise  entgegentritt.  Deutlich  -wird  der 
Gedanke  selbst  auch  in  den  von  C.  Schmidt  aus  dem  Codex 
ßrucianus  herausgegebenen  gnostischen  Werken  in  koptischer 
Sprache  ausgesprochen  ^).  Die  Lehrthätigkeit  Jesu  beschränkte 
sich  während  seines  wirklichen  Erdenwandels  aiif  dunkle  Mit- 
teilnngen,  deren  geheimen,  pneumatischen  Sinn  die  Jü)iger  nicht 
erfassen  konnten.  Das  Verständnis  gewinnen  sie  erst,  als  sie 
nach  der  Auferstehung  sich  wieder  um  ihn  schaaren,  um  alles 
iv  7caQQr^oic(  zu  vernehmen  ^). 

Welche  Wandlungen  lassen  sich  gerade  an  diesem  besondern 
Punkte  des  behandelten  Vorstellungsgebietes  in  den  ersten  100 
bis  150  Jahren  nach  Jesus  beobachten ! 

Jesus  redet  seine  lichten,  schlichten  Gleichnisse,  ohne  von 
einer  andern  Absicht  dabei  zu  wissen  als  der,  die  jedem  Redner 
selbstverständlich  ist.  Der  erste  Christ,  der  nach  unserer  Kenntnis 
sein  Leben  erzählt,  lässt  bereits  alles  Verständnis  für  die  Be- 
deutung dieser  Redeweise  vermissen :  die  Gleichnisse  sind  schon 
mysteriöse  Worte,   bei  denen  es  eines  Schlüssels  bedarf.      Doch 


1)  Vgl.  auch  Harnacks  Bern.  S.  54f.  über  die  Valentinianer. 

2)  C.  Schmidt,  T.  u.  U.  VIII  1.2  S.  436,  461  f. 


251 

denken  er  und  seine  Nachfolger  noch  keineswegs  daran,  ihnen 
Lehren  zu  entlocken,  die  höher  wären  als  andere  Lehren  Jesu, 
wie  schon  die  Seltenheit  von  Deutungen  zeigt.  Bei  Johannes 
sind  die  eigentlichen  Gleichnisse  so  gut  wie  verschwunden,  und 
der  Rätselcharakter  haftet  in  gewissem  Sinne  an  der  ganzen 
Lehrweise  Jesu.  Zuletzt  aher  wird  die  ganze  überlieferte  Lehre, 
wie  sie  in  den  nun  abgeschlossenen  Evangelien  vorliegt,  zur 
Ttagaßohj,  zum  unverständlichen  Mysterium  gestempelt,  um  sie 
auf  gute  Manier  bei  Seite  zu  schieben. 


Exkurse. 


Zum  Petrusbekenntnis  (B.  M'eiss  und  J.  Weiss). 
(Vgl.  S.  12  ff.) 

In  gewissem  Sinne  trifft  die  Bemleilung  der  kritischen 
Position,  die  ich  S.  12  ff.  gegeben  habe,  mit  den  Einwendungen 
zusammen,  die  u.a.  B.  Weiss  (Leben  Jesu  II,  S.  264  ff.)  gegen 
sie  erhoben  hat.  Sehr  richtig  hat  er  jedenfalls  gesagt,  dass  die 
Auffassung  der  Kritik  vom  Petrusbekenntnis  mit  den  eigenen 
Voraussetzungen  des  Markus  nicht  harmoniere.  Indessen  bin 
ich  zu  meinen  Bedenken  durch  sehr  andere  Erwägungen  ge- 
führt worden  als  Weiss,  und  sie  haben  auch  einen  durchaus 
andern  Sinn.  Denn  die  Folgerung,  dass  Jesus  längst  vor  jenem 
Momente  als  Messias  gegolten  habe,  ziehe  ich  nicht. 

Füi-  die  Kritik  von  Weiss  hegt  der  Hebel  in  seiner  Ver- 
wertmig  des  Johannesevangeliums.  Aus  Joh.  614.15  (man  will 
Jesus  nach  der  Speisung  zum  König  machen)  best  er  eine 
»Katastrophe«,  einen  Wendeimnkt  im  Leben  Jesu  heraus ')  mid 
interpretiert  Mr.  8  27  ff.  dann  nach  Joh.  6  66  ff. :  Jesus  weigert 
sich,  im  Sinne  des  Volkes  die  messianische  Fahne  zu  entfalten, 
und  verliert  dadurch  die  Sympathien  des  Volkes,  die  Jünger 
aber  geloben  ihm  Treue. 

Auf  diese  Stelle  des  Johannes  irgend  etwas  zu  gründen, 
scheint  mu-  unmöglich.  Schon  durch  ihren  Zusammenhang  mit 
dem  Speisungswunder  ist  sie  verdächtig,  sie  ist  ferner  ganz  im 


1)  Ähnlich  der  frühere  Weizsäcker,   Unters,  über  die  ev.  Gesch. 
.S.  454.     Auch  J.  Weiss,  Nachfolge  Christi  S.  36  baut  auf  die  Stelle. 


253 

Gesclimacke  des  Evangelisten  (ISaof.)  und  verrät  mit  der  groben' 
Vorstellung,  die  sie  bietet,  den  von  den  Dingen  entfernten  Er- 
zähler. Doch  die  beste  Kritik  giebt  Weiss  selbst  (II.  S.  207): 
»Man  ahnt  ja  freilich  hinter  den  kurzen ,  kühlen  Worten, 
die  der  vierte  Evangelist  dieser  Katastrophe  widmet,  kaum  das 
Ungeheuere  der  Entscheidung,  das  in  diesen  Worten  liegt  . . .« 
In  der  That,  man  ahnt  es  nicht,  und  wenn  Weiss  hinzusetzt, 
die  weitere  Erzählung  des  Evangelisten  zeige,  dass  er  sich  über 
die  epochemachende  Bedeutung  des  Ereignisses  noch  vollkommen 
klar  sei,  so  ist  vielmehr  das  Gegenteil  der  Fall.  Man  muss 
den  Berichten  des  Johannes  durch  unerweisliche  Kombination 
selbst  erst  alles  Wesentliche  entlocken,  um  den  gewünschten- 
Pragmatismus  herauszubringen. 

Im  Übrigen  ist  Weiss  insoweit  mit  der  gewöhnlichen  An- 
sicht in  Übereinstimmung,  wird  demnach  insoweit  auch  von 
den  Bedenken  betroffen,  die  ihr  entgegenstehen,  als  auch  er  für 
wahrscheinlich  hält,  dass  Markus  sich  den  Entwicklungsgang 
der  Wirksamkeit  Jesu  und  damit  das  Petrusbekenntnis  so  ge- 
dacht habe,  wie  jene  Ansicht  annimmt.  Er  setzt  sich  hier  aber 
über  Markus  schnell  hinweg '). 

J.  Weiss 2)  hält  ebenfalls  für  unzweifelhaft,  dass  Jesus  längst 
vor  dem  Petrusbekenntnis  von  den  Jüngern  wie  vom  Volke  für 
den  Messias  gehalten  worden  sei,  deutet  jedoch  das  Bekenntnis 
bei  Markus  nicht  nach  Job.  ßceif.  Seine  Lösung  ist:  Mr.  827 ff. 
berichte  den  ersten  Ausdruck  der  längstgehegten  Überzeugung. 
Die  Erklärung  liefern  psychologische  Vermutungen.  Jesus  habe 
den  Glauben  an  seine  Messianität  als  etwas  Zartes  und  Inner- 
liches der  Öffentlichkeit  nicht  preisgeben  mögen  —  bei  der 
Frage  Jesu  (82!))  breche  die  lange  zurückgehaltene  Begeisterung 
zum  ersten  Male  bei  den  Jüngern  hervor.  Da  ist  schon  die 
Frage  unbequem :  weshall)  provoziert  denn  Jesus  das  Bekenntnis, 
wenn  er  diese  Scheu  hat?  und:  warum  sind  denn  die  Jünger  eben- 
falls bis  zu  dem  Grade  zurückhaltend?  Aber  im  Allgemeinen: 
derartige  Zurechtlegungen  sind  so  lange  verfrüht,  als  die  Berichte 


1)  Vgl.  II  S.  264  f.,  Das  Markusevang.  S.  283. 

2)  Nachfolge  Christi  S.  31  ff. 


254 

nicht  kritisch  untersucht  sind.     Wirkhche   Erkenntnis  vermögen 
sie  nicht  zu  schaffen. 


II. 

Die  das  Geheimnis  betreffenden  Verbote  Jesu  in 

der  Auffassung  der  Kritik  und  Exegese. 

(Zu  S.  35  ff.) 

Ich  beabsichtige  hier  ledigHch  eine  Reihe  von  Aussemngen 
über  diese  Verbote ')  zusammenzustellen.  Eine  Klassifikation 
der  Auffassungen  ist  nicht  gut  durchführbar,  so  ordne  ich  einfach 
nach  den  Autoren.  Auf  Vollständigkeit  kann  es  nicht  ankommen, 
auch  soll  die  Verbreitung  der  einzelnen  Auslegungen  nicht  ge- 
kennzeichnet werden ;  einige  Wiederholungen  sind  unvermeidhch. 

Weisse,  Evangelische  Geschichte  I : 

Hin  und  wieder  trägt  Jesus  ausdrückhch  Sorge,  dem  Rufe 
von  seinen  Wunderheilungen  »keine  allzugrosse  Verbreitung«  zu 
geben  (S.  341).  —  Im  Ernst  kann  man  —  wegen  der  vielen 
öffentUchen  Wunder  und  ihres  Erfolges  —  bei  Jesus  nicht  den 
Willen  oder  auch  nur  den  AVunsch  voraussetzen,  seine  Wunder- 
kraft geheimzuhalten,  »so  wenig  auch,  worauf  jene  Notizen  zum 
Teil  (!)  mögen  (!)  zu  deuten  sein,  ein  unverständiges,  markt- 
schreierisches Austrompeten  derselben  nach  seinem  Sinne  war« 
(S.  342).  —  Ein  Hauptgrund  (!)  der  Sorge,  die  auffallendsten 
Wunderheilungen  geheimzuhalten,  mochte  darin  liegen,  dass 
Jesus  nicht  immer  auf  das  Gelingen  des  Wunders  rechnete  und 
nur,  wenn  er  es  that,  zur  That  schritt  (S.  363).  —  Das  Verbot 
830  zeigt,  dass  Jesus  nicht  auf  jüdische  Einbildungen  vom 
Messias  eingehen  wollte  (S.  530).    Ebenso  99  (S.  542  f.). 

Ewald,  Geschichte  Christus'  und  seiner  Zeit: 

Jesus  hielt  die  Anerkenntnis,  dass  er  der  Messias  sei,  sogar 
zurück  —  er  begehrte  keine  Verehrung  für  sich  (S.  208).  —  Zu 
543:  er  wünschte,  wie  sonst  immer  in  diesen  Zeiten,  dass  von 
seiner  Hilfe  »nicht  viel«  gesprochen  werde  (S.  301). 


1)  Einschliesslich  der  Stellen  Mr.  724,  930. 


255 

Strauss.  Leben  Jesu  1835: 

Der  Grund  der  Verbote  ist  einheitlich :  er  hegt  in  dem 
Wunsche  Jesu,  die  Ansicht,  dass  er  der  Messias  sei,  sich  »nicht 
allzusehr«  verbreiten  zu  lassen.  An  die  Erregung  der  politischen 
Messiasidee  scheinen  die  Synoptiker  nicht  zu  denken.  Eher 
stellen  sie  die  Zurückhaltung  als  eine  Sache  der  Demut  dar 
(Mt.  12 19),  besonders  aber  scheinen  sie  vorauszusetzen,  dass 
Jesus,  wenn  er  als  Messias  erkannt  war,  die  jüdische  Hierarchie 
habe  fürchten  müssen.  Allein  manche  Verbote,  besonders  830, 
erklären  sich  erst  dann,  wenn  man  ein  späteres  Messiasbewusst- 
sein  annimmt.  So  ott  der  Gedanke,  er  möchte  der  Messias  sein, 
bei  andern  erregt  und  ihm  entgegengebracht  wurde,  erschrak 
Jesus  gleichsam,  das  laut  und  bestimmt  ausgesprochen  zu  hören, 
was  er  bei  sich  selbst  kaum  zu  vermuten  wagte,  oder  worüber 
er  doch  erst  seit  Kurzem  mit  sich  ins  Reine  gekommen  war 
(I  S.  475—477).  —  Zu  736:  Das  Mysteriöse  habe  dem  Markus 
gefallen    (II  S.  74  f.). 

Leben  Jesu  für  das  deutsche  Volk: 

830  zeigt,  dass  Jesus  das  Volk  noch  immer  nicht  für  reif 
hielt,  den  Sinn,  in  dem  er  der  Messias  sein  wollte,  zu  fassen, 
wenn  anders  es  historisch  und  nicht  blos  zur  Hervorhebung  der 
Bescheidenheit  Jesu  nach  Jes.  42iff.  (!)  erdichtet  ist  (S.  228).  — 
Bei  den  Dämonen  hatte  Jesus  nur  zu  wehren,  dass  sie  ihn 
»nicht  mehr,  als  seine  Bescheidenheit  zuliess«,  als  Messias  aus- 
riefen (S.  447). 

K 1 0  s  t  e  r  m  a  n  n ,  Das  Markusevangelium : 

Zu  I25.  3i,  3 12:  Jesus  wollte  kein  Zeugnis  von  gottwidrigen 
geistigen  Mächten,  er  wies  es  als  widerwärtig  ab  (S.  27,29,  68).  — 
Zu  l43f :  Nur  aus  Mitleid,  d.  h.  nicht  berufsmässig  hat  Jesus 
die  That  göttlicher  Allmacht  an  dem  Aussätzigen  verrichtet;  so 
will  er  dafür  keine  Anerkennung  seiner  Person,  wie  sie  nur 
seine  Berufsthätigkeit  wecken  sollte,  und  deshalb  will  er  das 
Verschweigen  der  That.  Eine  Anerkennung  auf  Grund  dieser 
That  hätte  keinen  sittlichen  und  religiösen  Wert  gehabt  (!) 
(S.  34).  —  Zu  5-t3:  Jesus  will  vom  Volke  keine  Verehrung,  die 
über  die  dermalige  Stufe  seiner  Erkenntnis  von  ihm  hinaus- 
gienge  (S.  120).  —  Zu  724:  Jesus  wollte  nicht  dazu  gebracht 
werden,  auf  Heiden  seine  heilende  Wirksamkeit  zu  erstrecken 
(S.  157).  —    Zu  73ü:    Er   meinte    die   Heilung    anders    als  die 


556 

Angehöngen  des  Taiilistumnieii  und  fürchtete  daher,  sie  würden 
von  ihr  als  einem  Machtbeweise  des  Menschen  Jesus  redeii^ 
anstatt  sie  auf  ihr  reh'giös-sittliches  Leben  wirken  zu  lassen  (!) 
(S.  162).  —  Zu  830:  Die  Erkenntnis  der  Jünger  galt  Jesus 
noch  nicht  als  voll  und  daher  (!)  nicht  als  mitteilungsfähig 
(S.  176).  —  Zu  930:  Jesus  mied  geflissentlich  jede  Berührung 
mit  dem  Volke,  da  es  ihm  nur  noch  um  die  ausdrückliche  Vor- 
bereitung seiner  Jünger  auf  die  kommenden  Thatsachen  ankam 
(S.  196). 

B.  Weiss,  Leben  Jesu: 

Jesus,  der,  um  nicht  die  revolutionäre  Hoffnung  des  Volkes 
zu  ermutigen,  mit  dem  direkten  Zeugnis  von  seiner  Messianität 
zurückhielt,  wollte  am  wenigsten  aus  so  unreinem  Munde  (Dä- 
monen) zuerst  als  der  Messias  bekannt  sein  (I  S.  466).  —  Er 
hatte  immer  nur  zu  wehren,  dass  die  Besessenen  ihn  nicht  be- 
ständig als  den  Messias  anriefen  und  dadurch  der  schon  so 
grossen  EiTegung  des  Volkes  eine  für  seine  Wirksamkeit  ver- 
hängnisvolle Richtung  gaben  (II  S.  73).  —  Mit  den  Verboten 
bei  Wundern  ^vi\\  Markus  hervorheben,  dass  Jesus  alles  that, 
um  zu  verhindern,  dass  er  in  den  Ruf  des  Wunderthäters 
komme  und  dadurch  die  Volksbegeisteriing  gesteigert  werde. 
In  W'^ahrheit  haben  sie  aber  teils  einen  speziellen  Zweck 
(I44,  54g),  teils  gehören  sie  der  spätem  Zeit  an,  wo  Jesus  sich 
von  der  Volks^^^rksamkeit  zurückzog  und  nicht  wollte,  dass  die 
Wohlthaten,  die  er  Einzelnen  gewährte  (!),  neue  Ansprüche  an 
seine  Heilthätigkeit  ermutigen  sollten  (736,  826)  (I  S.  477, 
II  S.  238).  —  Zu  l43f:  Markus  verstand  das  Verbot  nicht 
mehr  richtig,  nach  ihm  will  Jesus  Aufsehen  vermeiden  (Markus- 
evang.  S.  73).  Vielmehr  verbot  er  dem  Aussätzigen  sich  als 
genesen  zu  gerieren  und  auch  nur  von  seiner  Heilung  zu  er- 
zähle)i(!),  ehe  er  den  gesetzhchen  Vorschriften  genügt  hatte 
(I  S.  542).  ^ —  Zu  543:  Die  Augenzeugen  sollen  nichts  erzählen, 
damit  es  für  die  Menge  dabei  bleibe,  dass  das  Mädchen  nur 
geschlafen  habe(!);  Jesus  meidet  den  Ruf  eines  Totenerweckers 
(I  S.  588f.).  [Weshalb  Jesus  zu  Nain  anders  handeln,  d.h.  den 
Jüngling  öffenthch  erwecken  konnte,  ist  Weiss  gleichfalls  genau 
bekannt:  er  trat  jetzt  seine  grosse  Reise  an,  war  also  vor  An- 
sprüchen an  seine  Wunderthätigkeit  sicher  (I  S.  562)].  —  Zu 
724:     Im  Heidenlande  denkt  Jesus  unerkannt  zu  bleiben;  er 


257 

geht  dahin,  weil  er  sich  von  der  eigenthchen  Volkswirksamkeit 
zurückziehen  und  ganz  den  der  Belehrung  bedürftigen  Jüngern 
widmen  will  (II  S.  251,  vgl.  Markusevang.  S.  256).  —  Hielt 
Jesus  anfangs  mit  dem  Bekenntnis  seiner  Messianität  zurück, 
so  ist  das  nur  die  Herablassung  des  wahren  Pädagogen,  der  an 
der  Verständnisfähigkeit  des  Schülers  das  Mass  des  Mitzu- 
teilenden bemisst  (18.489).  —  Sao  gebietet  Jesus  zu  schweigen, 
nicht  weil  das  Volk  davon  nichts  hören  sollte  (!),  wovon  doch 
immer  in  diesen  Tagen  geredet  war  (!),  sondern  weil  die  Ver- 
kündigung der  Messianität  in  dem  sinnlichen  Volke  nur  falsche 
Hoöhungen  oder(!)  erhöhte  (3pposition  wecken  konnte,  oder  (!) 
weil  es  die  Jünger  mit  dem  Volke  in  einen  unfruchtbaren 
Streit  über  Wesen  und  Beruf  des  Messias  verwickelt  hätte,  dem 
sie  noch  lange  nicht  gewachsen  waren  (das  erste  »oder«  Markus- 
evang. S.  283,  das  zweite  L.  J.  II  S.  270). 

Weizsäcker,  Untersuchungen  über  die  evang.  Geschichte: 
Das  Geheimhalten  kommt  in  verschiedenem  Sinne  vor. 
I44  fordert  Jesus  z.  B.  Schweigen,  weil  -er  in  der  Heilung  des 
Aussätzigen  eigentlich  die  Vorschriften  über  Entfernung  von 
diesen  Kranken  übertreten  hat  (!).  543  will  er  Aufsehen  vermieden 
wissen.  7:36,  820  ist  die  Lage  schon  derartig,  dass  sich  jetzt  an 
wirkliche  Sicherung  seiner  Person  vor  Nachstellung  denken  lässt, 
die  die  Geheimhaltung  an  gewissen  Orten  (!)  notwendig  machte. 
»Aber  so  leicht  sich  solche  verschiedene  Motive  im  Einzelneii  aus 
dem  Zusammenhange  entnehmen  lassen(?),  so  fordert  doch  die  ganze 
Erscheinung  eine  allgemeine  Erklärung« .  [Jesus  hatte  danach 
immer  zwei  Gründe  bei  den  Verboten!]  Das  Verbot  ist  weniger 
aus  einem  Plane  als  aus  einer  Stimmung  Jesu  abzuleiten ; 
»wenn  er  die  vorzeitige  Nennung  des  messianischen  Namens 
und  die  allzurasche  (!)  Ausbreitung  seines  Ruhmes  überhaupt 
vermieden  wissen  wollte,  so  lag  doch  zugleich  in  erster  Linie 
eine  gewisse  Scheu  zu  Grunde,  mit  welcher  er  selbst  diese 
Fortschritte  seines  Thuns,  die  gewaltigen  Zeichen  . . .  betrachtete« 
(S.  366 f.).  —  Sich  offen  von  Anfang  an  als  den  Messias  er- 
klären hiess  entweder  den  sofortigen  Untergang  herausfordern 
oder  eine  Revolution  beschwören  und  sich  selbst  an  die  Spitze 
stellen  (S.  425).  —  Zu  Sso:  Jesus  will  jede  neue  Wiederkehr 
messianischer  Anmutungen  beim  Volke  abschneiden,   aber  auch 

Wrede,  Messiasgeheininis.  J7 


258 

jede  Trübung  des  rechten  Geistes  des  Bekenntnisses  bei  den 
Jüngern  selbst  verhindern  (S.  473). 

H  0 1 1  z  m  a  n  n,  Handcommentar  I : 

Die  Gebote  bei  den  Wundern  erfolgen  aus  demselben  Mo- 
tive, wie  die  an  die  Dämonen  gerichteten,  betreffen  also  auch 
die  Messianität  (S.  7).  —  Zu  I34:  Jesus  zögert  seine  Sache 
dem  trügerischen  Fahrwasser  des  AVunderbedürfnisses  und 
Wunderglaubens  der  von  der  Phantasie  lebenden  Menge  anzu- 
vertrauen. —  Zu  043:  Das  Verbot  ist  schwer  zu  begreifen, 
wenn  es  sich  um  Rückgängigmachung  eines  schon  von  so 
vielen  konstatierten  Todesfalles  handelt.  Es  steht  sonst  immer 
bei  Heilungen;  von  ihnen  will  Jesus  »nicht  \iel«  geredet  wissen. 
—  Zu  830:  Jesus  fürchtet  Erregung  der  unreinen  politischen 
Messiasideale  im  Volke.  Zu  93u:  Jesus  besucht  »in  möglichster 
Verborgenheit«  Galilaea. 

Baldens}) erger,  Selbstbewusstsein  Jesu: 

Solange  Jesus  noch  nicht  wusste,  was  Gott  mit  ihm  als 
Messias  in  der  Zukunft  thun  werde,  hat  er  aufs  Vorsichtigste 
mit  der  Erklänmg  zuriickgehalten,  dass  er  der  Messias  sei.  Ein 
pädagogisches  Motiv  zwar  hat  bei  seinem  Schweigen  augenschein- 
lich mitgespielt  (!),  indem  er  seine  Zuhörer  zu  einer  mehr  geistigen 
Auffassung  des  Reiches  erziehen  und  einer  etwaigen  pohtischen 
Manifestation  derselben  some  dem  Einschreiten  der  römischen 
Behörden  (826.30,  wahrscheinlich  7  se)  vorbeugen  wollte.  Zuletzt 
(seit  827)  war  das  Verbot  zu  reden  sogar  nur  noch  Präventiv- 
massregel und  nicht  mehr  durch  persönliche  Bedenken  be- 
gründet. Vorher  aber  reicht  der  Gedanke  an  erzieherische  Ab- 
sichten [hier  äussert  B.  sogar  Zweifel,  ob  das  Totschweigen 
der  Messianität  das  richtige  erzieherische  Mittel  gewesen  wäre, 
da  die  Messiasfi-age  längst  auf  allen  Lippen  schwebte  —  etwas 
überraschend  nach  den  früheren  Bemerkungen!]  und  politische 
Befürchtungen  nicht  aus.  Der  Hauptgi'und  war  vielmehr  per- 
sönhcher  Art:  Jesus  wai-  bezüghch  des  Ausseren  seiner 
Messianität  noch  im  Unge-wassen,  und  erst  in  der  Erkenntnis 
der  Notwendigkeit  seines  Todes  fand  er  die  Lösung,  die  ihn 
beruhigte  (S.  243—247).  —  Dass  er  auch  nach  dem  Peü'us- 
bekenntnis  noch  Verbote  giebt,  hat  »wohl«  nur  »zum  Ge- 
ringsten« seinen  GiTuid  in  einem  pädagogischen  Motive,  »zumeist 


259 

wohl«  in  dem  Gedanken,  das  Schlimmste  zu  verhüten,   bevor  er 
nach  Jerusalem  kam.  (S.  263). 

Bousset,  Jesu  Predigt  in  ihrem  Gegensatz  zum  Juden- 
tum (1892): 

Gegen  das  pädagogische  Motiv.  Man  muss  sich  hüten, 
Jesus  für  allzu  pädagogisch  rücksichtsvoll  zu  halten.  Er  hätte 
nie  aus  solchem  Grunde  verschwiegen,  was  zu  sagen  notwendig 
war.  »Die  Gründe  für  Jesu  Schweigen  hegen  tiefer.  Er  schwieg, 
weil  in  diesem  Punkte  alles  noch  in  ihm  im  Werden  war,  als 
wundervoll  geheimnisvolles  Ahnen,  als  seliges  Geheimnis  tmg 
er  sein  messianisches  Bewusstsein  im  innersten  Herzen  ver- 
schlossen« (S.  120  f.). 

J.  Weiss,  Nachfolge  Christi: 

Nach  der  Huldigung  des  Petrus  bemächtigt  sich  des  Herrn 
jene  eigentümliche  Erregung,  die  über  ihn  kam,  wenn  che 
Dämonischen  ihn  als  Messias  anriefen.  Es  sieht  so  aus,  als  ob 
in  dem  Augenblick,  wo  dies  innerste  Geheimnis  seiner  Seele 
von  fremden  Lippen  ausgesprochen  wird,  es  ihm  gewissermassen 
entfremdet  ist.  Er  erschrickt  davor.  Er  hat  eine  eigentümhche, 
abwehrende,  ablenkende  Art,  über  diesen  Punkt  zu  sprechen, 
weil  er  etwas  so  Zartes  ist.  (W.  bringt  dafür  Belege  aus  Worten 
Jesu)  (S.  31  f.  vgl.  35,  auch  Reich  Gottes  S.  166). 

Als  Curiosum  sei  noch  eine  Bemerkung  Ren  ans  über  die 
Verbote  bei  den  Wundern  angeführt  (Leben  Jesu  2.  Aufl. 
deutsch,  Beriin  1863,  S.  246).  Nach  ihm  belästigte  der  Ge- 
wähi-smann  des  Markus  Jesus  mit  seiner  Bewunderung,  und  der 
Meister  sagte  oft  zu  ihm:  Sprich  nicht  davon.  Zuweilen  scheine 
es,  als  ob  ihm  die  Rolle  eines  Thaumaturgen  unangenehm  sei, 
und  dass  er  den  Wundern,  die  s.  z.  s.  unter  seinen  Füssen 
entstehen,  so  wenig   wie  möglich  Öffenthchkeit  zu  geben  suche. 

Wer  die  Geduld  hat,  diese  Auszüge  zu  durchmustern,  muss 
zugestehen,  dass  der  Eindruck  nicht  erfreuhch  ist.  Die  Summe 
aller  durchprobierten  Erklärungen  ist  doch  ein  wenig  gross,  die 
Auffassung  der  Einzelnen  meist  ein  wenig  scheckig.  Voraus- 
setzungen, die  nur  ihrem  Autor  klar  sind,  werden  dabei  reichlich 
gemacht,  dem  gleichen  Verbote  werden  ohne  Zaudern  auch 
wohl  zwei  und  drei  Motive  untergeschoben.  Ansätze,  diese 
Geschichtszüge  zusammenhängend  zu  betrachten,  sind  bei  Einzelnen 

17* 


260 

vorhanden,  aber  es  kommt  nicht  zu  einer  rechten  Untersuchung. 
Man  begnügt  sich  mit  hingeworfenen  Zweifehi,  psychologischen 
Postulaten,  willkürlichen  KoiTekturen  des  überlieferten  Textes. 
Dagegen  versäumt  man  es,  die  Züge  als  Bestandteile  des 
Evangeliums  zu  würdigen,  in  dem  sie  zunächst  vorliegen. 


IIL 

Der  E r z  i  e h  u n g s g e d a n k  e   bei  Markus    nach 

Kl  ostermann  und  Zahn. 

(Zu  S.  42  ff.) 

Nach  Klostermann  beabsichtigt  Markus  in  seiner  Schrift 
das  Wachstum  des  Evangeliums  zu  seiner  jetzigen  Gestalt  als 
einer  öffentlichen  Macht  in  der  Welt  oder  den  Anfang 
des  Evangeliums  als  öffentlicher  Macht  zu  schildern.  Danach 
hat  er  seine  Stoffe  gewählt  und  seinen  Gang  genommen  (S.  14, 
vgl.  auch  das  Vorhergehende).  Zahn  sagt  wesenthch  im  gleichen 
Sinne :  Markus  will  durch  seine  Erzählung  die  Frage  beant- 
worten, wie  das  Evangelium  Christi  angefangen  habe,  und  wie 
es  entstanden  sei  i).  Demnach  soll  er  in  der  Hauptsache 
schildern  wollen,  wie  Jesus  seinen  Beruf  als  Prediger  des 
Evangeliums  ausgeführt,  und  wie  er  die  Jünger  für  ihren 
künftigen  Beruf  als  Prediger  erzogen  hat.  (Vgl.  Ein- 
leitung in  das  N.T.  II  S.  222 f.,  225,  zum  Folgenden  überhaupt 
S.  220-227.) 

Wenn  Klostennann  annimmt,  dass  das  Markusevangelium 
nicht  eine  farblose  Aneinanderreihung  beliebiger  Erzählungsstoffe 
ist,  sondern  eine  Schrift,  die  bestimmte  Gesichtspunkte  am 
Stoffe  durchführt,  so  hat  er  ganz  Recht,  und  ebenso  richtig  ist  es, 
dass  die  Schilderung  der  Jünger  zu  den  wichtigsten  Momenten 
des  EvangeUums  gehört.      Das  hindert    nicht,   dass    diese  nach 


1)  Die  eifjentüraliche  Exegese  der  Überschrift  Mr.  1 1  {(lo/ri  tov 
(vayytUov  xtL),  durch  die  dieser  Gedanke  zunächst  gewonnen  wird, 
lasse  ich  bei  Seite.  Unter  allen  Umständen  muss  sich  die  vermeintliche 
Absicht  des  Evangelisten  am  wirklichen  Inhalt  des  Evangeliums  er- 
proben. 


261 

Zahn  (II  S.  218)  >  weitaus  bedeutendste  Arbeit <;:  über  Markus 
das  Evangelium  durchaus  niissverstanden  hat,  und  Zahn  mit  ihr. 

Zahn  bemerkt,  in  dem  Abschnitt  435 — 66  trete  die  Be- 
ziehung auf  die  Apostel  und  deren  künftigen  Beruf,  die  den 
Abschnitt  3i3 — 6i3  beherrschen  soll,  zurück  (S.  225),  und  im 
letzten  Abschnitt  11 1 — 168  vermisse  man  die  Herrschaft  des 
schriftstellerischen  Gedankens  über  den  Stoff,  das  Interesse  am 
Stoffe  selbst  überwiege  (S.  226  f.).  Das  heisst  eingestehen,  dass 
an  mehr  als  einem  Drittel  des  Stoffes  der  angebhche  Zweck 
des  Verfassers  sich  überhaupt  nicht  durchführen  lässt.  Schon 
damit  entsteht  die  Vermutung,  dass  dieser  Zweck  eine  Chimäre 
ist.  Dazu  kommt,  dass  weitere  Abschnitte  des  Evangeliums  in 
ein  Prokrustesbett  gelegt  werden  müssen,  um  sie  überhaupt  nur 
mit  dem  »Zwecke«  in  Verbindung  zu  bringen.  2i — Se  zeigt 
nach  Zahn,  »dass  Jesus  mit  seiner  durch  Thaten  bewährten 
Predigt,  insbesondere  mit  der  Verkündigung  der  Sünden- 
vergebung und  mit  seiner  von  finsterer  Askese  und  ceremonialer 
Gesetzlickeit  freien  Lebens-  und  Lehr  weise  bei  den  bis- 
herigen E,  e  1  i  g  i  0  n  s  1  e  h  r  e  r  n  immer  wieder  auf  Widerstand 
stösst  und  deren  tötlichen  Hass  sich  zuzieht«  (S.  224).  Die  ge- 
sperrten Worte  machen  deutlich,  wie  der  Gelehrte  hier  den 
Zweck  mit  den  Haaren  herbeizieht.  Dass  Markus  hier  nicht 
von  der  Absicht  geleitet  Avird,  Jesus  als  Prediger  zu  schildern, 
ist  vielmehr  sonnenklar.  Anderwärts  wieder  hat  der  Gedanke 
der  Predigt  Jesu  zwar  seine  Bedeutung,  z.  B.  lie — 45,  aber  ihn 
für  den  Gedanken  des  Abschnittes  auszugeben,  vermag  nur  die 
Einseitigkeit  ^).  Hat  etwa  das  Zusammentreffen  Jesu  mit  den 
Dämonen  für  Markus  in  dieser  Partie  keine  wesentliche  und 
selbständige  Wichtigkeit? 

Blicht  nun  so  der  angenommene  Gesamtplan  des  Buches 
zusammen,  so  verliert  der  Gedanke,  Markus  wolle  die  Erziehung 
der  Jünger  für  ihren  künftigen  Beruf  schildern,  schon  damit 
seinen  eigentlichen  Halt.  Aber  dieser  Gedanke  selbst  wird 
ebenso  gewaltsam   und  willkürlich    durchgeführt. 

3 13 — 6 13  soll  schildern,  wie  Jesus  die  Zwölf  zu  der  für  ihren 
Beruf  erforderlichen  Selbständigkeit  (!)  des  Urteils  und   der  Er- 

1)  l45  soll  jedes  Wort  mit  Absicht  gewählt  sein:  Zahn  nennt 
speziell  '/jq^kto,  xr]nvaaew,  nokkä,  töv  ).6yov  [\). 


262 

kenntnis  erzogen  hat«.  (S.  225.)  Zahn  fährt  fort:  »Während  seine 
Angehörigen  ....  eines  Tages  die  Meinung  äusseni,  er  bringe  sich 
durch  den  leidenschaftlichen  Eifer,  mit  welchem  er  seinem  Beraf  sich 
hingiebt,  um  den  Verstand,  und  seine  Gegner  ihn  für  einen 
Besessenen  erklären  (3  21  f.  cf.  v.  31),  erklärt  er  die,  welche 
trotzdem  seinem  Worte  lauschen,  für  seine  wahren  Verwandten 
(331 — 35)  .  .  .«  Da  fragt  man:  1)  wer  heisst  uns  in  diesem  Ab- 
schnitte alles  Gewicht  auf  die  letzten  Verse  legen,  namentlich 
der  Verteidigungsrede  Jesu  vor  den  Gegnern  die  selbständige 
Bedeutung  nehmen?  2)  was  hat  33i — 35,  wo  nicht  einmal  das 
»seinen  Worten  lauschen«  hervorgehoben  ist,  und  nicht  einmal 
die  Zwölf  allein  angeredet  werden,  mit  der  für  den  Beruf  der 
Jünger  notwendigen  Selbständigkeit  des  Urteils  und  der  Er- 
kenntnis zu  thun?  (Dieser  Gesichtspunkt  passt  nicht  einmal 
zu  4i — 34).  —  Wo  die  Urteile  des  Volkes  über  Jesus  »zum 
zweiten  Male,  und  zwar  diesmal  von  den  Jüngern  auf  eine 
Frage  Jesu,  erwähnt  werden  (827),  dienen  sie  dazu,  die  Selb- 
ständigkeit der  Glaubenserkenntnis  hervorzuheben,  zu  welcher 
Jesus  seine  Jünger  durch  Lehre  und  Thaten  erzogen  hat« 
(S.  226).  Das  ist  einfach  eingetragen ;  in  der  Erwähnung  der 
Urteile  liegt  kein  Fingerzeig,  da  sie  eben  auch  früher  erwähnt 
werden.  »Aber  langsam,  heisst  es  weiter,  und  mühselig  schreitet 
diese  Arbeit  vorwärts.  Wenn  Jesus  ihnen  gegenüber  auch 
nicht  mehr  zu  klagen  hat:  „Glaubt  ihr  noch  nicht?"  (4 40  cf. 
dagegen  (?)  9  23!),  so  doch  immer  wieder  über  ihren  Mangel  an 
Einsicht  (652;  817 — 21),  an  Verständnis  seiner  Wege  (833;  932) 
....  Sie  haben  noch  viel  Anteil  an  der  Herzenshärte,  dem  Un- 
glauben und  Aberglauben  ihrer  Zeitgenossen  (649 — 52  etc.)«. 
Hier  wird  nur  die  Thatsache  verschleiert,  dass  ein  Fortschritt 
der  Jünger  gar  nicht  nachweisbar  ist,  so  wenig  wie  in  den 
Belehruiigen  Jesu,  und  das  ist  eben  schhmm,  wenn  Markus  die 
Erziehung  der  Jünger  schildern  soll.  Wer  sagen  kann,  später 
habe  Jesus  wenigstens  nicht  mehr  zu  klagen:  glaubt  ihr 
noch  nicht?  und  dabei  sich  selbst  auf  Stellen  wie  8i7  bezieht, 
wo  der  Vorwurf  auf  Verstockung  des  Herzens  lautet,  hat  ent- 
weder eine  sonderbare  Vorstellung  von  Fortschritten,  oder  er 
versteht  das  Evangelium  nicht. 

Diese  Proben  genügen.     Die  Ergänzung  der  kritischen  Be- 
merkungen   hegt    in    den    positiven  Ausführungen,    die    ich    im 


263 


Texte  gebe.  Habe  ich  mich  an  die  handlichere  Dar- 
stelkmg  von  Zahn  gehalten,  so  gilt  doch  alles  Wesentliche  auch 
gegen  Klostermann,  bei  dem  man  übrigens  noch  besser  sehen 
kann,  wie  stark  Markus  hier  modernisiert  wird. 


IV. 

Einige  neuere  Äusserungen  über  die  Leidens- 
und Aufer  stehungsweissagnn  gen  Jesu. 

(Zu  S.  86  ff.) 

Den  im  Text  über  dies  Thema  ausgesprochenen  Gedanken 
sollen  hier  ein  paar  kleine  Illustrationen  beigegeben  werden. 
Ich  komme  dabei  notgedrungen  immer  wieder  in  die  Geleise 
der  allgemeinen  Ausführung  zurück.  Trotzdem  wird  es  nicht 
unnütz  sein,  hier  und  da  in  concreto  zu  prüfen,  wie  sich  die 
heutige  Kritik  mit  den  Dingen  abfindet.  Das  ganze  Problem 
greife  ich  auch  hier  nicht  an.  Die  Auswahl  der  Ansichten, 
die  ich  bespreche,  mag  etwas  Zufälliges  haben  —  das  wird 
nicht  schaden. 


Baldensperger  hat  in  seiner  Schrift  über  das  Selbst- 
bewusstsein  Jesu  dem  Leidens-  und  Todesgedanken  Jesu  ein 
eigenes  Kapitel  gewidmet  und  hat  ihm  eine  ausführliche 
polemische  Auseinandersetzung  mit  Holsten  beigegeben  (S.  143ff.). 

Hier  erklärt  er  u.  a.  S.  143  (Anm.),  die  Vorhersagungen 
über  den  VeiTat  des  Judas  und  die  Verleugnung  des  Petrus 
könnten  unmöglich  vollständig  (Ausschmückungen  werden  zu- 
gegeben) erfunden  sein;  das  wäre  nur  denkbar,  wenn  ein  aus- 
reichendes Motiv  zur  Erdichtung  vorläge.  Es  muss  auffallen, 
dass  B.  sich  nach  diesem  Motive  nicht  weiter  umsieht.  S.  144 
sagt  er  selbst:  »Nun  enthalten  die  Evangehen  thatsächhch 
Erdichtungen  der  Jünger»)-  So  Mt.  1240  die  nicht  authentische 
Deutung     des   Jonaszeichens;     Job.    2i9     das     missverstandene 

1)  Ich  würde  nicht  von  den  »Jüntycrn«;  sprechen,  sondern  von  der 
»Gemeinde«. 


264 

Tempel wort<.  Also  wird  es  für  diese  Erdichtungen  doch 
auch  ein  Motiv  gegeben  haben.  Dies  kann  nur  darin  ge- 
legen haben,  dass  die  Gemeinde  an  der  Vorhersagung  dieser 
Dinge  durch  Jesus  ein  Interesse  hatte.  Ist  das  gleiche  Motiv 
beim  Verrat  und  bei  der  Verleugnung  nicht  »ausreichend«? 
Traten  diese  für  die  Gemeinde  jedenfalls  schwierigen  und 
anstössigen  Vorgänge  nicht  in  ein  anderes  Licht  durch  die 
Vorhersagung?  Sollen  wir  Stellen  wie  Mt.  12 40,  Job.  2 19 
nur  kritisch  beseitigen  und  nichts  daraus  lernen  für  die  Ge- 
schichte, d.  h,  für  die  Interessen  der  Gemeinde,  denen  sie 
entstammen  ?  Allein  »solche  Deutungen  (wie  in  diesen  Stel- 
len), fügt  B,  hinzu,  waren  eben  nur  möglich,  wenn  wirk- 
liche derartige  Weissagungen  Jesu  vorlagen  und  allgemein 
anerkannt  waren< .  Eine  kühne  Behauptung,  wenn  anders  jenes 
Gemeindeinteresse  wirklich  vorhanden  war,  was  B.  schon  im 
HinbHck  auf  Johannes  (vgl.  z.  B.  10 is)  nicht  leugnen  wird! 
Hat  die  spätere  Gemeinde  —  man  denke  z.  B.  wieder  an  Jo- 
hannes —  nur  dann  ihre  Gedanken  Jesu  selbst  beigelegt,  wenn 
sie  bei  ihm  schon  vorgebildet  waren  ?  Kurz,  man  vermisst  liier 
eine  lebendige  Anschauung  vom  Charakter  der  evangeHschen 
Tradition. 

»Es  scheitert  diese  Hypothese  (dass  die  Gemeinden  in  den 
Leidensweissagungen  ihren  Gedanken  auf  den  Meister  zurückge- 
tragen hätten)  zuletzt  völlig  an  der  andern  gewiss  zuverlässigen  ') 
Angabe,  dass  die  Jünger  nur  mit  Mühe  in  die  Eröffnungen  Jesu 
über  sein  bevorstehendes  Leiden  sich  finden  konnten«.  »Je  mehr 
Belehrungen  sie  Jesu  in  den  Mund  legten,  desto  unbegreiflicher 
und  unverzeihhcher  wurde  ihre  Borniertheit  .  .  .  .«  (S.  244).  Hier 
verschiebt  B.  zunächst  stillschweigends  die  Angabe  der  Evan- 
gelien und  zwar  erheblich,  um  sie  sodann  »gewiss  zuverlässig« 
zu  nennen.  Die  Evangelien  sagen  nicht,  dass  die  Jünger  sich 
nm-  mit  Mühe  in  Jesu  Worte  hätten  finden  können.  Sie 
finden  sich  gar  nicht  hinein,  d.  h.  sie  verstehen  sie  einfach  nicht. 
Und  gerade  darum,  weil  das  nach  den  klaren  Worten  Jesu 
höchst  sonderbar  klingt,  wird  die  Angabe  sofort  zweifelhaft,  von 
den  Parallelen  ganz  zu  schweigen,  tiberdies  führt  B.  »dies 
Geständnis  ihres  Unverstandes«  auf  die  Jünger  selbst  zurück 
und  setzt  dann  voraus,   dass    die  bekämpfte  Auffassung  die  Er- 

1)  »Zuversichtlichen«  wird  Druckfehler  sein. 


265 

findung  der  Weissagiiiigeii  auf  die  gleiche  Quelle  zurück- 
führen müsse.  Als  ob  in  den  Evangehen  nicht  vieles  stände, 
was  nicht  auf  die  Jünger  zurückgehen  kann,  und  als  ob  irgend 
eine  Nötigung  vorläge,  die  Jünger  hier  ihre  eigene  Unfähigkeit 
bescheinigen  zu  lassen  ! 

S.  161  ist  von  der  Auferstehuugsweissagung  die  Rede.  Tod 
und  Auferstehung  seien  (in  den  Evangelien)  zwar  korrelate 
Begriffe,  aber  es  sei  doch  zu  bezweifeln,  »dass  gerade  diese 
zwei  Gedanken  in  jenen  Stunden  im  Vordergrunde  des  Bewusst- 
seins  Jesu  standen«.  Vielmehr  waren  es  Tod  und  Parusie. 
Auf  diese  weise  Jesus  gleich  nach  der  ersten  Leidensverkün- 
digung (Mt.  1627.28);  die  Auferstehung  werde  zwar  oft,  aber 
nur  mit  knappen  Worten  erwähnt,  bei  dem  Gedanken  der 
Parusie  verweile  Jesus  mit  Vorliebe.  »Beweist  das  nicht  hin- 
länglich, dass  die  Auferstehung  keine  Hauptrolle  in  Jesu  Ge- 
danken spielt?«  Freihch  sei  sie  das  Bindeglied  zwischen  Tod 
und  Parusie,  aber  auch  nicht  mehr. 

Diese  Kritik  l)ringt  keinerlei  geschichtliche  Sicherheit,  aber 
sie  führt  auch  nicht  einmal  zu  einer  klaren  Vorstellung.  B. 
setzt  sich  an  einem  für  die  Evangelien  doch  fundamentalen 
Punkte  über  ihre  Aussagen  —  in  diesem  Falle  bewusst  —  hin- 
weg, und  mit  sehr  schwachen  Gründen.  Denn  was  den  Worten 
von  der  Auferstehung  ihre  Knappheit  schaden  soll,  versteht 
man  nicht,  und  der  Beweis,  dass  Tod  und  Parusie  neben  ein- 
ander Jesus  beschäftigen,  wird  aus  den  Evangelien  nicht 
geliefert  und  kann  nicht  geliefert  werden.  Es  scheint  aber  für 
B.  gar  nicht  zu  wiegen,  dass  er  den  Sinn  der  Evangehen  so 
verändert.  Ja,  er  ist  sogar  der  Meinung  (S.  162),  dass  er  den 
widerlegt  hat,  der  von  den  Aussagen  über  die  Auferstehung 
her  die  Todesweissagung  angreift;  denn  die  Parusieaussagen 
setzen  die  Auferstehung  voraus.  Wie  steht  es  denn  nun  eigent- 
lich um  die  überlieferten  Weissagungen  ?  Stand  neben  dem 
Tode  Jesu  in  AVahrheit  die  Parusie  im  Vordergrunde,  so  kön- 
nen diese  Worte,  was  die  Auferstehung  betnfft,  nicht  richtig 
sein.  Andrerseits  soll  Jesus  die  Auferstehung  »angedeutet« 
haben  (S.  162).  Wo  hat  man  solche  Andeutungen,  wenn  nicht 
eben  in  den  überlieferten  Worten?  —  Soll  übrigens  Jesus  ein- 
mal seine  Auferstehung  angedeutet  haben,  so  scheint  es  deim 
doch  fast  rationeller  bei  dem  stehen  zu  bleiben,   was  die  Evan- 


266 

gelieii  wirklich  sagen.  Ein  Jesus,  der  eine  Auferstehung  ins 
Auge  fasst,  sie  aber  wie  eine  Nebensache  betrachtet,  blos  als. 
»Zwischenstufe«  z-wischen  Tod  und  Parusie,  ist  keine  sehr  wahr- 
scheinliche Vorstellung.  Denn  eine  solche  Auferstehung  ist 
doch  kein  alltägliches  Ereignis. 

Aus  Holtzraanns  Neutestamentlicher  Theologie  ziehe  ich 
einen  Abschnitt  an,  der  sich  ebenfalls  mit  der  Auferstehungs- 
weissagung  beschäftigt  (I  S.  305  —  309). 

»Mit  der  Geschichthchkeit  der  Todesweissagung  ist  die 
Geschichtlichkeit  der  Auf erstehungs Weissagung  gegeben.  Sollte 
der  Tod  ein  Messiastod  sein,  so  durfte  er  kein  Tod  bleiben  .  . .« 
»Konstant  und  sicher  wird  daher  [?]  von  der  evangelischen 
Uberliefening  mit  der  Nachtseite  eine  entsprechende  Lichtseite 
verbunden  .  .  .«  »Nur  solche  den  niederschlagenden  Eindruck 
alsbald  aufhebende  Triumphworte  machen  es  verständlich,  dass 
die  Jünger  jener  ersten  Kehrseite  so  gut  wie  gar  keine  Auf- 
merksamkeit schenken,  sondern  sie  nur  im  Zusammenhang  mit 
der  darauf  folgenden  Herrlichkeit  als  die  schwen^erständliche,. 
mehr  oder  weniger  auch  gleichgiltige  Einleitung  dazu  betrachten 
konnten«.  Ebenso  wie  die  Todesweissagung  wurde  aber  auch 
der  »triumphierende  Schlüsse  nach  den  wirklichen  Erlebnissen 
)  modifiziert  und  spezialisiert <<-.  Denn  auf  einen  sofortigen  Um- 
schwung war  man  nach  dem  Tode  Jesu  in  keiner  Weise  vor- 
bereitet. (Folgen  Beweise.)  Aber  die  Bedenken  treffen  doch  nur 
den  nahen  Termin  der  Auferstehung,  nicht  diese  selbst.  Min- 
destens die  Auferstehung  am  jüngsten  Tage  mussten  die  Jünger 
von  ihrem  Herrn  glauben.  »Auferstehung  war  nun  einmal 
die  von  der  jüdischen  Eschatologie  ebenso  ausschliesslich  wie 
unumgänglich  gelieferte  Vorstellung  einer  den  Tod  überdauernden 
Existenz« »Stand  weiterhin  die  Lehre  von  der  Aufer- 
stehung schon  von  Haus  aus  im  Dienste  des  Messianismus ,  so 
leuchtet  unmittelbar  ein^),  dass  vor  allem  der  Messias  selbst,^ 
wenn  er  doch  einmal  sterben  sollte,  nur  um  so  sicherer  auf- 
erstehen '\\ard  .  .  .  .; 

Gegen  diese  Ausführangen  spricht  doch  auch  mehr  als  ein 
Bedenken. 

1)  Das  möchte  ich  bezweifeln. 


267 

Zunächst  ist  es  nicht  glaiibhch,  dass  die  Jünger  die  Worte 
vom  Leiden  und  Sterben  so  gut  wie  überhört  oder  nur  als  eine 
gleichgiltige  Einleitung  zu  der  Weissagung  der  Herrlichkeit 
betrachtet  hätten.  Den  Evangelien  widerspricht  das  sicher,  der 
Sache  aber  auch  und  schliesslich  selbst  Holtzmanns  eignen 
Voraussetzungen;  denn  die  Szene  zwischen  Jesus  und  Petinis 
z.B.  (Mr.  SsiiF.)  hält  er  für  geschichtlich.  »Schwerverständhch« 
aber  erscheint  nach  Markus  die  Weissagung  von  der  Auf- 
erstehung genau  ebenso ;  Beweis :  Mr.  9  lo.  Weshalb  wird  hier 
also  ein  Unterschied  eingeführt,  den  die  Evangelien  nicht  kennen? 

Sehr  plausibel  ist  es  zwar,  dass  die  Jünger  nach  allen 
Anzeichen  auf  die  sofortige  Auferstehung  Jesu  nicht  vorbereitet 
waren,  dass  daher  eine  Weissagung  dieses  Inhalts  nicht  geschicht- 
lich sein  kann.  Aber  weshalb  geht  Holtzmann  nicht  weiter? 
Es  scheinen  doch  gerade  so  gut  Anzeichen  vorzuliegen,  dass  die 
Jünger  nach  der  Katastrophe  überhaupt  an  Jesu  Sache  ver- 
zweifelten. Ist  dies  denn  begreiflich,  wenn  Jesus  nicht 
nur  von  seiner  Herrlichkeit  zuvor  in  Triumphworten  geredet 
hat,  sondern  die  Jünger  gerade  diese  besonders  gut  aufgefasst 
haben  ? 

Ferner  vermisst  man  an  der  positiven  Vorstellung,  die  H. 
andeutet,  die  Bestimmtheit.  Sehr  befremdlich  ist,  dass  er  hier 
den  Gedanken  an  die  Auferstehung  am  jüngsten  Tage  über- 
haupt in  Betracht  zieht.  Es  wäre  ja  nicht  wunderbar,  dass 
die  Jünger,  wenn  sie  überhaupt  Auferstehungsgläubige  waren, 
diesen  Gedanken  von  Jesus  fassten ,  aber  es  wäre  auch  nichts, 
was  Jesus  auszeichnete,  und  vor  allem  nichts,  was  sie  über  das 
Scheitern  der  Sache  Jesu  trösten  konnte.  Und  zum  Tenor  der 
Leidensweissagungen  passt  die  Vorstellung  vollends  gar  nicht. 
Eine  Weissagung,  beginnend  mit  den  Worten:  ich  muss  leiden 
und  sterben,  kann  nicht  blos  schliessen :  aber  einst  —  am 
Ende  —  werde  ich  wieder  zum  Leben  kommen.  So  könnte 
man  also  nur  an  eine  baldige  Auferstehung  anstatt  der  sofor- 
tigen denken.  Dass  ein  lebender  Mensch  aber  etwas  so  Un- 
erhörtes —  eine  Auferstehung  vor  »der«  Auferstehung  —  sicher 
erwartet  haben  sollte,  dünkt  mich  nicht  viel  weniger  wunderbar 
als  die  Bestimmung  der  Frist  auf  drei  Tage.  Man  ist  also  von 
hier  aus  veranlasst,  an  der  ganzen  Vorstellung  Holtzmanns 
irre  zu  werden. 


268 

Endlich.  Die  jetzigen  Weissagungen  sollen  Umbildungen 
m-sprünglicher  » Triumph worte«  sein.  Diese  werden  —  ich 
glaube  H.  richtig  zu  interpretieren  —  Worte  von  eigentümlichem 
Schnitt  und  Charakter  gewesen  sein.  Wie  kommt  es,  dass 
auch  nicht  das  Leiseste  in  diesen  Weissagungen  Mr.  8  si  u.  s.  w. 
—  denn  davon  reden  wir  doch  —  übrig  gebheben  ist?  AVie 
konnten  sie  unter  der  Umbildung  ganz  verschwinden,  sie,  die 
ja  die  Aufmerksamkeit  der  Jünger  in  besonderm  Grade  erregt 
haben  ?     Hierauf  finde  ich  keine  Antwort. 


Kürzer  hat  sich  Rohrbach,  Die  Berichte  über  die  Auf- 
erstehung Jesu  Christi  S.  7  f.,  über  das  gleiche  Thema  ausge- 
lassen.    Das  Wenige  ist  aber  charakteristisch. 

Auch  er  weist  darauf  hin,  dass  Jesu  Anhänger  nach  seinem 
Tode  auf  die  Auferstehung  dui'chaus  nicht  gefasst  waren,  und 
schliesst  daraus,  dass  Jesus  sich  vorher  über  die  Auferstehung 
nicht  so  unmissverständhch  klar  geäussert  haben  könne,  wie  es 
nach  den  Evangelien  der  Fall  ist.  Er  fügt  dann  aber  hinzu: 
»Andrerseits  freilich  wird  man  ohne  die  Annahme  nicht  wohl 
auskommen,  dass  die  Jünger  sich  später  in  der  That  auf  ge- 
wisse Äusserungen  des  Meisters  besonnen  haben,  die  ihnen 
im  nachträglichen,  richtigen  Verständnis  bereits  eine  Hin- 
deutung auf  seinen  Triumph  über  den  Tod  zu  enthalten 
schienen  und  wohl  auch  enthalten  haben«.  »In  den  Bemer- 
kungen des  Erzählers  in  Mr.  9io  und  32  .  .  .  wird  man  eine 
Erinnerung  daran  zu  erbhcken  haben,  dass  die  wirklichen 
Worte  Jesu  in  dieser  Sache  einen  zur  Zeit,  da  sie  gesprochen 
ifsrurden,  den  Jüngern  noch  nicht  verständhchen  Sinn  gehabt 
haben  müssen«. 

Diese  Erklärungen  sind  (vgl.  das  durch  Sperrdruck  Hervor- 
gehobene) so  unsicher  und  gewunden,  dabei  sachlich  so  wenig 
befriedigend,  dass  der  Verfasser  besser  gethan  hätte,  dem  Leser 
selber  zu  sagen,  dass  er  eine  greifbare  Vorstellung  vom  Her- 
gange nicht  schaffen  könne.  Man  stelle  sich  vor:  Jesu  Äusse- 
rungen sind  so  undeutlich,  dass  sie  zunächst  nicht  verstanden 
werden,  trotzdem  behalten  sie  die  Jünger  und  besinnen  sich 
darauf  nach  der  Kreuzigung,  sie  beziehen  sie  nunmehr  auf  die 
Auferstehung  —  wer  kann  unter  jenen  Voraussetzungen  wissen 


269 

oder  vermuten,    ob  das   richtig  war?  — ,    diese    gut   bewahrten- 
Worte  aber  gehen  dann  völhg  verloren! 

In  seiner  Abhandhing  »Des  Menschen  Sohn«  (Skizzen 
und  Vorarbeiten  VI,  S.  187  ff.)  hat  sich  auch  Wellhausen 
über  die  Leidensweissagungen  ausgelassen ,  und  zwar  speziell 
über  die  ^ier  Stellen  Mr.  8 31  ff.,  9 9  ff,  9 soft;  10 32 ff.  Seine  Ab- 
sicht ist ,  zu  untei-suchen ,  wiefern  diese  Stellen  als  Zeugnisse 
dafüi'  gelten  dürfen,  dass  Jesus  den  Titel  »Menschensohn«  wirk- 
lich auf  sich  angewendet  hat.  Aber  dabei  kritisiert  er  die  Weis- 
sagungen selbst. 

Die  Stellen  8  31  ft".  und  9  9  ft".  will  Wellhausen  nicht  gelten 
lassen.  Beide  Aussagen  über  den  Menschensohn  seien  von  den 
andern  Synoptikern  mir  einseitig  bezeugt,  Mr.  831 — 33  fehle  bei 
Matthaeus^),  99 — 13^)  bei  Lukas,  überdies  sei  die  Weissagung 
den  Jüngern  9  so  ff.  fremd,  obwohl  sie  sie  schon  zweimal  gehört 
haben  müssten.  Aber  diese  Stelle  werde  wieder  von  der  vierten 
10  32  ff.  nicht  vorausgesetzt.  Diese  mache  den  Eindruck,  als  ob« 
Jesus  eine  ganz  neue  Eröffnung  mache,  und  sie  habe  »am 
meisten  für  sich«  »wegen  der  gut  moti\ierenden  Reise  nach 
Jerusalem  und  der  scheinbar  gleichgiltigen  Verumständung«  — 
AV.  denkt  an  das  Vorauseilen  Jesu  und  die  Verwunderung  der 
Jünger  — ,  deren  Wert  Matthaeus  und  Lukas  nicht  begriffen 
hätten.  Der  Wortlaut  sei  übrigens  auch  hier  nicht  verbürgt. 
So  bestimmt  könne  Jesus  die  Zukunft  nicht  vorausgesagt  haben^ 
dass  die  Jünger  sich  hernach  über  nichts  mehr  hätten  wundem 
können  (vgl.  S.  211  f). 

Man  darf  über  diese  Kritik  bei  einem  Wellhausen  etwas 
verwundert  sein. 

Ich  stelle  eine  Gegenargumentation  auf.  Die  vierte  Stelle 
kann  nicht  richtig  sein.  Denn  sie  stellt  eine  Eröffnung,  die 
Jesus  schon  gemacht  hat,  wie  etwas  Xeues  hin ;  die  Erwähnung 
der  Reise  nach  Jerusalem  ist  sichtlich  aus  dem  Gedanken  an 
das   Leiden    selbst    geflossen,    oder    diese    Reise    bot    sich    als 

1)  Die  Stelle  fehlt  bei  Matthaeus  nicht;  Well  hausen  wollte 
offenbar  nur  sagen,  dass  der  terminus  Menschensohn«  in  der  Parallele 
bei  Matthaeus  fehlt  (statt  dessen  avröv,  auf  »Jesus«  bezogen). 

2)  Mr.  9  9 — 13  nennt  W.  einen  »offenbaren  Nachtrag«.  Doch  nicht 
zu  Markus?     Wenn  aber  nicht  zu  Markus,  warum  dann  ein  Nachtrag? 


270 

Datum  für  die  Weissagung  von  selbst  dar,  und  die  gleichgiltigen 
Bemerkungen  über  das  Voranschreiten  Jesu  und  das  Staunen 
der  Jünger  hätte  vielleicht  ein  Augenzeuge  gemacht,  der  sich 
solcher  Kleinigkeiten  erinnerte,  aber  kein  späterer  Evangelist- 
Aber  auch  die  Stellen  9  so  ff.  und  9  9  ff.  können  nicht  als  ge- 
schichtUch  gelten.  Denn  das  Nichtverstehen  der  Jünger  ist 
unbegreiflich  nach  der  früheren  Belehrmig.  Am  meisten  für 
sich  hat  8  3i  ff.  Denn  hier  erscheint  die  Weissagung  am  meisten 
als  eine  neue  Eröffnung ;  hier  steht  sie  im  Zusammenhange 
mit  dem  markanten  und  verbürgten  Ereignis  des  Jüngerbekennt- 
nisses; hier  ist  sie  die  unentbehrliche  Grundlage  der  lebens- 
vollen Szene  zwischen  Jesus  und  Petrus.  Dass  Matthaeus  diese 
Stelle  übergeht  1),  hat  ebensowenig  zu  bedeuten,  wie  dass  bei 
Lukas  das  Seitenstück  zu  9  9  ff.  fehlt.  Denn  da  Markus  beiden 
zu  Grunde  liegt,  bedarf  es  keiner  Bestätigung  durch  sie,  und 
ihre  Auslassmig  kann  bestimmte  Ursachen  haben. 

Mich  dünkt,  diese  Argumentation  wäre  etwa  ebenso  viel 
wert  wie  die  von  Wellhausen.  D.  h.  irgend  ein  wirkliches 
Ergebnis  ist  von  ihm  nicht  erreicht.  Der  Grund  liegt  aber  in 
-seinem  Verfahren. 

W.  bemerkt:  »Es  ist  nun  zwar  sehr  möglich,  dass  Jesus 
seine  Todesahnung  öfters  ausgesprochen  hat,  aber  diese  vier- 
malige und  doch  immer  wieder  vereinzelte  Wiederholung  in  der 
Tradition  erklärt  sich  doch  nur  aus  dem  Schwanken  über  den 
Zusammenhang  und  die  Gelegenheit,  wobei  es  geschehen«. 
Wirklich  nur  daraus?  In  Wahi-heit  ist  dies  weder  die  einzige 
noch  überhaupt  eine  wahrscheinliche  Erklärung.  Die  Voraus- 
setzung, dass  für  ein  und  dasselbe  Wort,  dessen  Ort  Markus 
noch  kannte,  allmälig  drei  weitere  Plätze  gefunden  wm'den, 
liegt  fern,  die  Voraussetzung,  dass  eine  Stelle  das  Richtige 
bieten  werde,  hat  keinerlei  Notwendigkeit.  W.  verwirft  selber 
den  Wortlaut;  aber  bei  diesem  negativen  Urteil  belässt  er  es. 
Hätte  er  gefragt,  was  der  Wortlaut  lehrt,  hätte  er,  statt  die 
Stellen  zu  isolieren,  sie  einer  zusammenfassenden  Betrachtung 
unterworfen,    wie    sie    ihi^e    Gleichmässigkeit    fordert,    hätte    er 


1)  Ich  nutze  das  obige  kleine  Versehen  Wellhausens  nur  aus, 
um  anzudeuten,  dass  er  nach  seiner  Ansicht  von  den  Quellen  hier  auf 
Matthaeus  und  Lukas  gar  nichts  geben  dürfte. 


271 

hiernach  die  Auffassung  des  Markus  festgestellt,  so  wäre  seine 
Deduktion  anders  ausgefallen,  und  er  wäre  an  der  Möghchkeit, 
dass  es  sich  um  Erzeugnisse  der  Gemeindeapologetik  handelt, 
schwerlich  einfach  vorbeigegangen. 

J.  AVeiss  kommt  in  seiner  Schrift  über  Jesu  Predigt  vom 
Reiche  Gottes  auf  die  Leidensweissagungen  u.  a.  S.  171  f.  zu 
sprechen.  Die  drei  bekannten  Stellen  erklärt  er  für  Dubletten 
der  Überlieferung,  die  um  einer  stimmungsvollen  Wirkung 
willen  (?)  neben  einander  gestellt  wurden.  Im  Einzelnen  sind 
sie  stark  ex  eventu  ausgestaltet,  am  wenigsten  9  31,  wo  deshalb 
der  ursprüngliche  Wortlaut  relativ  rein  erhalten  sein  wird. 
»Noch  einfacher  und  wahrscheinlich  ursprünglicher«  lautet 
Luk.  944: 

c  vicg  Tov  CCV&Q0J7C0V  /.likXsL  naQaöidood^ai  eig  /«/^ag 
avd-QOJTcojv. 
Für  die  Ursprünglickeit  spricht  hier  [und  Mr.  93i]  das  Wort- 
spiel: der  »Mensch«  in  der  »Menschen«  Hände.  Auch  Mr.  14 41 
und  IO33  ruhen  auf  diesem  AVortlaut.  »Mit  dieser  Gestalt  der 
Aussagen  haben  wir  es  geschichtlich  allein  zu  thun«. 

Die  pointierte  Zusammenrückung  der  Weissagung  mit  dem 
Petrusbekenntnis  möchte  W,  auf  Rechnung  des  Pauliners  (?) 
Markus  setzen.  »Aber,  wie  es  scheint,  haftete  auch  in  der  alten 
ÜberHeferung  *)  die  Leidensweissagung  unmittelbar  an  der  Messias- 
offenbarung auf  dem  Verklärungsberge  (Mr.  93if.).  Und  auch 
die  Worte  Jesu  beim  Zuge  nach  Jerusalem  10  33  bekommen  den 
vollen  Sinn  erst,  wenn  man  an  die  messianisch-erregte  Stimmung 
denkt,  in  welcher  die  Jünger  ihn  nach  der  Hauptstadt  begleiten, 
und  die  er  durch  sie  dämpfen  will«.  So  erscheinen  die  Leidens- 
weissagungen als  die  einzige  Antwort,  die  er  ihrem  Messias- 
glauben zu  Teil  werden  lässt. 

Diese  Ausführung  wurde  nach  Eichhorns  x\.bhandlung  über 
das  Abendmahl  geschrieben.  Eichhorns  Besprechung  der  Weis- 
sagungen hat  demnach  auf  J.  Weiss  —  leider  —  keinen  Ein- 
druck gemacht. 

Sehe  ich  recht,   sq    steht  Anfang   und  Ende  nicht  im  Ein 


1)  Den  Grund  kenne  ich  nicht.      Mr.  931  f.  steht   nicht  unmittel- 
bar hinter  der  Verklärung. 


272 

klang.  W.  fand  in  den  drei  Stellen  Dubletten,  nachher  scheinen 
9 31  f.  und  10 33  geschichtlichen  Wert  zu  haben.  Doch  das  ist 
Nebensache. 

Ich  raüsste  hier  schon  Gesagtes  wiederholen.  Auch  Weiss 
behandelt  es  als  Axiom,  dass  eine  von  den  Stellen  echt  sein 
müsse.  AVelche  Sicherheit  daftir  besteht,  wenn  ich  zwei  andere 
für  unecht  erkläre  und  die  dritte  auch  noch  bemängele,  oder 
nach  welcher  Notwendigkeit  man  eine  Vervielfachung  eines  ui'- 
sprünglich  Einheitlichen  annehmen  muss,  darüber  äussert  er  sich 
nicht;  und  auch  er  fragt  nicht  nach  der  Anschauung,  die  in 
den  Stellen  steckt.  Beachten  wir  aber  noch  die  literar-kritischen 
Bemerkungen.  W.  setzt  voraus,  dass  die  Leidensweissagung  in 
einer  ganzen  Anzahl  von  Formen  existiert,  also  manches  durch- 
gemacht hat,  er  übt  an  den  Worten  eine  ziemlich  weitgehende 
Kritik,  er  redet  von  einer  Tradition,  die  Markus  vorhergeht. 
AVie  er  unter  diesen  Umständen  noch  irgend  eine  positive  ße- 
liauptung  über  die  ursprüngliche  Form  der  Weissagung  wagen 
und  noch  Schlüsse  über  den  »Menschensohn«  daraus  ziehen 
mag  (S.  173),  begreife  ich  ganz  und  gar  nicht.  Weil  gewisse 
Einzelzüge  anstössig  sind,  so  soll  der  unanstössigere  Rest  nun 
den  ursprünghchen  Wortlaut  darstellen  oder  ihm  nahe  kommen ! 
Warum  soll  z.  B.  dieser  Wortlaut  nicht  nach  Ssi  lauten:  del 
Tor  i'idv  cor  avi)^Qc')TVOv  tioXKu  nai^eiv  '/.al  aTto/aavd-ijvai  vnb 
cCJv  ciQxieqkov'^  Dafür  Hessen  sich  am  Ende  auch  ein  paar 
Gründe  auftreiben  wie  der,  der  (Mr.  9  si  und)  Luk.  944  empfehlen 
soll.  Denn  dies  AYortspiel«  beweist  ja  doch  nicht  das  Geringste, 
da  es  1)  li-agHch  ist,  ob  überhaupt  ein  Wortspiel  empfunden  ist  — 
der  soleime  Titel  »Menschensohn«  und  nicht  der  »Mensch«  tritt 
den  5> Menschen«  gegenüber,  und  da  2)  wenn  es  eins  wäre,  ein 
Späterer  eine  solche  Pointe  ebenso  gut  gebildet  haben  könnte. 

Zuletzt»)  hat  m.W.  H.Weinel,  »Die  Bildersprache  Jesu  in 
ihrer  Bedeutung  für  die  Erforschung  seines  innern  Lebens« 
(Festschrift  für  B.  Stade),  zur  Todeserwartung  Jesu  das  AVort 
genommen.  Ich  erwähne  nur  eine  von  seinen  Bemerkungen 
(S.  43  des  Sep.-Abdnicks). 

1)  Seit  dies  geschrieben  wurde,  erschien  die  Schrift  von  G.  Holl- 
mann, Die  Bedeutung  des  Todes  Jesu  nach  seinen  eigenen  Aussagen 
auf  Grund  der  synopt.  Evangelien. 


273 

Man  erfinde  wohl  Leidens-  und  Todesweissagungen,  meint 
er,  aber  Szenen  von  der  Tiefe  und  psychologischen  Feinheit 
wie  Mt.  202(1—28,  Mr.  IO35— 45  hätten  den  Leuten,  die  so 
plumpe  vaticinia  ex  eventu  bildeten,  einfach  unerschwinglich 
sein  müssen.  »In  Stunden  wie  diese  tauchen  aus  dem  innersten, 
geheimsten  Seelenleben  Jesu,  nicht  bewusst  ans  Licht  gezogen, 
sondern  unmittelbar  aufsteigend,  die  .  .  .  Empfindungen  empor, 
die  ihn  am  stärksten  beschäftigen.  Wenn  Menschen  ihm  nahen, 
das  Herz  ganz  erfüllt  von  den  überschwänglichen  Erwartungen 
der  Herrlichkeit,  da  stellt  sich  ihm  ungewollt  der  düstere  Ge- 
danke ein:  Könnt  ihr  auch  den  Trank  trinken,  den  ich  trinken 
soll?  Als  jene  Frau  zu  ihm  kommt,  ihn  zu  salben  mit  köst- 
licher Narde,  dem  Symbol  der  heiteren  Lebensfreude  {?),  da  taucht 
aus  der  Tiefe  seiner  finsteren  Gedanken  das  Bild  eines  bleichen 
Leichnams  hervor,  den  man  mit  ebensolcher  Spezerei  einbalsamiert, 
um  ihn  dann  in  die  Gruft  zu  senken,  Mr.  143 — 8.«  »Diese  ganz 
ungewollten  Worte  .  .  .  kann  nur  ein  ganz  grosser  Dichter  er- 
funden haben,  oder  sie  sind  erlebt«. 

Recht  warm  empfundene  Worte,  aber  ein  recht  mangel- 
hafter Beweis!  Einen  Beweis  im  wassenschaftlichen  Sinne  will 
Weinel  doch  liefern.  Ich  will  lediglich  zeigen,  dass  er  ihn  nicht 
liefert,  will  also  über  die  Echtheit  oder  Unechtheit  dieser  beiden 
Hinweise  auf  das  Leiden  hier  meinerseits  gar  nichts  ausmachen« 

Woher  weiss  AV.,  dass  dies  »ungewollte«  Worte  Jesu  in 
seinem  Sinne  sind  ?  Seine  Bemerkungen  eröffnen  uns  angeblich 
einen  Bhck  in  Jesu  Seele,  in  Wahrheit  führen  sie  zu  eiiier 
Möglichkeit  und  nicht  weiter.  Die  Sache  läge  vielleicht  noch 
etwas  anders,  wenn  allgemeine  Bedenken  gegen  derartige  Vor- 
hersagungen gar  nicht  beständen.  Aber  es  giebt  nun  einmal 
solche  Bedenken,  schon  darum,  weil  andere  Weissagungen  so 
stark  verdächtig  sind.  Dabei  wird  man  sich  auch  erinnern,  dass 
der  Eindruck  der  psychologischen  AVahrheit  über  den  Charakter 
eines  Berichtes  nicht  selten  gründlich  täuscht.  Wenn  jemand 
der  Szene  vom  Ende  des  Judas,  wie  sie  Matthaeus  (27  3  ff.)  er- 
zählt, vor  mancher  andern  Geschichte  psychologische  Wahrheit 
nachrühmen  und  sie  ergreifend  nennen  würde,  so  würde  ich 
nicht  widersprechen.  Trotzdem  iässt  sich  zeigen,  —  und  ich 
urteile  nicht  allein  so  — ,  dass  die  ganze  Szene  aus  alttestament- 
lichen  Stellen    gebildet  ist.      Die  Legende  hat  eben   auch   ihre 

Wrede,  Messiasgeheiranis.  \^ 


274 

Logik  oder  ilire  Psychologie.  Hiernach  haben  wir  Veranlassung 
zu  fragen,  ob  W."s  Auffassung  die  einzige  MögHchkeit  ist.  Klar 
ist  jedenfalls,  dass  W.  seinen  —  ideellen  —  Gegnern  eine  Vor- 
stellung beilegt,  die  ein  wenig  roh  ist,  und  die  zuriickzuweisen 
deshalb  keinen  Sieg  bedeutet.  Wer  wird  denn  glauben,  dass 
gleich  die  ganzen  Szenen  Mr.  IO35 — 45,  143 — 8  erdichtet  oder 
dass  sie,  wenn  erdichtet,  als  Ganzes  erdichtet  sein  müssten,  falls 
es  die  einzehien  Worte  über  das  Leiden  sein  sollten?  Kommt 
es  sonst  nicht  vor,  dass  solche  Motive  in  Szenen  eindringen, 
denen  sie  ursprünglich  fremd  waren  ?  ^)  W^ar  für  die  Evange- 
listen, wenn  sie  AVorte  von  der  künftigen  Herrlichkeit  belichteten, 
der  Kontrast  des  Leidensgedankens,  den  sie  ja  doch  sonst 
sehr  wohl  kennen,  unersch\nnglich ?  Hat  es  Sch^^ierigkeit 
sich  vorzustellen,  dass  man  nach  dem  Tode  Jesu,  wenn  man 
von  der  Salbimg  in  Bethanien  erzählte,  die  so  nahe  vor  dem 
Ende  lag,  den  Gedanken  bildete:  das  war  wie  eine  Vorweg- 
nahme der  Salbung  des  Leichnams  Jesu,  imd  dass  man  darauf 
einen  zweiten  Schritt  that,  indem  man  diesen  Gedanken  von 
Jesus  selbst  aussprechen  Hess?  Analoga  giebt  es  genug.  Ein 
»ganz  grosser  Dichter«  ist  hier  ebenso  entbehrlich  wie  ein  Er- 
lebnis, um  die  Sache  denkbar  zu  finden. 

Schhesslich  kommt  auch  hier  alles  darauf  hinaus,  dass  W. 
sich  keine  richtige  Vorstellung  von  der  evangelischen  Tradition 
mid  dämm  von  den  Evangelien  macht,  oder  dass  er  doch  von 
solcher  Vorstellung  keinen  Gebrauch  macht.  Ist  der  älteste 
Text,  den  wir  haben,  einfach  unsere  Norm,  so  mögen  wir  leicht 
Beweise  fühi-en.  Hat  die  Tradition  —  und  alle  Erwägungen 
führen  darauf  —  schon  vor  dem  ältesten  Texte  hier  mehr,  dort 
weniger  eine  höchst  bedeutende,  uns  niu"  leider  nahezu  unbe- 
kannte Entmcklung  durchgemacht,  ist  sie  mit  den  Gemeinde- 
anschauungen verschiedenster  Schichten  diu'chsetzt,  dann  ist 
gewiss,  dass  so  zuversichtlichen  Urteilen,  wie  W.  sie  hier  aus- 
spricht, die  Basis  fehlt. 


1)  Vgl.  z.  B.,    wie    sich  der  Leideusgedanke  Luk.  dsi    in  die  Ver- 
Märungsgeschichte  eindrängt. 


275 

V. 

Über  den  Text  von  Mr.  10 32. 
(Zu  S.  96). 

'Hoav   de    iv  vfj    oöw    avaßalvovteg  sig  '^leqoockvf.ia, 
Aal  y]v  TiQodycov  auvovg  6  'Irjoocg,  /.al  l^a^ißovvxo, 
ol    ÖS    a/.oXovd-ovvTBg    stpoßovvTO,    Aal    /cagalaßcov 
Tcdkiv  Tovg  öcjde/.a  rjQ^ato  avvoig  Xiysiv  xtA. 
Von  Alters  her  hat  dieser  Text  dem  Verständnis  Schwierig- 
keiten bereitet.     Das  beweisen  die  Handschriften.     Die  Recepta 
xal  d/,olovd^ovvTsg  scpoßovvTO   ist  eine  Korrektiu'  der  von  n  B 
C*  L  _y  cop  arm  dargebotenen,   von  den  meisten  Editoren  an- 
genommenen Lesart  01  de  dy.oX.  scpoßovvvo,    man   verstand  das 
ol  de  nicht.     Ebenso  wird  sich  die  Auslassung  von  ol  de  d'AoX. 
ecpoß.  bei  D  K  a  b  erklären. 

Die  neueren  Erklärer  sind  in  der  Deutung  uneins.  Manche 
(z.  B.  Meyer,  Volkmar)  beziehen  das  ed^a^ßolvto  auf  die  Jünger 
Jesu  im  Ganzen;  von  ihnen  soll  —  das  ergänzt  man  —  ein 
Teil  ob  seiner  Bestürzung  zm-ückgeblieben  sein,  ihm  würde  ein 
anderer  Teil  als  »die  Nachfolgenden«  gegenüberstehen,  von  dem 
es  dann  hiesse:  iifnßovvTo.  Eine  andere  Erklärung  lässt  die 
Jünger  Jesu,  die  mit  ihm  unterwegs  sind,  betroffen  werden, 
Andere  dann,  die  Jesus  und  den  Jüngern  folgen,  sich  fürchten. 
Diese  Erklärung  1)  ist  zweifellos  vorzuziehen,  wenn  der  über- 
lieferte Text  richtig  ist  —  u.  a.  weil  das  Zurückbleiben  eines 
Teils  der  Jünger  nicht  unerwähnt  bleiben  konnte. 

Aber  sie  schafft  das  Befremden  über  den  Text  nicht  fort. 
Was  soll  namentlich  dieser  Gegensatz  von  ld-a(.ißovvio  und  ecpoßovv- 
ro  ?  Das  Staunen  und  die  Furcht  können  sich  beide  nm-  darauf  be- 
ziehen, dass  Jesus  den  Weg  nach  Jerusalem  einschlägt.  Weshalb  wird 
beides  auf  Jünger  und  weiteren  Anhang  in  dieser  Art  vei*teilt? 
Um  zu  steigern,  muss  man  sagen.  Die  Steigenmg  ist  nur 
äusserst  matt.  Denn  ein  ^af.ißeio^ai  über  etwas  Schreckener- 
regendes, wie  der  Zug  nach  Jerusalem  ist,  ist  von  Furcht  nicht 


1)  Vgl.  Klos  term  ann  S.  21ü  f.  und  bes.  B.  Weiss,  Das  Markua- 
evang.  S.  350. 

18* 


276 

■weit  entfernt,  dem  entsprechen  auch  die  Umschreibungen  der 
Interi^reten  (z.  B.  »Bestürzung«).  Ferner  aber  lässt  uns  der 
Text  über  die  verschiedenen  Subjekte  ganz  im  Unklaren i).  Bei 
dem  Tjoav  ....  dvaßalvovTsg  wäre  am  natürhchsten  an  die  ganze 
nach  Jerusalem  ziehende  Menge  zu  denken.  Dann  müsste 
ausgedrückt  sein,  dass  die  i>a{.ißoif.ievoL  die  Jünger  sind.  Aber 
eine  Subjektsangabe  wäre  auch  dann  kaum  entbehrlich,  wenn 
TiGav  ....  avaßaivovTsg  von  vornherein  auf  Jesus  und  die  Jünger 
einzuschränken  wäre.  Sie  wird  durch  den  Gegensatz  o\  de  xtA. 
gefordert.    Man  erzählt  nicht  so,  wie  Markus  hier  erzählen  soll. 

Nun  kommt  aber  noch  eins  hinzu.  Es  liegt  doch  sehr  nahe^ 
dass  die  Vorstellungen  des  Voranschreitens  und  des  Nachfolgens, 
die  so  dicht  hinter  einander  stehen,  korrespondieren.  Dieser 
Eindruck  ist  stark.  Sobald  das  /.ai  aS-ai^ißarvco  ausgestossen 
wird,  wird  der  Gedanke  schlagend.  ^ES^afißoLvio  wäre  dann 
eine  alte  Variaiite,  die  neben  dem  tcpoßovvvo  in  den  Text  eindrang. 

Man  könnte  fragen,  ob  dann  nicht  vielmehr  iS^a^ßocvro 
das  Ursprünghche  wäre.  Es  ergäbe  sich  in  diesem  Falle  fol- 
gender Gesamtsinn.  Jesus  geht  voraus.  Das  erfüllt  den  nach- 
folgenden Anhang  mit  Staunen.  Das  it^a^ßelab^at  enthielte  hier 
nicht  den  Gedanken  der  Furcht,  sondern  nur  den  der  Ratlosig- 
keit: man  weiss  nicht,  was  das  Vorausschreiten  Jesu  soll. 
Darauf  nimmt  Jesus  dann  die  Zwölf  aus  der  grösseren  Schar 
des  Anhangs  heraus,  und  ihnen  eröffnet  er  das  Geheimnis.  Dieser 
Zusammenhang  wäre  gut.  Allein  er  ist  nicht  schlechter,  wenn 
Iqoßovvvo  gelesen  wird.  Hier  ist  gerade  der  Gegensatz  des 
(mutigen)  Vorangehens  und  der  schon  im  (zaudernden)  Nach- 
folgen sich  aussprechenden  Furcht  sehr  einleachtend.  Dass  in 
der  Begleitung  Jesu  eine  grössere  Menge  (vgl.  10 1. 46)  gedacht 
wh-d,  ist  auf  keinen  Fall  aus  dem  Texte  fortzubringen. 

Die  Notwendigkeit  der  Emendation  haben  auch  Andere 
empfunden.  Wilke  (Der  Urevangelist  1838,  S.  485)  betrachtete 
Y.al  kd^a{.ißovvio  und  ol  dt  a/.ol.  kcpoßovvro  als  ein  doppeltes 
Glossem:  eine  zu  gründhche  Kur,  die  mit  der  Sch^\^erigkeit  auch 
die  Pointe  beseitigt.  Hitzig  (Johannes  Markus  S.  46)  schlug 
vor:  Of  di[yt.a\  (holov^orvisg  [ymi]  etpoßovvto:  ganz  Hitzigsch 
und  ganz  unmöglich. 


1)  Gutes  darüber  bei  Klostermann  a.  a.  0. 


277 

Die  Italacodd.  ö"-  lesen  nur:  et  pavebaiit  sequentes,  d.  h. 
sie  lassen  -/.al  li>ai.ißovvTo  fort.  Andere  — c  k  —  verbinden 
qui  sequebantur  eiini  (illum)  mit  t^a^ßoTvro,  haben  also  icpoßovvTO 
nicht  1).     Hieraus  würde  ich  keine  Schlüsse  ziehen. 

Erwähnt  sei  zum  Schlüsse  Klostermanns  Lösung  der 
Schwierigkeit.  Er  hört  hier  noch  durchklingen,  wie  der  Ge- 
wähi-smann  des  Markus,  einer  der  Zwölfe,  d.  h.  Petrus,  von 
diesem  Momente  erzählte.  Er  sagte :  »auf  unserm  Wege  näherten 
wir  uns  Jerusalem«,  da  wussten  die  Zuhörer,  dass  er  nur  Jesus 
und  die  eigenen  Genossen,  ihn  selbst  eingeschlossen,  mit  dem 
»wir<;  meinte.  Er  fulir  fort:  »Jesus  selbst  gieng  uns  voran«,  da 
konnten  die  Hörer  unter  dem  »uns«  mit  Leichtigkeit  an  alle 
die  denken,  die  mit  Jesu  so  wanderten  wie  der  Erzähler,  ebenso 
bei  dem  »wir  waren  betroffen«.  Wenn  er  dann  aber  hinzu- 
fügte: »die  uns  aber  folgten,  fingen  an  sich  zu  fürchten«,  so 
mussten  sie  unter  diesen  folgenden  andere  denken  als  den  Er- 
zähler und  seine  Genossen.  »Wurden  diese  ersten  Personen  in 
die  diitte  umgesetzt,  so  ergab  sich  eine  solche  [unklare]  Er- 
zählungsmanier, wie  sie  uns  jetzt  unser  32.  Vers  bietet«.  Markus 
hat  sich  also  von  dem  »Gang  und  Ton«  der  Erzählungen  seines 
Gewährsmannes  nicht  losmachen  können. 

Diese  Erklärungsweise  ist  von  Klostermann  zu  einer  Art 
Methode  ausgebildet,  sie  leistet  auch  anderswo  gute  Dienste. 
Vgl.  z.  B.  -S.  32  und  S.  198. 

Das  ist  denn  in  der  That  eine  Genauigkeit  der  Erinnerung 
des  EvangeHsten,  die  sich  sehen  lassen  kann:  nach  Jahren 
noch  klingt  ihm  die  Erzählung  des  Petrus  mit  jedem  »wir«  so 
im  Ohre,  dass  er  bei  der  Wiedergabe  über  den  Wortlaut  stolpert ! 
Man  möchte  ihm  ob  seiner  Ungeschicktheit  fast  zürnen,  wenn  er 
nicht  eine  so  rührende  Abhängigkeit  und  Treue  zeigte. 

Ich  würde  diese  apologetischen  Velleitäten  eines  1867  ge- 
schriebenen und  von  seinem  Autor  vielleicht  nicht  mehr  über- 
all vertretenen  Buches  nicht  erwähnen,  wenn  nicht  Zahn^) 
neuerdings  die  Einfälle  Klostermanns  mit  allem  Ernste  teilweise 
wieder  aufgewärmt  hätte. 

1)  Vgl.  ausser  Tischendorf  VIII  auch  Volk  mar  S.  420. 

2)  Einleitung  in  das  N.  T.  II  S.  246  f. 


278 
VI. 

Zu      Mr.    1047.48. 

(Vgl.  S.  36,142.) 

^^Und  da  er  (der  Blinde  von  Jericho)  hörte,    Jesus  der 

Nazarener  sei  es,  begann  er  zu  rufen :  Sohn  Davids  Jesus, 

erbarme  dich  meiner.     ^®Und  es  bedrohten  ihn  Viele,  er 

möge  schweigen  ;  er  aber  schrie  um  so  mehr :  Sohn  Davids, 

erbarme  dich  meiner. 

Wie  sollen  wir  in   dieser  Stelle  das   »Bedrohen«  verstehen, 

das  von  den  »Vielen«  ausgesagt  wird?    Ausgeschlossen  ist  m.  E., 

dass  es  erfolgt,  um  den  Titel  Davidssohn  als  für  Jesus  unpassend 

zu  bezeichnen.      Dann    bleiben   die    beiden  Möglichkeiten:    der 

Blinde  soll  entweder  schweigen,  weil  das  Messiasgeheimnis  nicht 

laut  werden  darf,    oder    weil   er  Jesus    durch    sein    Bitten    und 

Schreien  aufhält  und  belästigt. 

Der  erste  Eindruck  spricht  gewiss  dafür,  dass  hier  eine 
Parallele  zu  den  Verboten  Jesu  A^orhegt.  Auch  der  Ausdruck 
STtLTifxav  kehrt  wieder.  Und  erinnert  das  6  di  noXki^t  (.laXXov 
lugatsi'  nicht  an  die  vom  Aussätzigen  und  Taubstummen  be- 
richteten Züge  (I45,  7.36)? 

Wäre  diese  Exegese  notwendig,  so  wäre  die  Stelle  für 
Markus  schwer  zu  verstehen.  Bei  den  rroA/lo/,  von  denen  das 
Bedrohen  ausgeht,  kann  man  doch  nur  an  Leute  aus  dem  mit- 
ziehenden ox^og  (V.  46)  denken.  Matthaeus  nennt  auch  geradezu 
o  ox^og  als  Subjekt  (203i;  vgl.  auch  Luk.  I839:  0/  TTQodyovTeg). 
Bei  Markus  sind  zwar  vorher  auch  die  Jünger  mitgenannt. 
Aber  wären  sie  im  Unterschiede  von  der  Menge  gemeint,  so 
würde  Markus  das  andeuten.  B.  Weiss  (bei  Meyer)  erläutert: 
»Offenbar  will  man  nicht  vorzeitig  das  Geheimnis  der  Messianität 
laut  werden  lassen,  da  man  bereits  beabsichtigt,  beim  Einzüge 
ihn  als  den  Davidssohn  zum  Könige  auszurufen«.  Diese  Er- 
gänzung ist  nach  imserer  Auffassung  des  Markus  nicht  möglich. 
Aber  auch  abgesehen  davon  ist  sie  nichts  weniger  als  evident. 
Es  bliebe  nur  die  Ansicht  übiig,  dass  Markus  hier  die 
Frage,  von  wem  der  Befehl  zu  schweigen  ausgeht,  nicht  kümmert, 
und  dass  ihm  die  Vielheit  der  Wissenden  keine  Schwierigkeit 
bereitet.     Dass  der  Befehl    und  damit  die  Vorstellung   des  Ge- 


279 

heimnisses  überhaupt  zum  Ausdruck  kommt,  Avürde  ihm  genug 
sein.  Aber  diese  Annahme  ist  eben  sehr  schwer,  da  er  sonst 
beim  oxlog  eine  Kenntnis  der  Würde  Jesu  am  wenigsten  voraus- 
setzt. Wie  er  hier  zu  einer  andern  Vorstelhuig  kommt,  bUebe 
ganz  unerklärt.  Auch  wenn  man  annimmt,  dass  er  den  oy^Xog 
als  Anhang  Jesu  gedacht  liabe,  ist  ein  wirkliches  Verständnis 
nicht  erreicht. 

Aus  diesen  Gründen  glaube  ich  doch,  dass  die  Stelle  mit 
dem  Messiasgeheimnis  nichts  zu  thun  hat.  Die  nächste  Parallele 
scheint  vielmehr  Mr.  10 13  zu  sein.  Da  wehren  die  Jünger  — 
der  Ausdruck  ist  ebenfalls  stciti^ccv  —  denen,  die  die  Kinder 
zu  Jesus  bringen,  offenbar  in  dem  Gedanken,  dass  er  nicht 
belästigt  werden  darf.  Verwandt  klingt  auch  Mt.  1023.  Das 
kananäische  AVeib  soll  nicht  hinter  Jesus  und  seinen  Jüngern 
her  schreien.  Dass  der  Blinde  nach  der  Bedrohung  nur  »um 
so  mehr«  Schreit,  ist  in  Wahrheit  doch  auch  etwas  Anderes,  als 
dass  Kranke  die  erfahrene  Heilung  wider  Jesu  Verbot  aus- 
breiten. 


VII. 

V  0  r  g;  ä  n  g  e  r 


Es  ist  angezeigt,  ein  Wort  darüber  zu  sagen,  wie  weit  die 
charakteristischen  Aufstellungen  der  vorliegenden  Schrift  schon 
früher  in  der  Literatur  Vertretung  gefunden  haben. 

Diejenigen  Schriften,  die  ich  hier  einzig  als  Vorgänger  der 
meinigen  nennen  kaim,  sind  mir  sämtlich  erst  bekannt  geworden, 
als  mir  alle  Hauptgedanken  meiner  Untersuchung  sowie  die 
Grundlinien  des  Planes  bereits  feststanden.  Im  Einzelnen 
habe  ich  dann  manches  aus  ihnen  dankbar  gelernt,  bin  aber  ebenso 
oft  von  gemeinsamen  Grundgedanken  aus  unabhängig  mit  ihnen 
zusammengetroffen. 

Es  liegt  mir  etwas  daran,  dies  hier  ausdrücklich  zu  sagen. 
Natürlich  auch  um  meinetwillen,  aber  doch  nicht  blos  deshalb. 
Es  ist  auch  für  die  Sache  nicht  ohne  Wert,  dass  in  gewissen 
Gedanken,  wie  namentlich  in  der  Beziehung  des  Messiasgeheim- 
nisses auf  die  ganze  Zeit  vor  der  A\iferstehung,  Mehrere  ein- 
ander begegnet  sind. 


280 

D.  Fr.  Strauss  kann  ich  unter  den  Vorgängern  nicht 
nennen  i).  In  den  einschlagenden  Fragen  unterscheidet  sich 
seine  Untersuchungsweise  nicht  sehr  erhebhch  von  der  dui'ch- 
schnitthch  übhchen,  höchstens  durch  grössere  Skepsis.  Seine 
Kritik  zeigt  zwar  auch  hier  ihre  stets  zu  achtenden  Eigenschaften, 
den  grossen  Scharfsinn,  die  deutsche  GründHchkeit  und  die  un- 
bedingte Aufrichtigkeit,  aber  auch  ihre  eigentümhchen  Schwächen : 
die  atomistische  Art  der  Betrachtung,  das  Überwiegen  des 
dogmatischen,  wenn  auch  antidogmatischen  Interesses  (Wunder- 
frage), die  Beschränkung  auf  die  Negation  oder,  was  dasselbe 
ist,  den  Mangel  an  Sinn  für  die  Geschichte  der  Überlieferung. 

Auch  Brandts  geistvolles  und  in  vielem  hochzuschätzen- 
des Buch  hat  mir  in  den  Hauptsachen  nicht  viel  geboten.  Die 
Verbote  Jesu  würdigt  er  z.  B.  S.  475  auch  nur  als  einen  Be- 
weis für  seine  Zurückhaltung  im  Äussern  messianischer  An- 
sprüche. 

Mit  einem  gewissen  Rechte,  wenn  auch  nur  in  sehr  einge- 
schränktem Sinne,  ist  dagegen  Bruno  Bauer  zu  nennen,  in 
erster  Linie  aber  Volkmar  und  der  Holländer  Hoekstra. 

Von  dem  Erstgenannten  kommt  für  mich  weniger  seine 
»Kritik  der  evangehschen  Geschichte«  (2.  Aufl.  1846)  als  das 
spätere  Werk  »Kritik  der  Evangelien  und  Geschichte  ihres  Ur- 
sprungs« (4  Bde.  1850—1852)  in  Betracht. 

Br.  Bauer  existiert  für  die  heutige  theologische  Erforschung 
des  Urchristentums  nicht  mehr,  oder  höchstens  als  Popanz.  Ich 
erinnere  mich  nicht  je  etwas  anderes  als  AVorte  des  Tadels  und 
der  Geringschätzung  über  ihn  gelesen  zu  haben.  Das  unab- 
änderliche Epitheton  seiner  Kritik  ist  «bodenlos«.  Es  ist  auch 
nicht  unbegründet.  Bodenlos  ist  seine  Kritik  der  paulinischen 
Briefe,  bodenlos  seine  Gesamtansicht  von  der  Entstehung  des 
Christentums,  ])odenlos  mag  man  auch  seine  Evangelienkiitik 
nennen,  sofern  er  den  Gedanken  der  Überlieferung  ganz  auf- 
hebt und  die  Evangelien  oder  besser  das  Urevangelium  nach 
Form  und  Inhalt  zur  freien  Schöpfung  schriftstellerischer  Kunst 
macht  ä). 

1)  Vgl.  übrigens  oben  S.  14(5  f. 

2)  Krit.  der  Evang.  IV  S.  31. 


281 

Aber  damit  ist  der  ganze  Manu  nicht  gewürdigt »).  B.  war 
jedenfalls  kein  Dutzend  gelehrter,  sondern  eine  Individualität  und 
eine  hochbegabte  dazu,  er  war  kein  Handwerker,  sondern  ein 
Künstler,  wenn  auch  sui  generis.  Und  wenn  seine  leidenschaft- 
liche, wilde,  zornig-aggressive  Sprache  für  sanfte  Seelen  unge- 
mütlich sein  muss,  so  werden  andere  finden,  dass  hinter  aller 
ungestümen,  turbulenten  Art  doch  ein  reiner  Sinn  liegt,  und 
dass  er  wesenthche  Eigenschaften  eines  bedeutenden  Stilisten 
besitzt.  Man  lese  das  vierte  Eändchen  der  Kritik  der  Evangelien : 
»Die  theologische  Erklärung  der  Evangehen«.  In  der  Polemik 
gegen  die  theologische  Exegese  linden  sich  Seiten,  deren  sich 
Lessing  wohl  nicht  zu  schämen  hätte. 

Von    einem    solchen  Manne    wird  immer   etwas   zu   lernen 
sein,  selbst  wo  er  irrt.     Und  speziell  in  der  Evangelienkritik,  in 
der   er   auf  den  Schultern   von    Weisse    und   besonders  Wilke 
steht,    ist  von   ihm  noch  heute  zu  lernen,    so    vieles  veraltet  ist 
und   so    vieles    von    vornherein    verunglückt.     Sein   Urteil   über 
■Strauss'  Leben  Jesu   ist  ungerecht  bis   zur  Masslosigkeit,    aber 
er  hat  auch  einiges  wirkHch  Bedeutende   über  ihn  gesagt,   und 
m.  E.    ist    er    ihm  in  gewissen  Beziehungen    überlegen    (ebenso 
wie    auch  F.  Chr.  Baur   auf  diesem  Gebiete).     Strauss   hat  nie 
vom  Dogma  loskommen  können,  so  viel  er  es  negiert  hat,  Bauer 
ist  wirklich  frei  vom  Dogma  und  deshalb  manchen  Erscheinungen 
gegenüber    viel    unbefangener,    er    überragt    ihn    aber    auch    in 
manchem  durch  die  Grösse  des  Blickes  und  durch  den  Sinn  für 
das  Ganze    der   evangehschen    Geschichte.     Seine   Ausschälung 
des  »evangelischen  Urberichts«    ist    gewiss    verfehlt,    obwohl  sie 
immer  noch  den  Dienst   thun  kann,    auf  Anstösse  in  den  evan- 
gehschen Berichten  aufmerksam  zu  machen.     Sein  positives  Ver- 
dienst finde   ich   vor  allem   darin,    dass    er  über    die    innere 
Folgerichtigkeit  dieser  Berichte,    über  das  Verhältnis 
des  Einzelnen    zum  Ganzen    der    Erzählung,    über    die 
innere  Struktur  des  einzelnen  Berichts  und  üb  er  die  Um- 
bildung des     ältesten  Berichts  durch  Matthaeus  und 


1)  Die  Charakteristik  Baviers  in  der  Eealencyklopädie  für  prot. 
Theol.  u  K.  von  Wohl.  Schmidt  (2.  Aufl.  Bd.  XVII,  in  der  3.  Aufl. 
ist  der  unerheblich  veränderte  Artikel  von  Haussleiter  gezeichnet)  geht 
nicht  über  die  dürftigste  theologische  Schablone  hinaus. 


282 

Lukas  eine  ganze  Anzahl  treffender  oder  anregender  Gedanken 
geäussert  hat. 

Das  Problem,  dem  meine  Arbeit  gilt,  hat  Bauer  nicht  er- 
kannt, geschweige  denn  gelöst,  ja  er  hat  es  von  vornherein  ver- 
dorben, indem  er  Stellen  we  Mr.  652,  Suff,  (samt  der  zweiten 
Speisung),  932  aus  dem  eigentlichen  Markus  ausstösst.  Aber  er 
streift  die  von  mir  vorgetragenen  Gedanken.  Ich  zeige  das  am 
besten,  wenn  ich  zwei  besonders  charakteristische  Aussenmgen 
hier  hersetze. 

Kritik  der  Evang.  III  S.  41f.  heisst  es:  .Jesus  muss  diese 
zahllosen,  diese  himmelschreienden  Wunder  verrichten,  weil  er 
der  evangelischen  Anschauung  als  der  Messias  gilt  —  er 
muss  sie  verrichten,  um  sich  als  Messias  zu  beweisen:  und 
Niemand  erkennt  in  ihm  den  Messias?  Jeder  christliche 
Leser,  wenn  er  diese  Wunder  sieht,  ist  überzeugt,  dass  dieser 
Mann  der  Messias  sei  —  auch  der  stumpfeste  Leser  weiss,  dass 
diese  Wunder  den  Zweck  haben,  diesen  Mann  als  den  Messias 
zu  erweisen  —  und  Niemand  —  Niemand  unter  dem  Volke  — 
auch  die  Jünger  selbst  sollen  nicht  zu  dem  Schluss  haben  ge- 
langen können,  dass  der  gewaltige  Wunderthäter  der  Messias 
sein  müsse?« 

Dazu  IV  S.  100 f.:    »Indem    er  (Strauss) auf   das 

Gebot  Jesu,  seine  Wunder  nicht  ruchl^ar  zu  machen,  auf  sein 
Gebot  an  die  J3ämonen,  ihn  nicht  zu  veiTaten,  zu  sprechen 
kommt,  bemerkt  er  es  nicht,  dass  er  es  in  diesen  Pointen  ein- 
zelner evangelischer  Abschnitte  mit  schriftstellerischen  Wen- 
dungen zu  thun  hat,  dass  die  nächste  Frage  also  auch  nur  die 
sein  kann,  in  welchem  Zusammenhang  sie  mit  der  Komposition 
des  Ganzen,  dem  sie  angehören,  namentlich  mit  dem  Plan  des 
Urevangeliums  stehen,  eilt  er  in  seiner  theologisch -materiellen 
Neugierde  „sogleich  weiter",  und  wirft  er  seinen  durchdringenden 
Blick  in  die  Tiefe  von  Jesu  Seele,  um  deren  Geheimnisse  zu 
entdecken.« 

Der  herrschenden  kritischen  Autfassung  von  heute  steht 
B.  nahe,  sofern  er  stark  mit  einem  Plane  des  Urevangehsten 
arbeitet  und  dem  Petrusl)ekenntnis  daljei  die  entscheidende 
Stelle  zuweist.  Die  Abweichung  des  Matthaeus  von  Markus  in 
der  Frage  der  Messiaserkenntnis  beurteilt  er  ebenso  "srie  Ritschl 
und  seine  Nachfolger  (S.  oben  S.  11). 


283 


Volkmars  Buch  i)  war  ebenfalls  eine  Überraschung  für 
mich.  Mit  der  Etikette  »Tübinger  Schule«  ist  dieser  Evangelien- 
forscher nicht  abgethan. 

Die  Summe  des  Falschen  und  Unmöglichen  in  seinem 
Werke  ist  gross,  und  zwar  im  Grossen  wie  im  Kleinen.  V. 
rechnet  wenig  mit  der  Tradition  und  in  übertriebener  Weise 
mit  der  Schöpferkraft  des  »Lehrdichters«  Markus  ^),  er  wird  den 
beiden  andern  Synoptikern,  wo  sie  von  Markus  unabhängig  sind, 
gar  nicht  gerecht,  er  nimmt  es  sehr  leicht  mit  der  Frage,  wie 
das,  was  in  diesen  Stoffen  Umbildung  des  Markus  sein  soll,  von 
den  Umbildnern  hat  zu  Stande  gebracht  werden  können,  er  ist 
ferner  als  Exeget  der  Evangelien  Allegorist  und  Symbolist, 
überscharfsinnig  im  Aufspüren  von  Beziehungen,  er  künstelt 
reichlich,  indem  er  in  der  Darstellung  des  Markus  überall  Sym- 
metrie und  wohlberechneten  Rythmus  wahrnimmt.  Es  ist  schade. 
Denn  dadurch  hat  er  den  Zugang  zu  dem  reichen  Gehalte  seines 
Werkes  ungemein  erschwert.  Aber  nur  die  »Prosaiker«,  von 
denen  er  so  gern  redet,  müssen  sich  zu  schwer  über  ihn  ärgern^ 
um  etwas  von  ihm  zu  haben.  Wer  ihm  dagegen  »seine  Idiotis- 
men lässt«,  seine  Schrullen  und  Einfälle  zur  Schale  rechnet,, 
der  findet  einen  wirklich  originellen,  dabei  ehrlichen  und  liebens- 
würdigen Mann,  mit  dem  geistig  zu  verkehren  sich  reichlich 
lohnt.  Unzweifelhaft  ist  Volkmars  Buch  das  geistreichste  und 
scharfsinnigste  und  m.  E.  überhaupt  das  bedeutendste,  das  wir 
über  Markus  besitzen.  Er  hat  eine  Fülle  von  feinsinnigen  Beob- 
achtungen über  Markus  selbst  wie  über  das  Verhältnis  der 
Parallelen  3)  zu  ihm  gemacht.     Und  namenthch  hat  er  gewusst, 


1)  Der  vollständige  Titel  lautet:  »Die  Evangelien  oder  Marcus 
und  die  Synopsis  der  kanonischen  und  ausserkanonischen  Evangelien 
nach  dein  ältesten  Text  mit  historisch -exegetischem  Coramentar«. 
(Ausg.  von  1870,  die  2.  Ausg.  (1876)  fügt  einen  Anhang  hinzu.) 

2)  Z.  B.  soll  Markus  der  Erfinder  des  Ausdrucks  o  vtdg  tov  dv- 
x}^Q(6nov  (nach  Daniel)  sein  (S.  199). 

3)  Mustergültig  ist  Volkmars  Anlage  der  Synopse,  sofern  er  sich 
nicht  auf  die  Synoptiker  beschränkt,  sondern  alles,  was  wir  von  Evan- 
gelien aus  ältester  Zeit  besitzen,  Justins  Angaben  eingeschlossen,  den 
Umständen  nach  auch  Perikopen  aus  der  Apostelgeschichte,  dorn  Ke- 
rygma  Petri  u.  s.  w.  zusammenstellt  und  su  den  Blick  auf  grosse  Ent- 
wicklungsreihen lenkt. 


284 

nicht  gelegentlich  beachtet,  sondern  ^^^rklich  gewusst,  dass  die 
Evangelisten  das  Leben  Jesu  als  Glieder  der  Gemeinde,  in  der 
«ie  standen,  mit  allen  ihren  Gedanken  und  Interessen  geschrieben 
haben.  Dies  gerade  hätte  ihn  befähigt,  uns  den  wahrhaft  kon- 
genialen Kommentar  zu  Markus  zu  schenken  —  den  ^nr  trotz 
so  verdienstvoller,  gelehrter  Werke  wie  der  von  B.  Weiss  und 
Holtzmann  bis  heute  nicht  besitzen  — ,  wenn  eben  nicht  die 
phantastischen  und  subjektiven  Zuthaten  sein  Buch  zu  einem 
guten  Teile  verdürben.  Ich  würde  mich  freuen,  wenn  ich  ein 
wenig  dazu  beitragen  könnte,  dass  Volkmar  der  Ehrenplatz,  der 
ihm  in  der  Geschichte  der  Evangelienfjrschung  trotz  allem  ge- 
bührt, bereitwiUiger  zugestanden  würde. 

Volkmar  hat  über  das  » Messiasgeheimnis <  keine  zusammen- 
hängenden Ausführungen  gegeben  und  sich  um  die  Herkunft 
des  Gedankens  nicht  bekümmert.  Ich  bezweifle  sogar,  ob  jeder 
durch  blosse  Lektüre  seines  Buches  auf  den  Gedanken  besonders 
aufmerksam  werden  würde.  iVber  es  muss  als  sein  Verdienst 
hier  hervorgehoben  werden,  dass  er  —  m.  W.  —  der  Erste  ge- 
wesen ist,  der  die  Verbote  Jesu  mit  dem  Gedanken  an  die  Auf- 
erstehung interpretiert  hat  ')•  Ebenso  berühre  ich  mich  mannig- 
fach mit  ihm  in  den  Gedanken  über  die  Blindheit  der  Jünger 
und  über  die  esoterische  Lehre  Jesu.  Seine  Auffassung  vom 
Plane  des  Markus  teile  ich  nicht,  sie  ti'ägt  teilweise  sogar  stark 
dazu  bei,  die  Vorstellungen,  denen  ich  nachgegangen  bin,  un- 
deutlich zu  machen. 

In  einem  ähiihchen  Verhältnis  wie  zu  Volkmar  stehe  ich 
zu  Hoekstra,  auf  dessen  Abhandlung  »De  Christologie  van 
het  canonieke  Marcus-EvangeHe,  vergeleken  met  die  van  de 
beide  andere  synoptische  Evangelien«  in  der  Theologisch  Tijd- 
schrift   V  1871    (S.  129—176,  313—333,  407-440)    ich   diu-ch 


1)  Vgl.  z.  B.  S.  112  zu  Mr.  l44.  Am  frappierendsten  —  weil  ich 
darin  s.  z.  s.  die  Entstehung  meiner  eigenen  Auffassung  beschrieben 
fand  —  war  für  mich  die  Bemerkung  zu  Mr.  99f.  (S.  457):  »Mc.  giebt 
hier  nahezu  ausdrücklich  den  Schlüssel  zum  Verständnis  dieses  Lehr- 
Bildes  [der  Verklärung]  —  wie  seines  ganzen  Ev. :  alle  darin  gezeigte 
Herrlichkeit  ist  ein  (ivaTTjoiov,  das  erst  nach  dem  Kreuz  verstanden 
-und  —  gedacht  ist«. 


285 

den  S.  71  genannten  Anfsatz  von  M.  Schulze  aufmerksam  ge- 
worden bin. 

H.  steht  als  Ausleger  wie  als  Schriftsteller  erheblich  hinter 
Volkmar  zurück,  aber  er  hat  doch  manche  gute  Bhcke  in  den 
hierhergehörigen  Fragen  gethan.  Das  Richtige  ist  jedoch  durch- 
weg mit  viel  Schiefem  verquickt  und  kommt  dadurch  zum  Teil 
um  seine  Wirkung.  Unhaltbare  Gesichtspunkte  Baurscher 
Herkunft  und  Volkmarsche  Symbolistereien  sind  nicht  ohne  Ein- 
fluss  auf  ihn  gewesen.  Und  vieles  wird  dadurch  verzerrt,  dass 
er  Markus  als  den  weit  späteren  Nachfolger  des  Matthaeus  be- 
trachtet, weil  er  einen  mehr  metaphysischen,  geheimnisvollen 
Christus  habe.  Einige  konkrete  Angaben  mögen  einen  unge- 
fähren Begriff  davon  geben,  wie  sich  für  mich  Zustimmung  und 
Ablehnimg  verteilen. 

S.  153:  Wie  bei  Johannes  ist  auch  bei  Markus  Jesus  als 
Gottessohn  vor  seinem  Tode  unbekannt  (vgl.  S.  171).  Ein- 
zelne erkennen  ihn  nur  als  Davidssohn  oder  Christus,  als  Gottes- 
sohn ausser  Gott  nur  die  übersinnlichen  Dämonen.  Den  Zusatz, 
beim  Petrusbekenntnis  des  Matthaeus  (16 ig)  »der  Sohn  des 
lebendigen  Gottes<^  lässt  Markus  absichtlich  weg  aus  Gnostizis- 
mus(!).  —  S.  155:  Jesus  nimmt  die  Huldigung  der  Dämonen 
an,  Aveil  sie  ihm  zukommt.  Aber  vor  Menschen  hält  er  sein 
höheres  AVesen  verborgen.  —  S.  165:  Waren  die  Jünger  solche 
Leute,  wie  Markus  sie  schildert,  so  verdienten  sie  in  keinem 
Stücke  von  Jesus  anders  oder  besser  behandelt  zu  werden,  als 
es  geschieht.  Halbe  Idioten  wie  sie  hätte  Jesus  nicht  wählen 
können.  —  S.  31 4  f.  (324):  Der  Christus  des  Markus  verkünde 
wie  bei  den  Gnostikern  ('?  vgl.  S.  326)  eine  geheime  und  neue 
Lehre.  —  H.  325:  Markus  sagt  wohl,  Jesus  lehre  Neues,  ver- 
birgt es  aber  sorgfältig  (!).  —  S.  327:  Die  Gleichnisse  sind  die 
exoterische  Lehre.  Aber  Markus  bringt  gar  nicht  viel  Gleich- 
nisse. Alles  Möghche,  die  Wunder  vor  allem  sind  eben  bei 
Markus  als  Gleichnisse  gedacht.  Wundersüchtig  ist  Markus 
nicht,  oder  nur  wie  das  vierte  Evangelium.  Apologetisch  ver- 
wertet er  die  Wunder  nicht,  das  Wesentliche  liegt  in  ihrer 
symbolischen  Deutung  (!).  —  S.  331  f. :  Vor  unbefugte  Ohren 
gehört  die  geheime  Lehre  nicht:  das  ist  die  wesenthche  Bedeu- 
tung aller  Stellen,  in  denen  Jesus  verbietet  von  seinen  Wundem 


286 

zu  sprechen  (I).    —    Dies  etwa  wären    die  Gedanken,    in  denen 
ich  Hoekstra  am  nächsten  komme.  — 

Bessere  Literaturkenuer  als  ich  werden  wissen,  ob  noch 
Andere  verwandte  Auffassungen  ausgesprochen  haben.  In  der 
holländischen  Literatm*,  mit  der  ich  nur  ungenügend  vertraut 
bin,  dürfte  sich,  etwa  bei  Schölten  oder  Meyboom,  leicht  mehr 
dergleichen  finden.  Schwerhch  ist  mir  jedoch  eine  Arbeit  ent- 
gangen, die  die  meinige  überflüssig  machen  würde. 


Stellenregister  ^). 


152 

11.  152 

31.  35.  156 

156 

152 

152 

249 

219 

162 

222 

39 

236 

222 

222 

150 

39 

11.  154 

152 

155 

255 

152 

11.  152 

89.  116.  183. 

263  f. 

160 

56  f.  59.  62 

157 

157 

158  f. 

159 

11.  116.  158 

160 

160.  162 

159 

160 

11 

279 


1)  Wichtigere  Stellen  sind  auch  dann  in  das  Register  eingefügt, 
wenn  sie  im  Texte  ohne  Zahlenangabe  berücksichtigt  werden.  Die 
Begrenzung  der  Zitate  im  Texte  ist  im  Register  bisweilen  modifiziert, 
um  die  Zahlen  zu  vereinfachen. 


L 

e  V  i  t  i  e  u  s 

9  27  ff. 

16 

216 

27 
30 

1 

Könige 

31 

32  ff. 

17  8 

27 

33 
10  12  f. 

Jesaia 

23 
26  f. 

6  9  f. 

201 

34 

2416 

242 

11  2  ff. 

42iff. 

155.  255 

2 

61iff. 

177 

5 
19 

S 

acharj  a 

25 
27  ff. 

9  9 

44.  183 

12  15  f. 
16 

18  ff. 

M 

atthaeus 

19 
22  ff. 

4 10 

100 

23 

17 

20 

40 

5i 

161 

15 

71 

13  10 

17 

222 

11 

7  28 

161 

16  f. 

29 

78 

34  f. 

8i 

155 

51 

4 

11.  152 

14  31 

16  f. 

152 

33 

26 

159 

15  12 

27 

158 

15 

29 

152 

16 

9  13 

107 

17 

15 

116 

21  f. 

20 

152 

23 

15  29  ff. 

152 

31 

152 

16  8  f. 

159 

13—20 

116—119 

16 

285 

17—19 

161.  164 

17 

285 

20 

152.  156. 162 

21 

20.  116 

23 

100.  159 

24 

138.  161 

27  f. 

265 

17  1 

161 

9 

152.  157  f. 

13 

159 

uff. 

154 

19 

161 

22  f. 

153.  158 

18  11 

222 

23 

58 

20  17 

21.  158.  161 

20—28 

273 

20 

158 

22 

159 

29  ff. 

152 

31 

278 

24  3 

161 

26  16 

20 

27  3  ff. 

273 

28  17 

244 

M 

a  r  k  u  s 

1  1 

77.  260 

9  —  11 

71-73 

10 

72 

12  f. 

73 

288 


ll2 

72 

4  11  f. 

20.  70 

7  24 

34.    36  f.   53. 

14  f. 

20 

11 

57.    61.    78. 

126f.  140.146. 

16—45 

2r3i 

111.120.238 

153.173.179. 

22 

78.  124 

12 

64 

254—256. 

23  ff. 

23.  53 

13 

10.  101.  104. 

31  ff. 

152 

24  ff. 

133.  155 

113.  157 

31 

142 

24 

24.    27.    32. 

21  f. 

69  f.  113 

32  ff. 

49 

77.  222 

33  f. 

54  f.  70 

32 

133 

25 

33.  255 

35 — 6  6 

261 

33 

33.  133.    139 

27 

24.  79 

39 

33 

34 

50.  147 

28 

15 

40  f. 

102 

36  f. 

15.     126  f. 

29  ff. 

52 

40 

262 

255-258 

32 — 45 

137 

41 

10.  104.  108 

36 

15.  33.  37.  50. 

34 

23.     31-33. 

5  iff. 

27 

133.141  155. 

152.172.255. 

6  f. 

23  f. 

173.  179.  278 

25.S 

7 

27.    74.   128. 

8-10 

123 

35—39 

153.  173 

152.  172 

8  iff. 

7 

35 

53 

9  f. 

25.  154 

4 

104 

38 

53.  222 

10  ff. 

25 

8 

282 

39 

138 

19  f. 

15.  140.  152 

15  ff. 

14 

40  ff. 

48-50 

19 

35.  37.  174 

16  ff. 

102. 104. 108. 

43 — 45 

33.  255  f. 

31 

162 

167  f.  179 

43 

31.  15(5 

35  ff. 

16.  48  f. 

17  ff. 

64.  132 

44 

31.  140.  156. 

35 

31 

17 

98.  105.  108. 

25(5 1    284 

37 

33 

262 

45 

15.   53.   126. 

40 

33 

22  ff. 

49.  152 

140.153  156. 

41 

147 

23 

34.  134 

173. 261.  278 

43 

15.   33.  156. 

26 

15.     34.     37. 

2  1  —  3  6 

16.  123.  261 

254-258 

134.  141. 173. 

iff. 

1.5.  35.  137 

6  7  ff. 

9 

179.256—258 

10 

16-19.  222 

7 

112 

27-10 

45     122 

17 

222 

12  f. 

112 

27  ff. 

9.    11  f.     14. 

19  f. 

19  f.  83. 120. 

13 

125.  238 

21f.ll5-124. 

124 

14-8  20 

122 

237  -  239. 

28 

16—19.  222 

14  f. 

10.  31.  239 

252  f. 

3iff. 

35 

U 

15.  132 

27 

19.  109.  258. 

6 

53.  120  f. 

30  ff. 

7 

262 

7 

53 

31  f. 

53 

28 

31 

8 

142 

43 

105 

29 

67.  78.  253 

11  f. 

23.  31.   133. 

45—8  26 

168 

30 

10. 12.  34.  36. 

172 

49  —  52 

102. 104.  262 

38.  254-258 

12 

33.  136.  147. 

52 

10.   98.   108. 

31  ff. 

82.  267.  269 f. 

152. 155.  255 

132.167f.262. 

272 

13—6  u 

261 

282 

31 

10.20.8.5.91f. 

13 

53    136 

53  ff. 

15.  139 

96.  111.  123. 

14 

14 

7 

120 

268 

21  f. 

262 

iff. 

139 

32  f. 

96.    98-101. 

27 

19 

3  f. 

14.  44.  94 

105 

31—35 

262 

8 

94 

32 

20  f.  93 

31 

262 

uff. 

52 

33 

100.  262 

32 

112 

14 

60.  139 

34 

66.  111.  122. 

34 

54 

17  ff. 

57.  59 

138  ff.  161 

4 

123 

17 

65.  141.  162 

38 

66.  219 

1—34 

262 

18 

102  - 104. 

9f. 

123 

10  —  13 

54.  56.  70 

108.  168. 179 

2  f. 

34,  136 

10 

57.  112 

24  f. 

141  f. 

5  f. 

102.  110 

289 


9  7 

67 

18 

121 

44 

171.  271  f. 

off. 

269  f.  284 

12  6  ff. 

83.  124 

45 

95.  166 

9 

10.12.34-36. 

10  f. 

83 

51 

170 

38.   40  ff.  51. 

12 

124 

53 

170 

66  ff.   69.  72.! 

13  ff. 

45 

56  t.  r. 

222 

82.  158.  175. 

13 

121 

10  21 

150 

254 

35  ff-. 

44 

23 1'. 

158.  167 

10 

93.    97.   100. 

13  3  t. 

52.  111 

11  30 

89 

113.158.166. 

14  3—8 

273  f. 

12  1 

168 

171.  267  f. 

7  f. 

83 

49 

222 

12 

83 

11 

20 

13  22 

170 

uff. 

122 

18.21.24 

83 

17  11 

170 

18  ff. 

125 

27  f. 

83.  106.  168 

14 

31.  174 

19 

102  f.  110. 112 

29ft\ 

106 

25 

89 

20 

23  f. 

30 

83 

30 

215 

28 

52.  141 

37—41 

103 

18  31 

170 

soff. 

34.    80.    135. 

41 

83.  271 

34 

166 

269 

50 

106.  167 

39 

278 

30 

35.   37.    111. 

61  f. 

10.  74  f.  77 

19  10 

222 

134.  153.  254. 

15  2.9 

45 

11 

170.  178.  240 

256.  258 

10 

14 

28 

170 

31  f. 

271  f. 

12.  18 

45 

37 

178 

31 

82.    88.     91. 

26 

10.  45 

48 

178 

158.  271  f. 

37— .Oll 

75  f. 

20  6 

178 

82  ff. 

270 

39 

75 

45 

178 

32 

93  —  95.     97. 

16  14 

228.  244 

21  38 

178 

104.  262.  268. 

22  2.  <; 

178 

282 

I. 

>i  k  a  s 

24 

168 

33 

52.  134.  141. 

28 

169 

174 

4  16—30 

177 

31  f. 

168 

lOiff. 

122 

18  f. 

222 

45 

167 

1 

276 

33  ff. 

172 

66  ff. 

214.  240 

10 

52.  136 

40  ft". 

172.  240 

23  2.  5 

178 

13 

106.  122.  279 

42  ff". 

173 

27 

178 

24.26 

103 

5  14 

31.  174 

46  f. 

76 

29  f. 

46 

15  f. 

173 

48 

178 

32  ff. 

82.     S5.     88. 

6  17—19 

172 

24 

165.  233. 244 

121.  269 

76 

31 

6 

89 

32 

21.  96  f.  111  f. 

16 

240 

19 

240 

122.      158. 

8  9 

167 

21 

169.  230.  240 

275—277 

10 

56.  62 

25  f. 

165 

33  f. 

85.     91.     96. 

16 

71 

36 — 49 

165 

271  f. 

25 

168 

44 

165 

35  ff. 

46.  273  f. 

28 

172 

47  ff. 

166 

38 

83.  106.  159 

39 

173 

39 

93.  106 

45 

162 

Jo 

1  a  n  n  e  s 

45-13 

26     19 

9  1 

168 

45 

83.  222 

17 

168 

2  19 

197.  263  f. 

46 

14.  122.  276. 

20  f. 

98 

21 

89 

278 

21  f. 

175-177 

22 

183.  195 

47  f. 

10.     34.     36 

31 

89.  274 

34 

199 

142.  278  f. 

32 

167 

2(! 

144 

111—16 

8  261 

36 

175 

4 

2(X) 

11  f. 

120.  123 

41 

168 

iff. 

182 

11  ift. 

10.  14  f.  44 

43  ff. 

174.  176.  241 

43  ff. 

182 

10 

44 

43 

178 

5  13 

182 

Wrede,   Messiasgeheimiiis. 


19 


290 


43 

222 

24 

202 

22  (9 i           73 

6 

2(Ä> 

27 

186.  189 

26                73 

14  f. 

252 

16  1 

193 

66  ff. 

252  f. 

2 

189 

E  ö  m  e  r 

69 

181. 

194 

i         4 

195 

7l.3f.6 

182 

5  f. 

192 

1  4             214 

13 

100 

12 

185.  193  f. 

8  23.  2J         215 

17 

201 

13 

232 

26 

KX) 

16  ff. 

192 

E  p  h  e  .s  e  r 

27 

211 

r. 

16—33 

201 

30 

144 

16 

196 

1  9             58 

33  f. 

11)7. 

200.  202 

17  ff. 

196  f. 

34 

14.3 

23  f. 

191.  195 

P  b  i  li  p  p  e  r 

36 

197 

25 

100.181.188. 

39 

232 

193. 195  f.  249 

2  6  ff.         215.  223 

44 

144 

27 

194 

8  20 

144 

28  f. 

201 

Kolosser 

21 

202 

28 

192.196.222 

26 

203 

29  f. 

KMJ.  191.  249 

1  25  ff.         58 

32  f. 

198  f 

.  203 

30 

193 

2  2  f.          38 

59 

182 

32 

191—193 

9  39 

222 

33 

193 

2.  Thessalonicher 

10  6 

205 

17  6 

193 

16 

18S 

7 

171 

2  8  f.          215 

18 

264 

20  ff. 

188 

24 

100 

18  20 

180 

1.  Timotheus 

37  f. 

190 

33—37 

45 

39 

182 

36  f. 

45.  253 

1  15             108 

11  4.  uff. 

201 

37 

222 

23  ff. 

27 

201 
181 

20  9 

22 

183 
232 

2.  Timotheus 

53  f. 

182 

25 

244 

1  10            216 

42 

193 

21  1.  14 

228 

52 

1S8 

12  16 

183. 

195.  206 

Apostel 

gesciiichte 

2.  Petri 

28 

181 

1  16            67 

32 

197. 

200 

1  3 

58.165f.246f. 

18            136 

36 

182 

6 

166.     169  f. 

37  ff. 

201 

230.  240 

46 

222 

8 

170 

1.  Johannes 

13  7 

184. 

206 

2iff. 

231  f. 

2  28            216 

10 

184 

17  f. 

231 

19 

190. 

195 

22 

240 

28  f. 

184 

29 

100 

33 

197. 

202 

36 

214.  240     ' 

Hebraeerevang.          162 

14  5 

190. 

192 

4  13.29.  31 

100 

Ebjonitenevang.  72.  222 

7 

193. 

197 

5  31 

241 

Agraphou     (bei     Clem. 

8  ff. 

193 

32 

189 

AI.  und  Hom.  Clem.) 

8.  11 

190 

8  12 

58 

242 

20 

185. 

193 

9  (') 

73 

Barnabas 

23f.  25f . 

193. 

195 

10  38 

240 

59                107  f. 

29 

195 

40  f. 

227 

12 10  f.           45 

15  1—17 

189 

46 

231          ; 

17  2               63 

11.   15 

193 

16  16ff. 

.30 

Ignatius     ad  Philad.  9 

18  ff. 

189 

19  6 

231 

216 

22 

202 

! 

■8 

58 

Kerygma  Petri  216.  245 

291 


Justin 

100 

77 

Origenes,  c.  Geis. 

Apol. 

I,  44 

216 

106 

244 

I,  62  f.         107 

50 

243  f. 

107 

183 

VI,  6              247 

67 

243,  245 

110 

212 

Pistis     Sophia     (Varia) 

Dial. 

8 

211 

123 

155 

248  ff. 

40 

216 

Clem. 

AI.,  Hypotyp 

3sen 

Cyprian,   ad  Demetr. 

49 

212  f.  215 

(bei 

Euseb. 

h.  e.  II  1) 

15                   25 

52 

63 

246 

53 

243  f. 

Druck  der  Univ.-Buclidruckerei  von  E.  A.  Huth  in  Göttiageu. 


Verlag  von  Vandenboedi  &  Rupred^t  in  6öttingen. 

1900  ist  erschienen: 

Das  ^ohAwncscvAwgciium. 

Eine  Untersuchung  seiner  Entstehung  u.  seines  geschichtlichen  Wertes. 
Von  D.  H.  H.  Wendt 

VI,  239  S.  gr.  8.  Preis  6  Mark. 
Mit  der  Erkenntnis,  dass  das  Johannesevangelium  nicht  von  dem  Apostel 
Johannes  verfasst  sein  kann,  ist  das  Urteil  über  den  geschichtlichen  Wert  dieses 
Evangeliums  keineswegs  abgeschlossen.  Der  Verf.  weist  hier  ausführlich  und 
mit  neuen  Gründen  nach,  dass  im  4.  Evangelium,  namentlich  in  den  Rede- 
stücken, ältere  schriftliche  Aufzeichnungen  verarbeitet  sind,  und  hofft  so  eine 
wirklich  befriedigende  Lösung  des  schwierigen  und  wichtigen  johanneischen 
Problems  gegeben  zu  haben. 


Kritisch-  exegetischer 

Kommentar  über  das  Neue  Testament, 

begründet  von  H.  A.  W.  Meyer. 

Bei  gleichzeitigem  Bezüge  aller  17  Bände: 
Vorzugspreis  75 M.  (statt  M.  106),  in  soliden  Halblederbdn.  97  V, IM.  (statt  M.  128,5o) 

Die  meisten  Bnchhandinngen  liefern  zu  diesem  Preise  auch  gegen  Teilzahlungen.  —  Besitzern 
einzelner  Bände  wird  die  Ergänzung  nach  besonderer  Übereinkunft  ebenfalls  zu  einem  ermässig^n  Preis« 
{^eliefsrt. 

Die  durchgeführte  Umgestaltung  des  Werkes  hat  dem  Verlangen  nach 
grösserer  Übersichtlichiceit  und  Lesbarkeit  des  Textes  und  straffem  einheitlichen 
Gang    der    Erörterung    Rechnung    getragen.      Die  Beschatfüng  des  Gesamtwerl<8 

znro  Vorzugspreise  ist  daher  jetzt  ganz  besonders  zu  empfehlen. 


I.  1.  Ev.  Matthäi,  v.  Bornh.  Weiss  .     .        98.        9.  Aufl.         7  —     gebunden     8  50 
—  2.  Ev.Marc.u.Lucao,   v.  B.  n.J. Weiss   1901.         9.  Aufl.         8—    gebunden    9  50 

II.  Ev.  Johannis,  v.  B.  Weiss  ...         93.        8.  Aufl.         8  —    gebunden    9  50 
in.     Apostelgeseh.,  v.  H.  H.  Wendt 
rV.     Römerbrief,  v.  B.  Weiss       .     . 
V.       1.  Korinth6rbri«f,  v.  G.  Heinrici 


VI.  2.  Konntherbrief,    desgl. 

VII.  fialaterbrief,  v.  F.  SiefFert 


99.  8.  Aufl.  6  —  gebunden  7  50 

99.  9.  Aufl.  8  —  gebunden  9  50 

%.  8.  Aufl.  7  —  gebunden  8  50 

19C0.  8.  Aufl.  6  20  gebunden  7  70 

99.  9.  Aufl.  5  —  gebunden  6  50 


Vni/IX.  Gefangensohaftsbriefe  V.  E.Haupt    97.  6.u.  7.  Aufl.  10  —    gebunden  11  50 
Daraus  einzeln  :  Einleitung  1.80 ;  Koloaser  u.  Philemon3.  ;  Epheser3.60. 

X.  Thessalonicherbr.,  V.  W.Bomemann        94.  5. n. 6.  Aufl.     9—    gebunden  10  50 

XI.  Timotheus  u.  Titns,  v.  B.  Weiss  .         93.  6.  Aufl.         5  80    gebunden    7  30 

XII.  Briefe  Petri  u.  Jndae,  v.  E.  Kühl         97.  6.   Aufl.         6  —    gebunden     7  50 
Xm.  Ilebräerbrief,  v.  B.  Weiss   ...        97.  6.  Aufl.         5  40    gebunden    6  90 

XIV.  Johannesbriefe,  v.  B.  Weiss     .     .     1900.  6.  Aufl.         3  20   zusammen \q  .(. 

XV.  Jacobusbrief,  v.  W.  Beyschlag  .     .         08.  l!.  Aufl.         3  40     gebunden  /  "  ^" 

XVI.  Offenbar.  Jobann.,  V.  W.Bousset     .         %.  5.  Aufl.         8—     gebunden    9  50 

Für  die  ganze  Laufbahn  des  Theologen  wertvollstes   Werk 

'bei  einem  im  Verhältnis  zum  Umfange  ganz  ungewöhnlich  niedrigen  Preise. 

,,Dies  Kommentarwerk  bleibt  immer  noch  das  rechte  Schulwerk  .  .  .  und 
die  rechte  Fundgrube  .  .  .  Kommt  dazu,  um  nur  einen  herauszugreifen, 
auf  der  alten  Grundlage  weiterbauend,  das  .  .  .  historische  Wissen  und  Ver- 
ständnis eines  Heinrici,  so  hat  man  ein  Meisterwerk,  dem  zu  folgen  oder  mit  dem 
sich  innerlich  auseinanderzusetzen  eine  Lust  ist"    (Ev.  Kirchenbl.  f.  Württ.  1897, 12.) 


Terlag   von    Tandenbocdt  &  Ruprecht   in    Göttingen. 

Die  predigt  ^csu  vom  Rei*e  6otte5* 

Von 

B.  Johannes  Weiss. 

S.,  völlig'  neu.  bearbeitete  Auflag-e. 
1900.  —  Preis   5  Mark. 

,,....  Die  Ausfühi'ungen  von  Job.  Weiss  haben  in  vielen  Punkten  un- 
zweifelbaft  Anspruch  auf  daaernde  Geltang.  Mit  Recht  hat  er  den  Gedanken 
in  den  Vordergrund  gedrängt,  dass  die  ganze  Auffassung  Jesu  von  der  ßaaiktCa 
■toxj  S^sov  und  von  seinem  Messiasberuf  lediglich  in  Verbindung  mit  seinen 
eschatologischen  Gedanken  begriffen  werden  könne  und  dass  es  falsch  sei,  beide 

ohne  diesen  verstehen    zu  wollen "       (Aus  einer  eingehenden  Kritik  von 

Bahnsen,    Prot  Monatshefte  1901,    1.  Heft.) 

,,....  Es  ist  vielleicht  noch  zu  früh,  ein  endgiltiges  Urtheil  über  die 
Hauptthese  des  wahrhaft  tüchtigen  und  feinsinnigen  Weiss 'sehen  Buches  abzu- 
geben, aber  soviel  kann  man  getrost  sagen:  jeder,  dem  daran  gelegen  ist,  an 
das  Herz  des  gegenwärtig  brennendsten  Problems  der  Evangelienkritik  zu  ge- 
langen, sollte  es  sorgfältig  lesen.  Vielleicht  mag  schliesslich  mehr  für  die  Be- 
ziehungen der  Lehre  Jesu  zur  Ethik  des  täglichen  Lebens  herauskommen,  als 
Weiss  ungeachtet  seiner  Vorrede  zugeben  will,  aber  von  Herzen  ist  zuzugeben, 
dass  sein  Buch  —  besonders  in  der  neuen  Auflage  —  diejenigen,  welche  eine 
,, rigorose"  Behandlung  der  evangelischen  Berichte  anstreben,  auf  einen  Weg 
der  Forschung  lockt,  der  bessere  Ergebnisse  verspricht,  als  rein  oder  haupt- 
sächlich negative."    (The  critical  Review  of  Theol.  and  Philosophy  1901,  May.) 


Das  ehristliehe  Gottvertrauen 

und  der 

Glaube  an  Christus 

Von 

Prof.  Dr.  E.  A.  Mayer  in  Strassburg. 
—  1899.  —  Preis  3  Mk.  60  Pfg.  — 

Die  ungeheuer  grosse  Bedeutung,  die  ein  kühnes  und  verwegnes  Gott- 
vertrauen für  das  Glücksgefühl  und  die  sittliche  Leistungsfähigkeit  des  Menschen 
hat,  wird  gelegentlich  auch  von  solchen,  die  dem  Christentum  ferner  stehen, 
bereitwillig  anerkannt.  Dagegen  herrscht  nicht  bloss  bei  Uneingeweihten  viel- 
fach Unklarheil  darüber,  ob  und  inwiefern  die  freudige  Zuversicht  auf  Gottes 
gnädigen  Schutz  einen  bestimmten  Glauben  an  Christus  zur  unentbehrlichen 
Voraussetzung  habe. 

Der  Verf.  will  durch  eine  Untersuchung  der  wichtigsten  reformatorischen 
und  sämtlicher  neutestamentlichen  Schriften  in  möglichst  objektiver  Analyse 
sich  und  Andern  darüber  Klarheit  verschaffen,  wie  in  grossen,  mustergiltigen 
Zeiten  christlichen  Lebens  der  Glaube  an  Jesus  beschaffen  war,  und  welcher 
Zusammenhang  zwischen  ihm  und  dem  Vertrauen  auf  Gott  bestand.  Aus  den 
gewonnenen  Resultaten  werden  dann  Konsequenzen  für  die  Praxis  abgeleitet 
und  festgestellt,  auf  welches  Verhältnis  des  Einzelnen  zu  Christus  der  Seel- 
sorger u.  s.  w.  hinzuwirken  habe,  damit  die  kostbare  Frucht  des  unbedingten 
Gottvertrauens  aus  ergiebigem  Boden   erwachsen  könne  " 

Prof.  Lobsteiii  schreibt  in  den  »Annales  de  Bibliogr.  theol.«  am  Schluss 
einer  eingehenden  Besprechung:  „Trotz  dieser  Vorbehalte  danken  wir  dem  Verf. 
aufrichtig  für  seine  inhaltreiche  und  tüchtige  Schrift.  Wir  empfehlen  sie  be- 
sonders den  jungen  Theologen.  Sie  bietet  ihnen  ein  Muster  solider,  zuver- 
lässiger Methode  und  wird  ihnen  sehr  wertvolle  Dienste  leisten:  nicht  nur  durch 
die  Lösungen,  die  sie  ihnen  bringt,  sondern  auch  dadurch,  dass  sie  ungemein 
zum  Nachdenken  anregen  wird." 

L'nlT.-Buekdruckerel  tob  E.  A.  Hnth,  G«n<ng«i. 


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